
Interview mit Dr. Christian Bräuer, Vorstandsvorsitzender der AG Kino
In einem gemeinsamen Papier fassen die Arthouse-Verbände AG Kino – Gilde, AG Verleih sowie der Verband der Filmexporteure ihre Vorstellungen von einer nachhaltigen Reform der deutschen Film- und Kinoförderung zusammen. Sie schlagen vor, bei der Reform verstärkt von der Auswertung her zu denken, da der Erfolg künstlerisch anspruchsvoller Filme in allen Verwertungsstufen im Wesentlichen von funktionierenden Kino- und Verleih/Vertriebsstrukturen abhängig ist. Die Verbände sind überzeugt, dass eine ganzheitliche Filmförderung sowohl die Publikumsentwicklung, die Herausbringung als auch die Bewerbung von Filmen national und international umfassen sollte. Zu diesem Zweck schlagen sie neue, miteinander verzahnte Förderansätze vor, die sich auch mit Blick aufs Ausland nachhaltig auf die Stärkung der Programm- und Kinovielfalt sowie den Erfolg der Filme auswirken und die Wettbewerbskraft der deutschen Filmindustrie entschieden stärken würden. Eine Gewichtsverlagerung in der Verteilung der Fördermittel darf daher kein Tabu sein. Fragen zu dem gemeinsamen Vorschlag an Christian Bräuer.
medienpolitik.net: Herr Bräuer, Sie waren während der Corona-Pandemie optimistisch, dass die Arthouse-Kinos auf Grund des Engagements, der Zuschauerbindung und staatlicher Unterstützung, die Krise meistern können. Nun folgte die nächste Krise. Sind Sie noch immer so optimistisch?
Bräuer: Wir haben immer gewusst, dass vor uns ein steiniger Weg liegt.Uns war klar, dass das Publikum nicht auf Knopfdruck zurückkommt und die Pandemie und auch der Ukraine-Krieg die Welt verändert haben. Dennoch sehen wir, dass das Publikum wieder in die Kinos geht, es hat sich verjüngt und das Kino ist immer noch der beliebteste Kulturort, auch wenn die Besucherzahlen noch hinter denen von 2019 zurückliegen. Deshalb glaube ich weiter an den Kinofilm als Kunstform mit seiner ganzen Kraft. Wenn wir jetzt die richtigen Weichen stellen, um das Kino als Kunstort zu schützen und weiterentwickeln, wird es uns auch weiterhin erhalten bleiben.
medienpolitik.net: Was belastet die kleinen Kinos gegenwärtig am meisten?
Bräuer: Zum einen sind es die Folgen der Pandemie, die sich je nach Standort unterschiedlich auswirken. Zum anderen ist es die Inflation als zentrale Herausforderung, die von den Kinos eine große Flexibilität verlangen. Viel Engagement erfordert es, die vor allem jüngeren Gelegenheitsbesucher zu häufigeren Kinobesuchen anzuregen. Nach wie vor besteht auch ein hoher Investitionsbedarf für die Modernisierung, da die kleinen Kinos keine Investoren im Rücken haben, die die Finanzierung übernehmen.
medienpolitik.net: Sie sprachen eben davon, „die Weichen richtig zu stellen“. Was meinen Sie damit?
Bräuer: Wenn man die angestrebte große Reform der Filmförderung in den Blick nimmt, dann muss damit eine Strategie entwickelt werden, die Vielfalt und Unabhängigkeit unserer Kinowirtschaft angesichts der Monopolisierung der Branche zu schützen. Für mich ich der Leitsatz: Wie erhalten wir unsere Kulturgüter, wie bewahren wir deren Unabhängigkeit zur Sicherung der Vielfalt. Das beginnt bei den Produzenten, und setzt sich bei den Verleihern, Kinos und Fernsehsendern fort. Wir dürfen die rapiden Markt- und Machtveränderungen nicht weiter ignorieren. Deshalb müssen wir bei der Filmförderung zu einem ganzheitlichen Ansatz kommen. Es geht nicht darum, den Fokus in erster Linie auf die Filmfinanzierung zu richten, es fehlt in der bisherigen Debatte die ausreichende Berücksichtigung der Kinos und des Publikums. Das Kino und der Kinofilm stehen für Unabhängigkeit. Die Plattformen und privaten Fernsehsender produzieren nach ihrem Bedarf, ihren Gewinnmargen und nutzen Algorithmen, die man auch politisch ausnutzen kann. Für das Gegenteil steht das unabhängige europäische Kino. Es reicht deshalb nicht, im FFG die Weichen zu stellen, dass noch mehr künstlerische Filme entstehen können, sie müssen auch an der Kinokasse national und international erfolgreich sein.
„Wir dürfen die rapiden Markt- und Machtveränderungen nicht weiter ignorieren.“
medienpolitik.net: Nun haben die globalen Plattformen gegenwärtig einige Probleme, reduzieren teilweise die Produktionen und im vergangenen Jahr ging die Streamingnutzung in Deutschland um 14 Prozent zurück. Entspannt das nicht Ihre Situation?
Bräuer: Die Koexistenz von Kino und Streaming gab es bereits vor der Corona-Pandemie. Doch das Tempo der Veränderung der Mediennutzung hat sich beschleunigt. Die Streamingplattformen bedeuten einen radikalen Umbruch des Home-Entertainments, mit Auswirkungen auf uns. Und das bleibt so. Deshalb ist es für uns entscheidend, dass es weiterhin künstlerisch herausragende Filmwerke gibt und die Kinos faire Bedingungen bei deren Verwertung haben. Das bedeutet auch eine zielgerichtete Förderung der gesamten Produktions- und Verwertungskette und bessere Rahmenbedingungen bei der Verwertung
medienpolitik.net: Was heißt das?
Bräuer: Das Kino muss als eine eigene Einheit gesehen werden. Das bedeutet an erster Stelle, die Sperrfristen nicht aufzuweichen und ein ausreichendes exklusives Kinofenster zu sichern. Das ist für uns die Basis, um die Kinos in der bisherigen Breite zu erhalten. Die großen Major-Studios haben für ihre Filme oft sehr gute Startbedingungen und können die Leinwände für viele Wochen an sich binden. Das behindert die Filmvielfalt und Sichtbarkeit kleinerer Filme und sollte begrenzt werden. Zudem müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, dass Kinos aus dem Land und in kleineren Städten fairen Zugang zu attraktiven Filmen haben, um deren Programmflexibilität zu sichern.
medienpolitik.net: Bei Ihren Forderungen zur Novellierung des FFG zielen Sie anscheinend – ähnlich wie die Produzenten – auf eine automatische Förderung der Kinos und dem Verleih, anstelle von Gremien und Jurys. Warum?
Bräuer: In erster Linie geht es uns um einen besonderen Blick auf die kulturelle Filmauswertung. Unter einer möglichen Verknüpfung der kulturellen Filmförderung des Bundes mit der Förderung der FFA dürfen die Förderung und Verwertung kultureller Filme nicht leiden. Zudem muss die Förderung verlässlich und planbar sein. Wenn die Kinos und Verleiher auf kleinere, unabhängige Filme setzen, was auch mit einem finanziellen Risiko verbunden ist, müssen sie mehr Sicherheit bekommen. Wenn das Risiko zu groß ist, weil keine Absicherung vorhanden ist, werden sie die ein Engagement scheuen. Darunter leidet natürlich die Vielfalt. Das ist keine vollständige Abkehr von Juryentscheidungen, aber die Arthouse-Landschaft benötigt eine größere Planungssicherheit. Das neue System setzt zudem größere Förderbudgets und eine zielgerichtete Differenzierung durch eine Klassifizierung voraus.
„Es reicht nicht, im FFG die Weichen zu stellen, dass noch mehr künstlerische Filme entstehen können, sie müssen auch an der Kinokasse national und international erfolgreich sein.“
medienpolitik.net: In Frankreich besteht eine solche Kinoklassifizierung bereits.
Bräuer: Ja, in Frankreich besteht diese Klassifizierung bereits seit 1961. Sie wird immer wieder evaluiert, an veränderte Bedingungen angepasst und ist damit sehr flexibel. Sie ist die Basis für die Kino- und Filmvielfalt in unserem Nachbarland. Wenn die Arthouse-Kinos und -Verleiher wegbrächen, würde auch die Vielfalt verschwinden. Bei einer Kinoklassifizierung weiß der Kinobetreiber bereits vor dem Einsatz der Filme, ob und wie viele Punkte er für den Start erhält und hätte bei größerer Punktzahl bessere Chancen, auch eine Förderung zu erhalten. Es besteht also ein Anreiz, mehr Filme einzusetzen, die mit einem höheren Risiko verbunden sind. Für die kleineren Filme, die unabhängig von den großen Studios oder Plattformen entstehen, ist das Kino weiterhin der wichtigste Ort, um sichtbar zu sein und sich zu refinanzieren. Keinem nützt es, noch mehr Filme zu produzieren, die in den unendlichen Weiten des Internets verschwinden, deshalb benötigen wir einen ganzheitlichen Blick auf den künstlerischen Kinofilm.
medienpolitik.net: Neben dem Bund fördern auch die Länder das Kino. Müssen diese die Klassifizierung übernehmen?
Bräuer: Nicht unbedingt.Auch in Frankreich existiert auf regionaler und lokaler Ebene eine spezifische Kinoförderung. Das kluge Zusammenspiel von lokaler, regionaler und nationaler Förderung, ist hier das Erfolgsgeheimnis. Wir wollen bei unserem Vorschlag teilweise auch das in den Ländern praktizierte System des Programmpreises übernehmen und Kinos entsprechend würdigen.
medienpolitik.net: Für Filmexporteure fordern Sie ein „funktionales Fördermodell“. Warum?
Bräuer: Ein ganzheitlicher Ansatz muss bis zum Publikum reichen, im Inland wie im Ausland. Wenn es unser Ziel ist, dass der deutsche Film international wettbewerbsfähiger wird, muss der Erfolg im Ausland auf das Renommee des deutschen Films einzahlen. Die bessere Vernetzung und Professionalisierung des unabhängigen Kinos beim Einsatz auf internationalen Märkten muss das Gegenstück zu den globalen Strategien der Streamingplattformen und großen Studios werden. Bisher existiert für die künstlerischen Filme keine eigene Vertriebsbasis und das muss sich ändern. Dieser Vorschlag zielt auch darauf, noch stärker als bisher unser Publikum im Fokus zu haben. Eine nachhaltige Filmförderung bedarf auch einer nachhaltigen Publikumsförderung. So kommt bei allen Aufgaben im FFG-Gesetz der Begriff „Publikum“ dort nicht vor.
medienpolitik.net: Ab 2025 soll, folgt man der Kulturstaatsministerin, ein grundsätzlich reformiertes FFG in Kraft treten. Reicht dafür das gegenwärtige Tempo aus?
Bräuer: Ich gehe davon aus, dass bei der BKM intern intensiv an der Novellierung gearbeitet wird und auch viele Gespräche geführt werden. Der Gesetzesentwurf benötigt auch noch seine Zeit für die Beratung im Parlament und in der Branche. Und diese wartet ungeduldig auf die konkreten Änderungsvorschläge. Aber neben dem Zeitfaktor ist das Geld entscheidend, das künftig für die Filmförderung zur Verfügung steht. Betrachtet man sich die Haushaltsberatungen im Bund und den Ländern, kommt die Novellierung anscheinend zum falschen Zeitpunkt, denn alles in allem benötigt die Filmwirtschaft um sich zukunftsfest zu entwickeln mehr finanzielle Förderung. Doch wenn man den Film und das Kino als Kulturgut bewertet und die Potenziale für die Gesellschaft berücksichtigt, lohnen sich diese Investitionen für unser Land. Der Erfolg eines neuen Filmfördergesetzes hängt also nicht nur von seiner inhaltlichen Gestaltung, sondern auch seiner Finanzierung ab.