Von Helmut Hartung, Chefredakteur www.medienpolitik.net
320 Millionen Euro stellt die Europäische Union (EU) insgesamt im Jahr 2024 zur Förderung in den Programmen Creative Europe Media und Kultur bereit. Sechs Millionen Euro davon sind für Games und immersive Inhalte vorgesehen. Das sind keine fünf Prozent der zur Verfügung stehenden Mittel. Auch in Deutschland bleibt die Unterstützung der Videospiele-Branche hinter den Forderungen der Unternehmen zurück. Für Games betrug das Förderbudget in diesem Jahr 70 Millionen Euro und es ist Mitte des Jahres, wie schon 2022, zu einem Antragstop gekommen. Im Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 2024 sind nicht einmal diese 70 Millionen Euro enthalten. Stattdessen wird das Games-Budget des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) auf lediglich 48,7 Millionen Euro abgesenkt. Dabei gewinnen Video- und Computerspiele als Medium immer mehr an Bedeutung. Mehr als die Hälfte (53 Prozent) der Deutschen ab 16 Jahren spielt zumindest hin- und wieder Videospiele. Unter den Jüngeren zwischen 16 und 29 sind es sogar 91 Prozent, bei den 30- bis 49-Jährigen 74 Prozent und bei den 50- bis 64-Jährigen 46 Prozent. Games sind ein anerkanntes Kulturgut. Gemessen an der Förderung, allerdings nur Kultur zweiter Klasse.
Die Gamescom konnte in diesem Jahr in vielen Bereichen neue Bestwerte erzielen: Mehr Aussteller aus einer größeren Zahl von Ländern, bei millionenfacher Reichweite in alle Welt. Damit unterstrich sie ihre Position als weltgrößtes Games-Event deutlich. Allein bis zum Abschlusstag wurden weltweit über 180 Millionen Views gezählt. 320.000 Menschen besuchten die Gamescom 2023 vor Ort in Köln. Aber auch mehr als 270 Politikerinnen und Politiker nutzten die Gamescom 2023, um sich mit der Games-Branche auszutauschen und sich einen Überblick über die neuesten Trends und Entwicklungen zu verschaffen. Es herrschte laut Pressemeldung des Game – Verband der Deutschen Games-Branche - Einigkeit über die große Bedeutung der Games-Branche als Wirtschaftsfaktor, Kulturgut und Innovationstreiber. Doch wie sieht diese „Einigkeit“ in der Realität aus?
Es war nur ein Spiel
Die eigentliche Geburtsstunde digitaler Spiele ereignete sich Ende der 50er Jahre. Amerikanische Universitäten waren zu dieser Zeit die ersten Einrichtungen, an denen junge Akademiker und Technikenthusiasten mit dem neuen Medium Computer experimentieren konnten. In dieser Pionierzeit entwickelte Student Steve Russell mit „Spacewar!“ 1961 dann auch das erste Computerspiel. Diese ersten Gehversuche waren nur einem kleinen Publikum zugänglich, da sie ausschließlich auf teuren Universitätsrechnern liefen. Die eigentliche Ära der Computer- und Videospiele wurde von zwei Gründervätern eröffnet: Ralph Baer entwickelte mit der Magnavox Odyssey die erste Konsole, Atari-Gründer Nolan Bushnell folgte 1972 mit dem Videotennis „Pong“. Anfang der 70er Jahre wurden Konsolen dann bereits regelmäßig mit entsprechender Spiele-Software versorgt. Die Jahre ab Mitte der 1970er bis 1982 gelten als das „goldene Zeitalter der Videospiele“. Das sich daraus innerhalb weniger Jahrzehnte ein prosperierender Wirtschaftszweig, ein wichtiges Medium und auch ein Kulturgut entwickeln würde, war damals nicht abzusehen. Es war nur eine andere Art zu spielen.
Für die Hälfte der Bevölkerung sind Games Kulturgut wie Bücher und Filme
Video- und Computerspiele gewinnen heute als Medium immer mehr an Bedeutung. Das ist ein zentrales Ergebnis einer repräsentativen Befragung im Auftrag des Digitalverbands Bitkom. Mehr als die Hälfte (53 Prozent) der Deutschen ab 16 Jahren spielt zumindest hin- und wieder Videospiele. Unter den Jüngeren zwischen 16 und 29 sind es sogar 91 Prozent, bei den 30- bis 49-Jährigen 74 Prozent und bei den 50- bis 64-Jährigen 46 Prozent. In der Altersgruppe ab 65 Jahren spielt jede und jeder Fünfte (19 Prozent). 39 Prozent der Gamer sagen, sie können sich ein Leben ohne Video- und Computerspiele nicht mehr vorstellen. Für 51 Prozent der Gamer sind Video- und Computerspiele laut Umfrage ein gesellschaftliches Kulturgut wie Bücher, Filme oder Musik. Knapp die Hälfte (49 Prozent) der Gamer ist überzeugt, dadurch erlerne man wichtige Fähigkeiten für das reale Leben wie Teamfähigkeit, Reaktionsschnelligkeit oder strategisches Denken. Eine zunehmende Rolle spielen Mobile Games: Vier von zehn Deutschen (37 Prozent) gehören zu den Mobile Gamerinnen und Gamern. Dabei ist Mobile Gaming ein Hobby für jedes Alter. Besonders hoch ist die Nutzung von Spiele-Apps unter den Ältesten: Denn rund jede beziehungsweise jeder Dritte der Mobile-Games-Spielenden ist 50 Jahre alt oder älter (32 Prozent). Dieses große Interesse in den höheren Altersgruppen spiegelt sich auch im steigenden Durchschnittsalter der Fans von Spiele-Apps wider. Dieses liegt aktuell bei 38,9 Jahren und ist damit höher als bei Gamerinnen und Gamern anderer Plattformen. Bei den Jüngeren nutzt rund jede beziehungsweise jeder Fünfte zwischen zehn und 19 Jahren (21 Prozent) Spiele-Apps. Eine weitere Besonderheit von Games für Handys und Tablets: Etwas mehr Frauen als Männer in Deutschland spielen Mobile Games: So liegt der Frauenanteil bei 52 Prozent und der Anteil der Männer bei 48 Prozent. Sehr hoch ist inzwischen der Anteil der 6- bis 13-jährigen Kinder in Deutschland. Laut KIM-Studie 2022 spielen 60 Prozent mehrmals in der Woche. Der Anteil der Kinder die (fast) täglich Videospiele nutzen (23%), nimmt mit steigendem Alter der Kinder zu. Nur 29 Prozent verweigern sich dem Game-Boom
Weltweit nutzt fast jeder zweite Bewohner Games
Das hohe Wachstum an der Game-Nutzung zeigt sich auch weltweit. So werden im Jahr 2023 rund 3,8 Milliarden Menschen weltweit Videospiele spielen, acht Prozent mehr als im Jahr zuvor. Diese Zahl wird bis 2024 weiter wachsen und so sollen nächstes Jahr vier Milliarden Gamer weltweit zu verzeichnen sein. Bei einer Weltbevölkerung von 8 Milliarden Menschen. Die größten Märkte, bezogen auf den Absatz von Games, sind China mit 744,1 Mio. Spielern und 45,8 Mrd. Dollar Umsatz; die USA mit 209,8 Mio. Spielern und 45,0 Mrd. Dollar Umsatz; Japan mit 77,1 Mio. Spielern und 20,0 Mrd. Dollar Umsatz; Südkorea mit: 34,1 Mio. Spielern und 7,9 Mrd. Dollar Umsatz und Deutschland mit 49,5 Mio. Spielern und 6,6 Mrd. Dollar Umsatz.
Zahlreiche Blockbuster-Spiele und die hohe Nachfrage nach Spielekonsolen haben auch den deutschen Games-Markt im ersten Halbjahr 2023 um 4 Prozent wachsen lassen. Der Umsatz mit Games für PC, Spielekonsolen und Mobilgeräte stieg um 4 Prozent auf rund 2,7 Milliarden Euro. Mit Games-Hardware – hierzu zählen Spiele-PCs, Spielekonsolen und entsprechendes Zubehör – konnten rund 1,6 Milliarden Euro umgesetzt werden. Mit fast zehn Milliarden Euro Umsatz im Jahr 2022 ist die deutsche Games-Industrie die umsatzstärkste Kreativbranche, deutlich vor Film- und Musikindustrie. Inzwischen spielen fast zwei Drittel aller Deutschen Computer- oder Videospiele. Damit ist Deutschland der größte Computerspielemarkt in Europa und der fünftgrößte Markt weltweit. Trotz des enormen Umsatzes des deutschen Games-Marktes, einschließlich der Hardware, von insgesamt 9,87 Milliarden Euro im Jahr 2022 ist der Anteil heimischer Spieleentwicklungen gering. Zuletzt lag er bei unter fünf Prozent. Zwar gibt es zahlreiche Unternehmensgründungen in der - heute bestehen insgesamt 908 Unternehmen, ein Zuwachs von 15,5 Prozent im Vorjahresvergleich, aber das ist viel zu gering, um international mithalten zu können. Bei der Mehrheit handelt es sich um Unternehmen, die mit der Entwicklung von Games beschäftigt sind. Sowohl als Spieleentwickler als auch als Publisher agieren insgesamt 411 Games-Unternehmen und weitere 450 Firmen sind ausschließlich in der Spieleentwicklung aktiv. Positiv entwickelt sich auch der Trend bei den Beschäftigten. So steigt die Anzahl der Mitarbeiter bei Entwicklungsstudios und Publishern auf 11.992. Damit sind es knapp 7 Prozent mehr als noch 2022. Zusammen mit dem erweiterten Games-Arbeitsmarkt, zu dem unter anderem Beschäftigte bei Dienstleistern, im Handel, bei Bildungseinrichtungen, Medien und im öffentlichen Sektor zählen, sichert die Games-Branche in Deutschland damit deutlich mehr als 30.000 Arbeitsplätze.
Games-Branche mit Nachnutzungs-Effekt
Der Videospieleindustrie und ihrer Kundschaft sind Herkunft und Tradition, anders als bei TV-Plattformen, anscheinend gleichgültig – mit Ausnahme von Japan oder Südkorea vielleicht. Wo ein Spiel entwickelt wurde, spielt für den Nutzer keine wesentliche Rolle. Zumal bei Großprojekten Studios aus unterschiedlichen Ländern zusammenwirken. Umgekehrt ist es Publishern und Entwicklern auch egal, wo der Umsatz entsteht. Doch wenn Games ein Kulturgut sind, müssen sie auch im gesellschaftlichen Kontext bewertet, privilegiert und gefördert werden, so wie Kinofilme, TV-Serien und Bücher. Auch Games vermitteln historische Sachverhalte, politische Botschaften und Werte. Und sie tragen in zunehmendem Maß zur Meinungsbildung bei. In China beispielsweise erfolgte ein Verbot bestimmter Inhalte: Nachdem die chinesische Regierung erst die Online-Spielzeit für Minderjährige auf maximal drei Stunden pro Woche beschränkt hat, dürfen Videospiele in China jetzt nur noch bestimmte Inhalte besitzen - andere sind verboten. Konkret plant China einen staatlichen Boykott von Spielen, die "falsche Werte" vermitteln, wie zum Beispiel Homosexualität. Doch nicht nur der kulturell- und gesellschaftspolitische Aspekt sind wichtig, sondern auch der wirtschaftliche. Von der Games-Branche kann ein für die Wirtschaft wichtiger Spillover-Effekt ausgehen. Das heißt, dass die Ergebnisse und Erkenntnisse der Spieleentwicklung auch für andere Bereiche der Volkswirtschaft genutzt werden.
Games nur ein Kulturgut zweiter Klasse?
Die Gaming-Industrie hat maßgeblich zur Entwicklung und Verfeinerung verschiedener Technologien beigetragen. Grafikkarten, Prozessoren und andere Hardware-Komponenten wurden kontinuierlich verbessert, um den wachsenden Ansprüchen der Entwickler und Gamer gerecht zu werden, analysiert das Wirtschaftsmagazin „Capital“ in seiner Berichterstattung über die weltgrößte Spielemesse. Die Folge seien merkliche Fortschritte bei medizinischer Bildgebung, bei künstlicher Intelligenz und bei Virtual Reality. Der Hunger nach immer realistischeren Spielen habe die Leistungsgrenze der Hardware immer wieder verschoben und dabei innovative Lösungen gefunden, die andere Branchen übernommen haben, schreibt „Capital“. Zu den Arbeitsplätzen, die die Gaming-Industrie schafft, zählten nicht nur Softwareentwicklung und Grafikdesign, sondern auch Bereiche wie Marketing und E-Sport. Wer als Entwickler für Games gearbeitet hat, dem stehe eine Karriere auch in anderen Zweigen offen. „Immer wieder höre ich von Gaming-CEOs“, so Michael Kellner, „dass ihre Fachkräfte von der Industrie abgeworben werden.“ Es bestehe ein regelrechtes Wettbieten um die Expertise und Erfahrung von Entwicklern. Zu den Stärken der Games-Unternehmen gehören eigene Forschungs- und Innovationsabteilungen. Von Techniksimulationen über KI-Algorithmen bis zur Erprobung interaktiver Erzählformen sind Spiele eine Plattform für neue Technologien und Ideen. Auch für Bildung und Lernen sind Spiele zunehmend moderne Stoffvermittler. Serious Games und Bildungssimulationen werden verstärkt in Schulen und Unternehmen eingesetzt, um komplexe Vorgänge anschaulich zu präsentieren. Auch im Gesundheitswesen finden Gaming-Anwendungen ihren Platz. Sie werden genutzt, um Patienten zu informieren und zu motivieren. Darüber hinaus finden Virtual-Reality-Spiele für physiotherapeutische Zwecke Verwendung.
Um so wichtiger ist es, dass das unwürdige Spiel der Politik um eine angemessene Förderung aufhört und die deutsche Games-Branche eine finanzielle Unterstützung erhält, die der Filmwirtschaft vergleichbar ist. Zusammen verteilen Bund und Länder hier fast 600 Millionen Euro an Fördermitteln im Jahr, so Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Für Games betrug das Förderbudget in diesem Jahr 70 Millionen Euro und es ist Mitte des Jahres, wie schon 2022, zu einem Antragstop gekommen. Und im Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 2024 sind nicht einmal die seit Ende 2022 durch den Deutschen Bundestag zugesicherten 70 Millionen Euro für die Games-Förderung enthalten. Stattdessen wird das Games-Budget des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) auf lediglich 48,7 Millionen Euro abgesenkt. So werden Games zu einem Kulturgut zweiter Klasse.
Der Text erschien, leicht verändert, in „Politik & Kultur“, der Zeitung des Deutschen Kulturrates, Heft 10/2023