„Das Nebeneinander von privaten und öffentlich-rechtlichen digitalen Angeboten muss vernünftig geregelt werden“

12. Oktober 2023
Dr. Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien Hamburgs
Dr. Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien Hamburgs
Carsten Brosda fordert befristete Zustellförderung für Zeitungen und lehnt staatliche Unterstützung digitaler journalistischer Produkte ab

Interview mit Dr. Carsten Brosda (SPD), Senator für Kultur und Medien Hamburgs

Nach Ansicht von Dr. Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien Hamburgs, müssen journalistische Angebote künftig noch stärker personalisiert und situativ ausgespielt werden und „stärker in den Dialog mit ihren Communities“ kommen. Bei überregionalen Titeln funktionierten solche Ansätze immer besser. Sorgen bereite ihm hingegen der Lokal- und Regionaljournalismus – dort gelinge es bisher noch zu selten, den Abo-Kundenstamm für digitalen Journalismus zu begeistern und zugleich neue Zielgruppen zu erschließen. Gleichzeitig sei die Konkurrenzsituation zu anderen, oft frei verfügbaren Informationen, sehr groß. Brosda fordert eine auf wenige Jahre befristete Übergangsfinanzierung für die Zustellung durch den Bund. Dies dürfe keine „allgemeine und dauerhafte Presseförderung sein, sie muss aber jetzt die Luft zum Atmen geben, um parallel digitale Angebote neu zu entwickeln“. Im Bereich der sozialen Medien gehe es nicht um staatliche oder öffentliche Förderung, sondern darum, dass das duale System zwischen der privaten Medienwirtschaft und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gut austariert sei.

medienpolitik.net: Herr Brosda, kürzlich fand in Hamburg das Scoopcamp 2023 zum Thema „Wie finanziert sich Journalismus in Zukunft?“ statt. Wie finanziert er sich Ihrer Meinung nach in Zukunft?

Brosda: Journalismus wird sich auch in Zukunft aus einer Vielzahl von Quellen finanzieren. Werbung und Vertriebserlöse werden dabei auch künftig eine erhebliche Rolle spielen müssen. Ihr Zusammenwirken verändert sich schon heute und ist von Medium zu Medium sehr unterschiedlich. Beim Scoopcamp lässt sich hervorragend an nationalen und internationalen Beispielen lernen, wie gerade auch digitale Vertriebserlöse funktionieren können. Die Paywall allein wird dabei aber mutmaßlich nicht alle Probleme lösen können, wie die Beispiele zeigen. Journalistische Angebote werden künftig noch stärker personalisiert und situativ ausgespielt werden müssen und stärker in den Dialog mit ihren communities kommen. Bei überregionalen Titeln funktionieren solche Ansätze bereits immer besser. Sorgen bereitet mir hingegen der Lokal- und Regionaljournalismus – dort gelingt es bisher noch zu selten, den Abo-Kundenstamm für digitalen Journalismus zu begeistern und zugleich neue Zielgruppen zu erschließen und gleichzeitig ist die Konkurrenzsituation zu anderen, oft frei verfügbaren Informationen dort besonders erheblich. Aber auch hier sind Formate wie das Scoopcamp wichtig, um – neben den regulatorischen Herausforderungen – hier auch gemeinsam nach wirtschaftlichen Lösungswegen zu suchen.

medienpolitik.net: Welche Rolle muss dabei künftig der Staat spielen? Muss es neben dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine staatlich unterstützte Presse oder auch staatlich unterstützte soziale Medien geben?

Brosda: Hier gilt: so wenig wie möglich, so viel wie nötig. Die erwähnte Problemlage im Lokal- und Regionaljournalismus wird gegenwärtig durch die Kostenentwicklung in der Zustellung erheblich erschwert. Die Nachrichtenwüsten in den USA und Großbritannien müssen uns eine Warnung sein: Wo Redaktionen verschwinden, gedeihen eben nicht automatisch brauchbare digitale Alternativen. Deshalb plädiere ich seit Langem für Regelungen, die ein vernünftiges wirtschaftliches Nebeneinander von privaten und öffentlich-rechtlichen Medienangeboten im Digitalen ermöglichen. Darüber hinaus braucht es meines Erachtens eine auf wenige Jahre befristete Übergangsfinanzierung für die Zustellung durch den Bund. Dies darf keine allgemeine und dauerhafte Presseförderung sein, sie muss aber jetzt die Luft zum Atmen geben, um parallel digitale Angebote neu zu entwickeln. Es geht daher auch im Bereich der sozialen Medien nicht um staatliche oder öffentliche Förderung, sondern darum, die Rahmenbedingungen gut und verlässlich so zu setzen, dass das duale System zwischen einer der Marktlogik folgenden privaten Medienwirtschaft und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gut austariert ist. Das, was auf den sozialen Plattformen publizistisch tatsächlich neu entsteht, steigert in jedem Fall die mediale Vielfalt. Einen staatlichen Förderbedarf kann ich in diesem Marktsegment nicht erkennen.

„Insbesondere in Richtung der öffentlich-rechtlichen Anstalten ist daran zu erinnern, dass es nicht klug sein muss, jede rechtliche Möglichkeit auch faktisch zu nutzen, wenn einem das duale System am Herzen liegt.“

medienpolitik.net: Sie fordern vom Bund, wie eben gesagt, dass er die Zeitungen durch eine Zustellförderung „zeitweilig wirtschaftlich“ unterstützt. Der Bund zögert. Sehen Sie eine Möglichkeit, diese Presseförderung doch noch auf den Weg zu bringen?

Brosda: Nach meiner Wahrnehmung hat die Ampel-Regierung weiterhin den Willen, eine Presseförderung auf den Weg zu bringen. Bei dem Vorhaben sind allerdings noch viele Details zu klären. Ich halte es für wichtig, dass es noch in dieser Legislatur eine Presseförderung geben wird. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil hat gerade noch einmal darauf hingewiesen, dass die SPD eine Einigung in den Haushaltsverhandlungen erreichen will.

medienpolitik.net: Die geplanten 200 Millionen Euro des Bundes würden pro Land im Schnitt 12,5 Mio. Euro bedeuten. Warum übernehmen nicht die Länder diese Presseförderung? Sie sind doch auch verfassungsrechtlich zur Vielfaltsicherung verpflichtet.

Brosda: Die Koalition hat sich ja auf Bundesebene im Koalitionsvertrag vorgenommen, sich dieses Themas anzunehmen. Und das ist auch vernünftig. Bei der jetzt übergangsweise notwendigen Zustellförderung geht es ganz wesentlich auch darum, ein Auseinanderdriften der Mediennutzungen und damit der Lebensverhältnisse zwischen ländlichen und städtischen Regionen zu verhindern und zwar über das gesamte Bundesgebiet und nicht nur in einzelnen Ländern. Dies lässt sich nur durch eine Regelung des Bundes erreichen.

medienpolitik.net: Die Verlage üben Kritik daran, dass von den öffentlich-rechtlichen Sendern das Verbot der Presseähnlichkeit bei Online-Angeboten nicht eingehalten wird. Muss das im Medienänderungsstaatsvertrag präzisiert werden?

Brosda: In einer zunehmend digitalen Medienwelt müssen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auch im Internet Angebote präsentieren können, um ihren verfassungsrechtlichen Funktionsauftrag zu erfüllen. Gleichzeitig müssen aber auch die Interessen der Verlage gewahrt werden, die sich über andere Wege finanzieren müssen. Die im Medienstaatsvertrag gefundene Lösung stellt einen angemessenen Ausgleich dar, in dem sie festlegt, welche öffentlich-rechtlichen Telemedienangebote zulässig sind und welche nicht, weil sie den Angeboten der Presse zu ähnlich sind. Ob ein konkretes Angebot presseähnlich ist, ist eine Frage des Einzelfalls und zunächst zwischen den Akteuren zu klären. Der Staatsvertrag sieht hierzu die Einrichtung einer Schlichtungsstelle vor, in der Auslegungsfragen zur Presseähnlichkeit schon im Vorfeld geklärt und somit Rechtsstreitigkeiten vermieden werden können. Diese Schlichtungsstelle nutzen die Verleger und die öffentlich-rechtlichen Anstalten inzwischen ja auch.  Ich halte es im Hinblick auf die zügige technische Entwicklung digitaler Medien auch für richtig, eher den Rahmen vorzugeben und durch entsprechende Verfahrensregelungen – wie einem institutionalisierten Schiedsverfahren – diesen flexibel zu konkretisieren. Die Praxis hat allerdings auch gezeigt, dass damit leider nicht alle Streitigkeiten immer erledigt werden können. Natürlich überprüft aber auch die Rundfunkkommission ständig beschlossene Regelungen auf ihre Tauglichkeit.

Wir alle wissen aber auch, dass auf diesem Weg keine schnelle Einigung zu erreichen ist. Deshalb sind öffentlich-rechtliche und private Anbieter gefordert, zu einem vernünftigen Ausgleich zu kommen. Insbesondere in Richtung der öffentlich-rechtlichen Anstalten ist daher daran zu erinnern, dass es nicht klug sein muss, jede rechtliche Möglichkeit auch faktisch zu nutzen, wenn einem das duale System am Herzen liegt.

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