Von Helmut Hartung, Chefredakteur www. medienpolitik.de
Am vergangenen Freitag teilte um 14.37 Uhr die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth, per Pressemitteilung mit, dass nach einer Umfrage der Produktionsallianz fast 70 Prozent der befragten Unternehmen angeben, dass im Falle eines Scheiterns der Filmreform eine Abwanderung der Produktionen ins Ausland unvermeidlich wäre. Wörtlich sagt Claudia Roth: „Die Zahlen sind alarmierend und zeigen, dass hier sehr schnell gehandelt werden muss. Die umfassende Reform der Filmförderung ist von existenzieller Bedeutung für den Filmstandort Deutschland und für die gesamte Filmbranche hierzulande. Internationale und sogar deutsche Produktionen wandern ab in andere Länder, die bessere Rahmenbedingungen bieten. Wir müssen jetzt dringend hierzulande bessere Rahmenbedingungen schaffen, auch um europäisch und international als Produktionsstandort wettbewerbsfähig zu sein.“
Aha denkt man sich, wenn das so dramatisch ist, müsste der oder die Verantwortliche in der Bundesregierung längst mit den anderen Ministerien und auch mit den Bundesländern zu einer Vereinbarung gekommen sein, um der deutschen Filmwirtschaft wieder auf die Beine zu helfen. Doch das ist nicht geschehen. Dass eine zuständige Ministerin einen Brandbrief an sich selbst richtet, ist schon sehr ungewöhnlich. Es ist auch geschenkt, dass sich Claudia Roth, hier nur auf die Umfrage der Produktionsallianz beschränkt. Zu oft hat sie auch in der Vergangenheit Warnmeldungen anderer Bereiche der Filmwirtschaft ignoriert. Doch diese Pressemeldung ist eine Offenbarung des Versagens der für die Filmwirtschaft und Filmpolitik der Bundesregierung zuständigen Ministerin.
Einen Tag vor der Produktionsallianz haben die Dienstleister der Filmwirtschaft ebenfalls eine Befragung der Mitglieder des Verbands Technischer Betriebe für Film und Fernsehen e.V. veröffentlicht, in der die Stimmung unter den Studios, technischen Ausrüstern, Kostümverleihern, Visual Effects und Postproduzenten als „desaströs“ eingeschätzt wird. Deutlich mehr als die Hälfte der Betriebe bezeichnet ihre aktuelle wirtschaftliche Situation als „eher schlecht oder gar als „sehr schlecht“ (insgesamt 58 %). Vom anstehenden Produktionsjahr 2025 erwarten die Dienstleister keine Besserung, im Gegenteil. „Die Umfragewerte des VTFF-Herbstbarometers zeigen Jahr für Jahr nach unten“, erklärt Verbandsgeschäftsführer Achim Rohnke. „Ein Ende der Talfahrt ist angesichts des Versagens der Politik nicht in Sicht.“ Das anstehende Produktionsjahr 2025 stehe so für technisch-kreativen Dienstleister nicht als Verheißung, sondern als Bedrohung vor der Tür. Vielleicht hat die Staatsministerin diese Meldung deshalb ignoriert, da mit „Politik“ eindeutig das Nichthandeln der noch amtierenden Regierung gemeint ist.
Claudia Roth muss einräumen, dass „aufgrund der anstehenden Neuwahlen heute leider klar ist, dass aufgrund der europarechtlichen Vorgaben, der Stillhaltefrist, ein Investitionsverpflichtungsgesetz nicht mehr in den Bundestag eingebracht werden kann in dieser Legislaturperiode.“ Diese Aussage verwundert, existieren doch bereits in mehreren europäischen Ländern solche Investitionsverpflichtungen, zumeist jedoch deutlich geringer als die in Deutschland geplanten 20 Prozent des Umsatzes. Auch gab es bei den zahlreichen Paneldebatten zur Filmreform, auf der Vertreter der BKM seit Monaten ankündigten, dass man beim Anreizmodell und der Investitionsabgabe, kurz vor dem Durchbruch stehe, keinen Hinweis auf „europarechtliche Vorgaben“. In der bereits erwähnten Pressemeldung heißt es, dass die „erste wichtige Säule dieser Reform der Filmförderung, die Novellierung des Filmfördergesetzes, ist bereits auf der Ziellinie“.
Vier Wochen vor Ablauf der Gültigkeit des aktuellen Gesetzes, das bereits zweimal verlängert worden ist und drei Jahre nach der Bildung der Ampelkoalition, ist man auf der „Zielgrade“. Eine starke Leistung!
„Die Förderung eines Kulturwirtschaftsbereichs neu organisieren zu wollen, ohne die Interessen der Bundesländer zu berücksichtigen, muss in einem Desaster enden.“
Es ist nur fraglich, ob das Ziel auch erreicht wird. Fast flehentlich mahnt Claudia Roth, dass es „für den Filmstandort Deutschland eine gemeinsame, parteiübergreifende Kraftanstrengung braucht“. Weil die Regierung nicht mehr aus eigener Kraft eine Reform auf den Weg bringen kann, deren Ankündigung vor knapp drei Jahren auf dem Produzententag mit „stehenden Ovationen“ gefeiert worden ist, ist jetzt von einer „parteiübergreifenden Kraftanstrengung die Rede. Im Februar 2023 hatte Claudia Roth hier erklärt: „Mein Ziel ist es, Ende dieses Jahres die notwendigen Gesetzesvorhaben auf den Weg zu bringen. Der Bundesfinanzminister, aber auch viele andere Kolleginnen und Kollegen im Kabinett sind mehr als interessiert an unseren Fortschritten.“ Doch dieser Zusage folgten kaum Taten.
Seit Monaten monieren die Bundesländer, die ja für das Anreizmodell mit zur Kasse gebeten werden, dass es keinen Vorschlag des Bundesfinanzministeriums gäbe, der die Kostenverteilung regele und auch festschreibe, dass der Bund seinen bisherigen Anteil an der Filmförderung beibehält. Wie zu hören ist, lehnt die zuständige Abteilung im Bundesfinanzministerium eine solche Lösung ab. Und sicher spielt auch zentralistisches Gebaren eine Rolle, dass man die Länder bei einer Reform, die in ihre Kultur- und Finanzkompetenz eingreift, links liegen lässt und versucht, sie vor vollendete Tatsachen zu stellen. Es ist zwar schön, wenn die „Kolleginnen und Kollegen im Kabinett“ an der Reform interessiert sind. Noch schöner wäre es, wenn auch die Finanzministerinnen und Finanzminister der Bundesländer rechtzeitig mit einbezogen worden wären. Die Förderung eines Kulturwirtschaftsbereichs neu organisieren zu wollen, ohne die Interessen der Bundesländer zu berücksichtigen, muss in einem Desaster enden.
Zu fragen ist auch, warum Claudia Roth ihren Vorschlag von 2023, das österreichische Modell der Filmförderung „genauer anzusehen“ nicht umgesetzt hat. Hier hätte man nicht das finanzielle Notopfer der Länder benötigt. Eine Öffnung der bisherigen Bundesförderung ohne Deckelung, hätte für ausreichend Anreiz gesorgt. Unser Nachbarland kann sich jedenfalls nicht über eine unzureichende Auslastung der Studios beklagen. Auch Dank deutscher Produzenten.
Sollte das novellierte Filmfördergesetz (FFG) doch noch in den nächsten Tagen den Bundestag passieren und ab 1. Januar 2025 in Kraft treten, kann die Branche zwar aufatmen aber nicht durchatmen. Um wieder ein Licht am Ende des Krisentunnels zu sehen, wird auch in Deutschland ein Anreizmodell benötigt. Aber das muss, wenn die Bundesländer einbezogen werden sollen, professionell vorbereitet werden und man sollte die Staatskanzleien einbeziehen, bevor man Beifall heischt. Die Länder sind durchaus bereit, sich hier stärker zu engagieren, um wieder Produktionen nach Deutschland zu holen und auch den hiesigen Produzenten wieder mehr Aufträge zu sichern. Doch sie müssen als Partner und nicht als Befehlsempfänger behandelt werden. Es ist Claudia Roth zuzustimmen, wenn es in der Pressmeldung heißt: „Diese Filmreform ist eine Reform für einen zentralen Sektor der Kreativindustrie in Deutschland.“ Doch dann hätte man sie so auch von Anfang an managen müssen.