Von Helmut Hartung, Chefredakteur von medienpolitik.net
Selbst wenn man sich jahrelang mit Medienpolitik und vor allem der Situation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks befasst, wie ich, kann man noch viel lernen. Denn bekanntlich ändert sich gegenwärtig die Medienwelt und es ist nicht einfach, darauf die richtigen Antworten zu geben. Doch das, was Dr. Norbert Himmler, Intendant des ZDF, in zahlreichen Interviews und Statements in den letzten Tagen und Wochen an Argumenten und Informationen liefert, ist nicht dazu geeignet, den Medienwandel zu verstehen und plausible Erklärungen für Veränderungen zu finden. Auch eine ständige Wiederholung der gleichen Aussagen ändert daran nichts. So hat Himmler in einem ausführlichen Interview mit dem Branchendienst DWDL erneut die Auffassung bekräftigt, dass alle Überlegungen und Forderungen der Öffentlichkeit und der Rundfunkkommission der Länder ausschließlich die ARD beträfen, nicht aber das ZDF. Was für ein Irrtum.
Die Länder erwarten übereinstimmend, so haben sie es in Deidesheim erst vor wenigen Tagen formuliert, „erhöhte Anstrengungen der Anstalten und ihrer Gremien, um den bereits angestoßenen Reformprozess aktiv voranzutreiben und konstruktiv fortzusetzen". Die Antwort von Norbert Himmler: „Wir haben unsere Effizienz bewiesen. Trotz Beitragsstabilität in den letzten zehn Jahren haben wir uns stetig weiterentwickelt und die Herausforderungen angenommen. Wir haben uns modernisiert und im Angebot diversifiziert." So vermittelt der Chef der größten öffentlich-rechtlichen Anstalt, sehr selbstbewusst den Eindruck, als gehen die Forderungen nach einer Reform des öffentlich-rechtlichen System das ZDF nichts an. Aber selbstverständlich sind die Aufforderungen der Rundfunkkommission im Beschluss vom 20. Januar 2023 an ARD, ZDF und Deutschlandradio gerichtet. So hatte sie bereits am 22. September 2022 festgestellt: „Die sorgsame, verantwortungsvolle und transparente Verwendung von Beitragsmitteln ist eine Grundlage für die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Ergänzend braucht es finanzwirksame Selbstverpflichtungserklärungen der Sender."
Und im Januar bekräftigten die für Medienpolitik Verantwortlichen der 16 Bundesländer: „Es besteht Einigkeit, dass jetzt der Reformprozess weitergeführt werden muss, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk inhaltlich, finanziell wie technisch zukunftsfest auszugestalten." In allen acht Punkten des Reformpapiers, das nach der Klausurtagung der Rundfunkkommission entstand, geht es um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als System und nicht nur um die ARD. Teilnehmer der Beratung vom 19. und 20. Januar berichteten, dass die Länder ganz bewusst das ZDF in die Strategieüberlegungen einbezogen haben und einige Staatskanzleichefs inzwischen von den Äußerungen des Intendanten, das ZDF hätte keine Reformen nötig, „genervt" seien.
Im DWDL-Interview hat Norbert Himmler unter hämischem Verweis auf das SAP-Projekt der ARD behauptet, dass das ZDF bei der Verwaltung nichts einsparen könne, „weil unsere Systeme seit Jahren funktionieren und die Verwaltung schon einheitlich und schlank aufgestellt ist." „Es gibt keinen Grund ein funktionsfähiges, effizientes und erfolgreiches System zu beschädigen", so Himmler wörtlich. Mit „System" ist natürlich das ZDF gemeint und mit „beschädigen" mögliche Reformen, damit der öffentlich-rechtliche Rundfunk und der erforderliche Beitrag wieder eine größere Akzeptanz finden.
Als die ARD 2017 die Neuausrichtung auf eine einheitliche Verwaltungssoftware für alle neun Anstalten beschloss, wurde auch das ZDF gefragt, ob es sich beteiligen wolle. Das lehnte ab, da man sowieso schon besser aufgestellt sei, so war zu hören. Eine einheitliche Verwaltungssoftware für ARD und ZDF würde die Kooperation und Zusammenarbeit natürlich erleichtern, aber daran hat die Mainzer-Anstalt anscheinend kein Interesse. „Anstaltsübergreifende Zusammenarbeit muss der Regelfall werden. Darüber hinaus sollen die Anstalten ein gemeinsames und einheitliches Controlling-System zur Steigerung der Ressourceneffizienz erarbeiten", fordern die Länder sowohl von ARD, ZDF und Deutschlandradio. Als das ZDF 2019 das Mediatheken-Angebot ZDFkultur startete, wollte sich die ARD daran beteiligen, aber der ZDF-Fernsehrat soll diese Kooperation blockiert haben.
„Selbstverständlich sind die Aufforderungen der Rundfunkkommission im Beschluss vom 27. Januar 2023 an ARD, ZDF und Deutschlandradio gerichtet."
„Die Anstalten sollen die programmliche sowie die verwaltungsmäßige Zusammenarbeit (sogenannte ‚shared services') deutlich ausbauen. Bestehende Strukturen sollen durch Kompetenzzentren ersetzt und Mehrfachstrukturen abgebaut werden sowie Mantelprogramme unter Berücksichtigung der regionalen Vielfalt konzipiert werden", so die Festlegung im aktuellen Beschluss der Rundfunkkommission. Dazu fällt dem ZDF-Intendanten im DWDL-Interview nur ein: „Wenn es um die Strukturen geht, halte ich das für eine Frage, die sich in erster Linie an die ARD richtet. Das ZDF als nationaler Sender erfüllt seinen Auftrag mit hoher Effizienz, daher ist die Forderung nach dem Abbau von Doppelstrukturen sicher nicht an uns gerichtet." Nun hat der Landesrechnungshof von Rheinland-Pfalz in einer Untersuchung kritisch festgestellt, dass es beispielsweise bei den Auslandsstudios von ARD und ZDF durchaus Doppelstrukturen gäbe. Die Mainzer Anstalt finanziere für jährlich 30 Millionen Euro 19 Auslandsstudios, Außenstellen, Korrespondentenstellen und Büros. An diesen 19 Standorten unterhält auch die ARD Auslandseinrichtungen. Möglichkeiten der Zusammenarbeit, konstatiert der Rechnungshof, wurden bisher kaum genutzt. Er empfiehlt deshalb, die Kooperationen unter den öffentlich-rechtlichen Anstalten auszubauen, damit die Infrastruktur in den Auslandsstudios sowohl vom ZDF als auch von der ARD eingesetzt werden könne.
Der ZDF-Intendant verweist auf Mehrkosten durch Corona-Pandemie und Inflation. Kosten, die auch die ARD trägt. Die KEF hat jedoch betont, dass sie die Kostenentwicklung über einen längeren Zeitraum betrachte, Einsparungspotenzial sehe und auch das ZDF mehr Beitragseinnahmen eingenommen habe, als für die Erfüllung des Auftrages notwendig sei. Das ZDF hat 2021 von den knapp 8,5 Milliarden Euro Rundfunkbeitrag, 2,12 Milliarden erhalten. Um vier Prozent sind die Einnahmen des gemeinsamen Beitragsservices im Vergleich 2020 gestiegen. Auch für das ZDF. Diese Mehreinnahmen müssen beim ZDF, wie bei allen Anstalten, auf einem Sonderkonto geparkt und von der KEF für den Beitrag ab 2025 verrechnet werden.
„Bekanntlich scheut das Zweite Deutsche Fernsehen jeden Ansatz für ein gemeinsames öffentlich-rechtliches Angebot wie der Teufel das Weihwasser."
Bekanntlich scheut das Zweite Deutsche Fernsehen jeden Ansatz für ein gemeinsames öffentlich-rechtliches Angebot wie der Teufel das Weihwasser. Als vor Jahren bereits die Idee einer gemeinsamen Plattform von ARD und ZDF aufkam, wich man in Mainz auf ein „Netzwerk" aus. So wurde dieser Punkt im Entwurf des Dritten Medienänderungsstaatsvertrages entsprechend weich formuliert. Jetzt haben sich die Länder jedoch selbst korrigiert und fordern mittelfristig – also bis 2030 – „die Weiterentwicklung zu einer gemeinsamen öffentlich-rechtlichen Plattform". Auch wenn die Länder noch das unnötige Zugeständnis machen, dass das unter Beibehaltung des publizistischen Wettbewerbs erfolgen soll. Dieser Einschub kommt Himmler im DWDL-Interview sehr gelegen, um eine gemeinsam Plattform wie bisher abzulehnen, da eine Mediathek ein eigenes, publizistisch kuratiertes Angebot sei. So wie „heute journal" und „Tagesthemen" die Themen unterschiedlich gewichteten und aufbereiten, sei auch die Positionierung in der Mediathek eine publizistische Entscheidung. Die können wir nicht aus der Hand geben; da würde Vielfalt verloren gehen."
Dummerweise sieht aber das Bundesverfassungsgericht die Frage des „Wettbewerbs" ein wenig anders, indem die Karlsruher Richter in ihrer Urteilsbegründung vom 20. Juli 2021 den Wettbewerb des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit den privaten Anbietern im Auge haben. „Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk kommt im Rahmen der dualen Rundfunkordnung, das heißt im Nebeneinander von öffentlich-rechtlichem und privatwirtschaftlichem Rundfunk, die Erfüllung des klassischen Funktionsauftrags der Rundfunkberichterstattung zu. Er hat die Aufgabe, als Gegengewicht zu den privaten Rundfunkanbietern ein Leistungsangebot hervorzubringen, das einer anderen Entscheidungsrationalität als der der ökonomischen Anreize folgt und damit eigene Möglichkeiten der Programmgestaltung eröffnet", so dass Bundesverfassungsgericht.
Und im Dezember sagte der ZDF-Intendant gegenüber dpa: „Stellen Sie sich vor, wir hätten nur noch eine öffentlich-rechtliche Nachrichtensendung in Deutschland oder nur noch von einem Sender Wahlberichterstattung. Das wäre eine Machtkonzentration in einer Hand, die gerade in Zeiten, in denen gefordert wird, dass Macht möglichst verteilt sein sollte, wirklich falsch ist." Anscheinend sieht Himmler die Gefahr, dass ARD oder ZDF eine vorherrschende Meinungsmacht erreichen könnten. Abstruser, geht eine Argumentation, die sich gegen eine grundlegende und notwendige Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks richtet, wohl kaum.
Die Rundfunkkommission der Länder hat mit der Konferenz in Deidesheim endlich eine Strategie für eine Reform beschlossen, die – wenn sie konsequent mit konkreten Schritten untersetzt wird – bis Ende dieses Jahrzehnts den öffentlich-rechtlichen Rundfunk so umbaut, dass er mit effektiveren Strukturen, weniger Personal und geringeren Kosten seinen gesellschaftlichen Auftrag, der sich auch verändern muss, erfüllen kann. Die ARD hat mit ihren jüngsten Ankündigungen gezeigt, dass sie reformwillig ist. Wie reformfähig, muss sich zeigen. Ähnliche Initiativen gibt es vom ZDF bisher nicht. Selbstgefälligkeit ist jedoch erfahrungsgemäß die falsche Position, wenn man sich verändern muss, weil die Rahmenbedingungen im Umbruch sind. Im Moment entsteht allerdings der Eindruck, dass man in der Mainzer Anstalt glaubt, sich in einem medienpolitischen Freiraum zu bewegen. Das wäre allerdings fatal. Das öffentlich-rechtliche System lässt sich nur als Ganzes reformieren. Wenn das nicht gelingt, helfen alle Bekundungen, wie wichtig es für unsere demokratische Grundordnung sei, auch nicht weiter.