Fragen an Dr. Christian Wellbrock, Hamburg Media School, Prof. Dr. Frank Lobigs, Professor für Medienökonomie an der TU Dortmund und Prof. Dr. Christopher Buschow, Fakultät Medien der Bauhaus-Universität Weimar
„Coopetition is King – Ökonomische Potentiale und medienpolitische Implikationen kooperativer Journalismusplattformen“ lautet der Titel der Studie, die von Dr. Christian Wellbrock, Prof. Dr. Frank Lobigs, Lukas Erbrich und Jun.-Prof. Dr. Christopher Buschow durchgeführt wurde und die die Landesanstalt für Medien NRW in Auftrag gegeben hat und die Hoffnung macht in Zeiten, in denen zahlreiche journalistische Angebote eingestellt werden. Die Studie zeigt, Journalismusplattformen können einen ökonomischen Gewinn für Medienhäuser und ihre Nutzerinnen und Nutzer bringen. Dabei gehen die Forscher der Frage nach, wie sich anbieterübergreifende, abonnementbasierte Plattformen im digitalen Journalismus einerseits auf die Umsätze in der Branche und andererseits auf die Zahl der Menschen auswirken würde, die ein journalistisches Angebot abonnieren. Solche Plattformen, also eine Art Spotify im Journalismus, stellen ein aufstrebendes, aber in der Branche kontrovers diskutiertes Geschäftsmodell für Digitaljournalismus dar. Fragen an die drei Wissenschaftler.
medienpolitik.net: Hat sich die wirtschaftliche Situation der regionalen Presseverlage durch die drei Corona-Jahre weiter verschlechtert?
Lobigs: Die wirtschaftliche Situation der regionalen Presseverlage hat sich deutlich verschlechtert. Die großen Einbrüche auf dem Anzeigenmarkt im ersten Corona-Jahr konnten nur zum Teil wieder kompensiert werden. Noch härter treffen die Verlage jedoch die massiven Kostensteigerungen im Papiermarkt, die schon während der Pandemie einsetzten und durch den Ukraine-Krieg noch weiter angewachsen sind. Auch der starke Anstieg der Energiekosten in der Produktion sowie die sprunghafte Erhöhung der Zustellkosten aufgrund des neuen Mindestlohns von 12 Euro seit Herbst 2022 setzen den Regionalzeitungsverlagen vor allem in strukturschwächeren Gebieten stark zu. Während die vorgenannten Gründe vornehmlich den Vertrieb von Printprodukten betreffen, bietet die Inflationsentwicklung und die damit verbundene Absenkung der Reallöhne noch dazu ein schlechtes Umfeld für den notwendigen Auf- und Ausbau des Geschäfts mit digitalen Abonnements.
medienpolitik.net: Alle Regionalverlage berichten über eine Steigerung der Online-Abos. Gelingt damit der Umstieg von Print auf Online-Angebote auch im regionalen in den nächsten Jahren problemlos?
Lobigs: Zwar gab es Wachstum, doch erfolgte dieses auf ökonomisch niedrigem Niveau. Die IVW-Auflagenkontrolle zeigt, dass der Anstieg der digitalen Abonnements bei Regionalzeitungen zu einem wesentlichen Teil auf sehr niedrige monatliche Preise von unter 2 Euro zurückzuführen ist. Bei vielen Regionalzeitungen stammen die digitalen Abonnements noch dazu aus günstigen Kombi-Deals für die Print-Abonnentinnen und -Abonnenten. Teilweise machen solche Kombis den überwiegenden Teil der gezählten Digitalabonnements aus. Die Einnahmen aus rein digitalen Plus-Angeboten sind laut Statistik des BDZV dann auch reichlich ernüchternd. Sie liegen maximal bei knapp über 1 Prozent der gesamten Zeitungsumsätze der Regionalzeitungen. Vor diesem Hintergrund spricht wenig für eine problemlose Transition von Print- zu Digitalangeboten. Die Daten legen vielmehr nahe, dass es in den nächsten Jahren voraussichtlich zu existenziellen Probleme für den regionalen Pressejournalismus kommen wird und dass in der Folge bald auch in Deutschland regionale Nachrichtenwüsten entstehen könnten, wie sie sich in den USA jetzt schon in beunruhigender Weise ausbreiten. Strukturell besteht nicht zuletzt das Problem, dass der Umstieg schon deshalb nicht gut funktionieren kann, da mit abnehmender Abonnentenzahl im Digitalen aufgrund von Fixkostenprogression die Preise eigentlich steigen müssten. Die Lage ist wirklich düster.
medienpolitik.net: Sie haben sich in einer Studie mit titelübergreifenden abobasierten journalistischen Plattformen befasst. Eine Art Spotify. Was lässt sich für die Verlage von Spotify lernen?
Buschow: Etablierte Plattformen in angrenzenden Medienmärkten prägen maßgeblich die Erwartungen der Nutzerinnen und Nutzer auch an Journalismusplattformen. Wie in einer jüngeren Studie gezeigt, betrifft dies insbesondere den Preis, den Nutzungskomfort und die Usability, aber auch Rahmenbedingungen wie die Kündigungsfristen. Für die Branche ist entscheidend, dass eine Art „Spotify für Journalismus“, an dem sich möglichst viele Verlage beteiligen, die wirtschaftliche und gesellschaftliche Position der Inhalteanbieter verbessern und damit die digitale Transformation der Branche unterstützen könnte. Von Spotify lässt sich allerdings auch lernen, dass die Verlage das digitale Geschäft nicht einem neuen, branchenfremden Start-up überlassen, sondern vielmehr kooperativ selbst organisieren sollten. Nicht zuletzt ist der Blick auf Spotify aufschlussreich, weil hier bereits viele Erfahrungen gesammelt wurden, wie die Erlöse einer Plattform an die beteiligten Medienschaffenden verteilt werden können – und vielleicht auch, wie man es besser nicht machen sollte.
medienpolitik.net: Sie kommen zu dem Schluss: „Bei geringeren Konsumentenpreisen könnten für eine Journalismusplattform höhere Branchenumsätze erzielt und bis zu 40 Prozent mehr Abonnements verkauft werden als bisher.“ Ist also der Abschluss eines Zeitungs-Digitalabo vor allem vom Preis abhängig?
Wellbrock: Der Preis ist in unserer Untersuchung der Faktor mit dem stärksten Einfluss, gleichwohl nicht der einzig relevante in der Entscheidung der Nutzerinnen und Nutzer. Das Format (eine Kombination aus Website, App und E-Paper wird am meisten geschätzt) sowie der Umfang der Inhalte (die Bündelung verschiedener Inhalte wird präferiert) spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Ob der Zugriff auf journalistische Inhalte zentral (etwa über eine gemeinsame App) oder dezentral (z. B. über eine Login-Allianz) erfolgt, fällt hingegen kaum ins Gewicht.
medienpolitik.net: Könnte so eine Plattform helfen, die zunehmenden Defizite in der lokalen und regionalen Berichterstattung zu verringern?
Wellbrock: Das Potential besteht zweifelsfrei, hängt aber unter anderem von der Ausgestaltung des Verteilungsmechanismus für Umsätze und der Empfehlungssysteme ab. Geschieht die Umsatzverteilung etwa rein nach Nutzung, bestünde die Gefahr, dass überregionale Titel bevorzugt werden. Eine Alternative wäre es, einen Teil der Umsätze nach bestimmten Prinzipien zu verteilen, die unabhängig von der Nutzungsintensität sind, z.B.
- anhand des Wohnorts der Abonnentinnen und Abonnenten an die jeweiligen lokalen Anbieter (um so der lokaljournalistischen Leistung unabhängig von der Nutzung Rechnung zu tragen)
- nach der Zahl der (fest-)angestellten Journalistinnen und Journalisten (in Vollzeitäquivalenten, um so die Leistung durch journalistische Aktivität zu honorieren und auch zu incentivieren)
- nach der Präferenz der Abonnentinnen und Abonnenten (jede(r) entscheidet selbst, an wen ein Teil des Abonnement-Preises verteilt wird).
Diese Ansätze würden Anreize schaffen, in unterversorgten Gebieten journalistische Angebote zu etablieren oder zu erhalten. Die tatsächlichen Wirkungen dieser verschiedenen Verteilmechanismen gilt es allerdings empirisch zu erforschen – am besten nicht im Labor, sondern im Feld, etwa im Rahmen von konkreten Pilotprojekten und entsprechender Begleitforschung. Wichtig ist aber auch hier, diese Potentiale mit der derzeitigen Entwicklung zu vergleichen: Wie der jährlich aktualisierte internationale Reuters Institute Digital News Report belegt, können in den meisten Ländern die größten nationalen Marken einen sehr großen Teil der digitalen Abonnements auf sich verbuchen, in Deutschland etwa BILD und Der Spiegel. Diese nationalen Marken konnten ihre täglichen Reichweiten durch die Digitalisierung auch steigern, während die digitalen Regionalzeitungen insgesamt an täglicher Reichweite sowie auch an täglicher Nutzungsdauer deutlich verloren haben. Das heißt: Im Moment haben wir eine dynamische Entwicklung hin zu einem nationalen „Winner-take-all“-Markt: Wenige Marken mit nationaler Strahlkraft können gewinnen, die regionalen Marken aber verlieren. Das ist nicht gut für unsere Demokratie und dieser Entwicklung könnte mit einer entsprechend ausgestalteten anbieterübergreifendenden Plattform entgegengewirkt werden.
„Der Markt für gedruckte Zeitungen sollte getrennt betrachtet werden vom Markt für digitale Abonnements.“ (Frank Lobigs)
medienpolitik.net: Es existieren bereits mehrere Plattformen für journalistische Angebote, die aber nicht sehr erfolgreich sind? Woran liegt das?
Buschow: In einer Studie aus dem Jahr 2021 wurden 39 anbieterübergreifende Plattformen für digitalen Journalismus am deutschen Markt ermittelt. Diese Plattformen lassen sich anhand ihrer Geschäftsmodelle typisieren: News-Aggregatoren, abonnementbasierte Plattformen, Online-Kioske und Einzelartikel-Kioske. Die abonnementbasierten Plattformen Amazon Kindle Unlimited, Magzter, PressReader, Readly, Read-it, United-Kiosk und Yumpu News ähneln am ehesten einem “Spotify für Nachrichten” und scheinen sich stark an den Vorbildern aus anderen Medienmärkten zu orientieren. Allerdings bieten sie ihren Nutzerinnen und Nutzern kaum tagesaktuelle Nachrichteninhalte oder laufende Berichterstattung aus Leitmedien an. Dies wäre so, als hätte Spotify nur einzelne Genres und Nischenmusik im Angebot, aber keinerlei Superstar-Künstler. Die mangelnde Kooperationsbereitschaft der journalistischen Anbieter gilt als eine wesentliche Ursache dafür, dass Plattformmodelle im Journalismus bislang nicht in die Konsumentenmehrheit vorgedrungen sind.
medienpolitik.net: Was hindert Zeitungsverlage stärker in solche Plattformen zu investieren?
Lobigs: In medienökonomischer Betrachtung sind hier mehrere Herausforderungen zu benennen:
- Public-Good-Problem: Aus institutionenökonomischer Perspektive sind Investitionen in eine solche Plattform Beiträge zu einem öffentlichen Gut. Hier treten dann klassische soziale Dilemmata auf, die dem berühmten Gefangenendilemma ähneln: Eigentlich wäre es gut, wenn alle kooperierten, doch haben einzelne Verlage kaum Anreize, eigene Beiträge für eine funktionierende Gemeinschaftsplattform zu erbringen. Die großen nationalen „Winner-take-all“-Marken (siehe auch Antwort zu 5) könnten etwa ein betriebswirtschaftliches Interesse daran haben, dass sich der Markt für journalistische Angebote aufgrund der großen Transformationsprobleme etwa bei den Regionalzeitungen zunehmend lichtet: Im Sinne eines „Survival of the fittest“ würden sie dann möglicherweise mehr gewinnen als durch Kooperation. Das könnte ein Grund sein, sich gegen Coopetition-Modelle auszusprechen.
- Selbstüberschätzung: Damit einhergehend ist es gut möglich, dass sich mehr Verlage zu den potentiellen „Gewinnern“ eines Verdrängungswettbewerbs zählen als realistisch ist.
- Selbstkannibalisierungsproblem: Viele Verlage befürchten größere Selbstkannibalisierungseffekte insbesondere für ihre Print- und ePaper-Umsätze. Laut unserer Untersuchungsergebnisse sind diese aber geringer als erwartet und könnten sogar durch den großen Markterweiterungseffekt im Digitalen kompensiert werden.
- Divide-et-impera-Problem: Eine kooperative Plattform würde bedeuten, sich gegen andere Plattformmodelle zu entscheiden und sich von den großen Plattform-Konkurrenten wie etwa Google zu emanzipieren. Solchen Koalitionsbildungen wirken die globalen Plattformunternehmen aber mit geschickten „capture“-Strategien entgegen. So bezahlt etwa Google ausgewählte Verlage dafür, dass sie Paid-Content-Inhalte für die Plattform Google News Showcase zur Verfügung stellen. Solche Strategien können eingesetzt werden, um „Gegenkooperationen“ zu sprengen.
medienpolitik.net: Sollte sich eine geplante Printförderung eher auf die Förderung solcher Plattformen konzentrieren?
Lobigs: Der Markt für gedruckte Zeitungen sollte getrennt betrachtet werden vom Markt für digitale Abonnements. Die gedruckte Zeitung hat eine Leserschaft, deren Alter im Durchschnitt weit über dem Renteneintrittsalter liegt. Wie unsere Untersuchung gezeigt hat, ist dieser Markt vom digitalen Markt relativ separiert, weswegen die Kannibalisierungseffekte einer günstigen digitalen „Super-Plattform“ recht gering wären. Eine Zustellförderung für gedruckte Zeitungen konzentriert sich eher auf diesen ‚alten‘ Markt, der für die Regionalzeitungen aber wirtschaftlich immer noch der weitaus wichtigere ist.
Da sich der digitale Markt für die meisten und insbesondere für die regionalen Zeitungsmarken indes überaus schleppend entwickelt, sind auch hier Fördermodelle gefragt. Eine Förderung von Coopetion wäre vorteilhaft, weil effizienter. Wenn man nur überschaubare Mittel hat, kämen im Falle einer Gießkannenförderung bei einzelnen, kleineren Verlagen nur wenige Mittel an. Wenn Coopetition-Infrastrukturen gefördert werden, sind die Hebeleffekte der Förderung potentiell sehr viel größer. Eine Förderung nach dem Gießkannenprinzip (nach Auflage und an alle Printprodukte) wäre hingegen höchst ineffizient, da insbesondere reichenweitenstarke Titel in Ballungsräumen überproportional profitieren würden, und eben nicht die am meisten bedrohten Regional- und Lokalmedien im ländlichen Raum.