„Es braucht vor allem die konkrete Rechtsdurchsetzung“

17. Juli 2024
Nationale Medienregulierer der EU verabschieden Positionspapier mit vier zentralen medienpolitischen Forderungen für die neue Legislatur der EU

Die ERGA zeigt in ihrem aktuellen Positionspapier vier zentrale medienpolitische Handlungsfelder für die Legislatur der sich neu zusammengesetzten EU-Organe auf: Erstens die Sicherung eines freien und pluralistischen Medienmarktes, zweitens den ganzheitlichen Einsatz gegen Informationsmanipulation, drittens den Schutz von Kindern und Jugendlichen im digitalen Umfeld und viertens die sinnvolle Verschränkung bestehender europäischer Mediengesetze. Das Positionspapier wurde kurz vor dem Start der neuen EU-Kommission und im Rahmen der Vollversammlung der ERGA im Juli verabschiedet.

Besonders die Bedeutung der europäischen Richtlinie für Audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie) steht als wichtigstes europäisches Instrument der Medienregulierung im Fokus. „Die EU-Kommission hat sich in ihrer letzten Legislatur auf wegweisende Art mit der Regulierung unserer digitalen Welt befasst und hat mit dem DSA sowie dem EMFA eine klare Position Europas im Netz definiert. Doch was wäre unser Rechtssystem, wenn wir nur die Prinzipien des Grundgesetzes anwenden könnten? Es braucht vor allem die konkrete Rechtsdurchsetzung. Die Bundesrepublik und die Medienanstalten der Länder haben gerade in den letzten Monaten, veranlasst durch die Situation im Nahen Osten, mit dem entschlossenen Vorgehen gegen hunderte Rechtsverstöße im Netz sowie durch ihr konsequentes Vorgehen im Bereich des Jugendmedienschutzes gezeigt, was es braucht, um eine demokratische Ordnung auch im Internet abzusichern. Diese Möglichkeiten die nationalen Aufsichtseinrichtungen zu stärken und effizient mit der Europäischen Kommission zu verzahnen, ist die nächste große Aufgabe der EU“, kommentiert Dr. Tobias Schmid, Europabeauftragter der Medienanstalten und Vorsitzender der zuständigen Arbeitsgruppe, das Arbeitsergebnis der ERGA.

Die AVMD-Richtlinie bleibt aus Sicht der nationalen Regulierungsbehörden das wichtigste Instrument der Inhalteregulierung. Während der DSA generelle Pflichten für Plattformen definiert, obliegt es weiterhin den Mitgliedstaaten, die Rechtmäßigkeit und deren Grenzen bei einzelnen Inhalten zu regeln. Damit dies dennoch in einem einheitlichen europäischen Standard erfolgen kann, ist die AVMD-Richtlinie von unverzichtbarer Bedeutung. Die deutsche Medienaufsicht leitet im Kreis der nationalen Medienregulierer in diesem Jahr die Arbeitsgruppe zur europäischen Digitalgesetzgebung und wird in dieser Rolle die Forderungen aus dem zuvor genannten Positionspapier vertreten.

Um das Ziel freier und pluralistischer Medienmärkte zu unterstützen, empfiehlt ERGA folgende Anpassungen:

Legislative Empfehlung 1: Die Kommission könnte einen strafferen Rahmen für Dienste von allgemeinem Interesse gemäß Artikel 7a der AVMD-Richtlinie fördern, einschließlich der Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, ihre nationalen Hervorhebungsregelungen für Benutzeroberflächen und/oder Medienplattformen im Einklang mit dem geltenden EU-Recht durchzusetzen. Darüber hinaus sollte im Rahmen der Überarbeitung der AVMD-Richtlinie eine konstruktive Debatte darüber geführt werden, wie die Verpflichtungen in Bezug auf europäische Werke besser umgesetzt werden können.

Legislative Empfehlung 2: Bei einer Überarbeitung der AVMD-Richtlinie sollte die Kommission die Notwendigkeit gleicher Wettbewerbsbedingungen für alle Arten audiovisueller Medieninhalte unabhängig von der Art ihrer Verbreitung im Auge behalten.Während ERGA dem Übergang von ERGA in das neue European Board for Media Services (EBMS) unter dem EMFA und einer neuen mehrjährigen Strategie im Rahmen dieser neuen Struktur entgegensieht, stellt ERGA einige Themen vor, die von den neuen europäischen Institutionen und in den Diskussionen über die Prioritäten der Union für die nächste Legislaturperiode behandelt werden müssen. Die Empfehlungen von ERGA basieren auf den Erfahrungen und der Arbeit von ERGA während der letzten Legislaturperiode.Als allgemeine Bemerkung und übergreifendes Prinzip möchte ERGA betonen, dass die aktuelle Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie) den Eckpfeiler der audiovisuellen Medienregulierung in der Europäischen Union bildet. Dieses wichtige Rechtsinstrument ist – trotz der sich entwickelnden Medienlandschaft und der sich entwickelnden Medienkonsummuster – immer noch sehr relevant und notwendig. Sollte die Richtlinie in naher Zukunft überarbeitet werden, ist ERGA bereit, mit ihrer langjährigen Expertise und Erfahrung bei der Umsetzung der AVMD-Richtlinie einen Beitrag zu leisten, um konkrete, spezifische Verbesserungen vorzuschlagen, die an diesem Rahmen vorgenommen werden sollten, von denen einige bereits in diesem Dokument erwähnt werden.

Deshalb rät die ERGA den europäischen Institutionen, sowohl gesetzgeberische Maßnahmen („legislative Empfehlungen“) als auch Überwachungs- und/oder Durchsetzungsmaßnahmen („nichtlegislative Vorschläge“) in Betracht zu ziehen.

Nichtlegislativer Vorschlag 1: Eine künftige Überwachung der Wirksamkeit der Maßnahmen zur Gewährleistung der Medienvielfalt im Internet, insbesondere durch die in den Artikeln 18 und 19 EMFA festgelegten Mechanismen, könnte von den europäischen Institutionen im Hinblick auf eine weitere Verfeinerung der Regelung in Betracht gezogen werden.

Um das Ziel zu unterstützen, die Europäer vor Informationsmanipulation und Desinformation zu schützen, empfiehlt ERGA die folgenden Anpassungen:

 Legislative Empfehlung 3: ERGA empfiehlt eine Neuüberlegung der Zuständigkeitskriterien für die Satellitenverteilung nach Art. 2 Abs. 4 AVMD-RL. Diese Anpassung sollte es den Mitgliedstaaten ermöglichen, wirksamer gegen Mediendienstanbieter aus Drittländern vorzugehen, wenn deren einzige Verankerung im Binnenmarkt das Unternehmen ist, das die Verteilung organisiert. Eine solche Anpassung sollte die Regelung nach Art. 17 EMFA ergänzen.

Nichtlegislativer Vorschlag 2: Der Europäischen Kommission wird empfohlen, gemeinsam mit dem Europäischen Gremium für Digitale Dienste die wirksame Anwendung des derzeitigen Selbst- und Ko-Regulierungsrahmens gegen Desinformation sicherzustellen, einschließlich der Nutzung von Instrumenten, die eine widerstandsfähige, medienkompetente Gesellschaft fördern Insbesondere sollte genau geprüft werden, ob die Plattformen ihren Verpflichtungen nachkommen. Der derzeitige risikobasierte Ansatz sollte in vollem Umfang angewendet werden, um seine Wirksamkeit analysieren zu können. Verbesserte Regulierungsinstrumente könnten in Betracht gezogen werden, wenn der derzeitige Rahmen der Selbst- und Koregulierung nicht zu einer ordnungsgemäßen Einhaltung der Verpflichtungen durch die Plattformen führt.

Um das Ziel einer sicheren Online-Medienlandschaft für Nutzer und Kinder zu unterstützen, empfiehlt ERGA die folgenden Gesetzesanpassungen:

Legislative Empfehlung 4: Für die Regulierung audiovisueller Medieninhalte, sowohl online als auch offline ist die AVMD-Richtlinie das wichtigste europäische Medienregulierungsinstrument. Die europäischen Institutionen sollten bei einer Überarbeitung der AVMD-Richtlinie sicherstellen, dass das Zusammenspiel mit dem DSA in Bezug auf VSPs geklärt wird. Zu diesem Zweck sollte der DSA weiterhin als Ergänzung zur AVMD-Richtlinie betrachtet werden und es sollte geprüft werden, ob zusätzliche oder aktualisierte Regeln erforderlich sind, die für VSPs gelten sollten.

Legislative Empfehlung 5: ERGA fordert die künftige Kommission auf, unter Berücksichtigung des enormen Potenzials neuer Technologien für Marktteilnehmer sicherzustellen, dass diese Technologien keine neuen Risiken für die EU-Bürger schaffen. Daher muss die europäische KI-Gesetzgebung die Risiken berücksichtigen, die der Einsatz solcher Technologien für die Medienfreiheit und -vielfalt mit sich bringen kann. Ein medienspezifischer Ansatz könnte relevant sein, wenn die Gefährdung dieser Werte durch den Einsatz von KI oder anderen technologischen Entwicklungen, die den Mediensektor beeinflussen, zunimmt.

Um das Ziel eines ergänzenden Durchsetzungssystems zu unterstützen, empfiehlt ERGA die folgenden Maßnahmen:

Nichtlegislativer Vorschlag 3: Die reibungslose und komplementäre Anwendung des DSA und der AVMD-Richtlinie muss unbeschadet anderer EU-Gesetze wie EMFA und der E-Commerce-Richtlinie (ECD) gewährleistet werden. Eine Fortsetzung eines kooperativen Ansatzes ist erforderlich, um Regulierungsmaßnahmen im Rahmen beider Rechtsinstrumente wirksam durchführen zu können. Der sich aus den Bestimmungen der AVMD-Richtlinie ergebende komplementäre Charakter des DSA und des Medienrechts in den Mitgliedstaaten muss, wo relevant, zum Beispiel bei der Bewertung möglicherweise illegaler Praktiken und/oder Inhalte, zum Tragen kommen

Legislative Empfehlung 6: ERGA unterstützt nachdrücklich das Engagement der Europäischen Union für das Herkunftslandprinzip, den Eckpfeiler des europäischen grenzüberschreitenden Regulierungssystems. ERGA unterstützt dieses Prinzip, empfiehlt jedoch eine weitere Angleichung und Klärung der AVMD-Richtlinie und der ECD, die Verfahren vorsieht, die eine Ausnahme vom Herkunftslandprinzip für VSPs ermöglichen.

ERGAs-views-on-the-future-priorities-for-media-policy.pdf

 

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