
Lineare Medienangebote sind gegenüber Telemedien stärker reguliert. Das hat Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Unternehmen. Zu diesem Schluss kommt das von der Landesanstalt für Medien NRW in Auftrag gegebene juristische Gutachten „(Un-)Level Playing Field im Medienbereich“ von Prof. Dr. jur. Ralf Müller-Terpitz (Universität Mannheim). Ziel der Analyse war es, zu prüfen, ob im aktuellen regulatorischen Rahmen gleiche Wettbewerbsbedingungen – ein sogenanntes „Level Playing Field“ – zwischen linearen und nichtlinearen Medien bestehen. Das Ergebnis: In der Gesamtheit der regulatorischen Maßnahmen herrscht derzeit ein Ungleichgewicht zu Ungunsten linearer Medienangebote – mit potenziellen Auswirkungen auf die Medienvielfalt. Diese zu bewahren erfordert aus Sicht der Medienanstalt NRW ein ausgewogenes Level Playing Field, denn ohne faire Rahmenbedingungen droht bestimmten Mediengattungen langfristig das Aus.
„Dieses Gutachten ist für uns ein notwendiger Schritt, um die medienpolitische Lage differenziert einzuordnen. Für uns als Landesanstalt für Medien NRW ist klar: Wenn wir Medienvielfalt und fairen Wettbewerb sichern wollen, müssen die bestehenden Rahmenbedingungen auch auf europäischer Ebene weiterentwickelt werden. Wer mehr und mehr Einfluss hat und diesen auch monetarisiert, muss auch mindestens das gleiche Maß an Pflichten und Verantwortung übernehmen. Das ist bei den großen internationalen Plattformen und Streamingdiensten aktuell in vielen Feldern nicht der Fall. Die Analyse liefert dafür eine fundierte Grundlage und wichtige Impulse für die laufende medienpolitische Debatte“, sagt Dr. Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW.
Das Gutachten stellt fest, dass insbesondere private Rundfunkanbieter im Vergleich zu Anbietern von nichtlinearen Angeboten wie sog. Streaming-Plattformen bzw. Mediatheken, Video-Sharing-Plattformen oder sozialen Netzwerken erheblich stärker reguliert werden. Besonders ins Gewicht fallen dabei werbebezogene Beschränkungen, Zulassungspflichten sowie Maßnahmen zur Vielfaltssicherung (bspw. das Medienkonzentrationsrecht). In dem Gutachten wird festgestellt, dass diese teils gravierenden regulatorischen Rahmenbedingungen nicht durch regulatorische Vorteile ausreichend kompensiert werden.
Auswirkungen auf die Medienvielfalt: Strukturelle Verzerrung mit Folgen
Die Untersuchung hebt hervor, dass die regulatorische Schieflage langfristig Auswirkungen auf die Medienvielfalt haben kann. Lineare Medien, die traditionell eine wichtige Rolle bei der (insb. auch regionalen und lokalen) Berichterstattung sowie bei der Sicherung publizistischer Vielfalt spielen, geraten zunehmend unter wirtschaftlichen Druck. Ihre strukturelle Benachteiligung könnte dazu führen, dass gerade solche Angebote verschwinden, die für eine ausgewogene Meinungsbildung besonders relevant sind. Nichtlineare Anbieter hingegen unterliegen deutlich geringeren Auflagen, obwohl sie besonders in jüngeren Zielgruppen bereits eine dominierende Rolle beim Medienkonsum einnehmen. Diese Asymmetrie kann laut Gutachten dazu führen, dass sich die mediale Landschaft weiter zugunsten globaler Plattformen verschiebt – mit potenziellen Folgen für journalistische Standards und die Vielfalt der Perspektiven.
Rechtliche Einordnung und Perspektiven
Das Gutachten analysiert auch bestehende europäische und nationale Regelungen und zeigt auf, an welchen Stellen aus juristischer Sicht Anpassungsbedarf bestehen könnte. Dabei wird unter anderem die Rolle der AVMD-Richtlinie, das Herkunftslandprinzip sowie die Plattform- und Intermediärsregulierung beleuchtet. Auch mögliche Kooperationsmodelle zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Anbietern sowie alternative Finanzierungsansätze werden diskutiert. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Frage, wie sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für klassische Medienangebote angesichts der Dominanz datengetriebener Plattformen und des zunehmenden Einsatzes von Künstlicher Intelligenz verändern. Das Gutachten verweist auf internationale Modelle wie die australische „Bargaining-Lösung“ oder eine Digitalsteuer nach österreichischem Vorbild als denkbare Ansätze, die in diesem Zusammenhang relevant sein könnten.
Aus der Zusammenfassung der Studie
Bei den werbe- und finanzierungsbezogenen Regelungen springt ins Auge, dass lineare Medien zahlreichen qualitativen, quantitativen und geografischen Restriktionen unterliegen. Für nichtlineare Medien hingegen gelten im Wesentlichen nur die qualitativen Werbevorgaben.
Da lineare Medien mit nichtlinearen Medien, gleich welcher Art, um Aufmerksamkeit und dadurch um Werbekunden konkurrieren, sind sie grundsätzlich auf gleichen Werbemärkten tätig. Die für Werbung geltenden Bestimmungen sind deshalb mediengattungs- und -akteursübergreifend kommensurabel.
Während die qualitativen Werberestriktionen dem gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum weitgehend entzogen sind, gilt dies nicht für die quantitativen Werbebeschränkungen. Insoweit steht es dem Gesetzgeber grundsätzlich frei, diese zu lockern oder – etwa für rundfunkähnliche Telemedien – zu verschärfen.
Streitig ist dieser Gestaltungsspielraum indes für die geographischen Werberestriktionen: Teils wird insoweit die Auffassung vertreten, dass sie gegen die Dienstleistungsfreiheit verstoßen, teils werden solche Beschränkungen als verfassungs- und europarechtskonform qualifiziert. Dem Gesetzgeber stünde es jedenfalls frei, dieses räumliche Webeverbot zu lockern oder ganz aufzuheben.
Da sich eine Verschärfung der Werberegulierung für bislang wenig regulierte Mediengattungen als dysfunktional erweisen könnte und dies den linearen Medien auch sonst keinen unmittelbaren Vorteil verschaffte, erscheint es sinnvoller, die Werbevorgaben für letztere zu deregulieren und sie hierdurch an diejenigen für nichtlineare Medien anzugleichen.
Für eine solche Deregulierung bietet sich die Abschaffung der quantitativen Werberestriktionen an. Gleiches gilt für das Blockwerbe- und Abstandsgebot. Da die Werberegulierung überwiegend unionsrechtlich vorgegeben ist, muss hierfür jedoch auf der europäischen Ebene angesetzt werden. Hoch umstritten ist der Umgang mit den geographischen Werberestriktionen. Mit Blick auf den Schutz der regionalen und lokalen Medien(vielfalt) will ihre Lockerung oder Abschaffung gut überlegt sein, zumal wenn sich der Gesetzgeber gleichzeitig zur Lockerung oder Abschaffung der quantitativen Werberestriktionen entschlösse; momentan sollten sie (noch) beibehalten werden.
Als weitere Maßnahmen zur Herstellung eines Level Playing Field im Werbebereich könnte der Gesetzgeber über Veränderungen beim Verbot der Werbung politischer, weltanschaulicher oder religiöser Art nachdenken. Hier böte sich jedenfalls eine präzisere Abgrenzung zur prinzipiell statthaften Werbung für staatliche Belange (Aufklärungskampagnen etc.) an. Zudem steht dem Gesetzgeber die Möglichkeit offen, Werbung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk – etwa nach Maßgabe des sog. „NDR-Modells“ – weiter einzuschränken oder ganz zu untersagen.
Insgesamt werden die linearen Medien im Vergleich zu den nichtlinearen Medien durch das derzeitige Werberegime am deutlichsten benachteiligt. Entsprechend ist das Level Playing Field in diesem Bereich am stärksten gestört.
Die sog. „negative“ Vielfaltssicherung, welche insbesondere auf die Aufrechterhaltung einer Vielzahl an voneinander unabhängigen Medienunternehmen (sog. „Außenpluralität“) zielt, ist im Medienrecht gegenwärtig als Fernseh- bzw. Rundfunkkonzentrationsrecht ausgestaltet. Nichtlineare Medien – ganz gleich, ob als Teil der Mediengattungen oder Medienakteure – werden von ihm allenfalls mittelbar erfasst und unterliegen deshalb weitgehend nur dem Wettbewerbsrecht.
Das Medienkonzentrationsrecht ist als ein Nachteil für die Rundfunkveranstalter zu qualifizieren, da es diesen jenseits wettbewerbsrechtlicher Beschränkungen bestimmte Ver- und Gebote auferlegt (Rundfunkveranstaltungs- oder Zulieferverbote, Beteiligungsbeschränkungen, Gebote zur Einräumung von Drittsendezeiten oder zur Bestellung von Programmbeiräten etc.). Diesen Beschränkungen unterliegen nichtlineare Inhaltemedien nicht.
Zwar wird der nationale Gesetzgeber durch den EMFA verpflichtet, künftig auch nichtlineare Mediendiensteanbieter einer medienkonzentrationsrechtlichen Zusammenschlusskontrolle zu unterwerfen. Ein konsentierter Gesetzesvorschlag hierzu liegt momentan allerdings noch nicht vor, so dass unklar ist, in welchem Umfang und mit welchen Konsequenzen eine solche Einbeziehung erfolgen wird.
Auch die vom nationalen Gesetzgeber diskutierte Weiterentwicklung des Medienkonzentrationsrechts hin zu einem auf alle Mediengattungen und -akteure anwendbaren Gefahrenabwehrrecht (sog. „Sektorenmodell“) ist hinsichtlich seines genauen „Ob“ und „Wie“ derzeit ungewiss. Zudem ist angedacht, zumindest übergangsweise das derzeitige System der Fernsehkonzentrationskontrolle fortzuschreiben.
Dieser regulatorische Sachbereich kann deshalb gegenwärtig nur auf der Grundlage des gesetzlichen Status quo beurteilt werden. Die fernseh- und rundfunkkonzentrationsrechtlichen Bestimmungen erweisen sich dabei teils als gravierende (Veranstaltungsverbote), teils als moderate (Programmbeiräte) Belastungen, die – so oder so – der Bejahung eines Level Playing Field entgegenstehen.
In ausdifferenzierter Art und Weise privilegiert die infrastruktur- und plattformbezogene Regulierung zum einen die Public-Value-Angebote des Rundfunks und der rundfunkähnlichen Telemedien sowie die Telemedien nach § 19 Abs. 1 MStV. Zum anderen statuiert sie zugunsten von Anbietern dieser Mediengattungen Transparenzgebote sowie Diskriminierungsverbote.
Diese Form der Regulierung stellt sich als eine bewusste Bevorteilung der (linearen und nichtlinearen) Mediengattungen gegenüber den nichtlinearen Vermittlungsdiensten dar und erweist sich deshalb als wichtiger Baustein zur Herstellung eines Level Playing Field im Medienbereich.
Dessen ungeachtet leidet die infrastruktur- und plattformbezogene Regulierung an gewissen Defiziten. Primär resultieren diese aus den Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen den in die Pflicht genommenen Vermittlungsdiensten (Medienplattformen, Benutzeroberflächen, Medienintermediäre). In der Folge erschwert dies den effektiven Vollzug dieser Regulierung in der Praxis und führt zu Rechtsunsicherheit.
Auch im Übrigen kann dieses Regulierungsregime nicht als vollumfängliche Kompensation der sonstigen regulatorischen Nachteile linearer Medien qualifiziert werden. Die ökonomische und sonstige Macht von Plattformen (Monopolstellung, Datenökonomie, vertikale Integration, Black Box etc.) erweist sich insofern als zu wirkmächtig. 61. Der Gesetzgeber bleibt dennoch aufgefordert, diesen wichtigen Baustein der Regulierung – auch mit Blick auf KI-Anwendungen – weiterzuentwickeln. Zudem sollte er auf ihre unionsrechtliche Absicherung – idealiter durch eine Öffnungsklausel – drängen.