Rezepte für eine Schwächung der demokratischen Medienordnung

12. August 2024
Aktuelle Studie der Otto Brenner Stiftung zu ARD, ZDF und Deutschlandradio mit zweifelhaften Vorschlägen

Von Helmut Hartung, Chefredakteur von www.medienpolitik.net

Am 24. und 25. Oktober sollen die Regierungscheffinnen und – chefs der 16 Bundesländer den Entwurf des Reformstaatsvertrages beraten. Sicher werden in diesem Papier, an dem die Rundfunkkommission der Länder nahezu zwei Jahre gearbeitet hat, noch einige eckige Klammern zu finden sein, die weiteren Klärungsbedarf signalisieren. In den vergangenen Wochen wird wiederholt angezweifelt, ob dieser Termin gehalten wird. Verfolgt man die intensive Arbeit in den Staatskanzleien und in der Rundfunkkommission der letzten Wochen genau, so gibt es kaum Zweifel, dass im Oktober ein Plan für die weitere Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vorliegt. Ob er allerdings so ambitioniert sein wird, wie erste Überlegungen aus den Ländern hoffen ließen, ist zweifelhaft.

Der Medienänderungsstaatsvertrag, die novellierten ARD -, ZDF -, und Deutschlandradiostaatsverträge werden sich an den Beschlüssen der beiden Klausurtagungen der Rundfunkkommission sowie den Vorschlägen des Zukunftsrates orientieren. Wie weit sie reichen, wie radikal sie sind und ob sie ein ausgewogenes Verhältnis von notwendigem Angebot und der Höhe des Rundfunkbeitrages sichern können, bleibt abzuwarten.

In der Schlussphase dieser gegenwärtigen Debatte über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks legt Dr. Jan Christopher Kalbhenn, Professor für Öffentliches Recht an der Hochschule des Bundes in Münster, im Rahmen der Arbeitspapiere der Otto Brenner Stiftung, der Wissenschaftsstiftung der IG Metall, eine Studie zum Thema „ARD, ZDF und DLR im Wandel“ vor. Diese Ausarbeitung analysiert die Eckpunkte der Rundfunkkommission von Deidesheim und Bingen sowie die Anregungen des Zukunftsrates. Viele dieser Vorhaben und Vorschläge werden befürwortet und für sinnvoll befunden, im Staatsvertrag festgeschrieben zu werden. So stellt Kalbhenn fest: „Ganz entscheidend wird der Erfolg im Nichtlinearen sein. Zentral ist dabei die Frage, wie die bereits beauftragte gemeinsame Plattformstrategie konkret aussehen soll. Sinnvoll erscheint dabei der Vorschlag des Zukunftsrats, in den Mittelpunkt der ARD-Mediathek vor allem die Inhalte der Landesrundfunkanstalten zu stellen. Die öffentlich-rechtlichen Empfehlungsalgorithmen können dann auf regionale Vielfalt programmiert werden.“ Der Zukunftsrat, so Kalbhenn, schlage vor, eine gemeinsame Plattformgesellschaft für Entwicklung und Betrieb einer gemeinsamen technologischen Plattform von ARD, ZDF und Deutschlandradio zu gründen. Dieser Vorschlag sollte unbedingt umgesetzt werden. Die „gemeinsame Plattformgesellschaft“ wurde bereits gegründet und sicher wird sich im Reformstaatsvertrag auch eine Verpflichtung dazu finden. In der Studie wird zudem bekräftigt, dass es für alle öffentlich-rechtliche Anstalten einheitliche Qualitätsstandards geben müsse, die auch kontrolliert würden und dass der Gesetzgeber für eine größere Verbindlichkeit der KEF-Empfehlungen sorgt. Zum Beispiel indem er hierzu entsprechende Berichtspflichten einführt und Abweichungen der Anstalten von den KEF-Empfehlungen begründet werden müssen.

In wesentlichen Punkte muss den Ausführungen des Autors aber widersprochen werden, weil diese die Zielsetzung der Länder konterkarieren. „Die Länder haben auf der Klausurtagung der Rundfunkkommission der Länder am 25. und 26. Januar 2024 in Bingen erneut bekräftigt, dass freie und vielfältige Medien – privat und öffentlich-rechtlich – für das gesellschaftliche Zusammenleben und die Demokratie von zentraler Bedeutung sind“, so die Eckpunkte.

Dazu im Gegensatz schreibt Kalbhenn: „Um die Innovationskraft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu entfesseln, sollten sämtliche Restriktionen im Onlinebereich abgeschafft werden. Begrenzungen der Nutzungsdauer sollten von den Rundfunkanstalten im Rahmen der Programmautonomie festgelegt werden. Auch der Dreistufentest sollte komplett abgeschafft werden.“ Die Politik will mit dieser Begrenzung der Nutzungsdauer sowohl die Urheberrechte der Produzenten schützen als auch die Geschäftsmodelle der privaten Veranstalter. Als Zugeständnis der Politik ist es den öffentlich-rechtlichen Sendern seit einiger Zeit möglich – für einige Wochen – ausländische Spielfilme in die Mediatheken zu stellen. Wenn „sämtliche Restriktionen im Onlinebereich abgeschafft werden“ wie es der Medienrechtler aus Münster fordert, würden, private Veranstalter, Produktionsunternehmen aber auch Verlage geschädigt. Denn das heißt auch: Unbegrenzt Podcasts, Platzierung von Online-Inhalten auf allen möglichen Plattformen, neue Online-Formate, finanziert aus dem Rundfunkbeitrag ohne Begrenzung. Die Abschaffung „sämtlicher Online-Restriktionen“ würde freie Hand der Sender als Konkurrenten der Printverlage bedeuten. Das aber genau schlägt Kalbhenn vor: „Ebenfalls sollte das die Onlineaktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beschränkende Verbot der Presseähnlichkeit abgeschafft werden.“ Es sei im Zeitalter nahezu vollständig konvergenter Medienangebote nicht mehr zeit- und sachgemäß und widerspreche dem Ziel der Barrierefreiheit, heißt es in der Studie. Medienvielfalt ist nicht mehr zeitgemäß? Doch wie sollte diese Vielfalt finanziert werden, wenn die presseähnlichen Angebote und der Ausbau der regionalen Berichterstattung öffentlich-rechtlicher Medien die Online-Inhalte der Verlage überlagern? Seit Jahren weisen die privaten Medienhäusern in unzähligen Schlichtungsgesprächen und Prozessen nach, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit seinen Telemedienangeboten die Zukunft der Presse gefährdet. In einem Schriftsatz an die EU-Kommission hat der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) juristisch nachgewiesen, dass durch einen unkonkreten Auftrag und mangelnde Kontrolle gegen die Festlegungen des sogenannten Brüsseler Beihilfekompromisses von 2007 verstoßen wird. Wegen Missbrauchs des Rundfunkbeitrages legt sie Beschwerde ein. Im selben Kompromiss wurde auch der Dreistufentest, der eine Überprüfung der Telemedienangebote öffentlich-rechtlicher Sender zwingend vorschreibt, vereinbart. Diesen jetzt abzuschaffen, wie es in der Studie gefordert wird, würde sowohl gegen eine Vereinbarung zwischen Deutschland und der EU verstoßen und gleichzeitig bei ARD, ZDF und Deutschlandradio die Schleusen zu einer weiteren Zweckentfremdung der Beitragsmittel öffnen.

Es mangelte in den vergangenen Monaten nicht an gut gemeinten Ratschlägen für eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die mehr oder weniger innovativ und inspirierend waren. Die Studie von Christopher Kalbhenn lenkt die Debatte jedoch in eine fatale Richtung: Viele seiner Rezepte sind für eine demokratische Medienordnung in Deutschland schädlich.

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