Von Helmut Hartung, Chefredakteur www. medienpolitik.net
„Geschichte wiederholt sich: Zuerst als Tragödie, dann als Farce", schrieb Karl Marx 1852 in "Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte". Die Richtigkeit dieser Aussage lässt sich gegenwärtig in der Medienpolitik überprüfen. Das dritte Mal wollen jetzt öffentlich-rechtlichen Anstalten beim Bundesverfassungsgericht auf eine Beitragserhöhung klagen. Die erste Klage erfolgte 2005, die zweite 2020 und die dritte wurde gestern vermeldet. 2004 hatten die Bundesländer die KEF-Empfehlung reduziert, was die Karlsruher Richter monierten und ARD, ZDF und Deutschlandradio ein Anspruch auf die KEF-Erhöhung bescheinigten, allerdings mit einer deutlichen zeitlichen Verzögerung. Bei der zweiten Klage, wegen der fehlenden Zustimmung Sachsen-Anhalts zur Beitragserhöhung, erhielten die öffentlich-rechtlichen Sender erneut Recht. Aber auch hier erfolgte die Aufstockung erst später. Dieser Gang nach Karlsruhe kann durchaus als Tragödie bezeichnet werden, denn die Beitragszahler mussten mehr berappen, obwohl bei den Anstalten Einsparmöglichkeiten bestanden hatten, die aber nicht genutzt wurden und zudem zeigt sich, dass das Festsetzungsverfahren nicht mehr zeitgemäß ist.
Nun kündigen ARD und ZDF an, erneut vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Das Deutschlandradio ist nicht dabei, da die Empfehlung der KEF für den Berichtszeitraum 2025 bis 2028 für diesen Sender keine Erhöhung des Anteils am Rundfunkbeitrag vorsieht. In der Pressemeldung des ZDF wird der Schritt damit begründet, dass bei der letzten Ministerpräsidentenkonferenz Ende Oktober kein Beschluss zur KEF-Empfehlung erfolgt sei. Damit gäbe es keine Möglichkeit mehr für eine fristgerechte Anhebung des Rundfunkbeitrags zum 1. Januar 2025. Ähnlich argumentiert die ARD, indem sie schreibt, dass auf der Ministerpräsidentenkonferenz im Oktober 2024 kein entsprechender Entwurf beschlossen worden sei. In den verbleibenden sechs Wochen des Jahres sei eine Umsetzung des gesetzlich geregelten KEF-Verfahrens nicht mehr möglich.
Nun wird die Geschichte zur Farce. Selbst wenn die Regierungschefinnen -und chefs Ende Oktober in einem Finanzierungsstaatsvertrag ein Plus von 58 Cent gebilligt hätten, wäre eine Erhöhung zum 1. Januar 2025 nicht möglich gewesen. Die Landesparlamente hätten mindestens bis zum Sommer nächsten Jahres benötigt, um das gesamte Reformpaket zu beschließen. Ändern könnten sie daran sowieso nichts.
Mehrfach haben Vertreter der Länder in den letzten Tagen erklärt, dass am 12. Dezember, bei der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz, ein neues Verfahren für die dritte Stufe der Beitragsermittlung und -festsetzung beschlossen werden soll. Heute will die Rundfunkkommission einen Vorschlag erarbeiten, der sowohl die Bedarfsanmeldung bei der KEF als auch eine Empfehlung der Beitragskommission beinhalten soll. Aber er soll auch die Anstalten zwingen, das Tempo der Rationalisierung zu erhöhen und effektiver zu arbeiten. Die Länder wollen durch die Änderung des Beitragsverfahren den Sendern mehr Sicherheit geben und den Prozess zu entpolitisieren. Warum haben ARD und ZDF nicht bis zum 12. Dezember gewartet? Es hätte für sie nichts geändert. Im Gegensatz zu 2020 wurde jetzt kein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, also ein Dringlichkeitsantrag, gestellt. Anscheinend hat man es selbst nicht so eilig. Denn dass die Karlsruher Richter bis 31. Dezember dieses Jahres urteilen, ist sehr zweifelhaft. Glauben die Anstalten, dass die Ministerpräsidenten, die sich aus nachvollziehbaren Gründen gegen eine Beitragserhöhung zum gegenwärtigen Zeitpunkt aussprechen, noch schnell dem höheren Geldsegen zustimmen? Oder, dass sich an der Bewertung der zunehmenden Zahl von Bürgern etwas ändert, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zwar grundsätzlich für wichtig erachten, ihn aber zu teuer, zu aufgebläht und zu belehrend empfinden? Der Bayerische Ministerpräsident Markus Söder hat gestern sehr schnell die Meinung innerhalb des Länderkreises auf den Punkt gebracht: "Den Rundfunkanstalten würde mehr Zurückhaltung in eigener Sache guttun. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eine tragende Säule unserer Demokratie, aber er darf die Akzeptanz und den Rückhalt in der Bevölkerung nicht verspielen. In Zeiten knapper Kassen ist eine erzwungene Gebührenerhöhung das falsche Signal. Wir haben im Länderkreis dazu strukturelle Reformen beschlossen, die erst wirken sollten. Eine Gebührenerhöhung über eine Klage ist das falsche Signal und kostet weiteres Vertrauen. Es geht um ein Gespür für die allgemeine Lage. Die Klage lässt dieses Gespür leider vermissen".
Bemerkenswert an der Klagebegründung der ARD ist die Feststellung laut Pressemeldung, dass der bei der Ministerpräsidentenkonferenz Ende Oktober beschlossene Reformstaatsvertrag viele richtige Weichenstellungen enthalte und die ARD bestärke, ihren tiefgreifenden Reformprozess fortzusetzen, um Effizienz und Qualität weiter zu steigern. Die ARD werde sich bei den Plänen der Länder zur Reform des Festsetzungsverfahrens des Rundfunkbeitrags konstruktiv einbringen, heißt es weiter. Immerhin, während die Arbeitsgemeinschaft die Notwendigkeit anerkennt, „Effizienz und Qualität“ zu erhöhen, ist davon in der Pressemeldung des ZDF keine Rede. Aber es ist ja bekannt, dass die Mainzer Anstalt nur bei der ersten öffentlich-rechtlichen Anstalt Veränderungsbedarf sieht, aber nicht bei sich.
Die wirtschaftliche und politische Situation hat sich seit 2020 in unserem Land geändert. Es ist nicht nur der Missbrauch von Beitragsgeldern beim RBB, der die Bürger erzürnte. Es sind auch hohe Gehälter in den Führungsetagen, unzureichende Kontrolle, horrende Summen für Leistungsportlizenzen und eine Doppelung an Inhalten. War es vor vier Jahren noch ein Bundesland, das eine Beitragserhöhung ablehnte, findet sich diese Haltung jetzt in mehreren Landtagen und Landesregierungen. Es ist heute nicht mehr möglich eine Belastung für die Bürger mit dem Hinweis, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk wichtig für unsere Gesellschaft ist, durchzusetzen. Gleichzeitig muss gesagt werden, mit welchem Aufwand das erfolgt und worin die originären Leistungen bestehen. Diese Frage wollen die Länder mit dem Reformpaket beantworten. Der Auftrag soll reduziert und die Anstalten zu mehr Effizienz gezwungen werden. Doch davor haben die Anstalten anscheinend Angst und wie man hört haben ihre Lobbyisten in einigen Staatskanzleien versucht, eine Zustimmung zum Reformpaket zu verhindern. Vielleicht klappt es ja mit der Verfassungsklage, denn noch liegen die vier Änderungsstaatsverträge nicht den Landtagen vor. Zusammen mit dem Finanzierungsstaatsvertrag sollte auch die Unterrichtung der Landesparlamente beschlossen werden.
Es ist eine Farce, was ARD und ZDF jetzt inszenieren. Ein durch unangemessene Herangehensweise verfehlter, abwertender Vorgang, interpretiert Wiktionary diesen Begriff. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann nur einen substantiellen Beitrag zum demokratischen Verständnis unserer Gesellschaft leisten, wenn er inhaltlich und wirtschaftlich von seinen Finanziers gewollt und geschätzt wird. Handel und Wirtschaft beklagen, dass die Bevölkerung angesichts eines sinkenden Bruttosozialprodukts den Euro dreimal umdreht. Warum sollte dieses Abwägen, was nötig ist und was nicht erforderlich ist, bei den monatlichen 18,36 Euro nicht auch erfolgen? Der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke sagt in einem „Zeit“-Interview, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei nicht dafür da, sich irgendwo lieb Kind zu machen, sondern dafür, die Menschen unabhängig und mit einer Leidenschaft für die Wirklichkeit zu informieren. Wenn es so wäre, müsste man auch nicht in Karlsruhe klagen. Denn zur Wirklichkeit gehört, dass die fetten Jahre vorbei sind. Auch für ARD und ZDF.