Mehr Klasse statt Masse

30. September 2024
Helmut Hartung promedia Verlag Chefredakteur
Helmut Hartung promedia Verlag Chefredakteur
Reformpaket für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk reagiert auf tiefgreifende Veränderung der Mediennutzung

Von Helmut Hartung, Chefredakteur www.medienpolitik.net

Genau 112 Seiten umfassen die Änderungsvorschläge für die vier Staatsverträge zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die am vergangenen Freitag veröffentlicht worden sind. 14 Tage ist jetzt die knapp bemessene Zeit der Rundfunkkommission der Länder, Änderungsvorschläge zu unterbreiten. Die Reformen sind teilweise sehr weitgehend und werden Aufgaben, Arbeitsweisen, Entscheidungsstrukturen, wirtschaftliche Rechnungsführung, Transparenz und Kontrolle verändern, aber auch die Stellung der öffentlich-rechtlichen Sender innerhalb unseres Mediensystems beeinflussen. Die neuen Regularien sollen zu mehr Klasse und weniger Masse führen und dazu beitragen, dass mit dem Geld der Bürger verantwortungsvoller umgegangen wird als bisher. Ob die Veränderungen ausreichen, um den Rundfunkbeitrag stabil zu halten oder gar reduzieren zu können - das ist das Ziel zumindest eines Teils der Bundesländer – wird sich zeigen.

Interessant sind die ersten Reaktionen auf das Reformpaket: Mitarbeitervertretungen und der Deutsche Journalistenverband kritisieren die geplanten Einsparungen. Der DJV-Vorsitzende Beuster warf den Ländern im Deutschlandfunk Kultur vor, in Zeiten der Desinformation „mit der Machete“ zu kürzen. Die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse (AGRA) kritisiert, dass in einer Zeit, in der Fake News, Manipulationen und Hetze das Internet und die Social-Media-Plattformen überschwemmten, ein starker öffentlich-rechtlichen Rundfunk erforderlich sei, der unabhängigen Journalismus bietet, umfänglich und ausgewogen informiert und den Meinungsaustausch fördere. ARD, ZDF und Deutschlandradio bräuchten eine Vielfalt von Kanälen, um die Menschen zu erreichen.  ARD-Intendant Kai Gniffke sprach schon am Donnerstag vor der Veröffentlichung des Entwurfs davon, dass die deutliche Reduzierung vor allem das Publikum treffe und für die Nutzerinnen und Nutzer dieser Kanäle einen Verlust und eine Zumutung darstelle. Und ZDF-Intendant Norbert Himmler sagt am Freitag im ZDF-Fernsehrat, dass er kein Verständnis dafür habe, „dass in politisch und gesellschaftlich unruhigen Zeiten darüber nachgedacht wird, erfolgreiche und gesellschaftlich relevante Kanäle pauschal zu streichen. Vielfalt darf gerade in der derzeitigen gesellschaftlichen Situation keinen Rückschritt erleiden." Die Debatte sollte sich an den Kriterien Qualität, Effizienz und Erfolg orientieren, so Himmler.  In seiner Kritik wurde der ZDF-Intendant von der ehemaligen CSU-Politikerin und heutigen Fernsehratsvorsitzenden Gerda Hasselfeldt sowie der früheren SPD-Ministerpräsidentin und Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder, Malu Dreyer, unterstützt.

Wenn man die Beschlüsse der beiden Klausurtagungen der Rundfunkkommission 2023 und 2024 in Deidesheim und Bingen aufmerksam liest und dazu die zahlreichen Statements der Mitglieder des für die deutsche Rundfunkpolitik entscheidenden Gremiums nimmt, dann soll die Reform genau diese drei Faktoren befördern: Qualität, Effizienz und Erfolg. Es ist ein Rätsel, warum der Chef des Mainzer Medienhauses mit Einnahmen von 2,5 Mrd. 2023, das jetzt einfordert. Über Jahre wurden die Anstalten nicht Müde zu betonen, dass es nicht an ihnen läge, dass der Rundfunkbeitrag gegenwärtig 18,36 Euro betrage. Da der Beitrag ein Äquivalent für die Erfüllung des politisch festgelegten Auftrages sei, trage die Politik dafür die Schuld. Jetzt, wo dieser Auftrag leicht modifiziert, an eine sich weiter ändernde Mediennutzung angepasst und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Entwicklungsperspektive geben kann, wird genau dieser Umstand kritisiert. Reflexartig wird wieder Masse gleich Klasse gesetzt, so wie seit Jahrzehnten.

„Es ist der Nutzer, der mit seiner Medienverwertung zum Umdenken zwingt und nicht die Willkür der Medienpolitik.“

Nach eigenen Angaben hatte das ZDF einen Informationsanteil von 44 Prozent im Jahr 2023. In den Medientheken von ARD und ZDF beträgt der Informationsanteil mehr als 50 Prozent. Dennoch sieht der ZDF-Fernsehrat eine Konzentration bei den Randprogrammen als „Reduzierung der Vielfalt“ und Verschlechterung der Qualität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“. Es ist bekannt, dass das ZDF um seine öffentliche Sichtbarkeit und Präsenz fürchtet und so will man in Mainz die Spartenkanäle so lange wie möglich behalten. Doch es ist der Nutzer, der mit seiner Medienverwertung zum Umdenken zwingt und nicht die Willkür der Medienpolitik.

Wenn bei den Spartenkanälen und Radiosendern gekürzt werde, müsste das kompensiert werden durch neue digitale Angebote, so die AGRA. Zehn Spartenkanäle organisieren und finanzieren gegenwärtig ARD und ZDF. Die Zahl der Hörfunkwellen (nur UKW) beträgt 69. Dazu kommen 14 DAB-Programme. Künftig soll es vier lineare Spartenkanäle und 53 ARD-UKW-Hörfunkangebote geben. Die TV-Spartenkanälen erreichten 2023 einen mageren Marktanteil: Phoenix 1,1 Prozent, ZDFinfo 1,8 Prozent, ZDFneo 3,0 Prozent, ARTE 1,2 Prozent und 3Sat 1,4 Prozent. Diese Angebote sollen nicht ersatzlos gestrichen, sondern mit den Schwerpunkten Kultur und Internationales, Bildung, Information und Dokumentation sowie junge Menschen zusammengefasst werden.

„Dadurch, dass für die Schwerpunktangebote keine staatsvertragliche Festlegung mehr erfolgt, ob es sich um Rundfunkprogramme oder Telemedienangebote handeln soll (‚Angebote‘), wird der Gedanke der Flexibilisierung konsequent fortgeführt. Die konkrete Ausgestaltung der Angebote kann sich in der Folge allein an den Nutzergewohnheiten der adressierten Zielgruppen orientieren“, heißt es in den Erläuterungen zum Medienstaatsvertrag. Laut ARD/ZDF Medienstudie 2024 dominiert in den jüngeren Altersgruppen bereits heute die non-lineare Videonutzung: 14-29 Jahre: 88 Prozent non-linear, 12 Prozent linear; 30-49 Jahre: 65 Prozent non-linear, 35 Prozent linear.

Die meisten dieser Programme sind lineare Mediatheken. Das heißt, sie speisen sich überwiegend aus Sendungen des Ersten oder des ZDF-Hauptprogramms - und das mehrfach wiederholt. ARD und ZDF betonen bei jeder Gelegenheit, die Notwendigkeit die Mediatheken zu stärken und mehr Beitragsmittel „umzuschaufeln“, um dafür neue Inhalte zu kreieren. Hier hätten sie jetzt die Möglichkeit, die Online-Verbreitungswege auszubauen und gleichzeitig den Aufwand zu reduzieren. „Die hierfür jeweils aufgewandten Ressourcen werden künftig in weniger Angeboten gebündelt. In der Folge können erheblich Mehrfachstrukturen abgebaut und das öffentlich-rechtliche Informations- und Bildungsangebot durch die Bündelung der vorhandenen Ressourcen um „Leuchttürme“ angereichert werden, so die Begründung und Erwartung der Länder. Der Medienstaatsvertrag gibt den Anstalten bis 2033 Zeit, um die neuen Kanäle als gleichartige Online-Angebote zu transformieren. Zeit genug, um sich auch mit den neuen Medienrealitäten vertraut zu machen, mit denen private Medienhäuser längst tagtäglich klarkommen müssen.

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