
Von Helmut Hartung, Chefredakteur medienpolitik.net
„Das Wesen der Demokratie ist der Kompromiss“, diese Grundregel beherrschte schon Ex-Bundeskanzler und ehemaliger SPD-Vorsitzende Willy Brandt meisterhaft. In seinem politischen Leben hat er die Richtigkeit dieser Aussage oft genug erfahren. So wundert es nicht, dass auch bei Kultur und Medien Konzessionen den Entwurf des Koalitionsvertrages der künftigen schwarz-roten Regierung prägen. Zwei wichtige Punkte, auf die sich die Koalitionäre in der entsprechenden Arbeitsgruppe bereits verständigt hatten, finden sich jedoch, so wie im Ergebnisprotokoll der Arbeitsgruppe 14 formuliert, nicht wieder: Die Nutzung des UHF-Bandes und die Förderung der Presse.
Beim UHF-Band gab es bekanntlich einen Dissens mit der Arbeitsgruppe Innenpolitik. Diese wollte die Frequenzen, auf denen lineares Fernsehen verbreitet und die auch für Veranstaltungsmikrophone verwendet werden, künftig den Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben zur Nutzung überlassen. „Das UHF-Band steht primär Medien und Kultur zur Verfügung“, steht im Ergebnisbericht der Arbeitsgruppe 14. Daraus wurde im Koalitionsvertrag: „Das UHF-Band steht auch Medien und Kultur zur Verfügung, die Abwägung mit Sicherheitsbedarfen wird derzeit evaluiert.“ Diesen linearen Übertragungsbereich für eine valide Information bei Katastrophen und neuen Standards wie 5G Broadcast, das Antennenfernsehen DVB-T2, die Produktionstechnik zu nutzen und gleichzeitig auch Platz für Bundeswehr und Bundespolizei zu schaffen, funktioniert nach Auskunft von Experten nicht. Zudem muss ein solcher Bedarf mit den Nachbarstaaten koordiniert werden, was, wie die letzte Weltfunkkonferenz gezeigt hat, schwierig ist. Hier wird ein Kompromiss verkündet, der keiner ist und eine Lösung angedeutet, die nicht funktionieren kann.
Schwerwiegender ist aber das einkassierte Versprechen, dass die „Mehrwertsteuer auf gedruckte und digitale periodische Presseprodukte auf null Prozent gemäß der Mehrwertsteuersystemrichtlinie gesenkt“ werden soll. Dafür findet sich die mehr als schwammige Formulierung im Text: „Die Herausforderungen der Zustellung der Zeitungen werden wir mit den Verlagen erläutern.“ Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre mit „Erörterungen“ bedeutet dieser nebulöse Satz, dass es für die Zeitungen und Zeitschriften, digital und gedruckt, keine Unterstützung geben wird. Die Umsatzsteuermindereinnahmen durch Senkung der Mehrwertsteuer auf gedruckte, digitale periodische Presseprodukte auf null Prozent wurden jährlich mit 700 Millionen Euro berechnet. Zugleich wurden die Ausgaben aber auch mit „Resilienz der Demokratie durch Erhalt der Meinungsvielfalt und Meinungsbildung, Vermeidung von Informationswüsten, Erhalt von Lokalmedien“ begründet. Im ersten Satz des Punktes „Medienvielfalt stärken – Meinungsfreiheit sichern“ der Vereinbarung von CDU, CSU und SPD heißt es zudem „Unabhängige und vielfältige Medien sichern eine freie öffentliche Debatte. Wir setzen uns im dualen Mediensystem sowohl für einen pluralen öffentlich-rechtlichen Rundfunk als auch für faire Regulierungs- und Refinanzierungsbedingungen für private Medien ein.“ Meint man dieses Postulat ernst, würde dazu auch – sowie für andere Bereiche der Kulturwirtschaft - eine angemessene Förderung gehören.
„Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre mit ‚Erörterungen‘ bedeutet diese Formulierung, dass es für die Zeitungen und Zeitschriften, digital und gedruckt, keine Unterstützung geben wird.“
Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) kritisierte umgehend „die Auslassung wesentlicher medienpolitischer Weichenstellungen“ im Koalitionsvertrag. Trotz einstimmiger Empfehlungen der Koalitionsarbeitsgruppe Medien wurde die Senkung der Mehrwertsteuer auf Presseprodukte nicht in den Vertrag aufgenommen, heißt es in einer Pressemitteilung. „Der Vertrag verpasst die Chance, die Zukunft der Pressebranche mitzugestalten – und damit die Zukunft der Demokratie in Deutschland. Presse ist systemrelevant. Sie verdient politische Rückendeckung, keine strukturelle Vernachlässigung“, so BDZV-Vorstandsvorsitzender Matthias Ditzen-Blanke. „Im europäischen Vergleich ist Deutschland ein Hochsteuerland für die Presse. Das ist nicht nur wirtschaftlich falsch – es ist demokratiepolitisch fahrlässig“, ergänzt Stefan Hilscher, ebenfalls BDZV-Vorstandsvorsitzender. An der Finanzlage des Bundes könne die Entscheidung nicht gelegen haben, so der Verband. Schließlich stünden für viele andere Bereiche, die anders als die Presse nicht von der Verfassung geschützt seien, Mittel zur Verfügung. „Die Senkung der Mehrwertsteuer ist eine gute Idee, damit die Presse wirtschaftliche Spielräume für die Zukunftsgestaltung bekommt. Wir werden weiter mit Nachdruck darum kämpfen, dass die neue Bundesregierung diesen Schritt geht“, so Hilscher.
Auch jenseits der Steuerfrage fehle es dem Koalitionsvertrag an einer substanziellen Vision für die Stärkung des unabhängigen Journalismus. Statt Impulse zu setzen, herrsche weitgehend medienpolitische Funkstille. „Das ist eine für die Demokratie gefährliche Lücke. Gerade in Zeiten wie diesen – mit vielfältigen Angriffen auf unsere Freiheit von außen und innen – zeigt sich, warum unabhängiger Journalismus unverzichtbar ist“, betont Ditzen-Blanke. „Zeitungen leisten genau das, was eine stabile Demokratie braucht: kritische Distanz, differenzierte Analyse, Einordnung statt Empörung. Sie schaffen den Raum für informierte Meinungsbildung – jenseits parteipolitischer Lager.“
Vor dem Hintergrund, dass insbesondere Social-Media-Plattformen auch dazu genutzt würden, die Demokratie zu destabilisieren, sei eine starke Presse auf allen Kanälen umso wichtiger, ergänzt BDZV-Hauptgeschäftsführer Dr. Jörg Eggers. „Soziale Netzwerke können das Vertrauen in seriöse Informationen untergraben – unsere Presse stellt sich dem täglich entgegen. Mit Fakten, Haltung und Verantwortung.“
„Wer äußere und innere Sicherheit, wirtschaftliche Stabilität, soziale Gerechtigkeit und den Erhalt unserer Demokratie sichern will, braucht ein stabiles Mediensystem“, so Hilscher. „Die Presse – digital wie gedruckt – ist dafür elementar. Sie bietet Orientierung, ermöglicht konstruktiven Diskurs und hält unsere Gesellschaft zusammen. Wir sind systemrelevante Demokratieversicherung – jeden Tag.“
Der BDZV wird den Dialog mit den Koalitionsparteien nun mit Nachdruck aufnehmen, heißt es vom Bundesverband. Ziel ist es, bestehende Belastungen für die Presse zu beseitigen und zukunftsgerichtete Regelungen auf den Weg zu bringen. „In der aktuellen Lage braucht es politischen Mut und ein klares Bekenntnis. Die freie Presse ist kein Selbstläufer. Sie ist eine Aufgabe mit Verfassungsrang – und braucht Rahmenbedingungen, die ihrer Rolle gerecht werden“, so die Vorstandsvorsitzenden abschließend.