Mehr als nur ausgleichende Gerechtigkeit

02. Juni 2025
Bundesregierung will Medienvielfalt durch Abgaben globaler Plattformen sichern

Von Helmut Hartung, Chefredakteur medienpolitik.net

Anscheinend will eine Bundesregierung endlich ernst machen und den Sonntagsreden über die Sicherung von Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit Taten folgen lassen. Unser Grundgesetz gibt vor, dass die Sicherung der Meinungsvielfalt in erster Line Aufgabe der Länder ist, da sie die Kompetenz für Medien haben. Aber Fakt ist, dass es ohne Unterstützung der Bundesregierung nicht funktioniert. Das belegen die vergangenen Jahre. Ende vergangener Woche hat Wolfram Weimer, Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien, in einem Interview mit dem „Stern“ als eine seiner ersten Amtshandlungen die „Einführung eines Plattform-Solis“ angekündigt. So soll die Medienvielfalt in Deutschland langfristig gesichert werden.

Die digitale Medienwirtschaft in Deutschland stünde vor großen Herausforderungen: Monopolähnliche Strukturen großer Plattformen wie Google oder Meta schränkten seit geraumer Zeit den Wettbewerb und damit auch die Medienvielfalt in Deutschland stark ein. „Zum anderen machen die Konzerne in Deutschland Milliardengeschäfte mit sehr hohen Margen und profitierten enorm von der medialen und kulturellen Leistung sowie der Infrastruktur unseres Landes – sie zahlen aber kaum Steuern, investieren zu wenig und geben der Gesellschaft viel zu wenig zurück“, so der Staatsminister für Kultur und Medien. Um dieser undemokratischen Einschränkung zu begegnen, schlug Weimer die Besteuerung von Onlinewerbeleistungen vor: „Wir halten einen Abgabesatz von 10 Prozent für moderat und legitim“, so Weimer. Eine entsprechende Gesetzesvorlage soll nun erarbeitet werden. Alternativ würde aber auch eine freiwillige Selbstverpflichtung der Plattformen geprüft. Dazu hat der Kulturstaatsminister Vertreterinnen und Vertreter der Branche zu Gesprächen ins Bundeskanzleramt eingeladen.

Die ersten Reaktionen von Verbänden der Digitalwirtschaft zeigen, dass die Bereitschaft für eine solche Abgabe gleich Null ist. "Wir brauchen nicht mehr, wir brauchen weniger finanzielle Belastungen für digitale Güter und Dienste", erklärte beispielsweise Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst. Denn neue Abgaben führten nach Ansicht des Bitkom zu Preiserhöhungen. Der eco, Verband der Internetwirtschaft, erwartet durch eine Abgabe zunehmende Bürokratie. Der Verband befürchte zudem eine weitere Belastung der Beziehungen mit den USA, wenn Alpha und Meta zusätzlich besteuert würden. Auch der Bundesverband der Digitalen Wirtschaft (BVDW) lehnt die Pläne der Bundesregierung ab, da eine Digitalabgabe negative Auswirkungen auf die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft und der Medien in Deutschland hätte.

Anders ist – erwartungsgemäß – die Reaktion der Medienverbände, die überwiegend klassische Medien vertreten. Diese plädieren seit Jahren für eine messbare Unterstützung ihrer Angebote. Bisher ohne Erfolg. Die Sprecher des Bündnisses Zukunft Presse von Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) und Medienverband der freien Presse (MVFP), Matthias Ditzen-Blanke und Philipp Welte begrüßen, „dass die neue Bundesregierung die Plattformmonopole im Interesse digitaler Medienvielfalt in die Pflicht nehmen will. Eine Steuer auf Onlinewerbeleistungen der Monopole ist dafür nur geeignet, wenn die Einnahmen nicht im Bundeshaushalt verschwinden, sondern unmittelbar für die Gegenfinanzierung der Unterstützung redaktioneller Medien verwendet werden, deren Wirtschaftlichkeit durch eben jene internationalen Technologieplattformen massiv angegriffen ist. Unverändert ist der richtige Weg dieser Unterstützung die Reduzierung der Umsatzsteuer für die gedruckt wie digital erscheinende periodische Presse." Die Arbeitsgruppe aus SPD, CDU und CSU, die für die Bereiche Kultur und Medien den Koalitionsvertrag erarbeitete, hatte diese Umsatzsteuermindereinnahmen durch Senkung der Mehrwertsteuer auf null Prozent bei gedruckten und digitalen periodischen Presseprodukte mit jährlich 700 Millionen Euro berechnet. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu nur noch: „Die Herausforderungen der Zustellung der Zeitungen werden wir mit den Verlagen erläutern.“ Weimers Ankündigung gibt den Verlegern wieder Hoffnung, dass die Mehrwertsteuer doch noch gesenkt werden könnte.

„‚Sicherung der Meinungsvielfalt‘ bedeutet in erster Linie einen Erhalt der klassischen Medien und eine wirtschaftliche Sicherung ihrer zunehmend digitalen Präsenz.“

Zustimmung kommt auch vom Vaunet, dem Verband privater Medien. Der Vaunet stimmt dem Ziel zu, die gewachsene Medienvielfalt in Deutschland zu verteidigen. „Nur so kann den dramatischen Verschiebungen in der Wertschöpfungskette zu Lasten der Medien, die nachhaltig journalistisch-redaktionelle Inhalte erstellen, entgegengewirkt werden. Dies ist umso dringlicher, als dass sich durch den Einsatz von KI seitens marktmächtiger Player das Zeitfenster immer schneller schließt, sagt Claus Grewenig, Vorstandsvorsitzender des Vaunet und Chief Corporate Affairs Officer von RTL Deutschland. Wichtig seien, nach Ansicht des Verbandes, bei der Umsetzung insbesondere die präzise Bestimmung des Verpflichtetenkreises, die Zielgenauigkeit der Maßnahmen sowie eine staatsferne Umsetzung bei der Verteilung. Zudem erwarten die digitalen Medien, dass neben der Sicherung der Refinanzierungsfreiheit privater Medien auch die Weiterentwicklung der Plattformregulierung bei der Auffindbarkeit von Medieninhalten sowie die Möglichkeiten für Medienunternehmen zu Kooperationen im Wettbewerbsrecht weitere zentrale Bausteine für ein Level Playing Field sein müssten.

Die Arbeitsgemeinschaft Privater Rundfunkanbieter (APR) begrüßt, dass die neue Bundesregierung die großen Medienplattformen und Internetmonopolisten in die Verantwortung nehmen und im ersten Schritt eine Steuer auf Onlinewerbeleistungen erheben will. Dabei sei es wichtig, die Einnahmen nicht nur im Bundeshaushalt zu vereinnahmen, sondern unmittelbar für die Gegenfinanzierung der Unterstützung redaktioneller Medien zu verwenden, da deren wirtschaftlichen Grundlagen explizit durch die genannten internationalen Technologieplattformen zerstört werden. Das Beispiel Österreich zeige, so der APR, wie eine Digitalabgabe sinnvoll zur Unterstützung journalistisch verantwortlicher Medien genutzt werden kann.

Mehre Studien der jüngsten Zeit belegen, dass es vor allem die Angebote der klassischen Medien, des privaten und öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der Zeitungen und periodischen Zeitschriften aber auch der lokalen TV-Sender und des Bürgerfunks, entscheidend für die Meinungsbildung sind. Zunehmend auch über digitale Wege verbreiten diese journalistisch arbeitenden Medien ihre Inhalte. Während der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit dem Pflichtbeitrag abgesichert ist und sogar eine Beitragserhöhung einklagen kann, kämpft der private Rundfunk mit steigenden Kosten und einem Rückgang der Werbeeinnahmen. Ähnlich schwierig ist bekanntlich die Lage der Printmedien. Dennoch zeigt die Studie „Zeitungsqualitäten 2025“, dass immer mehr Menschen Zeitungen digital nutzen. Mit einer Reichweite von 77,3 Prozent und wöchentlich 54,5 Millionen Leserinnen und Lesern – offline und online – erreichen Zeitungen eine breite Bevölkerungsbasis, darunter auch junge Zielgruppen. Besonders lokale und regionale Angebote genießen großes Vertrauen: 93 Prozent der Befragten sehen sie als erste Adresse für lokale Berichterstattung. Gleichzeitig wächst die Bedeutung kostenpflichtiger digitaler Abonnements, was die hohe Wertschätzung für qualitativen Journalismus widerspiegelt. Ohne Subventionierung durch Landesmedienanstalten oder einige Landesregierungen würden die lokalen TV- und Hörfunksender sowie viele Bürgermedien nicht mehr existieren. Die Vergabe der Mittel, die künftig durch einen Digital-Soli fließen, über die Landesmedienanstalten würde auch eine staatsferne „Verteilung“ garantieren.

Wo ist die digitale Plattform, die die Bürger mit lokalen Informationen versorgt? Wenn es diese lokalen Medien, einschließlich der Lokalausgaben der Zeitungen und der lokalorientierten Anzeigenblätter nicht mehr gäbe, entstünde ein Informationsdefizit im Heimatbereich der Menschen. Diesen Medien vertraut die übergroße Mehrheit der Bevölkerung nach wie vor am meisten. Deshalb bedeutet „Sicherung der Meinungsvielfalt“ in erster Linie einen Erhalt der klassischen Medien und eine wirtschaftliche Sicherung ihrer zunehmend digitalen Präsenz.

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