Unterschiedliche Gemengelage

23. April 2025
Helmut Hartung, Chefredakteur medienpolitik.net
Helmut Hartung, Chefredakteur medienpolitik.net
Während die ARD mit ihren Geburtsfehlern kämpft, ist das ZDF in der Streaming-Welt angekommen

Von Helmut Hartung, Chefredakteur medienpolitik.net

In den Tagen vor und nach Ostern gab es einige Ereignisse und Berichte, die ein Schlaglicht auf die Gemengelage beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk werfen. Dazu zählen das Interview, das die Nachrichtenagentur epd mit dem ARD-Vorsitzenden Florian Hager führte, ebenso wie die neue Verantwortlichkeit für das Kulturmagazin „ttt“, das Gutachten des ZDF-Verwaltungsrates zur Zukunft des Senders und ein Podcast des ZDF-Verwaltungsratsmitgliedes, des Wirtschaftswissenschaftlers, Leonhard Dobusch. Alle diese Themen stehen für widersprüchliche Interessen und Absichten medienpolitischer Akteure und leitender Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

In seinem bemerkenswerten, weil konstruktiven und realitätsnahen Interview, hat Florian Hager das Federführungsprinzip des neuen Medienstaatsvertrages angesprochen und gesagt: „‘Einer für alle‘ - das lässt sich einfach sagen, aber das ist kein "one fits all". Die ARD wolle verschiedene Ansätze erarbeiten und daraus konkrete definitorische Regelungen ableiten, um die Organisation umzubauen und zugleich einzusparen. Und da gehe es am Ende um Personaleinsparungen. An einer Stelle werde das Personal gebündelt, um es an den anderen Stellen dann sukzessive abzubauen. „So offen spricht das niemand in der Politik aus. Auch dass das arbeits- und tarifrechtlich aktuell faktisch unmöglich und politisch auch nicht immer gewünscht ist - es geht ja dann auch um Arbeitsplätze in den Regionen, lässt man gerne unerwähnt. Ich würde mir da einen anderen Umgang mit dem Thema wünschen und möchte nicht immer nur hören: Die Intendanten sind zu doof und bekommen es nicht hin“, sagt Hager im epd-Interview vom 16.April. Das ist ein klares Statement für die notwendigen Veränderungen im Senderverbund, wie es so bisher von keinem ARD-Intendanten zu hören oder zu lesen war. Denn natürlich ist das der Kern der Reform, die die Länder nun endlich auf den Weg gebracht haben: Durch effektivere Strukturen, weniger Koordinationsaufwand, Personal und damit Geld einzusparen, das dann dem Programm zugutekommen könnte. Die ARD hat nicht zu wenig Geld, es wird zu viel für die Verwaltung ausgegeben. Die KEF hat mehrfach darauf verwiesen, dass schon aus Altersgründen in den nächsten Jahren hunderte Mitarbeiter die öffentlich-rechtlichen Anstalten verlassen. Wenn das möglicherweise dazu führt, dass einige Formate, die mehrfach im Programm auftauchen, nicht mehr produziert werden, bedeutet das noch nicht, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Auftrag nicht mehr erfüllen kann. Diese unsinnige Schlussfolgerung, die der ARD-Vorsitzende in seinem Interview nicht zieht, ist leider noch zu oft von anderen Intendanten zu hören.

Dagegen hält der Wirtschaftswissenschaftler Leonhard Dobusch, nach einer Meldung des epd vom 22. April, politische Forderungen, weniger Geld in öffentlich-rechtliche Medien zu investieren, für falsch. "Unser Wohlstand wächst, warum soll der Anteil für das öffentlich-rechtliche Medienangebot sinken?", sagte der Professor der Universität Innsbruck in der aktuellen Folge des Medien-Podcasts von epd und Grimme-Instituts "Läuft". Eine Analyse des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung offenbart, dass weit mehr als 50 Prozent der unteren Einkommenshälfte fürchten, ihren Lebensstandard in Zukunft nicht mehr halten zu können. Selbst in der oberen Mittelschicht äußern diese Befürchtung mit 47 Prozent noch knapp die Hälfte aller Befragten. Über diese Studie hatte zdfheute am 4. November 2024 berichtet. Abgesehen davon, dass es also sehr kühn ist zu behaupten, dass „der Wohlstand“ wächst, ist es politisch geboten, mit jährlichen Einnahmen von zehn Milliarden Euro verantwortungsvoll umzugehen und die Arbeit so zu organisieren, dass der Auftrag zumindest ohne Beitragserhöhung erfüllt werden kann. So habe ich das Interview von Florian Hager verstanden.

Zur „Gemengelage“ bei der ARD gehört aber auch der Verweis des Vorsitzenden, er hätte eine ARD-Geschäftsführung für Verwaltung und Technik besser gefunden als das Federführungsprinzip. „Sowohl in der Politik als auch in manchen ARD-Anstalten wurde das nicht goutiert“, sagt Hager. Bisher klangen Äußerungen aus den Sendern anders. Als dieser Vorschlag Mitte 2024 in einem Vertragsentwurf der Rundfunkkommission stand, sollen einige Intendanten das nicht nur nicht „goutiert“, sondern Staatskanzleien bedrängt haben, diese Idee nicht umzusetzen. Auch einige Länder lehnten mit dem Hinweis, dass das wieder eine neue, teure Struktur bedeute, diese sinnvolle Änderung ab. Hier ist eine Chance vertan worden, schneller kostspielige Arbeitsabläufe zu verändern.  

„ARD und ZDF, das zeigen die vergangenen Tage, haben anscheinend unterschiedliche Vorstellungen von der Zukunft.“

Dass die Struktur der ARD nicht nur aufwendig und intransparent ist, sondern auch zu Fehlentscheidungen führt, hat die Diskussion um eine neue Moderation für das Kulturmagazin „ttt – titel thesen temperamente“ gezeigt. Mit dem Online-Start von ARD-Kultur im September 2022 ging die Federführung für den Bereich Kultur vom Bayerischen Rundfunk auf dem MDR über. Damit war der MDR auch für den Online-Auftritt von „ttt“ zuständig. Das TV-Magazin wurde aber weiterhin im wöchentlichen Wechsel vom BR, HR, MDR, NDR, WDR und RBB verantwortet. „Wir haben eine unglaubliche inhaltliche Eigenständigkeit im System, und das ist wie gesagt auch gut so. Aber wenn die Krise zuschlägt, ist es der Horror, wenn niemand verantwortlich ist. Und das ändern wir jetzt. Damit in Krisensituationen eine Person auskunftsfähig ist und dafür auch alle nötigen Informationen bekommt. Unter Aufrechterhaltung einer möglichst großen redaktionellen Freiheit wollen wir eine Struktur mit klaren Verantwortlichkeiten schaffen“, sagte Florian Hager im Zusammenhang mit der Causa Thilo Mischke im epd-Interview. 75 Jahre nach der Gründung der ARD werden nun anscheinend, zumindest in einem Bereich, „klare Verantwortlichkeiten“ geschaffen. Aber warum bedarf es dazu immer „Krisen“? Um das schnell und nachhaltig zu ändern, reichen für den ARD-Vorsitzenden „Hintertüren“, die er laut Interview kenne, nicht aus.

Diese Debatte um Strukturreformen, Verantwortlichkeiten und Einsparungen, ist dem ZDF anscheinend sowieso fremd. Um sich gar nicht erst in die Mühen der Ebene begeben zu müssen, machte sich der ZDF-Verwaltungsrat, vier der zwölf Mitglieder sind amtierende oder ehemalige Ministerpräsidenten, auf die Suche nach einer neuen Bestimmung für den Sender. Das ZDF soll sich von einer Rundfunkanstalt zu einem „Digital Open Public Space“ (DOPS)“ zu einem öffentlichen Raum der digitalen gesellschaftlichen Kommunikation entwickeln, orakelten fünf Wissenschaftler daraufhin in einer Studie. Selbst dem Zukunftsrat, der eine Reihe von Visionen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk entwickelte, war eine solche Idee zu utopisch.

Damit soll ein Gegengewicht zu den dominierenden, privatwirtschaftlich organisierten sozialen Netzwerken geschaffen werden, argumentierte die Studie "Perspektiven für den Digitalen Public Value im ZDF". Dazu müsse sich das ZDF, dass dafür, anscheinend im Gegensatz zur ARD, die strukturellen Voraussetzungen biete, zu einem offenen, alternativen Common-Ground- und Gemeinwohl-Netzwerk verändern. Unter Nutzung von „Netzwerk-, Spiral-, Skalen-, und Ökosystem-Effekten soll es einen qualitativen Differenzierungswettbewerb zu den marktmächtigen Plattformen und die Bildung eines wirksamen Common-Ground-Gegengewichts ermöglichen“, so die Analyse. Mit dem Reformstaatsvertrag würden dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zwar bereits Aufgaben bei der Produktion und Distribution publizistischer Leistungen sowie der Interaktion mit Nutzern übertragen, die dafür eine Voraussetzung darstellten. Diese Reformen reichten aber noch nicht aus, so die Experten. Natürlich kostet diese Transformation zusätzlich Geld, das soll allerdings aus einem Zukunftsfonds stammen, der „zweckgebunden, aber flexibel nutzbar“ ist und nicht aus dem Rundfunkbeitrag. Dazu fehlt allerdings noch der entsprechende Auftrag der Länder und natürlich jemand, der den „Zukunftsfonds“ füllt.

ARD und ZDF, das zeigen die vergangenen Tage, haben anscheinend unterschiedliche Vorstellungen von der Zukunft. Während der Senderverbund versucht, mit den Konstruktionsfehlern klarzukommen, die angesichts des digitalen Wandels immer mehr zur Bremse werden und ihn zunehmend hindern seinen gesellschaftlichen Auftrag zu erfüllen, überspringt das ZDF diese Phase des Umbruchs. Es ist bereits in der Streaming-Welt angekommen, auf dem Weg, den globalen Plattformen Paroli zu bieten. Alle, die eine bessere Zusammenarbeit, Aufgabenteilung oder gar eine Fusion anmahnen, stammen wohl aus der „Mediatheken“-Zeit.

 

 

 

 

 

Zur Übersicht