Lokale Tageszeitungen stehen unter Dauerdruck

20. März 2025
Helmut Hartung, Chefredakteur medienpolitik.net
Helmut Hartung, Chefredakteur medienpolitik.net
„Gelnhäuser Neuen Zeitung“ stellt Insolvenzantrag. Medien- und Meinungsvielfalt ist vor allem in Landkreisen bedroht. Länder sind zur Sicherung der Meinungsvielfalt verpflichtet.

Von Helmut Hartung, Chefredakteur www.medienpolitik.net

Die Geschäftsführer und Gesellschafter des Druck- und Pressehauses Naumann haben den Lesern der „Gelnhäuser Neuen Zeitung“ am Dienstagnachmittag mitgeteilt, dass sie „für Gesellschaften unserer Gruppe Insolvenzanträge in Eigenverwaltung“ stellen. Die unternehmerische Regie mit der alleinigen Entscheidungsgewalt bleibe weiterhin vollständig im Unternehmen. Für die Leser und Kunden würde sich nichts ändern. Die Löhne und Gehälter für die Mitarbeiter seien gesichert und man werde auch weiterhin noch neue Beschäftigte und Auszubildende einstellen, so die Mitteilung der Gesellschafter. „Die Gelnhäuser Neue Zeitung“ (GNZ) erscheint im Main-Kinzig-Kreis. Die verkaufte Auflage beträgt 8766 Exemplare (IVW 4/2024). Die Inhalte werden als Print-Zeitung, als E-Paper und auf dem gleichnamigen Nachrichtenportal verbreitet. Sie wurde 1988 gegründet.

Die Krise der "Gelnhäuser Neue Zeitung“ steht für die Probleme vieler lokaler und regionaler Tageszeitungen. Dennoch ist Deutschland noch immer ein Land der Zeitungs- und Zeitschriftenleser, zunehmend auch digital. Täglich erscheinen 316 Tageszeitungen mit weit über eintausend lokalen Ausgaben in einer gedruckten Gesamtauflage von über 12 Millionen Exemplaren. Daneben kommen 16 Wochenzeitungen mit 1,63 Millionen Exemplaren und sechs Sonntagszeitungen mit einer Auflage von 1,53 Millionen heraus. Mit ihren gedruckten Ausgaben und Digitalauftritten erzielen die Zeitungen eine Gesamtreichweite von 77,2 Prozent. Das sind 54,4 Millionen Menschen, die täglich eine gedruckte oder mindestens wöchentlich digital Zeitung lesen. Allein über die gedruckte Ausgabe erreichten die Zeitungen im Jahr 2024 50,5 Prozent der Bevölkerung (Leser pro Ausgabe). Die digitalen Zeitungsangebote werden von 37,7 Millionen Leserinnen und Lesern regelmäßig genutzt und haben damit eine Reichweite von 53,5 Prozent der Bevölkerung (Nutzer pro Woche). Dennoch: Die Auflagen und Umsätze sind bei vielen Verlagen langanhaltend konstant rückläufig. Im Jahr 2023 wurden mit Zeitungen in Deutschland knapp 6,7 Milliarden Euro erwirtschaftet. Etwa 6,4 Milliarden Euro trugen die Tageszeitungen bei, während der Umsatz der Wochen- und Sonntagszeitungen bei rund 282 Millionen Euro lag. Die Umsätze sowohl der Tageszeitungen als auch der Wochen- und Sonntagszeitungen sind insgesamt tendenziell rückläufig. Die Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PwC) ging für das Jahr 2022 von einem Gesamtumsatz des deutschen Zeitungsmarktes von rund 6,71 Milliarden Euro aus – und prognostiziert bis zum Jahr 2027 einen weiteren Rückgang auf rund 6,31 Milliarden Euro. 2008 wurden noch rund 9,22 Milliarden Euro umgesetzt. Besonders hohe Verluste werden dabei insbesondere für die Printwerbe- und Printvertriebserlöse der Zeitungen erwartet, während die Segmente digitale Werbung und digitaler Vertrieb sogar wachsen sollen – allerdings nicht ausreichend, um den Negativtrend auszugleichen.

Greiz war 2023 erst der Anfang

Seit 1. Mai 2023 gibt es im thüringischen Landkreis Greiz für 300 Abonnenten der „Ostthüringer Zeitung“ keine Zustellung ihrer gedruckten Tageszeitung mehr. Dieser Schritt der Funke Medien Thüringen war bis zu diesem Zeitpunkt einmalig. Inzwischen folgten weitere Lokalausgaben. Selbst die „Süddeutsche Zeitung“ muss ihre Regionalberichterstattung reduzieren. Bereits im Mai 2020 hat das Beratungsunternehmen Schickler davor gewarnt, dass bis zum Jahr 2025 die Anzahl der zustellgefährdeten Gemeinden in Deutschland ungefähr 40 Prozent aller Gemeinden betragen könnte. In diesen 4.396 Orten leben in Deutschland derzeit über 4,3 Mio. Einwohner, die von einer Zustellung mit der gedruckten Tageszeitung ausgeschlossen werden könnten. In Greiz begann sich die Prognose zu bewahrheiten. Funke versucht die bisherigen Printabonnenten mit großem Aufwand davon zu überzeugen, zur Digitalausgabe zu wechseln. Mit mäßigem Erfolg. Die Zustellung von periodischen Presserzeugnissen wird zuerst in ländlichen Gebieten, in Flächenländern wie Thüringen, Sachsen oder Niedersachsen, problematischer. Sinkende Auflagen, höhere Papierpreise, steigende Energie- und Spritpausgaben sowie die Erhöhung des Mindestlohns führen bei der Belieferung der Abo-Kunden zu immer höherem finanziellem Aufwand. Dadurch werden zunehmend mehr Zustellgebiete unwirtschaftlich.

Zeitung fordern Reduzierung der Mehrwertsteuer auf Presseerzeugnisse

Um die Verlage wirtschaftlich zu entlasten, appellieren die Länder an den Bund mit einer Zustellförderung „schnellstmöglich“ Maßnahmen zu ergreifen, um die flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen weiterhin zu gewährleisten. So bat der Bundesrat 2022 und 2023 die Bundesregierung, zeitnah ein Förderkonzept vorzulegen, das eine unabhängige journalistische Tätigkeit der Medienhäuser auch zukünftig gewährleistet. Mehrere Medienminister aus den Ländern hatten die Ampel-Regierung aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, um die flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen auch weiterhin zu gewährleisten. Eine Reaktion aus Berlin blieb jedoch aus. Die Notwendigkeit und verfassungsrechtliche Möglichkeit einer Zustellförderung für die Presse bestätigte sogar Gutachten, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klima (BMWK) veröffentlich wurde und bereits von der vorherigen Behörde in Auftrag gegeben worden war. Zusammen mit den Ergebnissen der Studie teilte das Bundesministerium allerdings mit, dass es für eine Bundesförderung der Presse „keine Zuständigkeit“ besitze. Auch mache sich das BMWK „die Schlussfolgerungen der Studie, nicht zu eigen“. Bekanntlich verhallten diese Bitte und Forderung. Während die Schweiz und Österreich neue Zustellförderungen beschlossen haben, gibt es für deutsche Verlage keine Unterstützung. Das haben auch die Verleger inzwischen begriffen, dass außer Sonntagsreden von der Berliner Politik nicht zu erwarten ist. Deshalb fordern sie jetzt eine Absenkung oder einen Verzicht der Mehrwertsteuer auf Presseprodukte. Man wird bald sehen, ob die neue Bundesregierung diesen Wünschen nachkommt.

Online-Angebote der ARD werden zu Konkurrenten für regionale Zeitungen

Es sind nicht nur ungünstige wirtschaftliche Rahmenbedingungen und der Wandel in der Mediennutzung, die die Existenzgrundlage der Zeitungen gefährden, dazu trägt auch die wachsende Konkurrenz durch Online-Angebote von ARD-Anstalten bei. In dieser, für die Verlage wirtschaftlichen komplizierten Situation, werden die Länder ihrer verfassungsmäßigen Verantwortung für die Sicherung der Medienvielfalt in Deutschland nur ungenügend gerecht. So haben sie die Hoffnung, dass eine Präzisierung der „Presseähnlichkeit“ im Reformstaatsvertrag die ARD-Anstalten besser davon abhält, in den Revieren der Zeitungsverlage zu wildern. Aber sicher ist das nicht. In einer Beschwerde bei der EU-Kommission hatte der Verlegerverband BDZV im Mai vergangenen Jahres einen mangelhaften Auftrag und unzureichende Kontrolle beklagt und auch die steigende Anzahl einer regionalen Textberichterstattung in den Online-Angeboten der ARD-Sender moniert. Inzwischen hat die EU-Kommission den Bund zu einer Stellungnahme aufgefordert, die seit einigen Wochen in Brüssel vorliegen soll. Der novellierte Medienstaatsvertrag regelt, dass „die eigenen Portale sowie Telemedien auf Drittplattformen jeweils nicht presseähnlich sein dürfen. Eigene Portale sind im Schwerpunkt mittels Bewegtbild oder Ton zu gestalten.“ In der Begründung heißt es: „Die öffentlich-rechtlichen Onlineangebote wer-den seit dem 22. RÄStV primär als Bewegtbild- und Ton-Angebote gesehen. Texte sollen eine untergeordnete Rolle spielen. Dieser Rechtsrahmen für die Nutzung von Texten in den öffentlich-rechtlichen Onlineangeboten wird im Lichte der Einwicklung der Mediennutzung und -gestaltung ausgewogen fortentwickelt“. Aber natürlich bestehen weiterhin Ausnahmen von dieser grundsätzlichen Festlegung.

Matthias Cornils, Direktor des Mainzer Medieninstituts, sieht es als Aufgabe der Länder an, dafür zu sorgen, dass hier eine vernünftige Balance gewahrt bleibe und die private Publizistik, die unter schwerem wirtschaftlichem Druck stehe, nicht vorschnell einem allumfassenden Konzept staatlich organisierter und öffentlich finanzierter Informations-Daseinsvorsorge geopfert werde. „Auch die privatwirtschaftlich organisierte Presse kann sich für ihre öffentliche Aufgabe nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf eine grundrechtliche Funktionsgarantie von keineswegs geringerem Gewicht berufen“, sagt Cornils. Bei den Online-Angeboten müsse der gebotene Schutz der Pressewirtschaft dadurch erreicht werden, dass die Angebote der Anstalten in ihrer Gestaltung klar unterscheidbar bleiben, sich also im Wesentlichen auf audiovisuelle Gestaltungsmittel beschränken. Weder verfassungsrechtlich noch nach dem Medienstaatsvertrag bestehe eine Verpflichtung für weitere oder erweiterte Online-only-Angebote der öffentlich-rechtlichen Anstalten.

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