2023 war für die deutschen Kinos das erste Jahr ohne pandemiebedingte Restriktionen. Wie sich der Markt entwickelt hat, ob es Veränderungen der Kinostruktur gab und ob die Menschen nach dem Einbruch in den Corona-Jahren zurück ins Kino kamen, erläuterten der stellvertretende FFA-Vorstand Martin Michaelis und Norina Lin-Hi, Leiterin der FFA-Abteilung Marktforschung und Statistik, beim Fachkongress KINO 2024 in Baden-Baden.
2023 verkauften die deutschen Kinos 96 Millionen Tickets, das sind 23 Millionen Tickets und 19 Prozent weniger als vor der Pandemie (2019). „Als ich im letzten Jahr hier die Zahlen präsentierte und Vergleiche zu 2019 zog, lag das Minus noch bei 34 Prozent“, erklärte Martin Michaelis: „Seither hat sich der Kinomarkt erholt.“
Die Kennzahlen der Kinos – Standorte, Spielstätten, Leinwände – sind während der Pandemie stabil geblieben. „Wir können bestätigen, dass das befürchtete massive Kinosterben ausgeblieben ist. Darüber sind wir alle froh“, so Martin Michaelis. Eine wichtige Frage sei aber, inwiefern sich Strukturen in der Kinolandschaft verändert hätten. „Seit 2020 zählen wir mehr Kinos, aber weniger Leinwände. Das deutet darauf hin, dass Kinos tendenziell kleiner werden“, so Martin Michaelis. Mit 52 Prozent entfalle 2023 der größte Anteil auf Kinos mit nur einer Leinwand – neben herkömmlichen Kinos auch Vereine, Kinoveranstaltungen in Universitäten oder Schulen, kommunale Kinos oder Wanderkinos. 2020 lag der Anteil dieser Kinos bei 50 Prozent, 2015 bei 49 Prozent. „Im Gesamtbild sprechen wir noch von wenigen Prozentpunkten. Wir beobachten weiter, ob dies der Beginn einer langfristigen Strukturveränderung ist“, so Martin Michaelis.
Mit den einzelnen Filmen, ihren Regisseuren und ihrem Publikum hat sich Norina Lin-Hi, Leiterin der FFA-Abteilung Marktforschung und Statistik, befasst. Mit „Barbie“, „Oppenheimer“ und „Avatar: The Way of Water“ habe es drei Filme gegeben, die in allen Altersgruppen ab 10 Jahren zu den fünf meistgesehenen gehörten. „Kino bietet somit beides: Eine Vielfalt, die auf die jeweiligen Zielgruppen zugeschnitten ist, und Filme, die relevant für alle sind und unabhängig vom Alter alle begeistern können – letzteres war 2023 so stark wie noch nie.“
Untersucht wurde auch die Verteilung von Männern und Frauen bei der Regie der Top-5-Filme seit 1990. „Wir haben eine extra lange Zeitreihe gewählt, weil es einfach so wenig Frauen in dieser Position gibt“, so Norina Lin-Hi. „Seit 1990 – also innerhalb von 34 Jahren – gab es nur sechs Filme in den Top 5, die unter weiblicher Beteiligung entstanden sind. Das ist sehr erschreckend für mich.“ Deutsche Filme zeigten hier ein wesentlich ausgewogeneres Bild. „In mehr als der Hälfte der Jahre schaffte es ein Film einer Regisseurin in die Top 5, in einigen Jahren sogar zwei.“
Lag die Kinoreichweite – also der Anteil der Kinobesucher an der Gesamtbevölkerung – 2019 noch bei 38 Prozent, ist er in den ersten Pandemiejahren auf 23 Prozent gesunken. „Mit den 21 Millionen Menschen, die 2023 mindestens einmal im Jahr 2023 einen Film im Kino gesehen haben, ist die Reichweite wieder auf knapp ein Drittel gestiegen“, erläuterte Norina Lin-Hi. „Wer 2023 allerdings überhaupt ins Kino gegangen ist, hat dies durchschnittlich 4,3-mal getan. Die Besuchsintensität war 2023 also erfreulicherweise fast wieder identisch mit 2019.“
Einen Ausblick auf das geplante Kinobesuchsverhalten gab abschließend Martin Michaelis auf Grundlage einer Befragung des Consumer Panel Services GfK vom Januar 2024: „Wir sehen, dass neun Prozent der Befragten beabsichtigen, häufiger ins Kino zu gehen. Fast drei Viertel und damit die absolute Mehrheit, wollen genauso häufig ins Kino gehen. Der Rest plant, seltener oder gar nicht ins Kino zu gehen.“ Auf Basis der vorliegenden Daten prognostiziere das Consumer Panel Services GfK für dieses Jahr Umsätze in Höhe von 873 Millionen und damit weniger als im letzten Jahr, für 2025 werde aber ein Wachstum vorausgesagt. „Selbstverständlich können ein gutes Kinoprogramm und Filme mit wirksamen Marketingmaßnahmen Aufmerksamkeit schaffen und einiges verändern“, so Martin Michaelis. „Im ersten Quartal hatten wir mit ‚Chantal im Märchenland‘, ‚Eine Million Minuten‘, ‚Dune: Part Two‘ und ‚Kung Fu Panda 4‘ bereits sehr erfolgreiche Titel mit mehr als 1 Mio. Tickets. Auch 2023 hatte sich ja viel besser entwickelt als prognostiziert.