Die Auswahl der Quellen zeigt einen klaren Fokus auf subjektive Informationen

30. Mai 2023
OBS-Studie analysiert erstmals publizistische Formate von Funk zwischen 2016 und 2022

ie bekannten Reportage-Formate Y-Kollektiv, STRG_F, reporter, follow me.reports und Die Frage gelten als innovative Aushängeschilder des jungen öffentlich-rechtlichen Content-Netzwerks funk. Sie alle praktizieren eine sehr spezielle Form des Journalismus, die auf offenen ‚Subjektivismus‘ und eine konsequente Personalisierung setzt. Diese Merkmale gelten vielen als Faktoren für ihren messbaren Publikumserfolg, sind aber auch immer wieder Anlass für scharfe Kritik. Die neue Studie der Otto Brenner Stiftung (OBS) „Journalistische Grenzgänger. Wie die Reportage-Formate von funk Wirklichkeit konstruieren“ hat erstmals medienwissenschaftlich die journalistische Machart und Qualität der Dokumentationen untersucht. Das Ergebnis: Überwiegend gelingt es den Angeboten, kohärente Beiträge zu produzieren und die Stärken ihres journalistischen ‚Subgenres‘ auszuspielen. Hinsichtlich Themenauswahl, Ereignisorten und qualitativen Ansprüchen besteht jedoch Verbesserungsbedarf. „Fast 80 Prozent der Beiträge von Y-Kollektiv & Co. sind als ‚New Journalism‘ zu qualifizieren. Diese kontrovers diskutierte journalistische Strömung wurde in den 1970er Jahren durch Autoren wie Hunter S. Thompson und Norman Mailer berüchtigt“, so Autor Janis Brinkmann, Professor für Publizistik in der digitalen Informationswirtschaft an der Hochschule Mittweida (FH). „Das Subgenre bricht mit vielen der ‚klassischen‘ journalistischen Normen und setzt statt auf nüchterne Information radikal auf Subjektivität, Personalisierung und Emotionen.“ Insgesamt wurden 1.155 Filme und mehr als 325 Stunden Videomaterial, analysiert.

Zusammenfassung der Ergebnisse

Die Darstellung der Kernergebnisse der quantitativen Inhaltsanalyse erfolgt – argumentativ anschlussfähig und zur besseren Übersicht – unter Bezugnahme auf die formulierten Teilfragen und Erwartungen der Untersuchung sowie aus einer formatübergreifenden Perspektive: Welche Berichterstattungsmuster dominieren die journalistische Wirklichkeitskonstruktion Der funk-Reporter-Formate? Passend zu den genannten Befunden ist auch, dass der subjektive New Journalism als Berichterstattungsmuster klar dominiert (79 Prozent), während klassisch narrative (8,6 Prozent) und investigative Muster (5,1 Prozent), die beide auch für den New Journalism charakteristisch sind, deutlich seltener allein auftreten und andere journalistische Konzepte quasi nicht vorkommen.

Welche Darstellungsformen prägen die journalistische Wirklichkeitskonstruktion der funkReporter-Formate?

Wie aufgrund der Auswahl der „Reporter“-Formate als Untersuchungsgegenstände zu erwarten, ist die Reportage die dominante Darstellungsform (79,6 Prozent), wird aber durch Elemente des Interviews vielfach zu einem narrativ-dialogischen Hybrid ausgeformt. Als häufigste Formen treten Personen- (Porträt-), Milieu- und Rollenspiel-Reportagen (Selbstversuche) auf; 95,7 Prozent der untersuchten Reportagen enthalten dazu – genre-untypisch – die explizite Meinung der Reporter vor der Kamera.

Welche Informationsquellen prägen die journalistische Wirklichkeitskonstruktion der funk-Reporter -Formate?

Eine breite Auswahl verschiedener Quellenformen gibt es nicht: Stattdessen sind in vier von fünf Beiträgen der untersuchten funk-Formate (80,3 Prozent) entweder Protagonisten oder Reporter die zentralen Informationsquellen, was der expliziten Subjektivität in Form von entweder Reporter- oder Quellen-Subjektivität geschuldet ist. Andere Quellen, insbesondere non-personale Quellen wie Dokumente, werden dagegen deutlich seltener (sichtbar) eingebunden.

Welche Akteure sind für die journalistische Wirklichkeitskonstruktion der funk-Reporter-Formate bedeutsam?

Hier zeigt sich deutlich, was bereits die Analyse der Hauptinformationsquellen nahelegt: Protagonisten (zusammen 54 Prozent) und Reporter (31,7 Prozent) sind die mit Abstand am häufigsten auftretenden Akteursgruppen: Während beispielsweise Experten oder Bürger nur am Rande vorkommen, ist für die meisten Beiträge eine Kombination aus Reporter und Protagonist charakteristisch, wobei die Rollen als Haupt- oder Nebenakteure unterschiedlich verteilt sein können. Experten und Bürger kommen nur am Rande vor

„Die journalistische Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit erfolgt überwiegend über Lebensweltthemen, die gefühlsorientiert an die jungen Zielgruppen vermittelt werden.“

Welche Orte und Regionen prägen die journalistische Wirklichkeitskonstruktion der funk-Reporter-Formate?

Deutschland ist mit 85,9 Prozent eindeutig das zentrale Ereignisland. Über Themen mit Auslandsbezug berichten nennenswert nur Y-Kollektiv (28,1 Prozent) und STRG_F (24,9 Prozent). Während ein Drittel aller Beiträge bundesweit ‚spielt‘, dominieren die jeweiligen Produktionssitze der untersuchten ARD-ZDF-funk-Formate die gewählten Bundesländer der Berichterstattung: Berlin, NRW, Hamburg und Bayern kommen deutlich häufiger vor als beispielsweise die ostdeutschen Bundesländer. Die meisten Themen sind zudem in Großstädten angesiedelt; kleine und mittlere Städte sowie Dörfer sind dagegen nur in rund elf Prozent der untersuchten Beiträge Orte des Geschehens.

Welche Interaktionen der Nutzer erfolgten nach der Publikation der Beiträge der funk-Reporter-Formate?

Während STRG_F und Y-Kollektiv auf deutlich höhere Zahlen bei Abonnenten ihres Kanals, durchschnittlichen Abrufen der einzelnen Beiträge sowie deren Likes und Kommentaren kommen, ist das Interaktionsniveau insgesamt hoch. Besonders Beiträge, die bereits vergleichsweise lange auf YouTube verfügbar sind, generieren hohe Abrufzahlen von mehr als vier bzw. fünf Millionen Aufrufen (durch eine sogenannte Long-Tail-Strategie der Einzelformate über Drittplattformen, mittels derer über lange Zeiträume Reichweite realisiert wird).

Wie werden die Themen und Akteure in der Berichterstattung der funk-Reporter-Formate bewertet und welche Tendenzen weisen die Beiträge auf?

Anders als aufgrund der publizistischen Mechanismen sozialer Medien zur Gewinnung von Aufmerksamkeit zu erwarten, wird die prozentuale Mehrheit der behandelten Themen/Ereignisse nicht negativ (38,3 Prozent), sondern neutral bewertet (45,5 Prozent). Auffällig sind hier die Unterschiede zwischen den Formaten: STRG_F und Y-Kollektiv zeigen eine absolute Mehrheit negativer Beiträge, während beispielsweise bei follow me.reports jeder dritte Beitrag sein Thema positiv rahmt und Die Frage mit 83,3 Prozent in vier von fünf Beiträgen eine neutrale bzw. ausgeglichene Perspektive wählt. In mehr als 97 Prozent aller Beiträge ist eine subjektive Tendenz (oft durch die Reporter) erkennbar, eine objektive Thematisierung wurde kaum vorgenommen (in weniger als drei Prozent der Beiträge). Berlin, NRW, Hamburg und Bayern dominieren als Bundesländer die Berichterstattung.

Welche journalistischen Qualitätskriterien werden in der Berichterstattung der funk-Reporter-Formate erfüllt?

Formatübergreifend sind insbesondere Authentizität (90,6 Prozent), Partizipativität (82,9 Prozent), Emotionalität und Exklusivität (beide 78,1 Prozent) und Narrativität (69,5 Prozent) stark ausgeprägt. Damit werden eher unterhaltende, erzählende und gefühlsorientierte Kriterien erfüllt. Transparenz, Nutzwert und Reflexivität sind hingegen in der Mehrheit der Beiträge nicht gegeben, auch Ansprüche an Relevanz und Vielfalt können in einem maßgeblichen Teil der Beiträge (jedem vierten bzw. jedem dritten Beitrag) nicht eingelöst werden. Die eingangs formulierte, übergeordnete Forschungsfrage, wie die funk-Presenter-Reportagen soziale Wirklichkeit journalistisch konstruieren, lässt sich auf dieser Grundlage wie folgt beantworten:

Die journalistische Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit erfolgt überwiegend über Lebensweltthemen, die gefühlsorientiert an die jungen Zielgruppen vermittelt werden. Durch Interviews hybridisierte Reportagen, die sich vor allem Personen, sozialen Milieus und journalistischen Selbstversuchen widmen, nutzen die Konstellation aus Reporter und Protagonisten, um Geschichten, die mehrheitlich in deutschen Großstädten ‚spielen‘, aus einer stark subjektiven Perspektive und unter expliziten Meinungsäußerungen der Journalisten zu erzählen. Der New Journalism prägt als absolut dominantes Berichterstattungsmuster die Wirklichkeitskonstruktion der funk-Reporter-Formate, wurde unter den Bedingungen von Social Media jedoch für die junge Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen aktualisiert und für Web-Video-Formate modifiziert, zum Beispiel über die aktive Rolle von On-Reportern oder Aufrufe an das Publikum zur Kommentierung der Inhalte am Ende eines Beitrags. Dabei kristallisieren sich innerhalb der funk-Formate zwei Formen von Social-Web-Presenter-Reportagen heraus:

  • Reporter-getriebene Formate wie Y-Kollektiv und STRG_F setzen eher auf ‚harte‘ Gesellschaftsthemen, gehen teilweise investigativ vor, erkunden Milieus, berichten über politische Ereignisse, stellen Auslandsbezüge her und stellen Reporter als zentrale Akteure und Informationsquellen in den Mittelpunkt ihrer Filme. Sie sind dadurch von einer Reporter-Subjektivität geprägt.
  • Protagonisten-getriebene Formate wie follow me.reports und Die Frage thematisieren konsequenter Lebenswelt- und Zielgruppenthemen, porträtieren Menschen und deren Einzelschicksale ausschließlich in Deutschland und führen öfter journalistische Selbstversuche durch. Ihre zentralen Akteure und Informationsquellen sind Protagonisten, die von den ‚Hosts‘ der Formate in Interview-Reportagen zu ihren emotionalen Geschichten befragt und dabei begleitet werden, weshalb die von diesen Formaten abgebildete Realität eher durch eine Quellen- oder Protagonisten-Subjektivität konstruiert wird. Mit Abstrichen fällt auch das Format reporter in diese Kategorie, da es in den zentralen Merkmalen eine größere Nähe zu follow me.reports und Die Frage aufweist.

Weitere Informationen: https://www.otto-brenner-stiftung.de/journalistische-grenzgaenger/

Mit Dank an die OBS für Nutzung des Textes.

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