Europas größte Journalistenvereinigung

11. Dezember 2024
Hendrik Zörner, Deutscher Journalisten-Verband
Hendrik Zörner, Deutscher Journalisten-Verband
Gewalt, Tarifverhandlungen und Künstliche Intelligenz: der Deutsche Journalisten-Verband als Brückenbauer für Journalisten

Von Julian Schildheuer, Student der Journalistik an der TU Dortmund

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) blickt auf eine fast 75-jährige Geschichte zurück. Im Laufe der Zeit musste er sich daher vielen medialen Veränderungen anpassen. Zu Zeitungs- und Radiojournalisten kamen für private und öffentlich-rechtliche Fernsehsender tätige Journalisten hinzu. Dann bedeutete das „Neuland Internet“ einen Einschnitt. So verbreiten gerade digitale Plattformen bekanntermaßen nicht nur journalistische Inhalte, sondern auch Desinformation und Hassrede. Auch wundert es nicht: künstliche Intelligenz ist inzwischen ein weiteres, für den Journalismus höchst relevantes Thema. Der Verband musste sich also immer wieder neuen Herausforderungen stellen. Sein Kernanliegen ist allerdinge geblieben: Eine Interessenvertretung von Journalisten zu sein. Mit diesem Beitrag porträtieren Journalisten der TU Dortmund eine weitere Non-Governmental Organisation (NGO).

Der DJV wurde am 10. Dezember 1949 ins Leben gerufen, etwa ein halbes Jahr nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland. „Das ist eine ordentliche Historie. Wobei, wir bereits einige Vorläufer hatten: zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen oder Hamburg. Irgendwann kamen die einzelnen Verbände auf die Idee, eine Interessenvertretung auf Bundesebene zu etablieren“, erzählt Hendrik Zörner, Pressesprecher des Deutschen Journalisten-Verbandes. Die Geschichte des DJV war und ist deshalb eng mit den Zeitläufen der Bundesrepublik Deutschland verknüpft. Das gilt auch örtlich. In Berlin gegründet, zog der DJV gemeinsam mit dem Deutschen Bundestag erst nach Bonn, um 1991 nach Berlin zurückzukehren. 

Generell sieht sich der Verband als Gewerkschaft für fest angestellte Journalisten und als Berufsverband für frei arbeitende Journalisten. Deswegen wird der DJV auch politisch aktiv: „Wir möchten die Medienpolitik beeinflussen bzw. im Gesetzgebungsprozess die Interessen der Journalistinnen und Journalisten artikulieren. Das ist wichtig. Der DJV ist auf allen politischen Ebenen vertreten. Auf Landesebene wirken wir zum Beispiel auf Änderungen der Landesmediengesetze ein und seit einigen Jahren sprechen wir verstärkt auch im Europaparlament mit bzw. artikulieren die Interessen gemeinsam mit unseren internationalen Verbandskollegen auf europäischer Ebene“, bekräftigt Zörner. Er selbst will die Arbeit des Verbandes dennoch nicht als Lobbyismus verstanden wissen, sondern spricht lieber von einer Interessenvertretung. „Das Wort Lobby ist in Deutschland zu negativ konnotiert.“ Oft gehe der DJV auch nicht selbst auf die Politik zu, sondern werde eingeladen, die Interessen der Journalisten gegenüber den Entscheidern zu formulieren. Vor allem dann, wenn Arbeitsbereiche von Journalisten als DJV-Mitglieder berührt werden: „Auf europäischer Ebene haben wir etwa an der Ausarbeitung des AI-Acts mitgewirkt. Wir sind aufgefordert worden, gemeinsam mit Journalistenorganisationen anderer EU-Mitgliedsstaaten unsere Sicht zur künstlichen Intelligenz einzubringen. Dabei ist ein Gesetzeswerk herausgekommen, das weltweit erstmals einen Rahmen für künstliche Intelligenz schafft. Dabei geht es unter anderem um die Berücksichtigung der Interessen journalistischer Urheber.“ Quellen wie zum Beispiel ChatGPT und andere, zum Teil kostenlose AI-Programme greifen auf journalistische Recherchen von DJV-Mitgliedern zurück, um ihre Wissensdatenbank zu füllen und ohne Angaben von Quellen an User weiterzugeben. Das ist für Zörner eine der großen Herausforderungen für den Verband in der heutigen Zeit.

Meilensteine der Verbandsgeschichte

Aber auch ein Blick zurück lohnt sich: Was hat der DJV in der Vergangenheit erreicht? „Einer unserer größten Erfolge war der Tarifvertrag für Volontäre in den 1970er Jahren. Wir haben es geschafft, eine tariflich geregelte Ausbildungsrahmenbedingung zu schaffen“, sagt Zörner nicht ohne Stolz. Hiervon profitieren noch heute viele angehende Journalistinnen und Journalisten. Zwar wissen Leser, Hörer und Zuschauer verschiedenster journalistischer Medien meist nichts von der DJV-Arbeit, doch hätte es den Verband nicht gegeben, sähe die Medienwelt heute wahrscheinlich anders aus. Auch verhinderte der Verband manche Versuche, Redaktionen politisch zu beeinflussen - so wie nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001. Hierzu erklärt DJV-Pressesprecher Hendrik Zörner: „Es gab Versuche, weitgehend in die Pressefreiheit und die Grundrechte einzugreifen. Der damalige Innenminister Otto Schily hatte vor dem Hintergrund des aktuellen Terrors ein Sicherheitsgesetz vorgelegt. Doch das Gesetz hätte dazu geführt, dass es kein Redaktionsgeheimnis mehr gegeben hätte und dass Journalisten Quellen nicht länger hätten schützen können. Das zu verhindern, war ein weiterer Höhepunkt der DJV-Arbeit.“

Das Alltagsgeschäft des DJV besteht aber nicht nur darin, die Medienfreiheit in Deutschland zu verteidigen. Auch nimmt der Verband im Namen seiner Mitglieder an Tarifverhandlungen teil. So gibt es regelmäßig Treffen mit Verlagen, Sendern und Rundfunkanstalten, um über die Gehaltsanpassungen zu sprechen. Denn natürlich hat die steigende Inflation die finanziellen Rahmenbedingungen auch von Journalisten verschlechtert. Gerade bei der Forderung nach Lohnsteigerungen ist aber die Doppelfunktion des Verbandes wichtig zu verstehen: nämlich Gewerkschaft und Berufsverband zugleich zu sein. Denn tarifliche Regelungen lassen sich nur auf Gewerkschaftsseite für festangestellte Journalisten durchsetzen. „Wir erleben aber gerade beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wo Tarifverhandlungen früher keine besondere Herausforderung dargestellt haben, dass die Bereitschaft, den Journalisten ordentliche Gehälter zu zahlen, immer weiter absinkt“, ordnet Zörner die aktuellen Herausforderungen ein. Stattdessen werde in der politischen Arena um die Höhe des Rundfunkbeitrags gefeilscht. Hier Anpassungen vorzunehmen sei aber notwendig, um den öffentlich-rechtlichen Journalismus finanziell angemessen auszustatten. Stattdessen schrieben Ministerpräsidenten Gastbeiträge in Leitmedien, dass es mit ihnen keine Erhöhung des Rundfunkbeitrages gebe werde. Tarifverhandlungen würden dadurch schwieriger – und die Wahrscheinlichkeit von Streiks höher.

Streiks beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Bei der Deutschen Bahn beeinflusst das Millionen von Passagieren, im Supermarkt bleiben die Regale leer und es kommt zu langen Schlangen, im Kindergarten müssen sich Eltern neue Betreuungsmöglichkeiten suchen. Und im Journalismus? Wer berichtet über streikende Reporter und Redakteure? Bekommt es die Allgemeinheit überhaupt mit, wenn Journalisten streiken? „Bei Tageszeitungen ist das tatsächlich schwierig. Dort erscheint das Blatt trotzdem. Eben mit weniger selbst recherchierten Geschichten und mit mehr Stehsatz. Im Radio oder Fernsehen ist das einfacher. Arbeiten Moderatoren oder Redakteure nicht, ist Programmgestaltung schwieriger. Beim Warnstreik der öffentlich-rechtlichen Anstalten im vergangenen Jahr kam es sogar dazu, dass die Ausgabe des ARD-Morgenmagazins nicht gesendet werden konnte. Wenn sich ein Streik so auswirkt, merken die Menschen das.“ Für Hendrik Zörner und den DJV ist es deshalb wichtig, immer wieder auch öffentliche Aufmerksamkeit auf die Probleme und Herausforderungen von Journalisten zu lenken.

Gewaltzunahme gegenüber Journalisten

Mehr Beachtung braucht dem DJV zufolge auch die Gewalt gegenüber Journalisten. Laut Reporter ohne Grenzen kam es 2023 in Deutschland zu mehr als 100 Angriffen. Eine Zahl, die der Deutsche Journalisten-Verband in der breiten Öffentlichkeit präsenter machen will. „Wir sind leider in der Situation, in der die Gewaltschwelle zu weit abgesunken ist. Die Breitschaft und auch die kriminelle Energie, so muss man es sagen, von Menschen Journalisten zu bedrängen, zu behindern und auch zu schlagen, ist ein gesellschaftliches Phänomen. Das ist eines der aktuell wichtigsten Themen für uns“, erörtert Zörner. Deshalb macht der DJV jeden Fall von Gewalt auf Journalisten öffentlich. Die breite Masse müsse wissen, was passiere. Darüber hinaus gelte aber: „Wir stellen keine privaten Sicherheitsdienste an, wir stellen auch keine kugelsicheren Westen zur Verfügung. Aber wir leiten Ermittlungsverfahren ein, sensibilisieren die Polizisten dafür, dass Journalisten Schutz benötigen und versuchen Schutzmaßnahmen zu bieten“, so Zörner. Eine dieser Schutzmaßnahmen ist zum Beispiel ein Schutzkodex, den der DJV gemeinsam mit anderen Medien- und Journalistenorganisationen erarbeitet hat. Dieser findet auf der Ebene der Medienunternehmen Anwendung. All die Unternehmen, die sich dem Schutzkodex der Journalisten anschließen verpflichten sich, für den Schutz ihrer Mitarbeiter Sorge zu tragen. Es gibt etwa juristische Hilfen und Ansprechpersonen im Fall von Bedrohungen. Mit der Nachrichtenagentur dpa, der Wochenzeitung Die Zeit, dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel und anderen großen Medienhäusern haben sich einige Verlage bereits angeschlossen. Gemeinsam mit ihnen soll für Journalisten also der Schutz erhöht werden.

Bleibt der Einzug der Künstlichen Intelligenz in die Medienhäuser. Hier sind zahlreiche Arbeitserleichterungen im Alltagsgeschäft zu verzeichnen. Angesichts des gestiegenen Kostendrucks droht aber auch Job-Abbau. Deswegen ist hier das Ziel des Verbandes, Journalisten vor Arbeitsplatzstreichungen zu schützen und die Integrität der Profession zu erhalten. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen: Dies ist die nächste große Herausforderung in der fast 75-jährigen Geschichte des Verbands. Aber auch hier wird er versuchen, Vertreter der Interessen von Journalistinnen und Journalisten zu sein.

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