Ein kritischer Blick auf den Journalismus

26. September 2024
Journalismus soll laut Studie Toleranz und kulturelle Vielfalt fördern und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen

Digitalisierung und Künstliche Intelligenz sind seit langem wiederkehrende Themen in journalistischer Berichterstattung. Sie verändern durch Innovationen nicht nur wichtige Teile der Arbeitswelt und des Privatlebens. Sie verändern auch im Journalismus vieles. Und das in einer Phase, in der Zeitungen und Zeitschriften konstant Abonnenten verlieren und das Vertrauen in den Journalismus in Teilen der Bevölkerung nicht mehr selbstverständlich ist. Begriffe wie „Fake News“ und „Lügenpresse“ machen die Runde, und nicht wenige sehen Gefahren für unsere Demokratie. Wie werden diese Entwicklungen von unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteuren bewertet? Damit beschäftigt sich Prof. Dr. Michael Steinbrecher unter Mitwirkung von Prof. Dr. Günther Rager gemeinsam mit einem Forschungsteam am Institut für Journalistik an der Technischen Universität Dortmund.

Welche Erwartungen werden von unterschiedlichen Gruppen an den Journalismus gestellt? Diese Frage steht im Zentrum der Studie „Journalismus und Demokratie“. Und was wissen die einzelnen Gruppen von den Erwartungen der anderen? Dazu wurden außer Journalisten vor allem Rezipienten, Politiker, Wirtschaftsakteure und Technikpioniere befragt. Welche Aufgaben weisen sie dem Journalismus zu in diesen Zeiten des gesellschaftlichen und raschen digitalen Wandels? Was trägt Journalismus zum Funktionieren der Demokratie bei? Und wo setzt (Selbst-)Kritik am Journalismus an?

Östliche und westliche Bundesländer unterscheiden sich nicht nur in ihrem Wahlverhalten, sondern auch in ihrer Beurteilung des Journalismus und der Demokratie in Deutschland. Während in Westdeutschland 64 Prozent der Befragten zufrieden mit dem Funktionieren der Demokratie in Deutschland sind, sind es in Ostdeutschland mit 46 Prozent deutlich weniger. In den östlichen Bundesländern werden Journalistinnen und Journalisten zudem deutlich kritischer gesehen. Ausgeprägter ist bei den ostdeutschen Befragten beispielsweise der Eindruck, der Journalismus sei meist abhängig vom Einfluss durch „Mächtige“ aus der Politik. Diese Position vertreten sogar die Hälfte aller Befragten in den östlichen Bundesländern. Mehr als ein Drittel (36 %) vertreten die Position, dem Journalismus werde von Staat und Regierung vorgegeben, worüber sie berichten sollen. Im Westen vertreten 19 Prozent diese Position.

Immerhin 27 Prozent der ostdeutschen Befragten halten den Journalismus ferner für nicht glaubwürdig, im Vergleich zu 14 Prozent im Westen. Ein Unterschied zeigt sich auch im Nachrichtenvertrauen: Während im Westen 59 Prozent angeben, man könne den Nachrichten in Deutschland größtenteils vertrauen, sind es im Osten mit 49 Prozent knapp unter der Hälfte der Befragten. Ein Problem zeigt sich auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Während im Westen Deutschlands 70 Prozent der Befragten angaben, dass sie Fernsehen bzw. Radio vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk als vertrauenswürdig erachten, waren es im Osten lediglich 52 Prozent.

nteressant ist vor dem Hintergrund aktueller politischer Themen auch die Kritik, Journalisten würden in Deutschland zu sehr aus einer westlichen Perspektive beurteilen. Diese Position teilen immerhin 40 Prozent in den westlichen Bundesländern, im Osten sind es aber mit 53 Prozent mehr als die Hälfte.  Auch der Journalismus sieht eine zu westliche Perspektive als Problem – hier stimmen sogar 59 Prozent aller Befragten dem Kritikpunkt zu. Ferner haben Bürgerinnen und Bürger aus Ost- und Westdeutschland in vielen Bereichen ähnliche Erwartungen an den Journalismus: Beispielsweise fordern sie gleichermaßen, dass er Toleranz und kulturelle Vielfalt fördern und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen soll. Und: Sowohl der Westen als auch der Osten ist der Idee der Demokratie positiv gegenüber gestimmt.

Aussagen der Bevölkerungsbefragung:

  • 53% (2023= 54%) der Befragten geben an, den Journalismus in Deutschland für glaubwürdig zu halten.
  • 40% (2023= 39%) der Befragten geben an zu glauben, Journalistinnen und Journalisten stehen keiner Partei nahe
  • 19% (2023= 19%) der Befragten stehen jeweils der CDU oder den Grünen nahe
  • 67% (2023= 69%) vertrauen dem Fernsehen/Radio vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk
  • 64% (2023= 66%) vertrauen überregionalen Zeitungen

Aussagen der befragten Journalisten:

  • 74% (2023= 78%) der Befragten geben an, den Journalismus in Deutschland für glaubwürdig zu halten.
  • 82% (2023= 81%) stimmen der Aussage zu, "man kann dem Großteil der Nachrichten in Deutschland meist vertrauen"
  • 30% (2023= 45%) der befragten Journalistinnen und Journalisten gaben an zu glauben, Journalistinnen und Journalisten stehen den Grünen nahe
  • 41% (2023= 38%) der befragten Journalistinnen und Journalisten gaben an, den Grünen nahe zu stehen
  • 94% der Befragten halten ausreichend Zeit für die Recherche von Geschichten als wichtig für die Zukunft des redaktionell organisierten Journalismus

Aussagen der befragten Politiker:

  • 96% (2023= 95%) der Befragten geben an, den Journalismus in Deutschland für wichtig für die Demokratie zu halten
  • 40% (2023= 46%) der Befragten gaben an zu vermuten, dass Journalistinnen und Journalisten den Grünen nahestehen
  • 58% (2023= 57%) stimmen der Aussage zu, "man kann dem Großteil der Nachrichten in Deutschland meist vertrauen"
  • 18% (2023= 15%) der Befragten geben an, privat Kontakt zu Journalistinnen und Journalisten zu haben
  • 5%   (2023= 7%) der Befragten geben an, vor ihrer politischen Karriere selbst als Journalistin oder Journalist gearbeitet zu haben

Die Langzeitstudie „Journalismus und Demokratie“ untersucht jährlich, welche Erwartungen von unterschiedlichen Gruppen an den Journalismus gestellt werden, wie sehr die Gruppen dem Journalismus vertrauen und was sie an ihm kritisieren. 2024 wurden zum dritten Mal Politikerinnen und Politiker, Journalistinnen und Journalisten und die Bevölkerung in Deutschland befragt. Die Studie ist multiperspektivisch angelegt und ermöglicht eine Sicht auf die Entwicklung des Verhältnisses von Journalismus und Gesellschaft. Projektleiter sind Prof. Dr. Michael Steinbrecher und Prof. Dr. Günther Rager. Die Antworten der unterschiedlichen Gruppen von Befragten auf die gleichen Fragestellungen ermöglichen differenzierte Einblicke in das Verhältnis gesellschaftlich relevanter Gruppen zum Journalismus. Die Gegenüberstellung der Ergebnisse ermöglicht eine multiperspektivische Sicht auf die Entwicklung des Verhältnisses von Journalismus und Gesellschaft.

Im ersten Schritt wurden Einsteiger in den Journalismus befragt – sowohl Studierende am Institut für Journalistik der TU Dortmund als auch Volontäre in verschiedenen Medienhäusern. In einem zweiten Schritt wurde eine groß angelegte Politiker-Befragung durchgeführt. Es folgten das Publikum, Wirtschaftsakteure und technologische Pioniere. Eine Ausweitung auf weitere gesellschaftlich relevante Gruppen ist vorgesehen.

https://www.journalismusstudie.fb15.tu-dortmund.de/die-studie-journalismus-demokratie/

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