Im World Wild West brauchts einen Sheriff
22. Juli 2022Medienpolitisches Portrait: Dr. Tobias Schmid
22.07.2022. Medienpolitik.net setzt seine Reihe medienpolitischer Portraits mit einem Beitrag über Dr. Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW und Europabeauftragter der Direktorenkonferenz der Medienanstalten fort. Alle Porträts sind im Frühjahr 2022 entstanden. Grundlage hierfür waren Interviews mit Persönlichkeiten aus Politik, Medienaufsicht, Unternehmen und Wissenschaft. Die Autoren sind Studierende des Master-Studiengangs Journalistik der TU Dortmund. Sie verfügen durch studienintegrierte Volontariate bereits über journalistische Praxis und arbeiten größtenteils studienbegleitend für verschiedene Medien. Entstanden sind die Texte im Rahmen des Seminars ?Aktuelle medienpolitische Entwicklungen?, das von Prof. Dr. Tobias Gostomzyk, Professur für Medienrecht an der TU Dortmund, begleitet wurde. Tobias Schmid sieht hinsichtlich der Digitalisierung im Wesentlichen drei große Probleme: die Verbreitung von Hass, das Problem der Desinformation und der an vielen Stellen noch fehlende Schutz von Minderjährigen. Die Verantwortung liegt für ihn vor allem beim Gesetzgeber. Lisa Koenig hat sich mit dem Juristen unterhalten.
Tobias Schmid weiß, dass der digitale Wandel viele Chancen bietet. Auch bei der Kamera in Schmids Büro handelt es sich um die neueste Technik. Die habe sein Team aus den ?tollsten Kolleginnen und Kollegen? ? Schmid meint das keinesfalls ironisch ? für ihn installiert. Es dauert eine Weile, bis er sie mit der Fernbedienung für die Zoom-Konferenz richtig eingestellt hat. Ein Close-Up seines Computers, eine Totale des gesamten Raums. Schließlich erscheint Schmid, wie er am Schreibtisch sitzt. Er grinst ein bisschen selbstironisch.
Seine Kamera meint er natürlich nicht, wenn er über die Möglichkeiten der Digitalisierung spricht. Vielmehr sei die Medienlandschaft selbst ?demokratischer geworden?. Schließlich seien kulturelle Teilhabe und die Beschaffung von Informationen bedeutend einfacher geworden, sagt er. ?Das ist, glaube ich, die größte Chance, die entstanden ist.? Insbesondere für den Teil der Bevölkerung, dem vorher der Zugang zu bestimmten Angeboten verwehrt gewesen sei. Dennoch gibt es auch genügend Schattenseiten der Digitalisierung. Tobias Schmid leugnet das nicht. Schließlich ist der Chef der Medienaufsichtsbehörde in Nordrhein-Westfalen Jurist. Es liegt in seiner Natur, die Dinge mindestens von zwei Seiten zu beleuchten. Geboren und aufgewachsen ist er 1970 in Freiburg im Breisgau ? seiner Meinung nach die ?schönste Stadt der Welt?. Überhaupt ist er in vielen schönsten Städten gewesen, darunter Heidelberg, Berlin, München, Hamburg und jetzt eben in der ?schönsten Medienaufsichtsbehörde der Welt? in Düsseldorf.
Nach dem Jurastudium und der Promotion habe er zunächst Staatsanwalt werden wollen. Eine Referendarstation bei der Staatsanwaltschaft in Berlin habe ihn jedoch davon abgebracht. Das sei ja oft so bei beruflichen Laufbahnen, ?man hat vorher einen super Plan, aber wenn das Spiel erst einmal beginnt, funktioniert der Plan nicht mehr?. Schmid wendet sich dem Gebiet zu, das ihn am meisten interessiert: dem Urheberrecht. Als Referendar macht er unter anderem Station beim Sender SAT.1, der seinen Hauptsitz damals noch in Berlin hat. 1999 zieht der gerade 29-Jährige nach München. Fünf Jahre arbeitet er dort als Jurist für den Teleshoppingkanal Home Shopping Europe AG. Dann geht es für ihn weiter nach Köln. Bis 2016 ist er in verschiedenen Positionen für die Mediengruppe RTL Deutschland, heute RTL Deutschland, zuständig, vor allem als Leiter des Bereichs Medienpolitik. 2017 wird Tobias Schmid zum Direktor der Landesanstalt für Medien NRW gewählt. Damit wechselt er die Seiten vom Kontrollierten zum Kontrolleur. Als solcher betont er immer wieder, dass gerade bei Themen von gesellschaftlicher Relevanz stets die verschiedenen Seiten abzuwägen seien. So könne er es etwa persönlich gut finden, dass Twitter den Account von Ex-US-Präsident Donald Trump gesperrt habe, wie es im Januar 2021 nach dem Sturm auf das Kapitol der Fall war. Als Medienaufsichtsbehörde müsse man den Ursachen hierfür jedoch genauer auf den Grund gehen, denn: ?Wie kommt ein Medienunternehmen dazu zu entscheiden, was zulässig und was unzulässig ist?? Das festzulegen, ist für Schmid klar Aufgabe des Gesetzgebers und nicht der einzelnen Unternehmen selbst. Dieser müsse einen eindeutigen Rechtsrahmen schaffen, an den es sich zu halten gelte. Das allerdings brauche Zeit. Erst einmal müsse verstanden werden, was gerade vor sich gehe, um angemessen darauf reagieren zu können.
?Erst einmal müsse verstanden werden, was gerade vor sich gehe, um angemessen darauf reagieren zu können.?
Im Wesentlichen drei große Schwierigkeiten sieht der Direktor der Landesmedienanstalt NRW beim digitalen Wandel: die Verbreitung von Hass, das Problem der Desinformation und der an vielen Stellen noch fehlende Schutz von Minderjährigen. Das seien allerdings keinesfalls neue, durch die Digitalisierung hervorgebrachte Risiken, meint Schmid. ?Ich glaube, die meisten negativen Effekte, die Sie im Netz finden, gab es schon immer,? sagt er. Das Problem sei vielmehr die hohe Reichweite und die Geschwindigkeit, in der sich Phänomene wie Hass oder Fake News verbreiteten. Dadurch seien sie viel schlechter beherrschbar. Wie Minderjährige im Netz besser geschützt werden können? An dieser Stelle spielt Schmid ohne große Umschweife auf Pornoseiten wie xHamster an. Erst kürzlich bereitete die zypriotische Plattform wieder Probleme, da die Betreiber der Website eine gegen sie verhängte Netzsperre umgingen, indem sie die Abkürzung ?de? in ihrer Domain schlicht in ?deu? änderten. Die Seite hatte zuvor pornografische Inhalte für Kinder und Jugendliche nicht verschlüsselt und damit gegen die Jugendschutzverordnungen verstoßen. Ihre Schließung hatte für die Behörden zunächst einen großen Erfolg bedeutet. Nun stehen sie wieder am Anfang. Auch diesbezüglich sieht Tobias Schmid die Verantwortung bei der Gesetzgebung. Hier gebe es auf jeden Fall Änderungsbedarf. So äußerte er hinsichtlich der Änderung des Länderkürzels der Plattform etwa im März gegenüber der ?Frankfurter Allgemeinen Zeitung?, dass eine Seite auch dann verboten bleiben müsse, wenn sie den Namen wechsele ? oder in anderen Worten: ?Was aussieht wie ein Hamster, bleibt eben ein Hamster, auch wenn es sich Hase nennt.?
Insgesamt sei es jedoch das Thema Desinformation, das ihm die größten Sorgen bereite. Vor allem deshalb, weil es noch kein einheitliches Verständnis davon gebe, was Desinformation eigentlich sei. ?Hier brauchen wir erst einmal ein definitorisches Verständnis davon, was wir überhaupt sanktionieren wollen,? erklärt er. Hass und Hetze hingegen seien zwar schon ein großes Problem, ?weil das für demokratische Medien eine Gefährdung ist?, allerdings sei das Phänomen viel einfacher zu greifen, so Schmid. Um dem Effekt entgegenzuwirken, müssten etwa Medienaufsicht, Polizei und Staatsanwaltschaft noch besser zusammenarbeiten. Ein großer Schritt in die richtige Richtung ist hier sicher die 2017 ins Leben gerufene Initiative ?Verfolgen statt nur löschen?. Der Name ist Programm. Denn Ziel der Initiative ist es, strafbare Äußerungen nicht nur aus dem Netz zu verbannen, sondern ganz gezielt juristisch gegen die Täter solcher Aussagen vorzugehen und damit generalpräventiv zu wirken.
?Ähnlich wie die Deutsche Bahn ihre Gleise anderen Anbietern zu einem fairen Preis zur Verfügung stelle, könnten auch Facebook, Google und Co. ihre Infrastrukturen für Konkurrenzunternehmen öffnen.?
Ist der Hass im Netz bei den Massen an einschlägigen Posts aber überhaupt noch strafrechtlich verfolgbar? Auch darauf hat der Jurist eine Antwort. Erstens sei nun einmal nicht alles, was Hass ist, auch verboten. So gebe es im gesellschaftlichen Miteinander eben manchmal eine ?gewisse Aggressivität und das ist vielleicht nicht schön, aber gegen die geht man als Staat nicht pauschal vor?, erklärt Schmid. In dieser Hinsicht müsse man vorsichtig sein und genau prüfen, ab wann eine Äußerung wirklich unterbunden werden müsse. Schließlich herrsche Meinungsfreiheit in Deutschland und auch eine negative Meinung sei nun mal eine Meinung und müsse als solche respektiert werden. Und zweitens sei die gefühlte Betroffenheit in der Bevölkerung zwar groß, die Anzahl der gemeldeten Fälle aber ? ganz entgegen den ursprünglichen Bedenken ? faktisch jedoch deutlich geringer. Zur Information: Circa 1490 Fälle von Hass und Hetze sind bis heute im Rahmen von ?Verfolgen statt nur Löschen? in Nordrhein-Westfalen angezeigt worden. Ermittelt wird in etwas über der Hälfte der Fälle. Am Anfang habe man mit weit mehr gerechnet. Auffallend sei weiter, dass auch beim Thema Hass, genau wie bei der Desinformation, viele Äußerungen von denselben Verfassern kämen. Damit wolle er das Problem aber keinesfalls relativieren. Seine Botschaft an seine Kollegen sei, auf jeden Fall dagegen vorzugehen. ?So uferlos wie zunächst vermutet, ist das gar nicht.? Trotzdem stellt sich an dieser Stelle natürlich die Frage nach der Dunkelziffer. Schließlich bringen sicher nicht alle Opfer von Hass und Hetze im Netz ihr Anliegen auch bei der Polizei vor. Alle zu bekommen ? das ist nach der Ansicht von Tobias Schmid ohnehin nicht möglich. ?Wir kriegen auch nicht hundert Prozent derjenigen, die zu schnell Auto fahren,? erklärt er. So komme es vor, dass auch mal ein Autofahrer in der 50er-Zone 120 km/h fahre. ?Was aber funktionieren muss: Der 120 km/h-Fahrende muss wissen, dass er erwischt werden könnte.?
Ob Plattformbetreiber wie etwa Mark Zuckerberg für über ihre Plattformen begangene Rechtsverstöße verantwortlich sein sollen, erachtet Schmid zwar als berechtigte Frage, er sieht es aber auch kritisch: ?Wenn Sie das verlangen würden, dann würden Sie verlangen, dass Mark Zuckerberg in Zukunft darüber entscheidet, was gesagt werden darf und was nicht ? kein sehr beruhigender Gedanke.? Einen systematischen Missbrauch ihres Netzwerks hingegen müssten Plattformbetreiber seiner Meinung nach schon erkennen und entsprechend unterbinden. Zahlreiche solcher systematischen Rechtsverstöße auf Facebook kamen etwa im letzten Jahr durch die Ex-Facebook-Mitarbeiterin und Whistleblowerin Frances Haugen ans Licht. Auch Jan Böhmermann widmete den sogenannten Facebook Papers eine ganze Episode seiner Sendung ?ZDF Magazin Royal?. Ein Problem sah Böhmermann unter anderem in der Vormachtstellung von Facebook. Er schlug deshalb vor, den Konzern zu zerschlagen und so den Weg für potenzielle andere Plattformen zu ebnen. Zu dieser Fragestellung äußert sich Tobias Schmid zurückhaltend. Er sei kein großer Liebhaber von regulatorischen Zerstörungsmaßnahmen. Eine sinnvolle Alternative sieht er aber in einer möglichen Interoperabilität. Ähnlich wie etwa die Deutsche Bahn ihre Gleise anderen Anbietern zu einem fairen Preis zur Verfügung stelle, könnten auch Facebook, Google und Co. ihre Infrastrukturen für Konkurrenzunternehmen öffnen. Ein Vorteil dabei sei, dass man dann auch von einem in das andere Netzwerk kommunizieren könne.
Insgesamt sieht Schmid der Entwicklung regulatorischer Maßnahmen positiv entgegen. Erste wichtige Ansätze in die richtige Richtung seien vor allem der ?Digital Services Act? der Europäischen Union und das kürzlich veröffentlichte Update des Verhaltenskodexes zur Bekämpfung von Desinformation, dem ?Code of Practice on Disinformation.? Am Ziel angekommen ist die Gesetzgebung damit aber noch lange nicht. ?Es dauert eben, bis der Wilde Westen ?Internet? lernt, dass es dort auch einen Sheriff gibt. Das ist ganz normal,? so Schmid. Ob Schmid sich als Sheriff sieht, lässt er dabei offen. Augenfällig ist jedenfalls, dass die Medienanstalten diesen Zuständigkeitsbereich der Netzaufsicht für sich reklamieren.
Zur Autorin: Lisa Koenig hat zunächst Musik an der Folkwang Universität der Künste in Essen studiert, empfand aber schon während des Studiums große Freude am journalistischen Arbeiten. Nach einem Praktikum beim WDR verlegte sie sich gänzlich auf die musikredaktionelle Arbeit. Als Journalistin arbeitet sie für die Zeitung ?Die Rheinpfalz? und für den Saarländischen Rundfunk. Zudem war und ist sie für mehrere Rundfunkklangkörper des WDR und des hr tätig. Koenig studiert im Master Musikjournalismus an der TU Dortmund.
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