Wir Rundfunkräte sind keine Experten
09. August 2022ARD-Gremienratsvorsitzende fordern unabhängige finanzielle und fachliche Ausstattung
09.08.2022. Interview mit Friederike von Kirchbach, stellvertretende Vorsitzende der ARD- Gremienvorsitzendenkonferenz (GVK) und Vorsitzende des rbb-Rundfunkrates
Die Novellierung des Medienstaatsvertrages soll nach den Vorstellungen der Länder, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk reformieren. Allerdings beschränkt sich der Entwurf, der inzwischen von allen Bundesländern unterschrieben worden ist, auf drei Schwerpunkte: Die Flexibilisierung des Programmangebotes, die Kernaufgaben bei der Berichterstattung und die Funktion der Kontrollgremien. Die Gremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erfahren eine stärkere Rolle und werden ?insbesondere bei der Fortentwicklung des Qualitätsmanagements intensiver eingebunden?, so die Koordinatorin der Rundfunkkommission, Medienstaatssekretärin Heike Raab. Die Vorgänge um die ehemalige RBB-Intendantin und ARD-Vorsitzende Patricia Schlesinger und den Verwaltungsratsvorsitzenden Wolf-Dieter Wolf zeigen jedoch, dass die Rundfunk-, Fernseh- und Verwaltungsräte anscheinend bereits mit ihren gegenwärtigen Aufgaben, zu denen auch teilweise die Kontrolle der Ausgaben gehört, überfordert sind. Einer der Gründe liegt in der unzureichenden und unabhängigen finanziellen Ausstattung sowie mangelnder Expertise bei fachlichen Fragen. Nach Auffassung der ARD-Gremienvorsitzenden, muss das im Medienstaatsvertrag berücksichtigt werden, damit die Gremien als Kontroll- und Entscheidungsinstanzen auf Augenhöhe mit den Geschäftsleitungen agieren können. Das Gespräch mit Friederike von Kirchbach fand vor den Rücktritten von Patricia Schlesinger statt.
medienpolitik.net: Frau von Kirchbach, beziehen sich die Festlegungen des novellierten Medienstaatsvertrages auf alle Angebote der öffentlich-rechtlichen Anstalten oder nur auf die nationalen TV- und Hörfunkangebote?
v. Kirchbach: Wir deuten den Entwurf des Medienstaatsvertrags so, dass er sich zunächst nur auf diejenigen Angebote der ARD bezieht, die gemeinschaftlich verantwortet werden. Die von den Gremien zu erlassenden Richtlinien, die Vorgaben zur Qualität und zur Qualitätssicherung enthalten sollen, werden aber sicherlich auch eine Ausstrahlungswirkung auf die regionalen Angebote der Landesrundfunkanstalten haben, denn das Erste, ARD Mediathek und Audiothek und die weiteren Gemeinschaftsangebote entstehen ja alle durch Zulieferung der einzelnen ARD-Anstalten. Und in der föderalen ARD müssen sich die neun Rundfunkräte der neun Landesrundfunkanstalten hier auch auf gemeinsame Richtlinien verständigen. Zudem haben Richtlinien ihrem Wesen nach immer eine gewisse Allgemeingültigkeit. Nehmen Sie beispielweise die Maßgabe, dass Nachricht und Meinung voneinander zu trennen sind. Das können Sie im Norden der Republik kaum anders ausdeuten wie im Süden, Osten oder Westen.
medienpolitik.net: Die weiteren Vorgaben des Medienstaatsvertrags werden also nicht direkt für die einzelnen Landesrundfunkanstalten gelten?
v. Kirchbach: Genau, sofern die Normgeber auf Ebene der einzelnen Landesrundfunkanstalten sie nicht später übernehmen. Die gemäß Medienstaatsvertrag künftig wohl zu erlassenden Richtlinien werden Teil der programmlichen Selbstverpflichtung der ARD (gem. § 31 Abs. 2) sein, mit der der Medienstaatsvertrag es den Anstalten und den zuständigen Aufsichtsorganen überantwortet, alle zwei Jahre den Auftrag zu konkretisieren. Als die Länder 2004 erstmals eine solche Selbstverpflichtung vorgegeben haben, sind einige Landesgesetzgeber dem Beispiel gefolgt und haben die jeweiligen Landesrundfunkanstalten ebenfalls verpflichtet, regelmäßig eine eigene solche Selbstverpflichtung vorzulegen. Ob dies diesmal wieder so sein wird und die neuen Anforderungen an die Selbstverpflichtung aus dem Medienstaatsvertrag von den jeweiligen Normgebern der Landesrundfunkanstalten übernommen werden, ist uns nicht bekannt.
medienpolitik.net: Bedeutet das, dass die Gremien je nachdem, ob es sich um regionale Angebote einzelner Rundfunkanstalten z.B. für die Dritten sowie Hörfunkangebote oder nationale Angebote, wie das Erste oder KiKA mit unterschiedlichen Qualitäts- und wirtschaftlichen Kriterien arbeiten und bewerten müssen?
v. Kirchbach: Die qualitativen Standards für Bewegtbild- und Onlineangebote sind nach meiner Wahrnehmung bereits heute weitgehend vergleichbar. Wie es im Hörfunk aussieht, fällt mir schwer zu bewerten, da der Hörfunk in der ARD ja immer regional geprägt ist, mit einem nationalen Angebot ist allein Deutschlandradio beauftragt. Durch die gemeinschaftlich betriebene ARD Audiothek werden die von den Landesrundfunkanstalten verantworteten Audio-Angebote bundesweit wahrnehmbarer. Sicher wird daher auch die Gestaltung der Audiothek unter qualitativen Gesichtspunkten auf ARD-Ebene von den Rundfunkräten zu diskutieren sein. Letztlich geht es aber weniger darum, besonders kreativ bei der Formulierung der Richtlinien zu sein (denn da gibt es bereits sehr gute Formulierungen in den Gesetzen und satzungsrechtlichen Texten) oder innovativ bei der Benennung von Qualitätskriterien zu sein. Vielmehr geht es darum, einen gemeinsamen profilstärkenden Prozess innerhalb des ARD-Netzwerks zu organisieren, der zum einen das Publikum miteinbezieht und zum anderen steuernde Wirkung in den Häusern entfaltet.
?Wenn ein Angebot ein Millionenpublikum erreicht, hat es damit nicht automatisch eine Bestandsgarantie. Es muss auch einen inneren Wert haben.?
medienpolitik.net: Halten Sie das wirklich für erreichbar?
v. Kirchbach: Wir müssen es erreichen, weil der Gesetzgeber hier eine klare Erwartung hat. Wir wollen es erreichen, weil es für die Demokratie wichtig ist. Und wir können es erreichen, da der Gesetzgeber uns dazu die nötige Richtlinienkompetenz geben will: die Rundfunkräte erlassen die Richtlinien mit Qualitätsvorgaben und Vorgaben zur Qualitätssicherung.
Konkret wird jeweils im Diskurs zu klären sein, ob die in bewährten Formulierungen vorliegenden Grundsätze und Maßgaben ausreichen und vor allem wie sie zeitgemäß auszudeuten sind: was heißt heute Ausgewogenheit, was bedeutet heute Respekt für Andersdenkende, gibt es wichtige Lebensbereiche, die generell in der Berichterstattung zu wenig berücksichtigt werden? Wenn das geklärt ist, dann ist darüber zu sprechen, welche Qualitätsmerkmale die Angebote benötigen, damit man diesen Maßgaben am besten gerecht wird und in welchem Umfang welcher Content für welche Zielgruppe benötigt wird. In der Sprache der Medienrechtler heißt das: Qualität und Quantität der Angebote müssen beschrieben werden. Der Ort für diese Beschreibung ist die programmliche Selbstverpflichtung, d.h. der Bericht nach § 31 Abs. 2 MStV, der alle zwei Jahre vorzulegen ist.
Die Rundfunkräte haben aus eigener Kraft dafür gesorgt, dass diese Selbstverpflichtung so konkret wird, dass die programmliche Leistung fassbar und abrechenbar wird. Sie enthält künftig eine Beschreibung der Angebotsqualität der Formate unterschiedlicher Genres sowie Erfolgsindikatoren, an denen abgelesen werden kann, ob die Qualität eingehalten und gesetzte Ziele erreicht wurden. Hier geht es um zentrale Fragen, die an Anschauungsbeispielen diskutiert werden müssen, um in die Konkretion zu kommen. Um es zu erläutern: wenn Sie beispielsweise darüber nachdenken, wie die Vielfalt im Meinungsspektrum erlebbar gemacht werden kann (was zum Auftrag gehört), dann müssen sie sich Gedanken über zweckdienliche Qualitätsmerkmale der Angebote machen. Zweckdienlich wäre vielleicht, wenn die ARD ihre Nutzerinnen und Nutzer aktiv auf unterschiedlich ausgerichtete Meinungsbeiträge zu einem bestimmten Thema aufmerksam macht, die alle im ARD-Kosmos vorhanden sein mögen, aber ohne einen aktiven Hinweis vielleicht gar nicht bemerkt würden.
Ein Thema kann und muss aus diversen Blickwinkeln betrachtet werden können, die sich möglicherweise auch widersprechen, aber alle legitim sind. Das fördert die individuelle und gemeinschaftliche Meinungsbildung im Publikum. Außerdem würde auf dem Weg auch gleich die hoffentlich immer vorhandene Bandbreite des Meinungsspektrums innerhalb der ARD veranschaulicht werden. Das führt uns zum nächsten Punkt, der vielleicht größten Neuerung, dass nämlich künftig auch per Richtlinie der Aufsichtsorgane sichergestellt wird, wie die Anstalten erkennen, wo nachgesteuert werden muss, und dass das auch tatsächlich erfolgt.
?Eine ordentliche Ausstattung der Aufsichtsorgane mit Geschäftsstellen, die die Mitglieder erst arbeitsfähig machen und zu diesem Zweck auch aus-, fort- und weiterbilden für ihre komplexen Aufgaben, ist das A und O für den Erfolg des neuen Medienstaatsvertrags.?
medienpolitik.net: Nochmal zu den unterschiedlichen Ebenen Medienstaatsvertrag und Landesgesetze. Sind die unterschiedlichen Rechtsgrundlagen für die Rundfunkräte akzeptabel? Wer muss hier ?nachbessern??
v. Kirchbach: Sicherlich werden die Länder, wenn der Medienstaatsvertrag in Kraft ist, schauen müssen, welche Elemente sie in die jeweiligen Rechtsgrundlagen der neun Landesrundfunkanstalten übernehmen. Am Ende müssen sich die Gremien der ARD aber immer auch bzgl. ihres Vorgehens abstimmen und es harmonisieren. Die GVK bemüht sich als Koordinierungsinstanz darum, ein möglichst gemeinsames Verständnis von Qualitäts- und Finanzkontrolle zu entwickeln. Unterschiedliche gesetzliche Vorgaben machen das nicht einfacher, gerade im finanziellen Bereich. Beispielsweise legen die Landesgesetzgeber unterschiedlich hohe Schwellen fest, wann Rundfunk- oder Verwaltungsräte sich mit Rechtsgeschäften der Intendantinnen und Intendanten zu befassen haben. Wir versuchen das durch Koordination auszugleichen, weil wir uns auch arbeitsteilig aufstellen müssen. Das gelingt an vielen Stellen, hat aber Grenzen: ein Verwaltungsrat, der sich aufgrund der gesetzlichen Aufgreifschwelle bspw. mit Stromverträgen befassen muss, entwickelt auf dem Gebiet viel mehr Kompetenz und Sensibilität als ein Verwaltungsrat, der so hohe Aufgreifschwellen hat, dass er nie oder selten mit Stromverträgen befasst wird. Für jede Anstalt gibt es unterschiedlich hohe Aufgreifschwellen. Einen Grund dafür hat mir noch niemand nennen können.
medienpolitik.net: Inwieweit kann die im MÄStV-E vorgesehene Weiterentwicklung und Systematisierung der Qualitätskontrolle durch die Rundfunkräte die Rundfunkanstalten bei der Erfüllung ihres Auftrags unterstützen?
v. Kirchbach: Der neue Medienstaatsvertrag zielt auf einen strukturierteren und verbindlicheren, und vor allem iterativen Prozess der Optimierung der Angebote ab. Regelmäßiges Nachschärfen und Neujustieren bei der Auslegung der Richtlinien, systematisches Reflektieren über die benötigte Qualität der Angebote und das, was geleistet wurde oder wo noch Luft nach oben ist ? all das soll zu mehr Dynamik bei der Ausrichtung der Angebote an den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen unserer Gesellschaft führen. Um es einfacher auszudrücken: wir müssen dahin kommen, dass Programmdirektoreninnen und -direktoren, Intendantinnen und Intendanten sowie Rundfunkräte in einen kontinuierlichen Austausch über die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kommen, über die konkreten journalistischen Herausforderungen und Leistungen der Redaktionen sowie über vielversprechende Ansätze bei der Realisierung des bestmöglichen Angebots. Was heißt eigentlich, bestmöglich im Sinne des Auftrags zu unterhalten? Bestmöglich zu unterhalten kann z.B. heißen zu erfreuen, ohne vulgär zu werden, aber auch ohne sich über andere zu erheben. Was aber heißt überhaupt vulgär? Es geht hier jeweils nicht darum, eine abschließende Antwort zu finden, ganz im Gegenteil. Es geht darum, in einen ständigen Austausch über mögliche Antworten zu kommen. Dieser Austausch kann gerne auch kontrovers geführt werden ? das sorgt am Ende auch für mehr publizistischen Wettbewerb der Redaktionen und Anstalten untereinander.
Zusammen mit einer fundierten, an den Bedürfnissen der Nutzenden ausgerichteten Erfolgskontrolle wird all dies den Programmverantwortlichen dabei helfen, auch Entscheidungen darüber zu treffen, worauf die Sender künftig verzichten und was sie neu anbieten müssen. Wichtig ist, dass solchen Entscheidungen eine neue Metrik des Erfolgs zugrunde liegt, die mit den Rundfunkräten besprochen wird. Nicht vorrangig Reichweite und Quote, sondern auch Qualität, Public Value, die Ansprache bestimmter Zielgruppen, der Grad an ausgelöster Interaktion mit dem Publikum, etc. ? all das muss berücksichtigt werden.
medienpolitik.net: Nach dem MÄStV-E sollen künftig verbindliche Grundsätze für die Festsetzung inhaltlicher und formaler Standards der Qualitätskontrolle aufgestellt werden. Wie wichtig ist diese Vorgabe für die Arbeit der Rundfunkräte?
v. Kirchbach: Wie gesagt kommt es vor allem darauf an, dass wir ein Verfahren finden, wie ein iterativer Qualitätsdiskurs organisiert wird, der tatsächlich Folgen hat. Inhaltliche und formale Standards zu verabreden ist dabei insofern wichtig, als sie helfen, sich über die Zielsetzungen zu verständigen und möglichst alle Aspekte im Auge zu behalten. Wenn Sie einen inhaltlich hervorragenden Beitrag haben, aber nicht berücksichtigen, ob er auch am richtigen Ort (auf der geeignetsten Plattform) und zur richtigen Zeit ausgespielt wird, dann verfehlt der beste Beitrag seine Wirkung, der Auftrag wird weniger gut erfüllt. Inhaltliche und formale Qualitätsvorgaben aufzustellen, kann uns dabei helfen, nichts aus dem Auge zu verlieren. Aber was bringt uns all das, wenn wir den Diskurs nicht wirklich führen oder er keine Folgen hat?
medienpolitik.net: Wer soll ? oder muss ? diese Grundsätze erarbeiten?
v. Kirchbach: Es gibt bereits viele gute Formulierungen für die Grundsätze in den Staatsverträgen und Gesetzen. Schauen Sie bspw. in die ARD-Grundsätze für die Zusammenarbeit. Zu erarbeiten ist vielmehr eine zeitgemäße Ausdeutung und ein Verfahren, wie diese Grundsätze mehr Beachtung erfahren, wie sie Gegenstand regelmäßiger Reflexion werden und wie erkannt werden kann, ob die Anstalten im Großen und Ganzen den in Grundsätzen formulierten Maßgaben gerecht werden oder neue Wege finden müssen, ihnen gerecht zu werden. Um die in der ARD hier aufeinander verwiesenen neun Rundfunkräte zu unterstützen werden wird als GVK versuchen, in Vorleistung zugehen. Wir werden bis zum Herbst einen ersten Vorschlag machen, der soll dann den Rundfunkräten zur Diskussion vorgelegt werden.
medienpolitik.net: Ursprünglich war im Entwurf vorgesehen, dass sich die Gremien verstärkt wissenschaftlicher Expertise bedienen sollen. Im letzten Entwurf ist das nicht mehr vorgesehen. Wie bewerten Sie das?
v. Kirchbach: Wir Rundfunkräte sind keine Experten, sondern bei Bedarf von Experten unterstützte Generalisten. Wir bringen gesellschaftlich relevante Kompetenzen in die Beratung der Programmverantwortlichen ein, um den Wert der Angebote für die Allgemeinheit zu bewerten und sicherzustellen, dass die Vielfalt der Ansichten abgebildet wird. Bereits heute steht es den Rundfunkräten frei, dabei z.B. Medien-, Publizistik- oder Rechtswissenschaftler um Zuarbeit zu bitten. Wichtiger als dass der Gesetzgeber das explizit klarstellt ist, es den Rundfunkräten möglichst leicht zu machen, im Bedarfsfall Expertise anzufragen. Hierbei sind eigene Etats und unabhängige Mitarbeitende in den Geschäftsstellen entscheidend, die einen Überblick haben, welche Expertinnen und Experten den Gremien weiterhelfen können.
medienpolitik.net: Der Bericht über die Erfüllung des Auftrages, über die Qualität und Quantität der bestehenden Angebote sowie die Schwerpunkte der jeweils geplanten Angebote, der alle zwei Jahre veröffentlicht wird, soll auch den ?Landtagen zur Kenntnis geben? werden. Warum ist Ihnen das so wichtig?
v. Kirchbach: Das ist deshalb wichtig, weil auf diese Weise ein bislang fehlender Kommunikationskreislauf entsteht: bislang werden die Parlamente alle zwei Jahre mit den Kosten des Rundfunks befasst. Ihnen wird ein Finanzbericht vorgelegt. Künftig wird sich das mit der programmlichen Selbstverpflichtung abwechseln. In dem einen Jahr geht es um Quantität und Qualität der Angebote, im Folgejahr um die Kosten. Wenn man nicht weiß, warum und wofür das Geld eingesetzt wird, fehlt irgendwie der Sinnbezug. Ich bin mir sicher: die Parlamentarier werden davon profitieren, wenn sie künftig besser nachvollziehen können, wie und warum die Angebote der öffentlich-rechtlichen Anstalten gestaltet werden (sollen), wie das vom Publikum angenommen wird und wie das die freie Meinungsbildung fördert. Und auch die Anstalten werden den Austausch als wertvoll erfahren. Ich bin sehr dafür, dass nicht nur die Intendantinnen und Intendanten, sondern auch die Vorsitzenden der Rundfunkräte, die die Allgemeinheit vertreten, den Parlamentarierinnen und Parlamentariern Rede und Antwort zu dem Bericht stehen. Die Anregungen aus den Parlamenten können sie dann in die Anstalten tragen. Zwei Jahre später berichtet werden, was aus den Anregungen geworden ist und so weiter und so fort. Einen ähnlichen Dialogkreislauf schreibt der Normgeber künftig übrigens auch zwischen den Anstalten und dem Publikum vor. Wir finden, der sollte integriert werden.
medienpolitik.net: In der ARD-Selbstverpflichtung sollen künftig auch überprüfbare genre- und formatbezogene Qualitätsprofile für einzelne Sendungen bzw. Angebote, zum Beispiel für Unterhaltung, enthalten sein. Wie wichtig ist das für die weitere Schärfung des öffentlich-rechtlichen Profils?
v. Kirchbach: Ich denke, es ist der einzige Weg, um zu einer Schärfung des Profils zu gelangen. Eine Schärfung des Profils kann im Rundfunk aufgrund der Programmautonomie und Staatsferne nicht verordnet werden. Sie muss immer aus dem Ehrgeiz unabhängig arbeitender Redakteurinnen und Redakteure geboren werden, mit Qualität zu überzeugen und eigene oder fremde Angebot zu übertreffen. Und vielleicht braucht es auch einen Wettbewerb um Programmmittel innerhalb der Häuser. Die Anstalten müssen die Kreativität der Mitarbeitenden freisetzen, sie brauchen Freiräume zum Ausprobieren und eine breitangelegte neue Metrik, die weniger stark darauf ausgerichtet ist, wie viele Menschen erreicht werden. Um es ein wenig provokant zu formulieren: wenn ein Angebot ein Millionenpublikum erreicht, hat es damit nicht automatisch eine Bestandsgarantie. Es muss auch einen inneren Wert haben.
medienpolitik.net: Wer soll diese Qualitätsprofile vorgeben?
v. Kirchbach: Diese Aufgabe liegt künftig bei den Rundfunkräten, die dabei aber natürlich unbedingt hören sollten, was die Fachleute in den Programmdirektionen zu sagen haben.
medienpolitik.net: Die Rundfunkratsvorsitzenden regen an, die Begriffe ?Wirtschaftlichkeit? und ?Sparsamkeit? staatsvertraglich verbindlich zu präzisieren. Warum? Erwarten Sie sich das von der zweiten Runde zur Strukturreform?
v. Kirchbach: Weil wir wissen, wie schwer es ist, alle Aspekte sowie die Gesichtspunkte aller Stakeholder unter einen Hut zu bringen, hatten wir angeregt, dass die Länder selbst so etwas wie Haushaltsgrundsätze vorlegen. Der Gesetzgeber scheint jetzt aber einen anderen Weg vorzugeben, nämlich den einer prozeduralen Klärung: alle sollen sich mit allen einigen. Die Geschäftsleitungen der ARD-Anstalten, des ZDF und des Deutschlandradios mit den jeweiligen Aufsichtsorganen unter Berücksichtigung von Empfehlungen der KEF. Hier erwarten wir in der Tat viel von der zweiten Runde der Reform, die sich mit Fragen der Finanzierung befassen wird. Aus Aufsichtsperspektive kommt es darauf an, möglichst klare, einheitliche und transparente Definitionen und Verfahren zu bekommen, denn ohne die werden oft Äpfel mit Birnen verglichen und am Ende bleiben blanke Zahlen, die kaum Aussagekraft haben und keine Steuerungswirkung entfalten. Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sind ebenso wie Nachhaltigkeit und effizienter Einsatz von Ressourcen nicht etwas, was man einmal definieren und damit für immer gewährleisten kann. Vielmehr geht es darum, immer wieder neu zu justieren, Verbesserungsmöglichkeiten zu identifizieren und sie auch umzusetzen. Was gestern wirtschaftlich war, ist es nicht automatisch auch morgen.
medienpolitik.net: Sie fordern, dass im Staatsvertrag ?auf die organisatorischen und personellen Voraussetzungen der (erweiterten) Aufsichtstätigkeit eingegangen wird.? Was heißt das konkret? Inwieweit muss die Arbeit der Gremien finanziell und personell besser abgesichert werden?
v. Kirchbach: Der Normgeber überträgt ? aus gutem Grund ? an vielen Stellen Aufgaben auf die gesetzlichen Aufsichtsorgane. Diese sind ? wenn auch in einer klar definierten und eigenständigen Rolle und mit externen Mitgliedern besetzt ? Teil der Anstalten. So wird die Staatsferne gewahrt. Dahinter steht der Ansatz der regulierten Selbstregulierung. Weil das der einzig gangbare Weg ist, wurden den Rundfunk- und Verwaltungsräten bei allen MStV-Novellen der letzten Jahre immer mehr Aufgaben übertragen. Es begann mit der Selbstverpflichtung 2004, dann kam 2009 der Dreistufentest und heute nun die Verfahren zur erweiterten programmlichen Selbstverpflichtung, zur Flexibilisierung der Beauftragung und der Verständigung über Maßstäbe für Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit, Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz. So richtig das ist, so unverständlich ist, dass die Kosten dieser Gesetzesänderung unbeachtet bleiben: die Gremien haben ehrenamtliche Mitglieder, diese tragen hohe Verantwortung und haben daher Anspruch auf unabhängige Zuarbeit und finanzielle Ressourcen in eigenem Ermessen. Es ist unerlässlich, dass die Aufsichtsorgane ihren Bedarf endlich selbst anmelden, der dann von der unabhängigen KEF mit Blick auf die gesetzlichen Aufgaben zu prüfen ist. Eine ordentliche Ausstattung der Aufsichtsorgane mit Geschäftsstellen, die die Mitglieder erst arbeitsfähig machen und zu diesem Zweck auch aus-, fort- und weiterbilden für ihre komplexen Aufgaben, ist das A und O für den Erfolg des neuen Medienstaatsvertrags und damit der Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Punkt bei den anstehenden Beratungen des MStV in den sechszehn Landtagen unberücksichtigt bleibt.