Dem Kampf gegen Hassrede und strafbare Inhalte im Netz kommt große Bedeutung für die Kommunikation und demokratische Debattenkultur zu. Um den Schutz vor strafbarer digitaler Hetze zu verbessern, soll der Betroffene von sozialen Netzwerken wie Twitter oder Facebook, eine Sperrung der Hetz-Accounts fordern können. Das sehen die Eckpunkte für ein geplantes „Digitales Gewaltschutzgesetz“ der Bundesregierung vor, die Justizminister Marco Buschmann (FDP) vergangenen Monat vorgelegt hatte. Nun reagiert die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) mit einem fertigen Gesetzentwurf. Damit sollen die Rechte der Bürger gestärkt werden, die im Netz Hass, Verleumdungen und Lügen ausgesetzt sind und bedroht werden. Nach dem Entwurf können die Opfer darauf bestehen, dass der entsprechende Inhalt nicht mehr zugängig ist. Die „angemessene Dauer“ der Sperre soll sich nach der Schwere des Angriffs richten. Zudem sollen die Opfer auch beantragen können, dass der Account des entsprechenden Täters „für eine angemessene Zeit“ gesperrt wird, da im Internet häufig Pseudonyme verwendet werden, bei denen die Person nicht ermittelt werden kann.
Kernpunkt des Gesetzentwurfes, so heißt es dazu auf der Online-Site der Gesellschaft (https://freiheitsrechte.org/themen/demokratie/marie-munk-initiative), ist die Schaffung einer Rechtsgrundlage für die gerichtliche Sperrung von Accounts, die bestimmte rechtsverletzende, häufig strafrechtlich verbotene Inhalte verbreiten. Anders als bisher sollen Gerichte Accounts sperren können, ohne die Person dahinter identifizieren zu müssten. Diese Strategie komme ganz ohne Klarnamenpflicht und Datenspeicherung aus und habe zum Ziel auch die Grundrechte der Nutzer zu bewahren. Das Digitale Gewaltschutzgesetz soll der Bundesregierung als Blaupause dienen – und die Verantwortung weg von privaten Unternehmen zurück zum Rechtsstaat führen. Neben Accountsperren fordert die Marie-Munk-Initiative den Aus- und Aufbau von Beratungs- und Hilfsangeboten für Menschen, die von digitaler Gewalt betroffen sind.
Wie dringend das Thema digitaler Gewaltschutz angegangen werden muss, zeigt eine von der GFF 2021 in Auftrag gegebene, mit 1000 repräsentativ ausgewählten Befragten durchgeführte Studie: 67 Prozent der Befragten gaben an, im Netz bereits Hass und Hetze erlebt zu haben. Jeder Fünfte wurde bereits im Internet beleidigt, bei jungen Frauen war sogar jede Vierte von digitaler Gewalt betroffen. Darüber hinaus hat jede dritte junge Frau Angst davor, dass im Netz intime Bilder von ihr veröffentlicht werden.
Nur wenige der Betroffenen haben Vertrauen in die Parteien
Der Bedarf an effektiven Maßnahmen und Strategien ist da – und damit auch ein Auftrag für die Bundesregierung, die in ihrem Koalitionsvertrag ein Gesetz gegen digitale Gewalt angekündigt hat. Die Studie zeigt aber auch: Nur wenige der Befragten haben Vertrauen in die Parteien, wenn es darum geht effektive und konsequente Maßnahmen für den Umgang mit digitaler Gewalt zu entwickeln. Mit 13 Prozent trauen die Befragten das der SPD noch am ehesten zu, der Rest der Parteien schafft es nicht über einen einstelligen Wert hinaus.
Social-Media-Plattformen tragen die Verantwortung dafür, rechtswidrige Inhalte zu löschen. Die Vergangenheit zeigt aber, dass sie bei digitaler Gewalt nicht konsequent genug durchgreifen. Diese Meinung herrscht auch in der Bevölkerung, wie die Studie zeigt: Mehr als 60 Prozent der Befragten sagen, dass die Plattformen nicht ausreichend gegen Hass vorgehen, um Nutzer*innen zu schützen: Insbesondere Twitter (82 Prozent) und Instagram (74 Prozent) schnitten hier schlecht ab – und sind gleichzeitig die Orte, wo insbesondere Frauen digitale Gewalterfahrungen machen. Gleichzeitig zeigt die Studie, dass die Befragten sich eine Verlagerung der Verantwortlichkeit wünschen. Mehr als 70 Prozent sind dafür, dass nicht die Plattformen, sondern Gerichte über die Sperrung von Accounts entscheiden sollten. Fast 90 Prozent stimmen außerdem zu, dass Gerichte die Möglichkeit haben sollten, im Falle von Rechtsverstößen einzelne Social-Media-Konten zu sperren – ohne die dahinterstehende Person identifizieren zu müssen. Wichtig ist: Ein Strafverfahren gegen die verantwortlichen Personen können die zuständigen Behörden unabhängig davon aufnehmen. Die Marie-Munk-Initiative zielt darauf ab, dass den Betroffenen selbst schnell geholfen wird.
Europarechtlich kein Einwand gegen ein Digitales Gewaltschutzgesetz
Der europarechtliche Weg ist frei für ein Digitales Gewaltschutzgesetz. Das belegt ein von der GFF beim Institut für Europäisches Medienrecht (EMR) in Auftrag gegebenes Gutachten von Prof. Dr. Mark Cole und Dr. Jörg Ukrow, LL.M. Eur. Darin leuchten die Gutachter die Spielräume aus, die dem nationalen Gesetzgeber nach dem Digital Services Act (DSA) der EU verbleiben. Der DSA erlaubt es den Mitgliedstaaten, die zivilrechtliche Verantwortlichkeit von Online-Plattformen auszugestalten, und setzt ihnen dafür lediglich einen „formalen Rahmen“. Insbesondere steht das Unionsrecht einem Vorhaben des nationalen Gesetzgebers nicht entgegen, richterlich angeordnete Accountsperren zu ermöglichen. Solche neuen Maßnahmen lassen sich mit legitimen Allgemeinwohlinteressen rechtfertigen. Auch eine flankierende Regelung zu nationalen Zustellungsbevollmächtigten ist möglich. Eine solche Regelung würde sowohl Betroffenen von digitaler Gewalt helfen wie auch Nutzer*innen, die von willkürlichen Moderationsentscheidungen der Plattformen betroffen sind. Die GFF veröffentlicht zeitgleich ein Positionspapier, in dem sie auf Basis der Ergebnisse des Gutachtens Forderungen an den Gesetzgeber formuliert.
Zu den Schwerpunkten eines Digitalen Gewaltschutzgesetzes gehören:
- zukunftsoffene Anspruchsgrundlagen, die die Probleme gezielt adressieren,
- vereinfachte Verfahren, in denen Gerichte rechtsstaatlich effektiv entscheiden, und
- die Möglichkeit zivilgesellschaftlicher Organisationen, Betroffene in den Verfahren zu unterstützen oder auch Verfahren eigeninitiativ zu führen.
Zeitweilige oder auch dauerhafte Accountsperren
Kernstück des Entwurfs ist eine Rechtsgrundlage, die Richter ermächtigt, die erforderlichen und im Einzelfall verhältnismäßigen Maßnahmen zu treffen, um digitale Gewalt zu beenden und weitere Verletzungen abzuwenden. Zu diesen Maßnahmen gehören insbesondere zeitweilige oder auch dauerhafte Accountsperren. Das ist gerade für die Fälle nötig, in denen die Plattformen aufgrund ihrer Nutzungsbedingungen Accounts nicht sperren, obwohl deren Handlungen gegen nationales Recht verstoßen, und/oder in denen sie die eigenen (wirtschaftlichen) Interessen über die Grundrechte der Betroffenen stellen. Neben Betroffenen selbst können nach dem Entwurf auch zivilgesellschaftliche Organisationen, die Betroffene beraten und digitale Gewalt bekämpfen, entsprechende Anträge bei Gericht stellen und die Verfahren für die Betroffenen, aber auch im eigenen Namen führen.
Die Eckpunkte für ein Digitales Gewaltschutzgesetz, die das Bundesjustizministerium im April vorgelegt hat, setzen aus Sicht der GFF einen unnötigen Fokus auf erweiterte Auskunftsansprüche. Es geht vorrangig darum, die Identität einzelner Verletzer aufzudecken. Das ermöglicht zwar die Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen wie dem auf Unterlassung und Schadensersatz gegen diese Personen – trotzdem werden diese Verfahren immer länger dauern und keinen schnellen Schutz für Betroffene bieten. Die Möglichkeit von Accountsperren, die das Ministerium auch einräumt, ist wiederum viel zu eng gefasst. Gravierende Tatbestände digitaler Gewalt wie Volksverhetzung fallen aus dem Anwendungsbereich heraus, weil keine einzelne Person betroffen ist, so die Meinung der GFF.
Gemeinsam mit der Alfred Landecker Foundation hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) die Marie-Munk-Initiative ins Leben gerufen – ein Projekt, das Grundrechte im digitalen Raum verteidigt. Botschafter des Projektes ist der Pianist Igor Levit. Die Initiative ist benannt nach der gleichnamigen Berliner Juristin, die 1930 als eine der ersten Frauen in Deutschland Richterin wurde.