„Bisher sind es leider nur Lippenbekenntnisse“

02. Mai 2024
Christine Berg, Vorstandsvorsitzende HdF Kino
Christine Berg, Vorstandsvorsitzende HdF Kino
Kinobetreiber beklagen Unklarheiten, Budgetstreichungen und fehlende Investitionszusagen für die künftige Kinoförderung

Interview mit Christine Berg, Vorstandsvorsitzende des Kinoverbandes HDF Kino  

Christine Berg, Vorstandsvorsitzende des einflussreichen Branchenverbandes HdF Kino, sieht in den Plänen von Staatsministerin Claudia Roth (BKM) für eine Reform der Filmförderung zu viele „schwarze Löcher“. Zu den Unklarheiten zählt sie sowohl die Kinoförderung durch die BKM, die Weiterführung des „Zukunftsprogramms Kino“ als auch ein Steueranreizmodell für die Filmtheater. Nach ihrer Analyse besteht bei den Kinos für die nächsten vier Jahre ein Investitionsbedarf von 450 Millionen Euro. 200 Millionen, so hoffen die Kinobetreiber müssen durch Fördermaßnahmen gedeckt werden. Den geplanten Umbau der Filmförderungsanstalt FFA zu einer Förderagentur sieht Christine Berg dagegen positiv.

medienpolitik.net: Frau Berg, Sie haben vor dem Kinokongress in Baden-Baden, vor wenigen Tagen gesagt, dass die Kinos in diesem Jahr 90 Millionen Tickets verkaufen können. Das ist aber ein Stück von 2019 entfernt, wo es 118 Millionen waren. Was fehlt den Kinos, um an 2019 anzuknüpfen?

Berg: Den Kinos fehlt es an zwei Dingen. Zum einen benötigen wir zuschauerstarke Blockbuster-Filme, die mindestens ein mehrfaches Millionen Publikum anlockt. Mit „Dune: Part Two“ und „Chantal im Märchenland“ hat das Jahr schon gut angefangen. Aber durch den Streik in den USA sind viele Produktionstermine verschoben worden. Zum anderen müssen die Kinos weiter modernisiert werden. Die Erwartung unseres Publikums hat sich verändert. Sie legen größeren Wert auf zeitgemäßen Komfort als früher. Nach einer Studie von Cineplex könnte ein Kino nach einer Modernisierung seinen Umsatz um 30 Prozent erhöhen.

medienpolitik.net: Sind die vier Corona-Jahre an die Kinos so spurlos vorübergegangen, wie oft gesagt wird? Geht man von der Zahl der Kinos und der Spielorte aus, ist ja alles bestens.

Berg: Die Kinos haben es geschafft, die Corona-Pandemie zu überleben, den vielen Unkenrufen zum Trotz. Das war auch deshalb möglich, weil die Bundesregierung und die Länder sehr schnell den Unternehmen mit Sonderprogrammen geholfen haben. Dennoch ist natürlich nicht alles „bestens“. Die Kinos haben einen Investitionsbedarf pro Jahr für die nächsten vier Jahre von 112 Millionen Euro. Diese Summe können die Kinos nach den existenzbedrohenden Corona-Jahren nicht selbst aufbringen. Es geht dabei nicht um Dauersubventionen, sondern um einen Zuschuss für diese Zeit von jährlich 50 Millionen Euro.

medienpolitik.net: 200 Millionen Investitionsförderung in vier Jahren ist nicht wenig. Woher soll das Geld kommen?

Berg: Dafür gibt es mehrere Säulen. Die erste Säule ist die Förderung durch die Filmförderungsanstalt (FFA). Gegenwärtig liegt hier der Schwerpunkt auf der Produktionsförderung. Aber die Auswertung dieser geförderten Kinofilme müsste mindestens mit 50 Prozent der zur Verfügung stehenden Mittel berücksichtigt werden, davon müssen 25 Prozent in die Kinos fließen. Die zweite Säule ist die Förderung durch das Bundeskulturministerium (BKM). Hier schauen wir gegenwärtig in ein schwarzes Loch, da immer noch nicht bekannt ist, was ab 2025 geplant ist. Die dritte Säule könnte ein Steueranreizmodell für Kinos sein. Das wird es zum jetzigen Zeitpunkt nicht geben. Wir würden uns natürlich auch über Förderungen aus anderen Bundesministerien freuen. So unterstützt das Bundeswirtschaftsministerium gegenwärtig die Ausrüstung mit Laserprojektoren. Aber hier sind nur die kleineren Kinos antragsberechtigt, obwohl der Kinomittelstand, das Rückgrat der Kinowirtschaft, ebenfalls Bedarf an einem Investitionszuschuss hat. Nahezu alle Kultur- und Medienpolitiker reden davon, dass die Kinos und der Verleih gestärkt werden müssen, aber es sind bis jetzt leider nur Lippenbekenntnisse.

medienpolitik.net: Von den Bundesländern erwarten Sie nichts?

Berg: Doch, es wäre sehr hilfreich, wenn alle Länder die Kinoförderung ausbauen würden. Einige sind hier sehr aktiv, andere gar nicht. Es wäre wichtig, dass es nicht nur einen Kinoprogrammpreis für die kleineren Kinos gibt, sondern auch eine zielgerichtete Investitionsförderung. Bei den Kinoprogrammpreisen geht es ja vor allem um eine bestimmte inhaltliche Programmierung, aber das ist zu wenig, um die Attraktivität der Filmtheater insgesamt zu erhöhen.

„Uns ist unklar, was die Leitung dieses Hauses aufgreift oder mit den betroffenen Partnern abgestimmt wird.“

medienpolitik.net: Die BKM plant sogar eine Reduzierung der Kinoförderung ab 2025.

Berg: Wir bemühen uns gegenwärtig sehr intensiv, diese Reduzierung zu verhindern. Eine solche Entscheidung widerspricht der Absichtserklärung, dass man das Kino in den Mittelpunkt der Filmpolitik stellen möchte. Wenn das den zuständigen politischen Gremien, bis hin zum Deutschen Bundestag, wirklich wichtig ist, muss sich das in der Novellierung des Filmfördergesetzes (FFG) niederschlagen. Es ist ja auch eingeplant, dass die Kinos zusammen mit den Verleihern, die wichtigsten Einzahler der FFA bleiben. Die FFA leistet viel mehr als „nur“ die Filmförderung und das soll erhalten bleiben. Bis zur Corona-Pandemie haben die Kinos den größten Anteil des FFA-Etats getragen. Das können wir aber auch weiterhin nur leisten, wenn die Kinos verstärkt investieren können und so wieder mehr Besucher erreichen.

medienpolitik.net: Was ist mit dem „Zukunftsprogramm Kino“? Wird es das ab 2025 weiter geben?

Berg: Das ist das nächste „schwarze Loch“. Wir wissen es nicht. 2024 stehen aus diesem Programm 10 Millionen Euros für Modernisierungen zur Verfügung. Nach bisheriger Aussage des BKM wird es das Zukunftsprogramm Kino nicht mehr geben. Ob es dafür eine andere Förderoption gibt, ist uns nicht bekannt. Die Tatsache, dass Programm dieses Jahr bereits 20 Sekunden nach der Öffnung des Antragsportals ausgeschöpft war, zeigt nochmal den hohen Bedarf der Kinos an Unterstützung, die eine Hilfe zur Selbsthilfe ist.

medienpolitik.net: Das „Zukunftsprogramm Kino“ ist nicht Bestandteil des FFG, sondern müsste mit dem Haushalt der BKM für 2025 beschlossen werden.

Berg: Ja, aber dieser Haushaltstitel ist nach unseren Informationen nicht mehr enthalten. Wir verstehen, dass die Haushaltslage der Bundesregierung gegenwärtig schwierig ist, aber auch die Kinos benötigen Planungssicherheit und müssen Verträge mit Kinoausrüstern und Handwerkern abschließen. Sie wissen aber Mitte dieses Jahres nicht, welches Geld ihnen zur Verfügung steht. Das schafft Unsicherheit und Unzufriedenheit nicht nur bei Kinobetreibern. Trotz aller Partikularinteressen steht die Branche zusammen, auch für Reformen. Dafür müssen aber schnell politische Entscheidungen fallen. Wir haben großes Vertrauen in die sinnvollen Vorschläge und Vorlagen der Referenten des Kulturstaatsministeriums, uns ist aber unklar, was die Leitung dieses Hauses aufgreift oder mit den betroffenen Partnern abgestimmt wird. Das schadet der gesamten Filmwirtschaft.

medienpolitik.net: Wo liegt für die Kinos der Vorteil, wenn aus der Filmförderanstalt ab Januar 2025 eine Förderagentur wird?

Berg: Die FFA ist grundsätzlich eine der wichtigsten Förderinstitutionen, die wir haben. Es ist unser Haus - es ist nicht nur eine Förderung, sondern hier kommen wir alle zusammen und diskutieren auf Augenhöhe über die Zukunft der deutschen Filmindustrie. Die Kinos haben von dieser Strukturveränderung mehrere Vorteile. Das wichtigste ist eine Teilautomatisierung bei der Kinoförderung. Das ist für uns ein Segen. Hier geht es nicht um inhaltliche Gesichtspunkte, sondern um gestalterische und technische Erfordernisse. Auch das Verhältnis von zinsfreien Darlehen, die zurückgezahlt werden müssen, zu einem Zuschuss, hat sich positiv verändert. Bisher ist die Relation 70:30, künftig werden es 50:50 sein. Zudem hält die Branchenvereinbarung über die Laufzeit von Sperrfristen Einzug in das Gesetz. Im Widerspruch dazu steht allerdings die Vorgabe des Gesetzentwurfes, dass der Vorstand der FFA alleine, ohne Vetomöglichkeit der Kinos, über eine Reduzierung der Sperrfrist bei Fernsehauswertungsrechten auf sechs Monate entscheiden kann. Durch die Branchenvereinbarung wurde ein jahrelanger Dissens innerhalb der Filmwirtschaft im gegenseitigen Interesse gelöst und ermöglicht es, ähnliche Vereinbarungen auch in anderen strittigen Bereichen zu treffen. Das wird durch den entsprechenden Gesetzespassus in der FFG-Novelle torpediert.

 

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