
Von Prof. Dr. Karola Wille, MDR-Intendantin
In ihrer sehr persönlichen Abschiedsrede zum Ende ihrer zwölfjährigen Intendanz beim Mitteldeutschen Rundfunk (MDR), zog Prof. Dr. Karola Wille Bilanz und schrieb den öffentlich-rechtlichen Sendern auch ins Stammbuch, was noch zu leisten sei, um „ein Vertrauensanker und relevant für die Bürgerinnen und Bürger zu bleiben“. Mit Blick auf den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks forderte Wille, angesichts der populistischen Vereinfacher konsequent nach Vielfalt und Tiefe zu suchen: „Tiefe brauchen wir bei der Suche nach tragfähigen und nachhaltigen Antworten, auf welchen Feldern öffentlich-rechtliche Medienhäuser neu denken müssen, um unserer Verantwortung für die Qualität des Öffentlichen auch in einer digitalen Kommunikationswelt gerecht werden zu können.“ Nach Auffassung der MDR-Intendanten ist die Weichenstellung der ARD in Richtung eines regional verankerten Inhalte- und Kommunikationsnetzwerks zukunftsträchtig. Allerdings – so der Appell Willes - ein solches Netzwerk sei nur zukunftsfest, wenn die öffentlich-rechtlichen Sender respektvoll mit den vielfältiger gewordenen Meinungsspektren, den Werthaltungen und Lebensentwürfen der Menschen umgingen, den Dialog zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen unterstützen und dies alles auf Augenhöhe ohne meinungsstarkes Moralisieren. Hier Auszüge aus der Rede:
Symbolhafter und bewegender Abschied
Symbolhafter und bewegender könnte für mich dieser Moment des Abschieds nicht sein. Der 9. Oktober ist für viele Leipzigerinnen und Leipziger und für mich persönlich ein Tag, an dem Demokratiegeschichte geschrieben wurde. Die dramatischen Ereignisse dieses Tages, der Durchbruch einer friedlichen Revolution bewegen noch heute. Die dichte Menge von mutigen Bürgerinnen und Bürgern vereinte an diesem Abend ein großes Ziel: Freiheit, verbunden mit dem Streben nach einem offenen Land, nach Mündigkeit und einem selbstbestimmten Leben ohne Furcht. Und noch etwas forderten damals die Demonstrantinnen und Demonstranten unüberhörbar: Meinungsfreiheit, Freiheit der Presse, Freiheit der Medien. Nie hätte ich mir damals vorstellen können, bereits wenige Jahre später, ab Herbst 1991 und mit Personalnummer 70, eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt hier in Leipzig mit aufbauen, gestalten und zwei Jahrzehnte später sogar führen zu dürfen. Für mich ist das vorher Undenkbare Realität geworden. Was für ein Privileg und einmalige Chance, an der Spitze eines Medienhauses zu stehen, dessen Auftrag es ist, der freien Meinungs- und Willensbildung aller Bürgerinnen und Bürger in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zu dienen.
Die Erfahrung in einem untergegangenen Land hat Spuren und Erkenntnisse hinterlassen. Ich habe bis 1989 politisch gelenkten Staatsfunk mit seiner starken manipulativen Kraft selbst erfahren. Daher war und bin ich fasziniert von der wunderbaren Idee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: Einer offenen Gesellschaft zu dienen mit einem Forum, das den Zugang zu unabhängigen Informationen, zu einem offenen Austausch und zu freier Meinungsbildung, zu großer inhaltlicher Vielfalt und Teilhabe für alle Bürgerinnen und Bürger ermöglicht, und das zugleich von der Gesellschaft kontrolliert wird. Nämlich von Ihnen, den Mitgliedern von Rundfunkrat und Verwaltungsrat. Hier kommt die gesellschaftliche Verantwortung zum Tragen, und ich habe dieses Selbstverständnis in den Gremien stets sehr zu schätzen gewusst. Aus eigener persönlicher Erfahrung weiß ich, welche große Gefahr für eine Gesellschaft besteht, wenn gemeinwohlorientierte Medien nicht existieren. Wir kennen die mahnenden Worte, der von mir geschätzten Publizistin Hannah Arendt: „Der ideale Untertan totalitärer Herrschaft […sind] Menschen, für die der Unterschied zwischen Fakten und Fiktion, wahr und falsch, nicht länger existiert.“
Freiheit ist alles andere als selbstverständlich
Selbst die Rundfunkfreiheit ist – wie ich in den letzten fast drei Jahrzehnten erfahren habe – auch in einer freien Gesellschaft nicht selbstverständlich. Allein 10 Rundfunkurteile bzw. Rundfunkbeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts in meiner Zeit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk seit 1992 zeigen: Die Grundfesten müssen selbst höchstrichterlich immer wieder gesichert werden. Was für eine große, historische Errungenschaft, in einem demokratischen Rechtsstaat zu leben, der die Fundamente der Medienfreiheit sichert. Das mediale Klima ist in den zurückliegenden Jahren allerdings deutlich rauer geworden. Mich beschäftigt, wie schwer es im politischen Raum an verschiedenen Stellen geworden ist, die grundlegenden verfassungsrechtlichen Vorgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wach zu halten.
- Dass Entscheidungen Karlsruher Richter zur Rundfunkfreiheit als Demokratiedefizit kommentiert werden und Parteien den Rundfunkbeitrag als politisches Wahlkampfthema entdeckt haben.
- Dass Journalistinnen und Journalisten in ganz Deutschland auf Demonstrationen oder im Netz physisch und psychisch bedroht, sogar angegriffen werden, besorgt mich.
- Auch dass Deutschland seit diesem Jahr in der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit um weitere fünf Plätze nach hinten auf Rang 21 gefallen ist.
Der Wandel des medialen Klimas ist allerdings nicht nur ein nationales oder gar regionales Ereignis: Sturmböen fegen über ganz Europa. Etliche öffentlich-rechtliche Häuser vor allem in Ost- und Mitteleuropa haben errungene Freiheiten wieder verloren. „Journalisten sind zu Soldaten der Parteien, Zeitungen zum Anhängsel der Parteien“ geworden. Dieser beunruhigende Befund war vor wenigen Tagen hier in Leipzig auf der internationalen europäischen Public Value Konferenz des MDR zu hören.
Es geht dabei um eines der Fundamente unserer Demokratie. Es gibt keine moderne repräsentative Demokratie ohne freie und unabhängige Medien. Ich bin fest davon überzeugt, dass unsere demokratische Gesellschaft gerade jetzt und auch in Zukunft freie Medien, eine unabhängige Presse und einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der seinen gesellschaftlichen Auftrag mit bester Qualität erfüllt, braucht. Unsere Mitverantwortung für das Funktionieren unserer Demokratie und für den Zusammenhalt in unserem Land ist größer denn je. Die Erwartungen an uns sind groß und das zurecht. Die Erfüllung dieser Erwartungen erfordert Souveränität und Demut zugleich. Die Souveränität, die innere und äußere Freiheit des Rundfunks zu schützen und zu verteidigen, die Souveränität, sich nicht einschüchtern lassen und stets kritisch zu bleiben, dabei aber eine Haltung der stolzen Demut in Achtung vor den demokratischen Institutionen einzunehmen und vor allem für exzellenten Journalismus einzustehen. Im Strom der Veränderungen und angesichts der populistischen Vereinfacher sollten wir konsequent Vielfalt und Tiefe suchen. Tiefe brauchen wir auch bei der Suche nach tragfähigen und nachhaltigen Antworten, auf welchen Feldern öffentlich-rechtliche Medienhäuser neu denken müssen, um unserer Verantwortung für die Qualität des Öffentlichen auch in einer digitalen Kommunikationswelt gerecht werden zu können. Einer Welt, in der globale Plattformen mit ihrer unerbitterlichen Netzwerklogik eine nie gekannte Wirkmacht erreicht haben. Und, in der Desinformationen und Fake-News das Internet tagtäglich fluten. Ja, wir brauchen eine offene, kreative Reformdebatte, wie ein zukunftsfester und zeitgemäßer öffentlich-rechtlicher Rundfunk ausgestaltet sein muss, der von der Gesellschaft getragen und gewollt ist. Welche Innovation brauchen wir für die öffentliche Meinungsbildung im Digitalen? Wie bringt man Fakten, Wahrheit den Menschen nahe, wenn die Gefahr droht, dass uns etwas abhanden kommt, was wir spätestens seit der Aufklärung in freien Gesellschaften für selbstverständlich gehalten haben: Den Geltungsanspruch der Wahrheit durch belegbare Tatsachen.
Positive publizistische Leistungsbilanz
Populisten bewirtschaften heute die Sehnsucht nach einfachen Lösungen und Erzählungen, schüren Ängste und Vorurteile. Befeuern damit auch gesellschaftliche Spaltung. Umso wichtiger ist ein tiefes und ehrliches gesellschaftliches Gespräch über Probleme und Herausforderungen unserer Zeit sowie das ernst nehmen von Sorgen und Verzweiflung, wenn Gewissheiten brüchig werden und epochale Herausforderungen zu bewältigen sind. Und für dieses gesellschaftliche Gespräch trägt der öffentlich-rechtliche Rundfunk, tragen wir im MDR eine große Verantwortung. Wir im MDR sind für diese Herausforderungen in einer Zeit der Unsicherheit und des Wandels nach meiner festen Überzeugung gut gerüstet. Unsere Dreiländeranstalt war und ist eine weitsichtige Weichenstellung der Gründungsmütter und -väter in den drei Staatskanzleien und Parlamenten. Der MDR ist deshalb von Anfang an auch mehr als die Summe seiner Teile. Gründungsgedanke war und ist ein publizistisch und wirtschaftlich leistungsstarkes Medienhaus für die Menschen in Mitteldeutschland. Allein ein Blick in die Berichte der KEF zeigt, wie wirtschaftlich solide der MDR aufgestellt ist, nicht zuletzt auf Grund der fundierten Finanzpolitik meines Nachfolgers und jetzigem Verwaltungsdirektor Ralf Ludwig.
Zur publizistischen Leistungsbilanz gehören das seit 27 Jahren erfolgreichste dritte Fernsehprogramm, dazu täglich mehrere Millionen Hörerinnen und Hörern unserer Radioprogramme und mittlerweile jährlich mehrere 100 Millionen Abrufe unserer Angebote im Netz – und dazu mit hohen Vertrauenswerten bei einer großen Mehrheit der Bevölkerung. Unser MDR steht für Mündigkeit, er ist ein Garant für Aufklärung, der publizistischen Freiheit und der kulturellen Bereicherung. Tief verwurzelt in der Region, nahe an den Menschen, an ihren Themen, Problemen, Erfolgen, Freuden und Sorgen, mediale Heimat für viele Menschen in Mitteldeutschland – das ist die Erfolgsformel des MDR von Anfang an. Regionalität ist unsere große Stärke. Sie erzeugt Vertrauen durch Nähe und Verlässlichkeit. Und Vertrauen braucht immer auch Wertschätzung und Ehrlichkeit. Der Erfolg des MDR hat noch einen anderen entscheidenden Faktor: Ständige Veränderung und Veränderungsbereitschaft gehören bis heute ebenfalls zu unserer DNA. Aus den Startbedingungen heraus ist unsere Grundüberzeugung: Wir müssen und wollen uns immer wieder verändern, damit wir bleiben, was wir sind: ein Vertrauensanker und relevant für die Bürgerinnen und Bürger. Heute sind auch viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des MDR hier. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind das pulsierende Herz des MDR – mit Ihrer großen Vielfalt an Kompetenz und Fähigkeiten, mit Ihrem nachhaltigen Veränderungswillen, mit Ihrer Innovationsfreude, mit Ihrer Bereitschaft sich immer wieder auf Neues einzulassen. Auch mit Auseinandersetzungen in der Sache und mit einem gesunden Pragmatismus tragen Sie den MDR.
Wir müssen und wollen uns immer wieder verändern
Wir haben uns als MDR von Beginn an einer Erfahrung von Millionen Menschen stellen müssen: „Nichts ist mehr, wie es war.“ Dieser historische Rahmen begleitet uns seit unserer Gründung und er begleitet uns bis heute. Wir haben deshalb einen Erfahrungsvorsprung mit tiefgreifenden Um- und Aufbrüchen mit einer gewaltigen Veränderungsgeschwindigkeit, mit Sinnsuche und Verlustängsten gleichermaßen. Auch über 30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung bleiben widerstreitende Tendenzen und fundamentaler Veränderungsdruck mit Polarisierungen und Spannungen. Unsere Antworten darauf sind: genau zuzuhören, die verschiedenartigen Lebenswirklichkeiten und die vielfältigen Lebensleistungen der Menschen widerzuspiegeln, noch mehr das Neue aus dem Erlebten heraus zu erzählen, verstärkt auf den Dialog mit und zwischen den Menschen zu setzen – als Vermittler zu den Themen der Zeit. Und: all das bundesweit stärker sichtbar zu machen. Ich weiß, welche kräftezehrenden Anstrengungen mit diesem tiefgreifenden Wandlungsprozess verbunden waren und verbunden sind. Transformation in allen Bereichen, Strukturen, in allen Abläufen, in der Angebotswelt, das prägte meine beiden Amtsperioden. Und das mit steigender Dynamik, weil sich der Wandel der Gesellschaft und der Medienlandschaft stets beschleunigt hat.
Mit unserem Leitbild und der Strategie „MDR für alle“ haben wir erneut die notwendigen und wichtigen Leitplanken für einen relevanten MDR auch in Zukunft gesetzt. Im Linearen noch relevant bleiben und im Digitalen relevanter werden – das ist die große anspruchsvolle Aufgabe, die der MDR auch in den nächsten Jahren – immer das Mediennutzungsverhalten im Blick behaltend – zu bewältigen hat. Unser Medienhaus, das sage ich mit großem Stolz, stand bei den Wandlungsprozessen immer an der Spitze. Es hat sich nicht treiben lassen, sondern war stets handlungsaktiv, war bewusster Akteur. Zum 30-jährigen Bestehen habe ich das aus voller Überzeugung so formuliert: „Der MDR kann und will Zukunft.“
Ich hatte ganz oft viele Gründe, mich über die großartigen Leistungen unseres Hauses zu freuen. Es ist jedes Jahr viel Preiswürdiges entstanden. Wo immer ich anfangen und aufhören würde, es wäre nicht gerecht, weil Vieles unerwähnt bleiben müsste. Eines möchte ich allerdings besonders hervorheben: mit viel Hartnäckigkeit ist es uns in den Jahren meiner Amtszeit gelungen, uns als selbstbewusste Stimme des Ostens aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen in der ARD und in der öffentlichen Wahrnehmung zu etablieren. Dazu gehören unsere Einbringungen in sämtliche bundesweite Informationsangebote. Ebenso multimediale Dokumentationen mit exzellent recherchierten und neu erzählten Perspektiven auf Erfahrungen, Errungenschaften und Enttäuschungen hier in Mitteldeutschland. In großen oft preisgekrönten fiktionalen Projekten macht der MDR Transformationsgeschichten national und international sichtbar. Es sind selbstbewusste Erzählungen mit einem eigenen, neuen Blick auf anspruchsvolle Stoffe. Der Blick auf und aus dem Osten ist längst diverser geworden. Aber Vorurteile und Stereotype in Ost und West haben eine lange Haltbarkeit. Und so ist eine permanente Anstrengung erforderlich, unterschiedliche Lebenswirklichkeiten aus differenzierten Perspektiven zu begleiten, bundesweit stärker sichtbar zu machen und mit journalistischer Akribie wahrzunehmen und zu beschreiben. Fehlen Sichtweisen, fehlen sie zu häufig oder ganz, stört dies den demokratischen Meinungsbildungsprozess, vergrößert vorhandene Risse in der Gesellschaft. Es ging und geht uns beim Anspruch, Stimme des Ostens zu sein, immer auch um eine vielfältig wahrzunehmende Brückenfunktion. Deshalb freue ich mich sehr, dass wir mit der zweistündigen Einbringung des Mittagsmagazins im ERSTEN ab Beginn kommenden Jahres eine weitere mediale Möglichkeit erhalten, um insbesondere auch vielfältige föderale Zukunftsperspektiven und den vom MDR in den letzten Jahren stark dialogorientierten Ansatz in die ARD zu tragen. Vielleicht wird dann aus MDRfragt „ARDfragt“ und das vom MDR entwickelte innovative Dialogpanel wird mit der gemeinschaftlichen Kraft der ARD genutzt, um bundesweit mediale Dialogbrücken zu bauen. Und eben auch aus diesen Gründen ist für uns die Stimme des Ostens ebenso eine mediale Brücke zu unseren ost- und mitteleuropäischen Nachbarn. Vielfalt ist auch hier unser Auftrag und unser binationales MDR-Studio in Görlitz mit Radio Wrocław zeigt, wie innovativ wir auch hier unterwegs sind.
Es ging uns auch um Transparenz und eine offene Grundhaltung
Und stolz können wir auch auf den ARD-Vorsitz des MDR 2016/17 sein. Die zwei Jahre waren die forderndste Zeit in diesen 12 Jahren für mich und ganz sicher auch für mein Team. Die Früchte wirken bis heute fort, weil wir mit einem klaren Reformkurs in dieser Zeit mutig unterwegs waren. Der MDR hat in dieser Zeit wichtige Reformgedanken für die ARD in den Leitgedanken formuliert und Vorschläge gegenüber den Ländern zu Auftragsflexibilisierung und Finanzierungsverfahren eingebracht. Es ging uns unter anderem mit großen Strukturreformen um Wirtschaftlichkeit und um insgesamt Einsparungen von ca. 2 Milliarden Euro als Ziel im ARD-Verbund bis zum Jahre 2028.
Aus „Wir sind Eins“ wurde in unserem Vorsitz „Wir sind Deins“ – eine aus meiner Sicht ganz entscheidende Weichenstellung in Richtung Dialog mit dem Publikum. Es geht um unseren gesellschaftlichen Wert – um unseren Public Value. Und in unserer Vorsitzzeit ging es auch Richtung digitale Zukunft der ARD mit der Stoßrichtung einer gemeinsamen ARD Mediathek. Eine weitere Erkenntnis in unserem ARD-Vorsitz war, dass es beim Thema Vielfalt für uns alle noch viel zu tun gibt. Die ARD gibt der föderalen Vielfalt unseres Landes eine bedeutende publizistische Stimme. Deswegen bin ich überzeugt, dass die jetzige strategische Weichenstellung der ARD in Richtung eines regional verankerten Inhalte- und Kommunikationsnetzwerks zukunftsträchtig und das Zukunftsmodell ist. Zukunftsfest ist ein solches Netzwerk vor allem dann, wenn wir respektvoll mit den vielfältiger gewordenen Meinungsspektren, Werthaltungen und Lebensentwürfen der Menschen umgehen und zudem Brücken bauen, die den Dialog mit einer respektvollen demokratischen Streitkultur zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen unterstützen und dies alles auf Augenhöhe ohne meinungsstarkes Moralisieren – dafür mit viel Transparenz und einer Kultur von Wahrhaftigkeit. Zu den ARD-freudigen Themen gehört für mich ebenso, dass nach dem KiKA nun eine zweite ARD-Gemeinschaftseinrichtung „ARD Kultur“ im Sendegebiet angesiedelt ist. Kultur liegt mir am Herzen. Sie ist als kulturelles Bindegewebe unverzichtbar für die Zukunft unserer Gesellschaft. Und Sie, liebe Mitglieder des Rundfunkrates, haben mir und dem gesamten Team heute die große Freude bereitet, indem Sie den 3-Stufen-Test abgeschlossen und das Telemedienkonzept für das innovative digitale Kulturangebot der ARD genehmigt haben.
Es gibt für mich in diesem Moment des Abschieds viel, viel Gutes, das mir in Erinnerung bleiben wird. Der MDR war und ist 32 Jahre meine berufliche Heimat – aus Überzeugung und mit großer Leidenschaft. Ich bin stolz darauf, am Aufbau, an der Verankerung, an diesem Zukunfts- und Freiheitsversprechen mitgewirkt zu haben. Mir ist es ein großes Bedürfnis, am Ende dieses Weges vielen von Herzen zu danken: Allen Kolleginnen und Kollegen, auch den ehemaligen Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Beteiligungsunternehmen des MDR, allen, die mit mir diesen intensiven Weg an meiner Seite gegangen sind, sich immer wieder auf Veränderungen eingelassen haben, mir Kraft und Zuversicht gegeben haben. Danke für Ihr Vertrauen. Ihr Können, Ihre Leidenschaft haben den MDR zu einer Stimme in der deutschen Medienlandschaft gemacht, die gehört und die gebraucht wird. Danke, liebe – auch ehemalige - Mitglieder des Rundfunkrates und des Verwaltungsrates des MDR. Sie sind mit Ihrer vielfältigen gesellschaftlichen Kompetenz ein Grundpfeiler des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und des MDR. Sie haben in all den Jahren den Blick auf das Gemeinsame gelenkt und in einem ständigen Prozess das Einzel- und Gemeinwohlinteresse engagiert in eine wechselseitige Beziehung gesetzt. Damit haben Sie immer wieder Entscheidendes zur erfolgreichen Weiterentwicklung des MDR beigetragen – konstruktiv, kritisch und kompetent. Ich danke Ihnen persönlich von Herzen für viele gute und inspirierende Gespräche, Impulse, Kritik, Anregungen und Ihre Verbundenheit mit dem MDR und dies mit dem gelebten Grundsatz: Strittiges sachlich und transparent auszutragen.
Wer nun am Ende meines beruflichen Lebens beim MDR nach dem berühmten Brief in der Schublade für meinen Nachfolger Ralf Ludwig fragt, dem antworte ich einfach: All meine Ratschläge und Überzeugungen brauchen keinen Umschlag. Ralf kennt alle Ratschläge aus vielen Jahren vertrauensvoller Zusammenarbeit. Und meine Überzeugungen sind öffentlich. Und tragen einen so einfach wie klangvollen Namen: Leipziger Impulse, inzwischen 4 an der Zahl. Darin findet sich das, was man heute die Essentials nennt – Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks denken, über Ländergrenzen hinweg, denn die Impulsgeber sind nicht nur ARD, ZDF und Deutschlandradio, sondern auch ARTE, der ORF und die SRG. Zu den Zukunftsthemen gehören Stichworte wie Innovationen für die öffentliche Meinungsbildung entwickeln, Qualität sichern und weiterdenken, Gemeinwohlnetzwerke knüpfen, Verantwortung für Transparenz übernehmen, Unabhängigkeit durch Einbindung sichern. Das muss nicht nur gewollt, sondern auch gelebt werden. Meine Arbeit im MDR war immer genau darauf ausgerichtet: das Ideal des Gemeinwohls mit Leben zu füllen, so authentisch und glaubwürdig wie nur möglich. Diese Haltung nehme ich jetzt auch in meinen neuen Lebensabschnitt mit und möchte zum Schluss den mittelalterlichen Thüringer Philosophen Meister Eckhart zitieren. Er sagte: Und plötzlich weißt du: Es ist Zeit, etwas Neues zu beginnen, und dem Zauber des Anfangs zu vertrauen.
Aus der Rede von Karola Wille, Intendantin des MDR, vor dem Rundfunkrat des MDR am 9. Oktober 2023