„Deutsche sind bereit, für guten Content zu bezahlen“

18. Juni 2024
Lisa Jäger, Partnerin Simon-Kucher
Lisa Jäger, Partnerin Simon-Kucher
Zahlungsbereitschaft ist pro Abo auf 16 Euro gestiegen, Kündigungsbereitschaft steigt aber, um Geld zu sparen

Interview mit Lisa Jäger, Partnerin Simon-Kucher

Jeder Vierte streamt laut einer aktuellen Streaming-Studie des Beratungsunternehmens Simon-Kucher mehr als im Vorjahr. Gleichzeitig steigt die Anzahl der Bezahl-Abos in Deutschland im Schnitt von 2,1 auf 2,7 Abos pro User. Zugleich nimmt die Nutzungsdauer für bezahlte Abonnements drastisch zu. 60 Prozent der Streaming-Zeit entfallen inzwischen auf bezahlte Abonnements – zu Lasten der kostenlosen Streaming-Dienste. Der Boom der Bezahl-Abos zeigt sich ebenfalls an der veränderten Zahlungsbereitschaft. Obwohl das Gesamtbudget für Streaming-Dienste von 25 auf 23 Euro leicht sinkt, steigt das Budget pro Abo von 10 auf 16 Euro stark an. „Kostenlose Streaming-Angebote können daher eine sinnvolle Ergänzung für User sein – insbesondere, wenn die Inhalte exklusiv und für die Zielgruppe relevant sind“, sagt Lisa Jäger von Simon-Kucher. Über ein Viertel der Streaming-Dauer entfalle heute auf kostenlose Online-Dienste.

medienpolitik.net: Frau Jäger, welche Bedeutung haben die kostenlosen Streaming-Angebote, z.B. von ARD und ZDF, für die Entwicklung des Streamingmarktes in Deutschland?

Jäger: Wir sehen in unserer aktuellen Streaming Study, dass über ein Viertel der Streaming-Dauer auf kostenlose Online-Dienste entfällt. Insgesamt hat die Nutzung bezahlter Abonnements zwar zugenommen, allerdings steigen die Gesamt-Budgets für Streaming nicht entsprechend mit an. Ein nicht unerheblicher Anteil der User hat bereits jetzt das Gefühl, zu viel für Streaming auszugeben (33% aller User, sogar 44% bei den unter 40-Jährigen), dazu sind die Budgets häufig bereits mit 1-2 größeren Bezahlabos so gut wie aufgebraucht. Kostenlose Streaming-Angebote können daher eine sinnvolle Ergänzung für User sein – insbesondere, wenn die Inhalte exklusiv und für die Zielgruppe relevant sind. So können auch User mit kleineren Budgets angesprochen werden, für die die teureren Bezahlabos nicht in Frage kommen.

 medienpolitik.net: Woraus resultiert die „Umschichtung“ der Abos von den kostenlosen Streaminganbietern zu Bezahlabos?

Jäger: Bezahlabos haben unter anderem aufgrund der Einschränkungen im Account-Sharing (z.B. bereits durchgesetzt von Netflix, angekündigt von Disney) zugelegt – nach wie vor ist ein großer Anteil an Account-Mitnutzern im Falle einer Restriktion bereit, selbst ein Abo bei dem Dienst abzuschließen, oder hat dies bereits getan. Die angesprochene Umschichtung bezieht sich auf die Streaming-Dauer. Mögliche Gründe können die verfügbaren Inhalte sowie die Einbindung von Werbung sein. Vielfältiger, exklusiver und häufig neuer Content sind mit die wichtigen Entscheidungskriterien für Streaming User, dazu wird Werbung zunehmend als störend empfunden. In einem Bezahlabo habe ich die Werbung meistens jedoch nicht. Je nach Anbieter können also sowohl der verfügbare Content als nicht zufriedenstellend als auch die Werbelast als zu hoch empfunden werden, weswegen mehr Streaming-Zeit auf Bezahlabos verlagert wurde.

„Insbesondere jüngere Zielgruppen würden zunehmend ein Streaming Abo abschließen, wenn dieses Spiele enthalten würde“

medienpolitik.net: Die Deutschen sparen aufgrund steigender Kosten auch im Freizeitbereich. Auch die Abopreise für das Streaming haben sich teilweise erhöht. Dennoch hat die Zahl der Streamingabos zugenommen. Wie ist das zu erklären?

Jäger: Die Inflation ist mittlerweile auch im Streaming-Markt angekommen und hat User an höhere Preise gewöhnt. Analog der Abopreiserhöhungen ist auch die Zahlungsbereitschaft pro Abo auf 16€ gestiegen - Deutsche sind bereit, für guten Content zu bezahlen. Dazu hat die Nutzung von Streaming in Deutschland insgesamt weiter zugenommen. User streamen zum einen länger und haben zum anderen mehr kostenpflichtige Streaming-Abos. Mit Blick auf diese Zahlen scheint sich das Sparverhalten im Freizeitbereich aktuell noch nicht voll auf Streaming auszuwirken. Wir sehen aber aktuell eine Diskrepanz der User in Selbstwahrnehmung und tatsächlichem Verhalten: Die Gesamt-Budgets für Streaming steigen trotz erhöhter Nutzung nicht mit an und User geben selbst zu, eigentlich zu viele Abos zu haben und zu viel für Streaming auszugeben. Dazu gibt ein Drittel für das kommende Jahr eine Kündigungsabsicht für mindestens ein Streaming-Abo an – primär, um Geld zu sparen. Sollten den angegebenen Kündigungsabsichten Taten folgen, ist eine Reduzierung der Abozahl und ein verstärktes Sparen auch im Streaming im kommenden Jahr daher nicht ausgeschlossen.

medienpolitik.net: Sie sagen, dass Streamingplattformen und soziale Medien zu direkten Konkurrenten werden. Aber das Angebot, zum Beispiel an längeren Serien und Spielfilmen unterscheidet sich deutlich. Was macht die sozialen Medien hier so attraktiv?

Jäger: Tendenziell sehen wir, dass insbesondere jüngere User Short-Form Content gut finden. Und solche kürzeren Videos auf Social Media sind zum einen gut auch „on the go“ anzuschauen und haben auch häufig einen ganz eigenen Entertainment-Charakter.

medienpolitik.net:.Sie stellen in Ihrer Studie fest, dass die kostenpflichtigen Streaminganbieter konkrete Vorteile bieten müssen, um ihre Abonnenten zu halten. Welche sind das?

Jäger: Inhaltsbezogene Kriterien sind für Abonnenten die wichtigsten Entscheidungskriterien. Anbieter müssen vielfältige, möglichst exklusive sowie häufig neue Inhalte auf der Plattform bieten, um User im Kampf um Streaming-Budgets bei sich zu halten. Dazu ist Werbefreiheit für einen Großteil der Streamer nach wie vor ein wichtiges Entscheidungskriterium. Es sollten daher trotz des Aufstiegs von werbefinanzierten Abos auch weiterhin attraktive werbefreie Optionen angeboten werden. Im Vergleich zum Vorjahr ist außerdem die Attraktivität eines Gaming-Angebots innerhalb von Streaming-Abos gestiegen. Insbesondere jüngere Zielgruppen würden zunehmend ein Streaming Abo abschließen, wenn dieses Spiele enthalten würde (rund ein Drittel) und halten Gaming als Funktion eines Streaming-Abos für wertvoll (fast die Hälfte) – was zur Preis-Leistungsargumentation genutzt werden kann. Im Falle einer kostenlosen Integration von Gaming würde über die Hälfte der 18-39-Jährigen das Gaming-Angebot auch nutzen – Spiele können daher ein guter Hebel sein, um das Engagement der Zielgruppe zu steigern und sie im umkämpften Markt stärker an den Streaming-Anbieter zu binden. In Episode 3 unserer Streaming Study, die im Herbst erscheint, werden wir weitere potenziell wertstiftende Vorteile und Features genauer betrachten.

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