Interview mit Heike Hempel, Vizepräsidentin ARTE G.E.I.E.
Nicht erst, seit der französische Präsident Emmanuel Macron während seines dreitägigen Staatsbesuchs in Deutschland, Ende Mai, ARTE wieder als europäische Medienplattform ins Gespräch brachte, wird daran in Straßburg geglaubt und gearbeitet. Der deutsch-französische Sender wurde 1990 gegründet und bereits in seinem Gründungsvertrag ist der Auftrag festgelegt, das Verständnis und die Annäherung zwischen den Völkern in Europa zu festigen und ein gemeinsames Fernsehprogramm anzubieten, „welches der Darstellung des kulturellen Erbes und des künstlerischen Lebens in den Staaten, Regionen und der Völker Europas und der Welt dienen soll“. Wie die ARTE-Vizepräsidentin Heike Hempel gegenüber dem Blog medienpolitik.net erklärte, habe man sich über die politische Unterstützung von Emmanuel Macron und Frank-Walter Steinmeier gefreut. „Wir merken, dass mehr und mehr anerkannt wird, dass die vielbesagte europäische Plattform dank ARTE keine Utopie mehr ist.“
medienpolitik.net: Frau Hempel, Präsident Macron hat während seines Deutschland-Besuchs auf „X“ geschrieben: „Frankreich und Deutschland wollen Arte zur Plattform aller Europäer machen.“ Deckt sich das mit Ihrem bisherigen Konzept?
Hempel: Ja, das tut es. Zunächst einmal: Wir haben uns über die politische Unterstützung von Emmanuel Macron, Frank-Walter Steinmeier und dem BKM gefreut. Auch die Rundfunkkommission der Länder hat Mitte Mai einen entsprechenden Beschluss gefasst. Wir merken, dass mehr und mehr anerkannt wird, dass die vielbesagte europäische Plattform dank ARTE keine Utopie mehr ist. ARTE wendet sich bereits heute mit seinen europäischen Inhalten (88 % der ARTE-Inhalte sind europäischer Herkunft) an ein immer breiteres europäisches Publikum. Zusätzlich zum Deutschen und Französischen bietet ARTE seit 2015 Inhalte in vier weiteren Sprachen auf seiner Plattform arte.tv sowie in den sozialen Medien an, und zwar auf Englisch, Spanisch, Polnisch und Italienisch. Unser bisheriges (und zukünftiges) Konzept – und es ist wichtig, das zu betonen – beschränkt sich nicht auf die reine Untertitelung, sondern die Seiten in den jeweiligen Sprachen auf der Plattform werden von muttersprachlichen Teams für die jeweiligen Zielpublika aufbereitet. Das ist wichtig, um unser Angebot auch in den jeweiligen Zielgebieten anzupassen an die manchmal leicht unterschiedlichen Vorlieben, an die Aktualitäten in den jeweiligen Ländern, und an die Nutzungsgewohnheiten. In Polen ist es zum Beispiel Usus, dass in einer Doku alle Stimmen von einer einzigen Kommentarstimme gesprochen werden. Das setzen wir nach und nach in unserem polnischen Angebot um. Dieses Konzept hat sich bewährt, der „proof of concept“ ist also erfolgt. Jetzt können wir einen Schritt weitergehen und ARTE zu einer europäischen Plattform von Europäern für Europäer machen. Wir haben dazu die nötigen Erfahrungen gesammelt, die Expertise und – was sehr wichtig ist – wir haben eine sehr gute Reputation. Das ist etwas, das man mit Geld nicht kaufen kann.
„Es kann nicht sein, dass jemand ein teures Netflix-Abo braucht, um europäische Serien und Dokumentarfilme zu sehen.“
medienpolitik.net: Sehen Sie dafür eine Notwendigkeit?
Hempel: Gegenfrage: Wer kann sich heutzutage in Europa all diese Abos für die Global Player leisten? Es kann nicht sein, dass jemand ein teures Netflix-Abo braucht, um europäische Serien und Dokumentarfilme zu sehen. Es braucht frei zugängliche Qualitätsangebote wie ARTE, die gleichzeitig das europäische kreative Schaffen fördern. Darüber hinaus leben wir in einer Zeit mit zunehmenden gesellschaftlichen Spaltungen, extremistischen Tendenzen und Fake-News Kampagnen, die die Menschen eher auseinanderbringen wollen, als zusammenzuführen. Es ist wichtig, dass Medienangebote wie ARTE den Menschen in Europa unterschiedliche Perspektiven und Standpunkte aufzeigen, die verschiedenen Lebensrealitäten in Europa abbilden und zugänglich machen, Vielfalt zum Ausdruck bringen und insgesamt den Austausch fördern.
medienpolitik.net: ARTE präsentiert Sendungen von elf europäischen TV-Sendern. Wie kann diese Zahl weiter erhöht werden?
Hempel: ARTE verfügt über ein Netzwerk aus elf europäischen Partnersendern – RTVÉ in Spanien, LTV in Lettland, LRT in Litauen, Film Fund Luxemburg, RTÉ in Irland, RAI in Italien, CT in Tschechien, ORF in Österreich, YLE in Finnland, SRG SSR in der Schweiz, RTBF in Belgien. Mit diesen Sendern sind wir eng vernetzt, setzen gemeinsame Koproduktionsprojekte in allen Genres um. Aktuell in der ARTE-Mediathek haben wir beispielsweise die Doku „Kennen Sie Kafka?“, die anlässlich des 100. Todestags einen neuen Blick auf Werk und Mensch wirft. Den Film haben wir mit unseren tschechischen Kolleginnen und Kollegen koproduziert. Es gibt für uns zwei Entwicklungsansätze dieses Netzwerks: Zum einen wollen wir es erweitern – momentan finden bereits Gespräche statt mit weiteren Sendern in Ost- und Nordeuropa -, und zum anderen wollen wir die Zusammenarbeit innerhalb des Netzwerks weiter stärken. Ich denke, in Zeiten, in denen die Mittel für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht unbedingt stark ansteigen werden, ist es wichtig, die Ressourcen zu bündeln und gemeinsam wirtschaftlich zu handeln.
medienpolitik.net: Wie präsent ist ARTE heute bereits für die europäischen Nutzer?
Hempel: Mit unserem sechssprachigen Angebot aus Dokumentarfilmen, Serien, Kino-- und Fernsehfilmen, Kulturangeboten und Konzertübertragungen erreichen wir bereits jetzt 70 Prozent der Menschen in Europa in Ihrer Muttersprache. Wir erreichen die Menschen zum einen mit unserer Plattform arte.tv, aber auch mit unseren YouTube-Kanälen auf Englisch, Spanisch, Polnisch und Italienisch. Auch auf Instagram, Facebook oder auch TikTok bauen wir unsere mehrsprachige Präsenz weiter aus. Dies alles führt dazu, dass heute bereits rund 20 Prozent unserer Videoabrufe von außerhalb Deutschlands und Frankreichs stammen. Aktuell erleben wir z.B. einen starken Anstieg der Nutzung in Spanien und vor allem in Polen.
„ARTE ist in Deutschland und Frankreich vollends etabliert als Sender und Plattform – und auch als Kern eines kulturellen Netzwerks, das Talente und Kreative fördert und begleitet.“
medienpolitik.net: ARTE wird überwiegend von Deutschland und Frankreich finanziert. Wie hoch ist inzwischen der Anteil der Sender, die nicht aus Frankreich oder Deutschland stammen?
Hempel: Im Vergleich zu den Höhen der deutschen und französischen Finanzierung, mit denen ARTE sein Programm finanziert, ist der Anteil der europäischen Fördermittel geringfügig. Es handelt sich um zusätzliche Mittel, die ausschließlich dafür verwendet werden, bereits bestehende und finanzierte Inhalte für weitere europäische Zielpublika anzupassen (Untertitelung, Verbreitung, etc.).
medienpolitik.net: Emmanuel Macron will, dass die EU ARTE stärker unterstützt, Sendungen aus einem „europäischen Finanzpool“ finanziert werden. Wie sehen Sie die Chancen, hier zu einer Verständigung zu kommen?
Hempel: Die Europäische Union hat die europäische Entwicklung von ARTE in den letzten 10 Jahren stark unterstützt und dafür sind wir äußerst dankbar. Prinzipiell ist es unsere Ambition, unser europäisches Angebot weiter auszubauen, die Tiefe unseres Programmkatalogs in den „neuen“ ARTE-Sprachen zu erhöhen, ein tägliches europäisches Nachrichtenmagazin anbieten zu können, unser dokumentarisches und fiktionales Angebot zu verstärken, ebenso wie mehr Kulturangebote und Konzerte, so dass die europäische Idee nicht abstrakt bleibt, sondern auf der ARTE-Plattform zu einer erfahrbaren und zu Herzen gehenden Angelegenheit wird.
medienpolitik.net: ARTE als europäische Plattform – erfordert das auch strukturelle und organisatorische Veränderungen? Ist das der Abschied von einem deutsch-französischen Kulturkanal?
Hempel: Nein, ARTE ist ein deutsch-französisches Erfolgsprojekt. ARTE ist in Deutschland und Frankreich vollends etabliert als Sender und Plattform – und auch als Kern eines kulturellen Netzwerks, das Talente und Kreative fördert und begleitet. Die europäische Ausrichtung ist jedoch ein Element, das wir uns nicht erst vor ein paar Jahren ausgedacht haben. Der europäische Auftrag von ARTE ist im Gründungsvertrag des Senders verankert. Insofern halten wir es für eine komplementäre Entwicklung, dass ARTE, auf deutscher Seite verbunden mit der ARD und dem ZDF, die europäische Dimension ausbaut.
medienpolitik.net: Die KEF hat für 2025 - 2028 den deutschen Finanzbedarf mit insgesamt 864,9 Mio. Euro beziffert. Das ist eine Steigerung von 10 Prozent und es sind jährlich 215 Millionen Euro deutscher Anteil. Da ARTE von Deutschland und Frankreich paritätisch finanziert wird, müsste dem Sender im Durchschnitt der vier Jahre jährlich 430 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Ist das richtig? Denn auf Ihrer Informationsseite wird nur ARTE G.E.I.E. mit 148 Millionen Euro ausgewiesen. Das ist doch aber nicht das Gesamtbudget?
Hempel: Die Summe, die die KEF für ARTE anerkennt, umfasst sowohl die Mittel für ARTE Deutschland als auch den 50- Prozent-Anteil für ARTE G.E.I.E., der Zentrale in Straßburg. Die Finanzierung von ARTE GEIE erfolgt paritätisch zwischen Deutschland und Frankreich. ARTE France und ARTE Deutschland verfügen zudem über ihre eigene und auf beiden Seiten des Rheins unterschiedlich strukturierte Finanzierung, die es ihnen ermöglicht, jeweils ihren Anteil des ARTE-Programms beizusteuern.