Die Anstalten sind laut Auftrag keine Kulturveranstalter

31. August 2023
Helmut Hartung promedia Verlag Chefredakteur
Helmut Hartung promedia Verlag Chefredakteur
Über den kulturellen Beitrag der ARD muss ehrlich befunden werden

Von Helmut Hartung, Chefredakteur medienpolitik.net

 

Die Diskussion über Reformen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kommt jetzt in eine wichtige Phase. Im September wollen die ARD-Intendanten ihre Pläne für programmliche Kooperationen, die Vermeidung von Doppelangeboten und Bündelung von Kompetenzen vorlegen. Zudem berät im nächsten Monat die Rundfunkkommission der Länder über weitere Strukturveränderungen und Regulierungen, die im Fünften Medienänderungsstaatsvertrag verankert werden sollen. Für den Rundfunkbeitrag ab 2025 ist entscheidend, dass diese Vorhaben und Gesetzesänderungen konkret, abrechenbar und überprüfbar sind. Nur Reformvorhaben, die mit einem „Preisschild“ versehen sind, wie es der Staatskanzleichef Sachsens, Oliver Schenk, nannte, können noch beitragsrelevant werden. Der Herbst ist aber auch die Zeit, sich in dieser Debatte endlich ehrlich zu machen. Das betrifft, die Sender, die Politik, die Medien und die Öffentlichkeit. Es muss festgeschrieben werden, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit einem stabilen oder langfristig sinkenden Etat leisten muss und was nicht, wovon er sich trennen und wo er sein Angebot verändern soll. Die Grundlage dafür muss sein Programmauftrag sein, der sich am gesellschaftlich Notwendigen orientiert.

In seiner Hamburger Rede am 2. November 2022 sagte Tom Buhrow, WDR-Intendant und damals amtierender ARD-Vorsitzender: „Wenn wir jetzt nicht verantwortungsvoll und ehrlich einen Neuanfang machen, wird es schlimmstenfalls keinen Neuanfang geben.“ Damit spielte er auf die für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk katastrophalen Folgen der Beitragsverschwendung und Misswirtschaft im RBB an. An dieser Grundeinschätzung hat sich auch nach fast einem Jahr nichts geändert. Im Gegenteil: Das Stimmungsbild in der Gesellschaft gegenüber dem öffentlich-rechtlichen System ist negativer geworden, das Misstrauen gegenüber der Berichterstattung ist gewachsen und eine deutliche Mehrheit spricht sich gegen eine mögliche Gebührenanpassung ab 2025 aus. Die Reformvorhaben der Sender selbst sind mehr als vage und die Rundfunkkommission der Länder hofft darauf, dass der Zukunftsrat noch rechtzeitig die rettenden Eingebungen hat. Von einem „Neuanfang“ kann also noch keine Rede sein, bestenfalls von ersten Ansätzen, wie jetzt beim Entwurf des RBB-Staatsvertrages. Mit seinen weitreichenden Regulierungen könnte er zusammen mit dem Gesetz zum Saarländischen Rundfunk Maßstab für andere Landesrundfunkgesetze sein. Zum ehrlichen Neuanfang gehört auch, das kulturelle Engagement des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu hinterfragen. Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass die ARD ihre Umlage für den ARD-Musikwettbewerb, der junge Spitzenmusiker aus aller Welt zusammenführt, ab 2025 von zurzeit jährlich 740.000 Euro um 50 Prozent auf dann 370.000 Euro kürzt. Die weitere Finanzierung über 2025 hinaus ist noch ungeklärt. Der Bayerische Rundfunk (BR), der die Veranstaltung seit 1952 federführend ausrichtet, will seinen Beitrag erhöhen, um die Reduzierung der ARD-Mittel zum Teil auszugleichen. Zudem wolle man auf Sponsoren zugehen. Der BR kalkuliert die Kosten für den Wettbewerb für dieses und das kommende Jahr mit jeweils eine Million Euro.

Der Deutsche Musikrat fordert die ARD auf, die Fortführung des ARD-Musikwettbewerbs durch eine „angemessene und dauerhafte Finanzierung“ zu gewährleisten. Die angekündigte Halbierung der ARD-Umlage für den Wettbewerb drohe das über sieben Jahrzehnte gewachsene Renommee der Begegnung zu verspielen, betonte der Generalsekretär des Musikrats, Christian Höppner. Zugleich sagt er: „Die Intendantinnen und Intendanten brauchen endlich den Mut zur Prioritätensetzung – Kultur und unabhängiger Qualitätsjournalismus gehören zu den Kernaufgaben.“ Hier irrt Herr Höppner. Der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks lautet: „Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist, durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen.“ Weiter heißt es im Medienstaatsvertrag: „Die Finanzausstattung hat den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in die Lage zu versetzen, seine verfassungsmäßigen und gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen; sie hat insbesondere den Bestand und die Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu gewährleisten.“ Das heißt, der Rundfunkbeitrag ist für die Erfüllung des Programmauftrages gedacht. So sieht auch das Bundesverfassungsgericht eine „bedarfsgerechte“ Finanzierung. Wenn Herr Höppner davon spricht, dass Kultur zu den Kernaufgaben gehört, ist auch das nicht ganz richtig: Kultur im Programm gehört zu den Kernaufgaben. Der Auftrag der ARD besteht nicht darin Kulturveranstalter zu sein. Dazu heißt es ebenfalls im Medienstaatsvertrag: „Die öffentlich-rechtlichen Angebote haben der Kultur, Bildung, Information und Beratung zu dienen.“

„Die Organisation kultureller Events ist nicht Teil des Auftrages.“

Sicher hatte Tom Buhrows Frage in Hamburg nach der Notwendigkeit eigener ARD-Orchester auch den Hintergrund, die Länder bei den Beitragsüberlegungen gnädig zu stimmen. Er formulierte damals: „Die ARD unterhält 16 Ensembles: Orchester, Big Bands, Chöre. Etwa 2000 Menschen, fast alle fest angestellt. Obwohl die zu den Besten ihrer Zunft gehören – wir können auch hier der Frage nicht ausweichen: Wollen die Beitragszahler das? Wollen sie es in dieser Größenordnung? Oder wollen sie ein Best-of? Das beste Sinfonieorchester, den besten Chor, die beste Big Band, das beste Funkhausorchester?“ Es ist eine Tatsache, dass diese Orchester, Chöre und Big Bands hohe Qualität bieten und mit zu den führenden Musikinstitutionen in unserem Land zählen. Für die Musikkultur Deutschlands wäre es ein Verlust, wenn es sie nicht mehr gebe. Von den momentan monatlich 18,36 Euro pro Haushalt werden jedoch jeweils 36 Cent zu diesem Zwecke verwendet. 36 Cent, die dem Programm fehlen und eine Erhöhung der Gebühr verhindern könnten. Es sind aber nicht nur die Chöre und Orchester, die vom Rundfunkbeitrag finanziert werden, es sind auch viele Musikfestivals, Wettbewerbe und Bildersammlungen, die ARD-Anstalten organisieren und finanzieren. So befinden sich Hunderte Gemälde, Zeichnungen und Grafiken, durchaus von beachtlichem Wert, in Büros oder Depots des Bayerischen Rundfunks, des Hessischen Rundfunks, des WDR, des RBB und des ZDF. Einige davon hatte der WDR vor einigen Jahren für ca. 3 Millionen Euro versteigern lassen. Sicher würde der Verkauf aller Originale, die Einstellung des kulturellen Engagements des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nur einen kleineren Teil der notwendigen Einsparungen erbringen. Der entscheidende, weil er von langfristiger Wirkung ist, muss über die Reformen kommen. Die eigenen Orchester und nicht programmbezogenen kulturellen Aktivitäten tragen auch zu einem positiven Bild in der Öffentlichkeit und zur Zuschauer- und Hörerbindung bei. Aber es geht auch bei diesem Reizthema um die sachgerechte Verwendung des Beitrages. Die Organisation kultureller Events ist nicht Teil des Auftrages.

So wie sich die Mediennutzung gewandelt hat, haben sich auch die gesellschaftlichen Erwartungen an das Kulturengagement des öffentlich-rechtlichen Systems verändert. Dessen Orchester wurden nach dem Zweiten Weltkrieg unter anderen Rahmenbedingungen gegründet. Sie sollten unter anderem das Programm mit Aufnahmen füllen, Interessen von Minderheiten berücksichtigen, einen zentralen Kultur- und Bildungsauftrag erfüllen, ebenso wie andere Redaktionen ihren Informationsauftrag. In den 1950er- und 1960er-Jahren verstanden sich öffentlich-rechtliche Sendeanstalten oft als „Kulturträger in weitesten Sinne“. So entstanden die Kunstsammlungen. Doch die Zeiten haben sich geändert. In Musikmetropolen wie München, Hamburg, Berlin, Köln oder Leipzig gehören die professionellen Musiker des BR, NDR, MDR oder WDR heute zu den Größten der Branche, wie die staatlich finanzierten Klangkörper. Die Programme ähneln sich und für Musikaufnahmen im Studio werden sie nicht mehr benötigt.

Angesichts der finanziellen Situation in den Kommunen wehren sich die Länder gegen Überlegungen, den Kulturauftrag in die regionale Verpflichtung zu übernehmen, obwohl die Verfassung den Ländern die Kompetenz für diesen Bereich eindeutig zuspricht. Bekanntlich, werden sie dieser Aufgabe immer weniger gerecht. Wenn die Länder die Finanzierung und Verantwortung der nicht programmbezogenen kulturellen Aktivitäten weiterhin bei den Anstalten sehen, muss das auch im Auftrag stehen und es muss sich sowohl bei der Bedarfsanmeldung als auch im Bericht der Beitragskommission KEF wiederfinden. Nur so kann es eine ehrliche Debatte über den Auftrag und die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geben.

 

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