Vom Verschwinden der Lokalzeitung

28. November 2024
Studie registriert auf Landkreisebene zwar einen Rückgang von Lokalzeitungen aber noch keine Nachrichtenwüste

Die Zahl der Einzeitungskreise in Deutschland hat in den vergangenen 30 Jahren deutlich zugenommen. Zu diesem Ergebnis kommt die „Wüstenradar“-Studie. In fast jedem zweiten Landkreis gibt es aktuell nur noch eine eigenständige Tageszeitung. Die Studie wurde von Forschern der Hamburg Media School durchgeführt, unterstützt durch Netzwerk Recherche, der Rudolf Augstein Stiftung und Transparency International Deutschland. Die Daten zeigen, dass es auf Landkreisebene in Deutschland noch keine Nachrichtenwüsten gibt. Gleichwohl macht die Studie einen erheblichen Rückgang lokaler Zeitungen aus, insbesondere in ländlichen Regionen Westdeutschlands ist eine zunehmende „Versteppung“ vorzufinden. Zwar sind bisher keine negativen Auswirkungen auf politische Partizipation oder andere Aspekte des demokratischen Gemeinwesens feststellbar, jedoch warnen die Autoren davor, Entwicklungen wie in anderen Ländern zu unterschätzen.

Ergebnisse

Die Daten zeigen, dass es in Deutschland noch keine Nachrichtenwüsten auf Landkreisebene gibt. Sie illustrieren aber auch, dass es einen deutlichen Rückgang in der Anzahl der wirtschaftlich unabhängigen lokaljournalistischen Tageszeitungen im Bundesgebiet gibt. Zu Beginn des Studienzeitraums waren insgesamt im Schnitt 2,26 unabhängige lokale Tageszeitungen pro Landkreis zu beobachten, 2023 waren es nur noch 1,83. Im selben Zeitraum ist die Anzahl der sogenannten Einzeitungskreise von 134 auf 187 angestiegen. Waren 1992 noch 33,5 % der Kreise und kreisfreien Städte Einzeitungskreise, so waren es 2023 46,75 %. Diese Entwicklung einer „Versteppung“ ist insbesondere in ländlichen Regionen Westdeutschlands auffälliger als in den neuen Bundesländern. Auf den ersten Blick mag dies überraschen, lässt sich aber mit der Tatsache begründen, dass die Presselandschaft in der DDR im Wesentlichen aus Parteipresse bestand und damit in hohem Maße schon in den 1980er Jahren aus regionalen und Monopolen. Im Zuge der Wiedervereinigung wurde ein großer Teil aller ehemaligen DDR-Zeitungen über die Treuhand an westdeutsche Verlage verkauft. Im Gegensatz dazu gab es in vielen Regionen Westdeutschlands zum selben Zeitpunkt regionale Vielfalt und regionalen Wettbewerb, der dann im Laufe der Zeit aus den bekannten Gründen zurückgegangen ist. Da auch die Anzahl der lokaljournalistischen Neugründungen in den neuen Bundesländern überschaubar geblieben ist, fällt der messbare Rückgang des Lokaljournalismus in den neuen Bundesländern geringer aus, als vielleicht auf den ersten Blick erwartet worden wäre. Besonders dünn versorgt mit Lokaljournalismus sind dabei besonders der Osten und der äußerste Westen der Bundesrepublik.

Handlungsoptionen

Angesichts der Forschungsergebnisse aus anderen Ländern zu den Effekten eines rückläufigen Lokaljournalismus und der konstatierten fortschreitenden Versteppung in Deutschland, scheint eine Förderung des Lokaljournalismus mindestens überlegenswert, wenn nicht sogar angezeigt, um Entwicklungen und Verhältnisse wie in anderen Ländern zu verhindern. Wir möchten an dieser Stelle einige Ansätze zur Lokaljournalismusförderung zur weiteren Diskussion aufführen.

Anerkennung des Journalismus als gemeinnützig

Dies würde unter anderem steuerliche Vorteile und eine rechtssichere Unterstützung des Journalismus durch Stiftungen mit sich bringen (Reuter, 2023). In vielen Ländern werden auch reduzierte Steuersätze, wie beispielsweise die Mehrwertsteuer (u. a. in Dänemark 0 %), zur Förderung des Journalismus eingesetzt.

Produktionsförderung mittels Subventionen für journalistische Voll- und Teilzeitstellen

Medienunternehmen erhalten in diesem Fall Unterstützungszahlungen, um einen Teil der Personalkosten für Journalisten abzudecken. Diese Maßnahme würde insbesondere den positiven gesellschaftlichen Effekten des Journalismus, die über die private Nachfrage hinausgehen (positive Externalitäten), Rechnung tragen. Diese Maßnahme findet unter anderem in Luxemburg und Kalifornien (dort in Verbindung mit einer verhandelten „Besteuerung“ großer Technologieplattformen) Anwendung.

Innovationsförderung zur Unterstützung der digitalen Transformation

Grundsätzliches Ziel von Innovationsfördermaßnahmen ist die Unterstützung der Entwicklung neuer Produkte, Prozesse und vor allen Dingen Geschäftsmodelle. In einigen europäischen Nachbarländern werden wettbewerbliche Innovationsförderungen auf Projektbasis bereits erfolgreich eingesetzt, etwa in den Niederlanden und in Dänemark. Auch die Stadt Wien setzt mit der Wiener Medieninitiative ein solches Förderprogramm seit einigen Jahren um. Mit dem Ziel, die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle im gemeinwohlorientierten Journalismus im deutschsprachigen Raum zu fördern, ist in diesem Jahr der Media Forward Fund gestartet.

Nachfrageförderung durch Preissubventionen in Form von Konsumgutscheinen („Media Vouchers“)

Bürger würden in diesem Fall Gutscheine erhalten, die sie eigenständig für journalistische Angebote einlösen oder auf diese verteilen können. Auf diese Weise würde die private Nachfrage nach Journalismus gestärkt und damit näher an den durch den Journalismus generierten gesellschaftlichen Nutzen herangeführt. Zugleich basiert die Maßnahmen auf dem Prinzip der Konsumentensouveränität, d. h. die Konsumenten entscheiden entsprechend ihrer Präferenzen über die Verteilung der Mittel. Anbieter journalistischer Produkte müssten sich entsprechend um die Gunst des Publikums bemühen, sodass diese ihre Gutscheine auch einsetzen. Denkbar wäre alternativ auch eine Art Steuerzuschreibung, mit der Steuerzahler journalistische Angebote ihrer Wahl unterstützen könnten – auch solche, die frei verfügbar, also nicht hinter Bezahlschranken, sind. Zuletzt stellt auch die Möglichkeit, Ausgaben für journalistische Produkte von der Steuer abzusetzen, eine Fördermöglichkeit dar.

Medienkompetenzförderung

Bürger müssen in der Lage sein, qualitativ hochwertigen Journalismus zu erkennen (und von minderwertigen Inhalten zu unterscheiden), damit sich eine höhere Wertschätzung für Journalismus auch in einer höheren Nachfrage niederschlagen kann. Hierfür müssen Anbieter journalistischer Inhalte verlässlich qualitativ hochwertige Inhalte produzieren und mit dem Aufbau entsprechender Marken Qualitätssignale an die Nachfrager senden. Darüber hinaus versetzt Medienkompetenz die Bevölkerung in die Lage, seriöse und wahrhaftige Inhalte zu identifizieren und kann damit dem (Lokal-)Journalismus mehr Wertschätzung verschaffen. Die Initiative #UseTheNews erforscht beispielsweise die Medien- und Nachrichtenkompetenz junger Menschen und entwickelt neue Bildungsangebote. Auch der Hamburger Bürgersender & Ausbildungskanal TIDE engagiert sich intensiv in der Medienkompetenzbildung, gerade mit Schulkindern und deren Eltern.

Print-Zustellförderung

Intensiv diskutiert und bereits kurz vor der Umsetzung war in Deutschland eine Print-Zustellförderung auf Basis der Auflagenhöhen. Hiermit sollte den stark gestiegenen Kosten für Druck und Vertrieb von Presseprodukten (Papier- und Energiepreise, erhöhter Mindestlohn in der Zustellung) entgegengewirkt und gleichzeitig die digitale Transformation des Verlagswesens gefördert werden. Bei einer Mittelverteilung wie dieser nach dem „Gießkannenprinzip“ wäre eine sehr geringe Fördereffizienz zu befürchten, da Titel mit hohen Auflagen in Großstädten stärker von der Förderung profitieren würden als lokale und nischige Titel mit verhältnismäßig kleinen Marktgrößen mit geringer Bevölkerungsdichte und damit größeren wirtschaftlichen Herausforderungen bei der Zustellung gedruckter Publikationen Zumindest teilweise heilbar wäre dieser Aspekt durch einen Verteilschlüssel, der sich unter anderem nach der Bevölkerungsdichte richtet, oder aber eine „Deckelung“ der Fördermittel pro Organisation beinhaltet, wodurch eine überproportionale Berücksichtigung kleiner Auflagen erreicht werden könnte. In dynamischer Hinsicht würde eine Förderung allein anhand der gedruckten Auflage einen Anreiz zum Verharren in alten Strukturen und eine Verstärkung von Pfadabhängigkeiten (also einer Verfestigung früherer Entscheidungen) darstellen. Hier wäre zu überlegen, ob eine Distributionsförderung nicht besser unabhängig von der konkreten Distributionsform gestaltet werden sollte, sodass z.B. auch Digitalpublisher davon profitieren könnten.

Digitale Distributionsförderung

Die Digitalisierung hat einerseits die Markteintrittsbarrieren im Journalismus drastisch gesenkt, was ein erhebliches Potenzial für Angebotsvielfalt mit sich bringt. Gleichzeitig sind die Größenvorteile auf der Distributionsstufe durch die Digitalisierung enorm und im Vergleich zur Distribution physischer Produkte vermutlich noch gestiegen. Dies liegt an Grenzkosten in Höhe von fast Null bei gleichzeitig hohen Fixkosten für die Bereitstellung einer leistungsfähigen digitalen Infrastruktur. Diese Größenvorteile führen zu starken Konzentrationstendenzen und der Entwicklung von digitalen Gatekeepern mit hoher Marktmacht, etwa Meta, Google, Amazon und Apple. Sie beeinflussen die Auffindbarkeit von Inhalten, die nach aufmerksamkeits- und profitmaximierenden Prinzipien gestaltet wird, welche häufig im Gegensatz zum Ziel der publizistischen Vielfalt stehen. Vom Prinzip her stellt dies ein ganz ähnliches Problem wie in der Printdistribution dar. Auch dort wurde aufgrund von Größenvorteilen in der Distribution und der vorhersehbaren negativen Auswirkungen auf die Angebotsvielfalt das Presse-Grosso-System eingeführt. Es duldet (regionale) Distributionsmonopole unter der Bedingung, dass sich die Grossisten an eine Reihe vielfaltssichernder Bedingungen halten (insbesondere die Neutralitätspflicht). Übertragen auf die digitale Distribution journalistischer Inhalte könnte dies eine anbieterübergreifende Plattform für journalistische Inhalte mit diskriminierungsfreiem Zugang für Anbieter und gemeinwohlorientiertem Empfehlungssystem sein.

https://www.wuestenradar.de/

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