Die ARD muss jetzt konsequent handeln
16. August 2022Intendantinnen und Intendanten der ARD müssen schnell Schlussfolgerungen für die Kontrolle der Anstalten und die Verschärfung der Complains-Regeln ziehen
16.08.2022. Von Helmut Hartung, Chefredakteur medienpolitik.net
Der Rundfunkrat des RBB hat gestern mit 22 von 23 Stimmen die Abberufung Patricia Schlesingers beschlossen. Wie die Vertragsauflösung erfolgt, ob die ehemalige Investigativjournalistin möglicherweise doch mit einem ?goldenen Handschlag? geht, muss der Verwaltungsrat noch mit den Juristen der bisherigen Intendantin aushandeln. Nach der Sitzung erklärte die Vorsitzende des RBB-Rundfunkrates Friederike von Kirchbach: Wir hoffen, dass der Rundfunkrat mit dieser Entscheidung dem rbb die Aufarbeitung der Vergangenheit und der aktuellen Vorwürfe erleichtert. Gleichzeitig ebnen wir damit den Weg für eine Neuwahl. Wir setzen Vertrauen in die Aufklärungsarbeit der aktuellen Geschäftsführung und des gesamten rbb und erwarten dazu jetzt kontinuierliche Berichterstattung an die Gremien. Der Weg für einen Neuanfang im Sender ist jetzt frei. Der Rundfunkrat wird unabhängig davon in seinen kommenden Beratungen seine eigene Rolle und Arbeitsweise kritisch hinterfragen. Die strafrechtliche Untersuchung der möglichen Korruptionsvorwürfe haben die Generalstaatsanwaltschaft Berlin sowie eine externe Kanzlei übernommen. Die ARD-interne Analyse muss jetzt schnell folgen. Sowohl für die Rundfunkräte als auch für den ARD-Vorsitz.
Für den zeitweiligen ARD-Vorsitzenden bedeuten die nächsten Monate arbeitsreiche Zeiten. Natürlich kann sich keine Institution, auch nicht der öffentlich-rechtliche Rundfunk, von Fehlverhalten und unrechtmäßigen Handlungen vollständig schützen. Zu einer Leitungsfunktion in einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt gehören auch moralische und ethische Normen für das persönliche Agieren. Ob diese vorhanden sind, ist vor der Übernahme einer solchen Tätigkeit nicht immer gleich zu erkennen. Solche Defizite können zeitweise auch mit starkem Selbstvertrauen, Forschheit und Dynamik überspielt werden, wie es anscheinend bei Patricia Schlesinger der Fall war.
Doch hinter einem ?persönlichen Fehlverhalten? kann sich die ARD nicht verstecken. Zuviel liegt anscheinend bei der Kontrolle und der Verwendung der Beitragsmittel im Argen: Da sind die mangelhaften Maßstäbe und Richtlinien für Intendanten- und Intendantinnenbezüge, die unzureichenden Festlegungen für Repräsentationsausgaben, die zu allgemeinen Regelungen für die Vermeidung von Interessenskonflikten oder auch die Ausstattung der ARD-Gremien.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird - rundfunkrechtlich gesehen ? ausreichend kontrolliert: Durch die Rundfunk- und Verwaltungsräte, die Landesrechnungshöfe und auch die KEF. Doch dieses Netz ist anscheinend zu großmaschig und muss schnell enger gewebt werden. Das alles kann nicht in Rundfunk- und Medienstaatsverträgen geregelt werden. Wie bei inhaltlichen Vorgaben sind die Länder auch bei der Kontrolle eingeschränkt. Deshalb trägt die ARD vor allem eine große Verantwortung dafür zu sorgen, dass die Budgets der Anstalten kein ?Selbstbedienungsladen? für die Geschäftsleitung sind. Sparen bei den Inhalten und Mitarbeitern und Prassen in den oberen Führungsetagen passen nicht zusammen.
?Hinter einem ?persönlichen Fehlverhalten? kann sich die ARD nicht verstecken. Zuviel liegt anscheinend bei der Kontrolle und der Verwendung der Beitragsmittel im Argen.?
Dass anscheinend die Erhöhung des Intendantinnengehalts und die Festsetzung der Boni ausschließend vom Verwaltungsrat beschlossen worden sind, ohne Einbeziehung des Rundfunkrates, ist schon fahrlässig. Aber auch hier stellt sich die Frage, warum bei den sieben Mitgliedern, die sich ebenso wie der bisherige Vorsitzende Wolf-Dieter Wolf fehlerfrei geben, hierbei nicht die Alarmglocken geläutet haben. Immerhin gehören diesem Aufsichtsgremium eine ehemalige Staatssekretärin, der ehemalige Präsident der Akademie der Künste in Berlin und eine ehemalige Bezirksbürgermeisterin sowie eine Vertreterin des Personalrates an. Die Kontrolle der Kontrolleure muss die ARD in den Griff bekommen. Was hier alles relativ schnell zu ändern geht, haben zwei Gremienmitglieder des WDR in der FAZ vom 11.August zum Ausdruck gebracht. Die Struktur der Gremien stamme aus den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts, stellen Gerhard Baum und Jürgen Bremer fest. Ob sie noch den Aufgaben gewachsen seien, müsse dringend evaluiert werden. Es gelte deshalb, so Baum und Bremer, die bisherigen Abläufe auf den Prüfstand zu stellen: Dazu gehörten, das Verhältnis der Gremien untereinander, zum Verwaltungsrat und auch zum Intendanten zu evaluieren. Die öffentliche Geringschätzung als Abnick-Gremien belaste das Aufsichtssystem. Deshalb müssten das Selbstverständnis und Selbstbewusstsein der Gremien gegenüber den Geschäftsleitungen der Sender überprüft werden. Rundfunk- und Verwaltungsräte müssten ihre Kontrollfunktion selbstbewusster wahrnehmen und damit der Öffentlichkeit signalisieren, dass sie im Interesse der Allgemeinheit handeln. Wird die ARD diese kompetente interne Kritik endlich erhören?
In seinem dpa-Interview vom 12. August hat der amtierende ARD-Vorsitzende Tom Buhrow Schlussfolgerungen angekündigt. Dazu gehören zum einen die gute personelle Ausstattung und die Unabhängigkeit der Geschäftsstellen. Das sehe in der ARD sehr unterschiedlich aus. Man wolle überprüfen, ob überall in der ARD die Geschäftsstellen der Aufsicht adäquat ausgestattet seien. Zum anderen sollen die Gremien auch externe Experten heranziehen können. Beide ?Schlussfolgerungen? sind nicht neu. Seit Jahren werden die personellen und finanziellen Beschränkungen der Geschäftsstellen bemängelt. Auch in der Stellungnahme zum Entwurf des novellierten Medienstaatsvertrages hat die Gremienvorsitzendenkonferenz der ARD hier eine dringende Verbesserung angemahnt, weil sonst auch nicht die neuen Aufgaben, die die Medienpolitik der Länder künftig für die Gremien vorgesehen hat, bewältigt werden können. Aber diese Mahnrufe haben die ARD-Intendanten bisher anscheinend nicht vernommen. ?Jeder investierte Cent in effektivere Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist ein gut investierter Cent?, sagt der WDR-Vorsitzende. Die Beitragszahler werden ihm sofort zustimmen und die ARD sollte dieser ? nicht neuen ? Erkenntnis, schnell Taten folgen lassen. Bei der Anmeldung der Anstalten für die nächste Gebührenperiode könnten ARD und ZDF einen festen Beitragsanteil für die Rundfunk-, Fernseh- und Verwaltungsräte mit anmelden. Er müssen nicht gleich 1,89 Prozent wie für die Landesmedienanstalten sein, es gibt ja auch weniger öffentlich-rechtliche Anstalten. Selbstverständlich darf dieses Budget nicht zusätzlich auf den Beitrag aufgeschlagen werden, sondern sollte durch Einsparungen, z.B. bei den Verwaltungsausgaben, gewonnen werden. Am 13. und 14. September tagen die ARD-Intendantinnen und Intendanten wieder planmäßig. Das wäre eine gute Gelegenheit für den ARD-Vorsitzenden, seine Schlussfolgerungen aus der Causa Schlesinger und den dafür notwendigen Zeitplan, zu konkretisieren.
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