„Private Medien drohen der Kollateralschaden einer ideologiegetriebenen Politik zu werden“

09. Oktober 2023
Die wirtschaftliche Situation des privaten Rundfunks war in ihrer 40jährigen Geschichte selten so fragil wie heute

Interview mit Claus Grewenig, Vorstandsvorsitzender Verband Privater Medien (Vaunet)

Der Vaunet warnte anlässlich seiner Mitgliederversammlung und seines Sommerempfangs Berlin vor drohenden Einschnitten in der Medienvielfalt privater Angebote aufgrund von Regulierungsinitiativen aus der Bundesregierung. Claus Grewenig, Vorstandsvorsitzender des Vaunet,  betonte, dass die privaten Medien das schwierige, von den Folgen der Corona-Krise und des Angriffskrieges auf die Ukraine gekennzeichnete Wirtschaftsumfeld hart treffe, nun aber noch zahlreiche politische Aktivitäten drohten, die sich gegen die Branche richten: „Uns wäre derzeit schon geholfen, wenn man uns wenigstens den Raum lassen würde, uns im Markt und in der Digitalisierung zu behaupten. Das ist der Kern unternehmerischen Handelns. Nichtstun ist keine Option, aber Unsinniges zu unterlassen sehr wohl. Der Ansatz, Medien als Kollateralschaden für eine falsch verstandene Symbolpolitik in Kauf zu nehmen, muss aufhören.“

medienpolitk.net: Herr Grewenig, im September hat der Vaunet in Berlin nicht nur seine Mitgliederversammlung, sondern auch seinen traditionellen Sommerempfang ausgerichtet. Sie mussten, anderthalb Jahre nach Ihrer Amtsübernahme und im Vorjahr des 40-jährigen Jubiläums des privaten Rundfunks in Deutschland, vor einigen hundert Gästen ein Fazit zum Stand der Branche ziehen – wie ist es ausgefallen?

Grewenig: Es war ein differenziertes Fazit, das die Stimmung unserer rund 150 Mitgliedsunternehmen mit ihrer großen Bandbreite an Geschäftsaktivitäten in den Bereichen TV-, Radio-, Web- und Streaming-Angeboten widerspiegelte. Sie sind trotz aller herausfordernder Krisen selbstbewusst, was ihre unternehmerischen Fähigkeiten und den Umgang mit Innovationen und Zukunftsthemen angeht, aber auch mit Sorge erfüllt, was die aktuellen Angriffe auf ihre Finanzierungsgrundlagen gerade durch Regulierungsinitiativen von Teilen der Bundesregierung betrifft.

medienpolitik.net: Blicken wir auf der Habenseite, auf das Erreichte. Man hat den Beginn des privaten Rundfunks schon bei früheren Jubiläen umfassend Revue passieren lassen, wo steht die Branche heute?

Grewenig: Der private „Rundfunk“, von Audio bis Streaming und von Video bis Podcast, ist heute etablierter Bestandteil der Medienbranche in unserem Land und wesentlicher Teil der Kreativwirtschaft, die einer der größten Wirtschaftssektoren bei uns ist. Bereits mehrere Generationen von Mediennutzern sind mit unseren Angeboten und Inhalten aufgewachsen, die fest im Alltag sehr vieler Menschen verankert sind. Pro Tag erreichen die privaten Audio- und audiovisuellen Angebote in Deutschland mehr als 50 Millionen Menschen. Die privaten Medien informieren, unterhalten und leisten mit ihren journalistischen Formaten einen wichtigen Beitrag zur Demokratiesicherung in Zeiten von Desinformation und Hassrede. Sie zeichnet eine große Vielfalt ganz unterschiedlicher Angebote aus, die in Summe einen wesentlichen Beitrag zur Medienvielfalt insgesamt leistet. Auf all das sind diejenigen, die dies alles erarbeitet haben bzw. jeden Tag dafür arbeiten, zu Recht stolz.

medienpolitik.net: Das klingt nach einem recht positiven Fazit. Wie zukunftssicher ist dieses Bild, das Sie gerade gezeichnet haben, und damit die Anbieter- und Angebotsvielfalt, für die die privaten Medien stehen?

Grewenig: All das, was ich grade beschrieben habe, wird von der breiten Öffentlichkeit und der Politik angesichts der Präsenz und Relevanz unserer Angebote als gesetzt, als große Selbstverständlichkeit empfunden. Leider ist es das nicht, ganz im Gegenteil: Die wirtschaftliche Situation der Privaten war in ihrer 40jährigen Geschichte selten so fragil wie heute. Die aktuellen Krisenthemen und die der Vorjahre – Corona, Krieg, Inflation, Zurückhaltung beim Konsum und bei den Werbetreibenden - treffen uns hart. Das gilt für viele andere Branchen auch, aber bei uns kommen nun zahlreiche politische Aktivitäten dazu, die sich gegen uns richten und die nichts mit unserem Umfeld zu tun haben, sondern „hausgemacht“ sind.

Noch vor einem Jahr hatten wir gefordert, dass die Politik aktiv positive Rahmenbedingungen für uns gestalten möge. Heute erleben wir genau das Gegenteil. Vor allem auf Bundesebene, wo es gar keine originäre Zuständigkeit für unsere Branche gibt, wird massiv in unsere Finanzierungsgrundlagen eingegriffen. Aktuell belastet uns das drohende weitreichende Verbot von Lebensmittelwerbung durch den Bundesernährungsminister, das unsere Einnahmen in signifikanter Höhe betreffen würde, ohne dass es einen Nachweis der Evidenz für diesen drastischen Eingriff gebe. Auf EU-Ebene beginnt eine Debatte über eine digitale Maut für Inhalte, bekannt unter dem Namen „Netfees“, und im September kam dann eine neue Hiobsbotschaft aus dem BKM für eine zusätzliche Investitionsverpflichtung statt auf neue Anreize in der Filmpolitik zu setzen. Im Radiobereich sehen wir wieder ganz im Süden und ganz im Norden Diskussionen, die die Zukunft der UKW-Übertragung als wichtigste Finanzierungsgrundlage des Privatradios in Frage stellt. Und schließlich kommt erschwerend hinzu, dass die überfällige Grenzziehung für die Expansion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seinen Werbemöglichkeiten nicht in der gebotenen Konsequenz erfolgt. All das führt schon für sich genommen, aber erst recht kumuliert und im Kontext des maximalen Wettbewerbs auf und mit den Tech-Plattformen, zu existenzbedrohenden Konsequenzen für Unternehmen und für die Medienvielfalt.

„Wir erleben die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien mit einem blinden Fleck für die Anliegen und Leistungen der privaten Medien.“

medienpolik.net: Sie haben die Novelle der Filmförderung durch die Beauftrage der Bundesregierung für Kultur und Medien angesprochen. Die Produzentenallianz reagiert auf das neue Modell fast euphorisch, warum lehnen Sie es so vehement ab?

Grewenig: Würde das Modell so, wie es bislang grob vorgestellt wurde, mit zahlreichen Subquoten und kleinteiligen Vorgaben umgesetzt, könnten wir Inhalte nicht mehr für den Markt und die Wünsche der Nutzer, sondern daran vorbei vornehmlich nach Kontrollkästchen für die filmpolitischen Vorgaben produzieren. Wir erleben die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien hier mit einem blinden Fleck für die Anliegen und Leistungen der privaten Medien – die nicht nur in Milliardenhöhe in Inhalte investieren, sondern schon heute erhebliche Einzahlungen in die Filmförderung leisten – auf Länderebene im Übrigen auf freiwilliger Basis. Und wenn die Produzentenschaft das goutiert, dann ist das sehr kurz gedacht. Eine Investitionsverpflichtung ist maximal konjunkturabhängig. Sie kann gerade bei einer wirtschaftlich schwierigen Lage der Zahlungspflichtigen keine positiven Effekte für den Produktionsmarkt erzeugen. Stattdessen könnte ein steuerliches Anreizmodell für Film- und Serienproduktionen einen Investitionsschub und Stabilität für die Branche herstellen, von der alle, auch die Produzenten, profitieren.

medienpolitk.net: Wie ist denn das politische Stimmungsbild auf den unterschiedlichen verantwortlichen Ebenen?

Grewenig: Natürlich gibt es auch Unterstützung in der Politik, im Bund wie bei den Ländern. So hat die FDP aus marktwirtschaftlicher Überzeugung im Bund von Anfang an einen ganz anderen ordnungspolitischen Ansatz verfolgt, sowohl gegen Werbeverbote als auch bei den Instrumenten der Filmförderung. In der SPD gibt es zum Lebensmittelwerbeverbot inzwischen sehr vernehmbare Stimmen für differenziertere Ansätze. Wir werben auf allen Ebenen vehement dafür, in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten wie diesen von Eingriffen in die Refinanzierungsfreiheit insgesamt Abstand zu nehmen. Auch die Länder setzen sich in unserem Sinne ein. Sie müssen bei den genannten Initiativen darauf achten, dass ihre Zuständigkeit für Medien nicht ausgehöhlt wird. Oft mag der private Rundfunk zwar nicht das primäre Regulierungsziel der Planungen von BMEL und BKM sein, wir drohen aber, erheblicher Kollateralschaden einer ideologiegetriebenen Politik zu werden. Ganz ähnliche Konstellationen gibt es nach unserer Wahrnehmung auch in anderen Wirtschaftszweigen. Hier ist generell ein Gegensteuern dringend geboten, um die für unseren Standort entscheidende Basis für Investitionen und Innovationen zu erhalten.

medienpolitk.net: Wie wollen sie dieser Entwicklung begegnen und was können Sie ihr entgegensetzen?

Grewenig: Wir verfolgen hier drei Ansätze, mit denen wir unsere Positionen stärken können: Zum einen arbeiten wir verstärkt in Allianzen, denn viele der aktuellen politischen Initiativen, die uns belasten, betreffen auch andere Branchen. Hier müssen die Betroffenen ihre Kräfte bündeln. Im Filmförderthema gilt das etwa für die Einzahlerseite. Gleichzeitig erleben wir eine sehr viel stärkere Geschlossenheit der Branche, wenn es um existenzielle Fragen geht, die uns als Verband bei der Interessensvertretung hilft. Und schließlich werden wir noch lauter in unserer Kommunikation mit Politik und Öffentlichkeit sein müssen, wenn Grenzlinien überschritten werden. Wir können es in Richtung Politik nicht deutlich genug formulieren: Die hiesige Medienvielfalt ist eine unserer größten gesellschaftlichen und demokratiesichernden Errungenschaften, die Unterstützung verdient – weil es eben nicht selbstverständlich ist, dass die Refinanzierung automatisch kommt. Wir brauchen wieder mehr offenen inhaltlichen Austausch gerade auf Bundesebene – fehlender Dialog mit den Betroffenen hat noch nie zu besseren Ergebnissen geführt. In diesem Sinne werden wir nicht müde, für die Interessen unserer Mitgliedsunternehmen zu streiten.

Zur Übersicht