Die unabhängige und unternehmerische Verlags- und Medienlandschaft ist bedroht

10. Juni 2024
„Memorandum zur Lage der freien Presse“ ist ein dringender Appell an die Politik

In einem „Memorandum zur Lage der freien Presse“ appelliert der Medienverband der Freien Presse (MVFP) an die Politik: „Der Journalismus der Verlage braucht medien- und ordnungspolitische Rahmenbedingungen, um seinen in der Verfassung festgehaltenen Auftrag auch unter den ökonomischen und technologischen Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts erfüllen zu können. Es geht um nicht weniger als den Erhalt einer vielfältigen, mittelständisch geprägten, unabhängigen und unternehmerischen Verlags- und Medienlandschaft in Deutschland.“ Das vom MVFP-Vorstand initiierte Memorandum wurde von den Delegierten auf der MVFP-Delegiertenversammlung Ende vergangener Woche umfassend diskutiert und einstimmig verabschiedet. In dieser Denkschrift appellieren Vorstand und Delegierte des Medienverbands gemeinsam für eine sichere Zukunft des Journalismus in Deutschland. Philipp Welte, MVFP-Vorstandsvorsitzender: „Wir müssen unsere Stimme erheben, jetzt und gemeinsam. Damit wir dem Auftrag, den die Verfassung uns vor 75 Jahren gegeben hat, auch weiterhin gerecht werden können. An jedem einzelnen Tag.“

Aus dem „Memorandum zur Lage der Freien Presse -  Für eine sichere Zukunft des Journalismus der Verlage in unserer liberalen Demokratie“:

Für uns Verlage ist die im Grundgesetz festgehaltene Bedeutung einer unabhängigen Presse für verlässliche Information und für die freie Meinungsbildung tagtägliche Verpflichtung. Bürgerinnen und Bürger müssen, um – politische und andere – Entscheidungen treffen zu können, „umfassend informiert sein, aber auch Meinungen kennen und gegeneinander abwägen können […]“. Auch hier weist das Bundesverfassungsgericht uns Verlagen eine entscheidende Rolle für das Funktionieren der liberalen Demokratie zu, denn „die Presse hält diese ständige Diskussion in Gang; sie beschafft die Informationen, nimmt selbst dazu Stellung und wirkt damit als orientierende Kraft in der öffentlichen Auseinandersetzung“. Überzeugt von dieser Bedeutung, die der unabhängige Journalismus für das Gelingen von Staat und Gesellschaft hat, sehen wir die politisch Verantwortlichen in Berlin und in Brüssel in der Pflicht, die Räume für die marktwirtschaftliche Finanzierung der Presse nicht weiter zu verengen. Aber sehen das so auch jene, die in den Regierungen Verantwortung übernommen haben für Staat und Gesellschaft? Oder überlassen sie diese beiden wichtigen Faktoren für das Funktionieren unserer Demokratie den digitalen Monopolplattformen und dem öffentlich-rechtlichen Medienkonglomerat? Wenn wir Verlage eine faire Chance haben sollen, uns in völlig veränderten Märkten und konfrontiert mit komplexen Monopolstrukturen mit marktwirtschaftlichen Mitteln eine Zukunft zu sichern, bedarf es einer Agenda für die freie Presse.

1. Fairer Wettbewerb in der digitalen Welt

Während unsere nationalen Medienmärkte noch immer sehr kleinteilig reguliert werden, ist es bisher weder dem Bundeskartellamt noch der EU-Kommission gelungen, die Marktmacht der großen Tech-Unternehmen wirksam einzuhegen. Die Monopole der digitalen Welt – die größten Unternehmen, die es auf diesem Planeten je gegeben hat – sind zu einer konkreten Gefahr für die wirtschaftliche Basis hochwertiger journalistischer Inhalte geworden. Umso wichtiger ist es, die jüngsten medienpolitischen Fortschritte im Bereich des deutschen und europäischen Wettbewerbsrechts in konkretes Handeln zu überführen und die neuen Instrumente wie den Digital Markets Act der EU und die Regelungen des deutschen Kartellrechts dringend und resolut auf die TechKonzerne anzuwenden. Nur so haben wir eine Chance auf fairen Wettbewerb in den digitalen Märkten. Gleichzeitig brauchen wir mehr rechtlichen Freiraum für Allianzen untereinander, in denen wir gemeinsam Strukturen aufbauen oder bestehende Strukturen einzelner Verlage kollaborativ nutzen. Ohne diese Synergien und Effizienzen ist es schwer, die hohe Qualität der journalistischen Arbeit und gleichzeitig die hohen Investitionen in die digitale Transformation zu realisieren. Diese wirtschaftliche Zusammenarbeit im Vertrieb unserer Produkte, in der Vermarktung des werblichen Inventars oder auch in die gemeinsame Investition in neue Systeme wird ein immer relevanterer Aspekt der Zukunftssicherung der Branche. Deshalb sind weitere Fortschritte im Bereich des deutschen und des europäischen Wettbewerbsrechts nötig, um Kooperationen zwischen Verlagen auf eine sichere rechtliche Basis zu stellen.

2. Modernes Urheberrecht für das Zeitalter künstlicher Intelligenz

Künstliche Intelligenz kann ein wirksames Werkzeug sein in der Hand verantwortungsvoll agierender Redaktionen, weshalb es heute schon in vielen Verlagen operativ in der Unterstützung des redaktionellen Arbeitens im Einsatz ist. Aber als hocheffiziente Kopiermaschine bedroht generative KI auch den Kern unserer Wertschöpfung. Sie nimmt von Menschen erarbeitete Inhalte und fügt sie – ohne zu fragen und zu Kosten nahe Null – in Sekundenschnelle zu neuem „Content“ und konkurrierenden Angeboten zusammen. Diese Ausbeutung der kreativen und intellektuellen Arbeit etwa durch Robotermedien oder Suchmaschinen greift tief ein in die wirtschaftliche Stabilität der Verlage. Es braucht daher klare Regeln, die menschliche Kreativität und Urheberschaft gegenüber den Zugriffen künstlicher Intelligenz schützt. Wir Verlage müssen frei entscheiden können, ob KI unsere Inhalte verwerten darf oder nicht – und wenn ja, müssen wir angemessen vergütet werden; dafür bedarf es eines robusten Verfügungsrechts und eines ergänzenden Vergütungsrechts. Die Nachweispflicht für die Verwertung muss bei der KI liegen und nicht umgekehrt. Was in der jetzigen EU-KI-Verordnung nicht umgesetzt wurde – etwa an Transparenzregeln und Dokumentationspflichten für die KI – muss dringend geregelt werden.

 3. Angemessener Datenschutz für fairen Wettbewerb

Die Finanzierung der freien und unabhängigen Presse darf nicht weiter durch überbordende Regulierung aus Brüssel und Berlin gefährdet werden. Die Politik scheint bei vielen ihrer Gesetze und Verordnungen zu übersehen, wie groß der Schaden ist, den sie der privat finanzierten Presse damit zufügt. Ein Beispiel für diesen immer tiefer in den fairen Wettbewerb einschneidenden Rechtsrahmen sind – neben Werbeverboten – die kaum noch handhabbaren Datenregulierungen im Bereich der Werbefinanzierung und in der Verbreitung der Inhalte, den Haupteinnahmequellen der Verlage in den digitalen Märkten. Wir brauchen für die Finanzierung der freien Presse in den digitalen Märkten einen ausgewogenen Ansatz zwischen berechtigter Datenhoheit des Einzelnen und angemessener Nutzung vorhandener Daten durch die Verlage. Wenn die Politik digitale Presseangebote weitgehend von komplexen Einwilligungen von Datenverwendungen abhängig macht, muss sie auch sicherstellen, dass die Verlage diese Einwilligungen praktikabel einholen und verwalten können, dass erteilte Einwilligungen von digitalen Monopolplattformen nicht einfach ignoriert werden können und dass die Einwilligung in Datenverarbeitung zu legitimen Zwecken eine Bedingung für den Zugang zu Angeboten sein kann.

4. Grenzen für das öffentlich-rechtliche Medienkonglomerat

Das duale Mediensystem in Deutschland wird durch die uferlose Expansion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks massiv bedroht. Die Rundfunkanstalten haben einen vom Bundesverfassungsgericht 1986 so genannten Auftrag der „unerlässlichen Grundversorgung“, den sie aber in der digitalen Dimension der Medienmärkte zunehmend überschreiten. Dank über 8,5 Milliarden Euro an Rundfunkbeiträgen und weiteren 1,2 Milliarden Euro an zusätzlichen Einnahmen befreit von finanziellen Sorgen, stoßen sie systematisch mit Hunderten digitaler Angebote in neu entstehende digitale Medienkanäle vor, in denen sich der Journalismus der Verlage seine Zukunft marktwirtschaftlich erarbeiten muss. Damit finanziert das öffentlich-rechtliche Konglomerat auch wettbewerbsverzerrende presseähnliche oder auch presse-identische redaktionelle Angebote und gefährdet so am Ende die Vielfalt des unternehmerischen Teils unserer Medienlandschaft. Die Rückbesinnung auf die verfassungsgemäße Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks tut Not. Die Politik muss die für die freie Presse zunehmend gefährliche Wettbewerbsverzerrung effektiv so begrenzen, dass die kostenlosen öffentlich-rechtlichen Angebote auf den digitalen Kanälen nicht mehr direkt mit den Presseangeboten der Verlage im Wettbewerb stehen. Ein Anfang wäre es, endlich öffentlich-rechtliche Texte im Internet eng zu begrenzen. Die milliardenschwere Gebührenfinanzierung der öffentlich-rechtlichen Medien ist eine massive Wettbewerbsverzerrung in den digitalen Märkten und damit eine unmittelbare Gefährdung der Zukunftsperspektiven der marktwirtschaftlich finanzierten freien Presse. Wenn die Regierenden die staatlich privilegierten öffentlich-rechtlichen Angebote nicht in die Schranken weisen und die uferlose Expansion der Rundfunkanstalten zurückdrehen, setzen sie die Zukunftsperspektiven unabhängiger journalistischer Medien in den digitalen Märkten aufs Spiel.

5. Diskriminierungsfreie Unterstützung der freien Presse

Kein Verlag will per se staatliche Förderung. Aber die Kombination aus den hohen Investitionen in die digitale Transformation und der Konfrontation mit multiplen Monopolstrukturen in den Märken bedrohen die publizistische Vielfalt in Deutschland substanziell. Der unabhängige Journalismus steht aufgrund externer Rahmenbedingungen mit dem Rücken zur Wand, und eine begrenzte staatliche Unterstützung kann in dieser angespannten ökonomischen Lage der Branche den Unterschied machen. Mit gutem Grund hat sich die Koalition im Bund deshalb schon 2021 verpflichtet, die flächendeckende Versorgung mit periodischen Presserzeugnissen, also Zeitschriften und Zeitungen, zu gewährleisten. Passiert ist bisher nichts. Aber ohne eine diskriminierungsfreie Förderung werden Zeitschriften ihr Erscheinen einstellen müssen und Zeitungen in immer mehr Landesteilen nicht mehr zugestellt werden. Eine ordnungspolitisch überzeugende Unterstützung der freien Presse wäre die Absenkung der Mehrwertsteuer auf Zeitschriften und Zeitungen. Sie würde kurzfristig wirken, wäre ordnungspolitisch unbedenklich, inhaltsneutral, leicht umzusetzen, bürokratiefrei, ohne Genehmigungszwang in Brüssel und zudem, mit der Erfassung digitaler Umsätze, eine unmittelbare Digitalisierungsförderung für unsere Branche.

Epilog

Unabhängiger und verantwortlicher Journalismus und der freie Austausch von Wissen, Meinungen und Informationen sind unentbehrlich für jeden freiheitlichen Staat, für jede freie Gesellschaft, für eine freie Wirtschaft genauso wie eine unabhängige Wissenschaft. Diese besondere Stellung der freien Presse hat für Deutschland auch das Bundesverfassungsgericht in wegweisenden Urteilen festgehalten. Verfassungsrechtlich ist der Staat verpflichtet, die Institution der freien Presse zu garantieren, zu schützen zu bewahren. Aber der Journalismus der Verlage braucht medien- und ordnungspolitische Rahmenbedingungen, um seinen Auftrag auch unter den sich dynamisch verändernden ökonomischen und technologischen Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts erfüllen zu können. Es geht um nicht weniger als den Erhalt einer vielfältigen, mittelständisch geprägten, unabhängigen und unternehmerischen Verlags- und Medienlandschaft in Deutschland – und mit ihr um den Erhalt eines Wesensmerkmals einer freiheitlichen Demokratie

https://www.mvfp.de/nachricht/artikel/memorandum-zur-lage-der-freien-presse-ist-ein-dringender-appell-an-die-politik

 

Zur Übersicht