Von Rechtsanwalt Helmut G. Bauer
„Das Radio gilt als Nebenbeimedium, weil es in der Regel leicht im Hintergrund wahrgenommen wird und man es oft nebenbei hört, während man andere Tätigkeiten ausführt", so ChatGPT. Das scheint auch in der Medienpolitik so zu sein. Ihre Aufmerksamkeit gehört dem Fernsehen und dem Internet. Im Zusammenhang mit der Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird derzeit allenfalls über die Anzahl der öffentlich-rechtlichen Radioprogramme diskutiert. Obwohl täglich 52,6 Millionen Menschen Radio hören und der Hörfunk eine hohe Relevanz für die Meinungsbildung hat, gibt es keine gemeinsame Vorstellung der Länder oder gar einen Aktionsplan, wie die Hörfunklandschaft in Zukunft aussehen soll. Jedes Bundesland beschäftigt sich mehr oder weniger mit Hörfunk. Dies gilt insbesondere für DAB+, das sich als ein weiterer Verbreitungsweg für den terrestrischen Hörfunk etabliert hat. Die Argumente für und gegen diesen digitalen Verbreitungsweg sind ausgetauscht. Noch ist offen, ob UKW und DAB+ in Zukunft nebeneinander existieren sollen oder wann DAB+ UKW ablösen und wie dieser Übergang aussehen soll.
Unterschiedliche Standpunkte zu DAB+
Die Auffassungen über die Zukunft von DAB+ gehen nach wie vor auseinander. Auf der einen Seite sehen private und auch öffentlich-rechtliche Veranstalter in DAB+ nur eine Übergangstechnologie, bis alle Radioprogramme über das Internet überall, mobil und stationär verfügbar sind. Dabei ist ihnen bekannt, dass der Ausbau der Mobilfunknetze anderen Kriterien folgt wie der der Rundfunknetze. Viele Radiounternehmen befürchten eine schnelle Abschaltung von UKW, um DAB+ mit Gewalt durchzusetzen. Sie weisen zu Recht darauf hin, dass die Zahl der verfügbaren digitalen Endgeräte noch nicht ausreicht, um eine mit UKW vergleichbare Nutzung zu erreichen. Die werbefinanzierten Veranstalter betonen, dass die Einnahmen aus der UKW-Werbung für sie unverzichtbar sind, um ein Engagement in DAB+ zu finanzieren. Trotz ihrer Skepsis beteiligen sich viele an DAB+, weil sie es medienpolitisch für opportun halten. Sie wollen den Anschluss nicht verpassen, sollte sich DAB+ als Distributionsweg durchsetzen. In der politischen Diskussion treten sie eher für eine evolutionäre Entwicklung von DAB+ ein, um ihre UKW-Marktposition in ihren angestammten Verbreitungsgebieten möglichst lange zu sichern. Folgerichtig beteiligen sie sich in der Regel nicht aktiv an der Vermarktung von DAB+, sondern warten ab.
Auf der anderen Seite stehen Radioveranstalter, die in DAB+ die Chance sehen, die Frequenzknappheit bei UKW zu überwinden, neue Programme terrestrisch auszustrahlen und erstmals auch bundesweit zu verbreiten. Diese Radioveranstalter werben für ihre Programme und für den Kauf von DAB+-Empfängern. Soweit sie auch UKW-Programme veranstalten, fordern sie von der Politik Klarheit, was mit zugunsten von DAB+ aufgegebenen UKW-Frequenzen passiert.
Die Medienanstalten entwickeln DAB+ im Rahmen ihrer rechtlichen Möglichkeiten mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Die Haltung der Länder zu DAB+ ist indifferent, obwohl noch viele Fragen offen sind. Digitaler Hörfunk steht nicht ganz oben auf ihrer Agenda. Davon profitieren vor allem die großen landesweiten Rundfunkunternehmen, die die Mehrkosten einer DAB+-Verbreitung tragen können und mit neuen DAB+ Programmen in fremden Verbreitungsgebieten in den Wettbewerb eintreten. Kleinere und lokale Veranstalter geraten dadurch unter Druck, insbesondere angesichts der aktuellen Werbeflaute, da ihnen die finanziellen Mittel fehlen, um gegenzuhalten. Dadurch steigt die Gefahr von Insolvenzen und es droht der Verlust von Vielfalt. Gleichzeitig nutzen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die ihnen derzeit noch zur Verfügung stehenden Rundfunkbeiträge, um ihre DAB+- Sendernetze auszubauen. Positiv ist, dass dadurch DAB+ Programme auch in Gebieten empfangen werden können, die für private Veranstalter nicht oder noch nicht attraktiv sind. Die negative Seite ist, dass sich die öffentlich-rechtlichen Sender damit einen Wettbewerbsvorteil verschaffen können. Um mit den Rundfunkanstalten gleichziehen zu können, fordern private Veranstalter eine öffentliche Förderung ihrer DAB+-Netze. Auch wenn UKW nach wie vor der reichweitenstärkste Verbreitungsweg ist, zeigen die Erfahrungen u.a. in Norwegen, der Schweiz oder Großbritannien, dass die digitale Radionutzung über DAB+ und Internet die analoge Verbreitung ersetzen kann. Verbraucher wechseln zu DAB+, wenn sie insbesondere den Mehrwert zusätzlicher Programme erfahren haben.
Regelungsbedarf
Die aktuelle Situation verunsichert öffentlich-rechtliche und private Veranstalter, aber auch die Netzbetreiber. Sie brauchen Planungssicherheit, welche terrestrischen Verbreitungswege langfristig zur Verfügung stehen. Sie müssen über Ersatzinvestitionen in UKW-Senderstandorte oder den Ausbau ihrer DAB+ Netze entscheiden, ohne zu wissen, wie es medienpolitisch weitergeht. Die öffentlich-rechtlichen Sender stehen unter Druck, weil die KEF die Verbreitungskosten für UKW und DAB+ künftig nicht mehr trennt, sondern zusammen ausweist. Für den Parallelbetrieb von UKW und DAB+ reichen die vorgesehenen Mittel ab 2029 nicht mehr aus. Die KEF hat in der Vergangenheit immer wieder ein Konzept der Länder und des Bundes zur UKW-Abschaltung gefordert und mit dem Stopp der Finanzierung von DAB+ gedroht. Dennoch hat sie immer wieder Mittel für den weiteren DAB+-Ausbau akzeptiert. Angesichts der Diskussion um den Rundfunkbeitrag ist nicht zu erwarten, dass die neu zusammengesetzte KEF nochmals zusätzliche Mittel für DAB+ bewilligen wird.
Auch wenn es in verschiedenen Mediengesetzen und im Medienstaatsvertrag bereits einzelne Regelungen zu DAB+ gibt, lässt sich daraus nicht ableiten, ob DAB+ UKW langfristig ablösen wird und wie dies geschehen soll. Ein bundesweites festes UKW-Abschaltdatum wie früher im Telekommunikationsgesetz (§ 63 Abs. 5 TKG 2011) und aktuell in Sachsen (§ 4 SächsPRG) und Sachsen-Anhalt (§ 34 MedienG LSA) erscheint als klare Regelung. Sie wäre aber nicht ausreichend, wie das Aufheben des UKW-Abschaltdatums im TKG im Jahr 2011 oder die Verschiebung in Sachsen-Anhalt und Sachsen zeigen, wenn die notwendigen Rahmenbedingungen fehlen. Auch wenn die Länder sich mit den meisten Hörfunkveranstaltern einig sind, dass es zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein Abschaltdatum geben soll, ist eine digitale Hörfunkordnung unverzichtbar.
Radio digital denken
Die Medienpolitik zu DAB+ orientiert sich in der Regel noch an der UKW-Welt und wird den technischen Möglichkeiten von DAB+ nicht gerecht. Das wird zu beraten sein, wenn sich die Rundfunkkommission mit dem Thema „Digitale Transformation gestalten und Qualität stärken" befassen wird, das sie auf ihrer Klausurtagung zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Januar 2023 als wichtig identifiziert hat. Medienpolitisch ist dabei die Zuordnung der Multiplexe neu zu diskutieren. Der WDR nutzt beispielsweise einen Multiplex, um unter anderem alle seine regionalisierten WDR2 Programme landesweit parallel auszustrahlen, obwohl sich die Programme werktags nur zwölfmal für wenige Minuten bei den Lokalnachrichten unterscheiden. Um das auch bei WDR 4 umzusetzen, reichen die Kapazitäten des einen Multiplexes aus Sicht des WDR nicht aus. Statt wie die privaten Radioveranstalter die Übertragungskapazitäten ressourcenschonend und damit kostengünstiger durch eine „dynamischen Rekonfiguration" aufzuteilen, will der WDR dafür einen weiteren landesweiten Multiplex nutzen. Da die Zahl der Multiplexe begrenzt ist, könnte er damit gleichzeitig Übertragungskapazitäten für private Veranstalter blockieren und weiteren Wettbewerb verhindern. Dies könnte in NRW auch im Interesse des Lokalfunks sein, da auch ihm weitere Programme privater Veranstalter erspart blieben.
Ein weiterer Aspekt sind öffentlich-rechtliche Multiplexe, die nicht vollständig mit eigenen Programmen belegt sind und in denen freie Kapazitäten an private Veranstalter untervermietet werden, wie es z.B. der SWR in Rheinland-Pfalz macht. In der Startphase war das eine willkommene Möglichkeit für eine schnelle Verbreitung von DAB+ Programmen. Auch in der Zukunft kann dies aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und des ressourcenschonenden Umgangs mit Übertragungskapazitäten sinnvoll sein. Voraussetzung ist eine klare medienrechtliche Festlegung, wie sie beispielsweise im Medienstaatsvertrag für den ersten bundesweiten Multiplex bei der Aufteilung der Kapazitäten zwischen dem Deutschlandradio und den privaten Veranstaltern getroffen wurde (§ 29 und § 102 MStV). Freie Kapazitäten müssten dann nach den landesüblichen Verfahren an private Veranstalter vergeben werden und nicht durch die Rundfunkanstalt. Denkbar ist auch der Einsatz von Plattformbetreibern. Die Medienpolitik ist gefordert, sich mit den technischen Möglichkeiten eines Multiplexes auseinanderzusetzen und gegebenenfalls die gesetzlichen Regelungen anzupassen. DAB+ ist kein digitalisierter UKW-Hörfunk. Es ist ein neuer Standard mit neuen Möglichkeiten. Derzeit besteht die Gefahr, dass sich die UKW-Strukturen digital verfestigen.
In den vergangenen Jahren haben private und öffentlich-rechtliche Radioveranstalter UKW-Frequenzen zugunsten von DAB+ aufgegeben. Dabei handelte es sich um leistungsschwache Sender, deren Verbreitungsgebiete mit DAB+ gut versorgt werden konnten. Die Veranstalter scheuen sich, leistungsstarke UKW-Frequenzen aufzugeben, weil sie nicht wissen, ob die Frequenzen dann an ihre Wettbewerber vergeben werden und damit UKW verlängert wird. Die Mediengesetze in Sachsen (§ 5 SächsPRG) und Sachsen-Anhalt (§ 34 MedienG LSA) enthalten auch in diesem Bereich Regelungen. Eine Nachnutzung ist nur in Ausnahmefällen zulässig. In der Radiobranche besteht Einigkeit, dass frei werdende UKW-Frequenzen nicht für neue Programme vergeben werden sollen. Umstritten ist, ob sie noch zur Schließung von UKW-Versorgungslücken eingesetzt werden können. Auch in diesem Punkt gibt es keine gemeinsame Auffassung der Länder. Der Bund hat bereits im Telekommunikationsgesetz (§ 89 Abs. 1 TKG) die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, um eine Entscheidung der Länder in einer Frequenzverordnung abzusichern. Vereinzelt wird von privaten Veranstaltern spekuliert, dass ihnen frei werdende Frequenzen zufallen könnten, wenn die Rundfunkanstalten aus Kostengründen gezwungen wären, reichweitenstarke Frequenzen aufzugeben. Sie würden dann zusätzliche Programme über UKW anbieten.
Neue Radiogeräte
Eine Herausforderung von DAB+ ist die Ausstattung der Haushalte mit ausreichend vielen Radiogeräten. Auch wenn die Zahl der DAB+ Radiogeräte kontinuierlich steigt und in allen neuen PKW mit Radio DAB+-eingebaut sein muss, verläuft die Entwicklung langsam. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass sich DAB+ nicht durchsetzen wird. Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass die Zahl der digitalen Empfangsgeräte und die Akzeptanz schnell steigen, wenn kommuniziert wird, dass die analoge Verbreitung eingestellt werden wird. Beides steigt umso schneller, je konkreter die Abschaltung ist und je näher der Abschalttermin rückt. Die Abschaltung von Verbreitungswegen ist nichts Ungewöhnliches. Im Hörfunk betraf dies die Mittel- und die Langwelle; im Fernsehen wurden beispielsweise die analoge und dann auch die digitale Übertragung über DVB-T eingestellt und durch DVB-T2 ersetzt.
Mut zur Entscheidung
Trotz unterschiedlicher Hörfunklandschaften müssen die Länder gemeinsam entscheiden, wie es mit dem Hörfunk weitergehen soll. Ein Parallelbetrieb ist mit hohen Kosten und einem nicht zu unterschätzenden Energieaufwand verbunden. Wenn die Länder der Auffassung sind, dass sie die notwendigen Rahmenbedingungen für DAB+ bereits geschaffen haben und der Hörfunk sich nun selbst weiterentwickeln soll, müssen sie dies aktiv kommunizieren, damit sich die Veranstalter darauf einstellen können. Die Gegenposition wäre ein fixes Abschaltdatum für alle UKW-Frequenzen. Ein Mittelweg und eine Minimallösung wäre eine Regelung in allen Mediengesetzen, dass frei werdende UKW-Frequenzen grundsätzlich nicht mehr neu vergeben werden. Schon die genannten Beispiele zeigen, dass für eine digitale Hörfunkordnung noch viele Fragen beantwortet werden müssen, wenn die Länder die digitale Transformation des Hörfunks wirklich wollen. Die Rundfunkkommission muss dazu klare Beschlüsse mit konkreten Zeitvorgaben fassen, die dann in den Mediengesetzen umgesetzt werden.
Angesichts der breiten Diskussion um die Reform der Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks muss realistischerweise eingeräumt werden, dass die Länder derzeit nicht die Kapazitäten haben, sich auch noch um den Hörfunk zu kümmern, um solche Beschlüsse vorzubereiten. Gleichwohl besteht Handlungsbedarf. Die Rundfunkkommission sollte daher die Bedarfsträger (Rundfunkanstalten und Landesmedienanstalten) auffordern, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Konzept und einen Zeitplan für die Transformation des Hörfunks vorzulegen. Norwegen und die Schweiz zeigen, dass ein mit vielen Marktteilnehmern abgestimmter Migrationsplan der beste Weg ist. Damit die Marktteilnehmer die Politik ernst nehmen und konstruktiv mitarbeiten, ist in diesem Zusammenhang ein klares Bekenntnis aller Länder zum digitalen Hörfunk von entscheidender Bedeutung. Dabei können die Beteiligten auf die Arbeit des „Digitalradio Board" unter Leitung von Heike Raab, Koordinatorin der Rundfunkpolitik der Länder und Staatssekretärin für Medien in Rheinland-Pfalz, aufbauen.