Fragen an Sigrun Albert, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) und Professor Dr. Matthias Cornils, Lehrstuhl für Medienrecht, Kulturrecht und öffentliches Recht, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Die regionalen Tageszeitungen befinden sich gegenwärtig in einer „Ausnahmesituation“ wie Sigrun Albert, Hauptgeschäftsführerin des BDZV erklärt: „Es ist für die Verlage eine Ausnahmesituation, weil sowohl die Energie- als auch die Papierpreise enorm gestiegen sind. Dazu kommen steigende Personalkosten, auch bei der Zustellung. Das führt dazu, dass in strukturschwachen Gebieten die Zustellung unwirtschaftlich wird.“ Diese existentiell bedrohliche Lage wird durch die Pläne der ARD, die Berichterstattung weiter zu regionalisieren, zusätzlich erschwert. Ein Konzept, das auch von den Ländern unterstützt wird. Der BDZV kritisiert vor allem, dass sich die ARD-Anstalten nicht an das Verbot der presseähnlichen Berichterstattung halten würden. Nach Ansicht des Mainzer Medienrechtlers Professor Dr. Matthias Cornils liege im Verbot presseähnlicher Angebote im Medienstaatsvertrag eine weitere wichtige Schutznorm zugunsten der Presse, nicht als Konkurrenzschutz für einzelne Presseunternehmen, sondern zum Schutz der verfassungsrechtlich gewährleisteten Funktion der freien Presse für die öffentliche Meinungsbildung.
Sigrun Albert, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV):
medienpolitik.net: Frau Albert, wie kommen die Verlage gegenwärtig mit den steigenden Kosten klar?
Albert: Die Verlage kommen klar, weil sie Wirtschaftsunternehmen sind, und gelernt haben mit Kostensteigerungen umzugehen und rechtzeitig gegenzusteuern. Es ist dennoch für die Verlage eine Ausnahmesituation, weil sowohl die Energie- als auch die Papierpreise enorm gestiegen sind. Dazu kommen steigende Personalkosten, auch bei der Zustellung. Das führt dazu, dass in strukturschwachen Gebieten die Zustellung unwirtschaftlich wird.
medienpolitik.net: Aktuell wird in Ostthüringen die Zustellung reduziert. Trifft das auch auf andere Regionen zu?
Albert: Wir wissen auch von anderen Mitgliedern, dass es Überlegungen gibt, die Zustellung der gedruckten Zeitung zu reduzieren. Das bedeutet nicht, diese Gebiete mit der Versorgung der Zeitungsinhalte aufzugeben, sondern man versucht mit Partnern vor Ort die Akzeptanz für die digitalen Angebote zu erhöhen. Klar ist allerdings, dass ab einer bestimmten Altersgrenze und Einkommensgrenze die Bereitschaft gering ist, den Schritt zur digitalen Nutzung zu gehen. Dadurch könnten Informationslücken entstehen, weil die digitalen Angebote nur unzureichend genutzt werden, und Zeitungen nicht mehr überall verfügbar sind.
medienpolitik.net: Sind Zeitungstitel bedroht?
Albert: Ich sehe gegenwärtig nicht die Gefahr, dass Zeitungstitel eingestellt werden müssen, weil die digitale Nutzung insgesamt steigt, vor allem bei Jüngeren und in urbanen Gebieten. Die Zeitungstitel werden am Markt bleiben, möglicherweise als rein digitale Ausgaben. Allerdings:
medienpolitik.net: Wie wichtig sind für die Akzeptanz der Regionalzeitungen die regionale und lokale Berichterstattung?
Albert: Das ist sehr wichtig und die Bedeutung nimmt weiter zu. Die Breaking News zu nationalen oder internationalen Themen kommen fast automatisch zu uns, bei den regionalen und lokalen Informationen ist das nicht so. Sie sind ein Alleinstellungsmerkmal für die Regionalzeitungen und andere privatwirtschaftlich finanzierte regionale Medien. Diese Berichterstattung hat sich in den vergangenen Jahren deutlich qualitativ und quantitativ verbessert, weil die Zeitungen heute mehr leisten müssen, um die Leser zu überzeugen. Dazu gehören Hintergrundinformationen und investigative Berichte, die einen hohen personellen Aufwand erfordern.
medienpolitik.net: Die Länder fordern, dass die ARD die regionale Berichterstattung ausbaut. Wie „bedrohlich“ ist das für die Regionalzeitungen?
Albert: Es ist eine zusätzliche Sorge für die Verlage, dass die Abonnements weiter zurückgehen könnten. Angesichts der vielen Probleme die gegenwärtig die Zeitungswirtschaft umtreiben, verschärfen kostenlose regionale Angebote, die durch den Rundfunkbeitrag finanziert sind, die wirtschaftlichen Bedingungen weiter. Das betrifft vor allem die presseähnlichen Beiträge, also die Textinformationen, die sich zunehmend auf den Online-Seiten der Anstalten finden und die Domäne der Verlage sind. Deshalb ist im Telemedien-Staatsvertrag auch ein Verbot von presseähnlichen Angeboten verankert. Damit stören die öffentlich-rechtlichen Sender unser Kerngeschäft massiv und macht unsere Bemühungen um digitale Abonnenten schwieriger.
„Angesichts der vielen Probleme die gegenwärtig die Zeitungswirtschaft umtreiben, verschärfen kostenlose regionale Angebote, die durch den Rundfunkbeitrag finanziert sind, die wirtschaftlichen Bedingungen weiter.“
medienpolitik.net: Aber es gibt doch eine Schlichtungsstelle…
Albert: Bei der Verständigung über eine Schlichtungsstelle und dem Verbot presseähnlicher Inhalte gab es zwischen Verlagen und Anstalten ein gemeinsames Grundverständnis, dass die Ausdehnung öffentlich-rechtlicher Angebote ins Internet, den Presseverlagen nicht schaden dürfe. Dieses Verständnis für unsere Arbeit und Bedeutung ist inzwischen teilweise verloren gegangen. Deshalb sehen wir die Einflussmöglichkeiten der Schlichtungsstelle im Moment als sehr gering an.
medienpolitik.net: Muss die Medienpolitik stärker abgrenzen, was „regionale“ Berichterstattung bedeutet und die „Presseähnlichkeit“ konsequenter regeln?
Albert: Wenn sich die Anstalten an den Medienstaatsvertrag halten würden, gäbe es ein bereits eine vernünftige Lösung. Bevor Verträge verändert werden müssen, sollten die Länder deshalb auf die öffentlich-rechtlichen Sender einwirken, dass sie wieder zum Geist der gemeinsamen Vereinbarung von 2018 zurückkehren. Sie müssen sich wieder bei Texten auf ein sinnvolles Maß beschränken. Dazu gehören der Sendungsbezug und keine ausufernden Texte sowie die Fokussierung auf eine audiovisuelle Berichterstattung. Wenn die Anstalten nicht freiwillig einsehen, dass sie uns mit der Ausweitung von Textinformationen schaden, müssen die entsprechenden Regelungen in den Staatsverträgen wohl doch verschärft werden.
medienpolitik.net: Der Ausbau der Textberichterstattung bei den Online-Angeboten der ARD-Anstalten macht den Verlagen anscheinend aber auch personell zu schaffen…
Albert: Der Ausbau der regionalen und lokalen Berichterstattung durch die Anstalten, führt natürlich auch zu einem Wettbewerb um kompetente Mitarbeiter und Talente. In einigen Regionen haben die öffentlich-rechtlichen Sender Mitarbeiter von den Zeitungen abgeworben, die jetzt Online-Texte schreiben, was sie ja am besten können. Sie werden auch mit den hohen Gehältern bei den beitragsfinanzierten Sendern gelockt, die die Verlage nicht bezahlen können. Damit verlieren die Verlage qualifizierte Mitarbeiter und die Anstalten bauen Know-how im Textbereich auf, die Zeitungen erleiden also einen doppelten Schaden.
Professor Dr. Matthias Cornils, Lehrstuhl für Medienrecht, Kulturrecht und öffentliches Recht, Johannes Gutenberg-Universität Mainz:
medienpolitik.net: Herr Cornils, nach den Vorstellungen der Länder sollen die ARD-Anstalten ihre regionale Berichterstattung ausbauen. Welche Konsequenzen hätte das für private lokale und regionale Medien?
Cornils: Der gesetzliche Rundfunkauftrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Medienstaatsvertrag und den Anstaltsgesetzen mandatiert die Anstalten schon lange ausdrücklich mit der Aufgabe der Regionalberichterstattung. Diese ist danach aber – und auch unionsrechtlich – sowohl von der Lokalberichterstattung als auch von Programmen mit landesweiter Ausrichtung rechtlich zu unterscheiden: Das rechtlich unzweifelhaft und grundsätzlich auch unbestrittene Mandat zur Gestaltung regionalbezüglicher Angebote erfasst keineswegs auch die Lokalberichterstattung auf kommunaler Ebene; als flächendeckende Berichterstattung ist diese für die öffentlich-rechtlichen online-Angebote sogar im Medienstaatsvertrag ausdrücklich verboten. Aus der Aufgabe der Regionalpublizistik zieht die aufwändige föderale Struktur des deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der ARD ein gutes Stück ihrer Legitimation, so dass es nicht verwundert, dass diese Aufgabe in der derzeitigen Strukturdebatte wieder besonders in den Vordergrund gerückt wird. Was die Auswirkungen einer Stärkung der regionalen Angebote auf die private Konkurrenz angeht, ist dies zunächst eine medienökonomische Frage, die sich der Beurteilungskompetenz des Medienjuristen entzieht. Aber klar ist doch, auch wenn gelegentlich anderes behauptet wird, dass jede erfolgreiche Angebotsausweitung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in dem Maß, in dem sie zusätzlich knappe Aufmerksamkeit der Mediennutzer bindet, zulasten der Nachfrage von Lesern und Hörern privatwirtschaftlicher Angebote geht. Insbesondere für die Presse kann dies eine Verschärfung ihrer ohnehin prekären wirtschaftlichen Lage bedeuten.
medienpolitik.net: Gibt es für eine Ausdehnung medienrechtliche Grenzen, z.B. zu „lokalen Angeboten“?
Cornils: Solche Grenzen gibt es, insbesondere das schon angesprochene Verbot flächendeckender lokaler Berichterstattung in den öffentlich-rechtlichen Telemedien (§ 30 Abs. 5 Nr. 3 MStV), das dem Schutz der Lokalzeitungen vor einer Marktverdrängung durch funktional gleichwertige öffentlich-rechtliche online-Angebote dient und auch unionsrechtlich verankert ist. Diese Auftragsbegrenzung für die Anstalten ist aber auch Ausdruck eines verfassungsrechtlich gebotenen Interessenausgleichs zwischen den Funktionsträgern öffentlich-rechtlicher Rundfunk und Presse für das Normziel des Medienverfassungsrechts, also die Sicherung der Voraussetzungen demokratischer Meinungsbildung. Dafür ist eben nicht der beitragsfinanzierte Anstalts-Rundfunk alleinzuständig. Auch die privatwirtschaftlich organisierte Presse kann sich für ihre öffentliche Aufgabe nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf eine grundrechtliche Funktionsgarantie von keineswegs geringerem Gewicht berufen. In der Netzkommunikation stoßen beide – jeweils verfassungsrechtlich abgesicherten Funktionsträgerrollen – nun hart aufeinander. Der Mediengesetzgeber hat durch Konkurrenzregelungen in einer Perspektive auf das Mediensystem insgesamt (nicht nur auf den Rundfunk) dafür zu sorgen, dass hier eine vernünftige Balance gewahrt bleibt und die Eigenrationalität privater Publizistik, die heute unter schwerem wirtschaftlichen Druck steht, nicht vorschnell einem allumfassenden Konzept staatlich organisierter und öffentlich finanzierter Informations-Daseinsvorsorge geopfert wird.
„Weder verfassungsrechtlich noch nach dem Medienstaatsvertrag besteht eine Verpflichtung dazu, weitere oder erweiterte Online-only-Angebote der öffentlich-rechtlichen Anstalten vorzusehen.“
medienpolitik.net: Diese Ausdehnung der regionalen Berichterstattung spiegelt sich auch auf den Online-Seiten der ARD-Anstalten wider. Inwieweit wird hier das Verbot von presseähnlichen Angeboten tangiert?
Cornils: Die Pressewirtschaft kritisiert schon seit längerem, dass mit der Ausweitung regionaler und auch lokaler Berichterstattung durch die Anstalten zugleich auch das nach jahrelangem erbittertem Streit gerade erst vor wenigen Jahren neu gefasste Verbot selbstständiger presseähnlicher online-Angebote zunehmend missachtet werde. Ob und in welchem Umfang dies in den öffentlich-rechtlichen Onlineangeboten der Fall ist, ist wiederum keine juristische, sondern tatsächliche Frage; die Anstalten weisen bekanntlich den Vorwurf zurück. Aus rechtlicher Sicht handelt es sich beim Verbot der Presseähnlichkeit um eine andere und zusätzliche, mit dem Verbot flächendeckender lokaler Berichterstattung nicht notwendig zusammenfallende gesetzliche Auftragsgrenze. Allerdings sind Korrelationen denkbar und dann auch rechtserheblich: Je ähnlicher ein online-Angebot der typischen Berichterstattung in Lokalzeitungen wird, umso eher dürfte auch das Verbot der flächendeckenden Lokalberichterstattung eingreifen. Und es könnte für eine Anstalt, die sich die Regional- und Lokalberichterstattung als besonderen Tätigkeitsschwerpunkt vornimmt, eine Versuchung darin liegen, gerade hier in ihren online-Angeboten auch mit zeitungstypischen Gestaltungsmitteln (Text-Artikel, Standbilder) zu arbeiten. Was das Verbot presseähnlicher Angebote im Medienstaatsvertrag angeht, liegt darin daher eine weitere wichtige Schutznorm zugunsten der Presse, nicht als Konkurrenzschutz für einzelne Presseunternehmen, sondern zum Schutz der verfassungsrechtlich gewährleisteten Funktion der freien Presse für die öffentliche Meinungsbildung. Entgegen teilweise vertretenen Annahmen ist auch dieses Verbot daher verfassungsrechtlich legitimiert und nach den Maßstäben, die in der wettbewerbsgerichtlichen Rechtsprechung zum Fall Tagesschau-App herausgearbeitet worden sind, zur Geltung zu bringen. Die Neufassung im Staatsvertrag hat dieses Verbot keineswegs gelockert, vielmehr die Grundsätze jener Rechtsprechung bestätigt.
medienpolitik.net: Könnte man eine Ausweitung der regionalen Berichterstattung so regeln, dass die Zeitungen und andere private lokale und regionale Medienunternehmen dadurch keinen Schaden nehmen?
Cornils: Anders als die Berichterstattung auf lokaler Ebene unterliegt die regionale Berichterstattung durch die Anstalten (linear und online) bisher keiner gegenständlichen Begrenzung im Rundfunkrecht. Indes haben die Landesgesetzgeber, die grundrechtlich zur Ausgestaltung der Medienordnung verpflichtet sind, aus dieser Pflicht immer wieder aufs Neue zu prüfen, ob die geltenden Regelungen noch für Rahmenbedingungen sorgen, die im Ergebnis eine pluralistische, freiheitliche, reichhaltige und umfassende Information der Gesellschaft ermöglichen. Institutionell kann aus dieser verfassungsrechtlichen Zielvorgabe durchaus geschlossen werden, dass der erwartete publizistische Wettbewerb nicht nur (noch) Anbietern eines Typus mit einer bestimmten Unternehmensratio (etwa dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk) überlassen bleibt, sondern dass verschiedene Akteure als Informations-Funktionsträger lebens- und funktionsfähig bleiben, darunter eben nach Möglichkeit auch die privatwirtschaftliche Publizistik. Was die Regional-Berichterstattung anbetrifft, wäre allerdings ein (mehr oder weniger weit gehender) thematischer Ausschluss des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus diesem Tätigkeitsfeld verfassungsrechtlich – vor dem Hintergrund der einschlägigen BVerfG-Rechtsprechung – kaum zu rechtfertigen, jedenfalls für den linearen Programmrundfunk. Auch in den Online-Angeboten ist zunächst daran zu denken, den gebotenen Schutz der Entfaltungschancen der Pressewirtschaft dadurch zu erreichen, dass die Angebote der Anstalten in ihrer Gestaltung klar unterscheidbar bleiben, sich also im Wesentlichen auf audiovisuelle Gestaltungsmittel beschränken. Weder verfassungsrechtlich noch nach dem Medienstaatsvertrag besteht im Übrigen eine Verpflichtung dazu, weitere oder erweiterte Online-only-Angebote der öffentlich-rechtlichen Anstalten vorzusehen.