
Von Helmut Hartung, Chefredakteur www.medienpolitik.net
Am 9. Juni 1950, vor 75 Jahren, haben sechs öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten eine Arbeitsgemeinschaft gegründet – die ARD. Diese damals existierenden, noch staatlich finanzierten, Sender waren Bayerischer Rundfunk (BR), Hessischer Rundfunk (HR), Radio Bremen, Süddeutscher Rundfunk (SDR), Südwestfunk (SWF) und Nordwestdeutscher Rundfunk (NWDR), sowie – mit beratender Stimme – RIAS Berlin. 1954 wurde die Rundfunkgebühr eingeführt. Im ersten Jahr betrug sie 2,- DM (1 Euro), mit der Gründung des ZDF und der Einführung des Farbfernsehens betrug die Abgabe 7,- DM (3,50 Euro). In dieser Woche würdigt die ARD dieses Jubiläum mit einer Reihe von Sendungen besonders. Aber ist dieses Konstrukt, das sich jetzt groß feiert, noch zeitgemäß? Ist immer teurer und immer mehr, die sinnvolle Strategie für ein Medienhaus, dass von der Akzeptanz seiner Finanziers, den Bürgern, lebt?
Es ist unbestritten, dass in den Landesrundfunkanstalten in den 75 Jahren unvergessliche TV-Erlebnisse entstanden sind. Die Sendungen von und mit Loriot, Krimireihen wie „Stahlnetz“ oder „Tatort“, Informationsangebote wie „Tagesschau“ oder die umfangreiche Berichterstattung nach dem Fall der Mauer 1989/1990, aber auch Unterhaltungsformate mit Hans-Joachim Kuhlenkampff oder Rudi Carell, gehören dazu. Bis 1963 hatten es die ARD-Anstalten relativ einfach und konnten alleine prägen, wie öffentlich-rechtliche Unterhaltung und Information, auszusehen hat. Ab 1963 sendete das ZDF und 1984 gingen die ersten privaten Rundfunkanstalten mit Sat.1, RTL sowie werbefinanzierte Hörfunkangebote on Air. Seitdem war Konkurrenz vorhanden und in 40 Jahren hat sich die Medienwelt signifikant gewandelt. Die Antwort die die zehn Intendantinnen und Intendanten darauf finden, heißt in der Regel: „mehr Geld, sonst können wir den Auftrag nicht erfüllen“. Gespart wird erst, wenn die Politik es vorschreibt und auch dann nur zögerlich. In den dutzenden Pressemeldungen, die die Kommunikationsabteilungen der Anstalten jährlich im Zusammenhang mit Einsparungen, Formen der Zusammenarbeit oder effektiveren Produktionsweisen verschicken, ist nie davon die Rede, dass man sparen wolle, weil es notwendig sei, sondern die Anstalten müssten den Gürtel enger schnallen, weil das politisch gewollt sei. Der wichtigste Antrieb müsste bei der ARD in einigem stetigen Wandel bestehen, um daraus auch ihre Legitimität abzuleiten. Permanente Erneuerung bedeutet aber auch, selbst infrage zu stellen, was man leistet und warum es notwendig ist. Und nicht erst beim zigsten Medienänderungsstaatsvertrag. Seit Jahren erschallt aus den Staatskanzleien, unterschiedlicher politischer Couleur, permanent die Forderung, die öffentlich-rechtlichen Sender sollten den Rundfunkbeitrag effektiver verwenden. Oft klingt es bereits sehr resignierend. Doch diese Appelle verhallen zumeist ungehört. Für alle, die die Notwendigkeit eines solchen Rundfunksystems bejahen und verteidigen, ist dieses Prozedere deprimierend.
Gegenwärtig befindet sich der sogenannte Reformstaatsvertrag in den Landesparlamenten zur Diskussion und Beschlussfassung. Wenn er in Kraft ist, wird sich einiges bei den Anstalten ändern: Der Auftrag wurde reduziert, die Zusammenarbeit zur Pflicht. Natürlich lässt sich berechnen, welche wirtschaftlichen Effekte damit ab 2026 verbunden sind. Doch für die Bedarfsanmeldung bei der KEF für die Jahre 2027/2028 wird das ausgeblendet. Es sei ja noch nicht Gesetz, deshalb sei man auch daran nicht gebunden, ist aus den Intendanzen zu hören. Also wird man wieder einen weiter steigenden Bedarf reklamieren, obwohl die Zeichen in die andere Richtung weisen.
Die Landesrundfunkanstalten der ARD haben insgesamt rund 23.000 fest angestellte Mitarbeiter, sie veranstalten elf Fernsehprogramme, 55 Hörfunkprogramme und verfügen über 16 Orchester und acht Chöre. 4.000 Mitarbeiter sind es beim ZDF. Von den 34,1 Milliarden Euro an Rundfunkbeitrag, den die Gebührenkommission KEF für die Jahre von 2025 bis 2028 prognostiziert, entfallen auf die ARD 24,2 Milliarden Euro, jährlich damit mehr als 6 Milliarden Euro. Wenn sich der Beitrag ab diesem Jahr um 58 Cent erhöht hätte, wie von der KEF empfohlen, wäre dieser Anteil weiter gestiegen. Das ist ein Volumen, von dem private deutsche Medienhäuser nicht einmal zu träumen wagen.
Auch heute werden bewegende Fernsehfilme und Serien produziert, arbeiten in den Landessendern sehr engagierte und kreative Mitarbeiter, ist hier sehr viel Kompetenz für gute Unterhaltung und faktenbasierte Information vorhanden. Doch im Gesamtangebot spürt man davon zu wenig. Zu oft hat der Zuschauer, Hörer oder Online-Nutzer den Eindruck, hier werden Formate und Sendeplätze verwaltet, hier zählt nicht die künstlerische oder gesellschaftspolitische Wirkung, hier wird nur nach Minuten- und Stundenanzahl abgerechnet.
„Zu oft hat der Zuschauer, Hörer oder Online-Nutzer den Eindruck, hier werden Formate und Sendeplätze verwaltet, hier zählt nicht die künstlerische oder gesellschaftspolitische Wirkung, hier wird nur nach Minuten- und Stundenanzahl abgerechnet.“
Im Januar 2024 zog der Zukunftsrat, der von der Rundfunkkommission der Länder berufen worden ist, ein mehr als ernüchterndes Fazit zum Zustand der ARD, daran sei hier noch einmal erinnert: „Die 1950 gegründete „Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland“ muss aufwendig koordiniert werden. Sie wird nicht zielorientiert geleitet und wirksam kontrolliert…In der ARD gibt es auffällig wenig Instanzen, die die Aufgabe haben, das Große und Ganze im Blick zu behalten. Soweit dies doch der Fall ist, verbringen sie einen erheblichen Teil der Zeit damit, ihre Kolleginnen und Kollegen in den anderen Landesrundfunkanstalten in Koordinationssitzungen ‚abzuholen‘. Die KEF betrachtet zwar die ARD als eine Einheit. Diese ‚Einheit‘ hat trotz anerkennenswerter Bemühungen jedoch wenig einheitliche Systeme und kein einheitliches Reporting und damit keine ausreichende Transparenz. Zahlreiche Richtlinien und administrative Verfahren sind nicht harmonisiert. Es bestehen kostspielige Doppel-, ja manchmal Neunfachstrukturen. Die heutige ARD ist in der veränderten Medienwelt zu langsam und schwerfällig. Sie ist zwar modernisierungswillig, aber nur bedingt modernisierungsfähig.“ Würden die Aussagen über ein privates Unternehmen getroffen, weiß jeder, dass ein solcher desolater Zustand, die baldige Insolvenz bedeutet. Aber öffentlich-rechtliche Sender können nicht insolvent werden, auch wenn sie ihre Aufgabe, für die der Rundfunkbeitrag bezahlt wird, nicht mehr erfüllen.
Da viele Medienpolitiker die Analyse der Zukunftskommission teilen und die Notwendigkeit sehen, die Struktur des Senderverbundes zu verändern, gab es für den Reformstaatsvertrag einen Vorschlag, der der Idee des Zukunftsrates sehr nah kam. So war eine zentral geleitete „gemeinsame organisatorische Einheit“ und eine gemeinsame operative Ebene (Geschäftsführer) noch bis Juni vergangenen Jahres vorgesehen. Doch die ARD lief gegen dieses sinnvolle Projekt erfolgreich Sturm, so dass nicht alle Länder zustimmten. Stattdessen einigte man sich auf ein „dezentrales Federführerprinzip als grundlegendes Organisationsprinzip für alle Formen der Zusammenarbeit in der ARD“. Die Benennung einer einzelnen federführenden Anstalt („Einer für Alle-Prinzip“) soll vergleichbar klare Entscheidungswege sichern. Ob das, so wie erhofft und dann auch noch bald, umgesetzt wird, ist eher unwahrscheinlich. Also wird man das ARD-Prinzip, nur so viel Reform, wie unbedingt politisch erforderlich, sowenig Reform, wie möglich, auch in den nächsten Jahre praktizieren.
Dabei könnte das „Einer für Alle-Prinzip“ bereits heute innerhalb der Arbeitsgemeinschaft Anwendung finden. Seit mehr als 30 Monate hat der Rundfunk Berlin-Brandenburg Probleme, seine Rolle als öffentlich-rechtliche Anstalt zu finden. Wie mehrere Zeitungen berichteten, so TAZ und BILD, hat der RBB externe Berater angeheuert, die beim Umbau des RBB ihr Knowhow einbringen könnten. Für seine Unterstützung erhält Parycek, Professor für E-Governance an der Universität Krems und ehemaliger Digitalberater von Angela Merkel, 167.000 Euro pro Jahr. Außerdem soll Oliver Herrgesell die Presseabteilung beraten. Er soll dafür rund 15.000 Euro Honorar erhalten. Sowohl der digitale Umbau als auch eine erfolgreiche PR-Arbeit sind für einige ARD-Sender kein Neuland und es existieren bestimmt Expertisen, mit denen auch dem RBB zu helfen ist. Warum bildet die Sendergruppe nicht eine einstweilige AG „Nothilfe RBB“ und lässt den Sender vom Know-how der anderen profitieren. „Alle für Einen“ wäre ein Prinzip, das Geld spart und dem Geist einer Arbeitsgemeinschaft entspricht.