Interview mit Dr. Yvette Gerner, Intendantin von Radio Bremen
Bei Vorschlägen zur Strukturreform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks werden immer wieder Fusionen von Radio Bremen und dem Saarländischen Rundfunk mit benachbarten ARD-Anstalten genannt. Eine ähnliche Debatte gab es bereits Ende der 90iger Jahre. Im Ergebnis kam es zwar nicht zu einem Aus für die zwei kleinsten ARD-Anstalten, aber der ARD-interne Finanzausgleich wurde um die Hälfte gekürzt. 1999 bestand der Jahresetat von Radio Bremen in Höhe von 180 Millionen Mark fast zur Hälfte aus Zuwendungen des ARD-Finanzausgleichs. Heute liegen die Ausgaben, mit inzwischen wieder leicht erhöhtem Ausgleich, bei 120 Millionen Euro. Die Zahl fester Mitarbeiter sank von 600 auf 228 im Jahr 2021. „Bei Radio Bremen gibt es nicht mehr viel zu sparen. Ginge es wirklich um Einsparungen, wäre bei einem Zusammenschluss keine echte Fusionsrendite drin, da wir besonders kostengünstig produzieren“, sagt Dr. Yvette Gerner, Intendantin von Radio Bremen gegenüber medienpolitik.net. Zudem kooperiere man sehr viel, vor allem mit dem NDR und setze schon seit Jahren auf Shared-Services, verfüge über keine eigene Einkaufsabteilung, keine eigene Revision oder Beitragsabteilung.
medienpolitik.net: Frau Gerner, wird es Radio Bremen als eigenständigen Sender 2030 noch geben?
Gerner: Ich wünsche es dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Radio Bremen ist ein Zukunftsmodell. Wir sind schlank aufgestellt und produzieren innovativ. Die Frage stellt sich auch medienpolitisch aktuell nicht. Mich beschäftigt im Moment vielmehr, wie wir in den nächsten Jahren ein gutes Programm für unser Publikum produzieren. Das ist unser Auftrag. Nach einer aktuellen repräsentativen Studie gelingt uns das auch sehr gut. So erreicht Radio Bremen mit den verschiedenen Angeboten täglich 56 Prozent der Bremerinnen und Bremer. Im Monat sind es sogar 95 Prozent. Was mich am meisten freut: Das gilt sowohl für Männer als auch für Frauen. Für Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte.
medienpolitik.net: Sie sagten Radio Bremen ist ein „Zukunftsmodell für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk“…
Gerner: Unser Sender verfügt bereits heute über sehr schlanke Strukturen und Prozesse. Wir produzieren beispielsweise die günstigste Hörfunkminute in der ARD. Ich bin sicher, dass Radio Bremen sparsam und nah dran, innovativ und erfolgreich auch 2030 einen guten Job für die Menschen in Bremen und für das ARD-Publikum in ganz Deutschland machen wird.
medienpolitik.net: Aber bis 2030 soll es eine gemeinsame Online-Plattform von ARD und ZDF mit allen Angeboten geben. Die linearen Angebote sind endlich. Hat sich damit nicht die Diskussion über einzelne Anstalten erledigt?
Gerner: Wir leben in einer Netzwelt der Beschleunigung und räumlichen Entgrenzung. Das macht aber die Geschehnisse vor Ort nicht weniger wichtig. Die Lebenswelten der Menschen sind immer noch von ihren Regionen geprägt. Sie gehen dort zur Schule, ziehen dort ihre Kinder groß, wählen nicht nur den Bundestag und das Europaparlament, sondern auch die Abgeordneten der Landtage. Die Netzwelt wird bereits heute von globalen Plattformen geprägt, die sich für die Region nur dann interessieren, wenn sie sich über Werbealgorithmen ansteuern lassen. Mit ihren vielfältigen regionalen Angeboten hat die ARD ein Alleinstellungsmerkmal. Die Landesrundfunkanstalten sind für die Menschen und die Demokratie, in der sie leben, regionaler Anker. Wir sind in unserem Sendegebiet im engen Austausch mit dem Publikum und mit zahlreichen Partnerschaften vernetzt. Wenn im Land etwas passiert, suchen die Menschen die notwendigen Informationen bei Radio Bremen. Wenn sich die Mediennutzung zunehmend ins Netz verlagert, bedeutet das für uns, dass wir dieses Alleinstellungsmerkmal in die Plattformwelt einbringen müssen – also mehr Regionales und nicht weniger. Nach Ansicht der Medienforschung wird 2030 die Hälfte der Bewegtbild-Nutzung noch klassisch, linear erfolgen, die andere Hälfte non-linear. Wir müssen noch stärker die Themen vor Ort aufgreifen und gleichzeitig die globalen Themen regional einordnen. Und das muss linear und non-linear erfolgen, um eine Plattform für demokratischen Meinungsaustausch zu bieten. Wir merken täglich wie eng die Bindung der Menschen zu ihrem Sender, zu ihrer Lieblingswelle, zu „buten un binnen“ ist. Diese Stärke der ARD braucht es auch im Digitalen. Denken Sie nur an die BBC, die gerade die regionale Berichterstattung ausbaut.
„Unser Sender verfügt bereits heute über sehr schlanke Strukturen und Prozesse. Wir produzieren beispielsweise die günstigste Hörfunkminute in der ARD.“
medienpolitik.net: Sie senden täglich innerhalb des Dritten NDR-Mantelprogramms insgesamt 45 Minuten die Informationssendungen „buten un binnen mit Sportblitz“ und „buten un binnen“, über Bremen und Bremerhaven. Benötigt man dafür einen eigenen Sender?
Gerner: Man benötigt dafür regionale und journalistische Kompetenz, über die Radio Bremen verfügt. Mit dieseneinmal 15 und einmal 30Minutentäglichgelingt es uns, eine sehr große regionale Bindung herzustellen. „buten un binnen“ ist seit drei Jahren das erfolgreichste Regionalmagazin der ARD und natürlich gibt es „buten un binnen“-Nachrichten auch online und im Hörfunk. Zudem produzieren wir „3nach9“ für das Dritte Programm. Dazu kommen erfolgreiche Radioangebote wie Bremen Next als jüngste Radiowelle Deutschlands und Zulieferungen für das Erste, funk, ARTE, die Mediathek und Audiothek, für tagesschau24, sportschau.de und KiKA.
medienpolitik.net: Der Zusammenschluss von Radio Bremen und des Saarländischen Rundfunks mit einer anderen ARD-Anstalt wird immer wieder als Option genannt, um Beitragsgelder zu sparen. Sie haben doch bestimmt schon überschlagen, was das bei Radio Bremen bringt?
Gerner: Bei Radio Bremen gibt es nicht mehr viel zu sparen. Ginge es wirklich um Einsparungen, wäre bei einem Zusammenschluss keine echte Fusionsrendite drin, da wir besonders kostengünstig produzieren. Zudem kooperieren wir sehr viel, vor allem mit dem NDR: Wir setzen schon seit Jahren auf Shared-Services, verfügen über keine eigene Einkaufsabteilung, keine eigene Revision oder Beitragsabteilung. Auch Teile der Ausbildung und der Sendetechnik kommen vom Nachbarsender.
Radio Bremen musste Anfang dieses Jahrtausends einen radikalen Sparprozess durchführen. Wir haben massiv Personal abgebaut, Geschäftsbereiche von Produktion, Technik bis hin zu Verwaltungsaufgaben outgesourct und Programm reduziert. Das Bemühen um Sparsamkeit und Kosteneffizienz ist bei allen Mitarbeitenden fest verankert. Eine mögliche Fusion mit einer anderen ARD-Anstalt mag nach einer einfachen Lösung klingen, ergibt aber weder wirtschaftlich noch programmlich Sinn. Einiges würde sogar teurer werden, weil wir so günstig produzieren.
medienpolitik.net: Ohne den Finanzausgleich, so hieß es 2020, wären Radio Bremen und der Saarländische Rundfunk „pleite“. War das Panikmache?
Gerner: Das ist so nicht ganz richtig. Der ARD-Finanzausgleich ist systemimmanenter Bestandteil der Rundfunkfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und keine Hilfestellung für kleinere Anstalten. Mittels Finanzausgleichs erhalten die beiden sogenannten kleinen Anstalten den Teil der durch die KEF anerkannten Bedarfe, der aufgrund struktureller Faktoren zunächst allen Anstalten der ARD über den Rundfunkbeitrag zufließt. Die Vorstellung, dass die Beitragszahler nur ihre „eigene“ Rundfunkanstalt finanzieren, entspricht nicht der verfassungsmäßigen Finanzierungssystematik. Der Haushaltsbeitrag dient der Finanzierung der „Gesamtveranstaltung“ öffentlich-rechtlicher Rundfunk. Der Finanzausgleich verhindert eine Unter- und Überfinanzierung innerhalb der ARD und sichert so die verfassungsmäßig garantierte Finanzierung aller Anstalten. Und was 2020 betrifft: Damals ging es um die Höhe des Finanzausgleichs aufgrund hoher Eigenmittel einzelner ARD Anstalten und dadurch bedingter Disparitäten.
„Der Finanzausgleich verhindert eine Unter- und Überfinanzierung innerhalb der ARD und sichert so die verfassungsmäßig garantierte Finanzierung aller Anstalten.“
medienpolitik.net: Radio Bremen ist eine der wenigen ARD-Anstalten mit einem ausgeglichenen Haushalt für 2023. Wie schaffen Sie das?
Gerner: Wie bei allen ARD-Anstalten wird die mittelfristige Finanzplanung auf die vier Jahre der Beitragsfestsetzung der KEF ausgerichtet, aktuell von 2021 bis 2024. Am Ende der Beitragsperiode müssen aber alle einen ausgeglichenen Haushalt aufweisen. Diesen Prozess steuern alle Sender unterschiedlich. Bei uns hat die verzögerte Beitragserhöhung dazu geführt, dass wir für 2021 geplante Investitionen verschoben oder versucht haben, diese kostengünstiger zu realisieren. So haben wir anstelle einer neuen Sendeantenne eine gebrauchte gekauft. Auch wurde ein Bremer „Tatort“ weniger produziert. Zudem haben wir strukturelle Einsparungen über die vier Jahre hinweg gleichmäßig geplant. Angesichts der vielen Herausforderungen wie Inflation, Energiepreis, etc. bleibt es für uns bis zum Ende der aktuellen KEF Periode 2024 herausfordernd.
medienpolitik.net: Als die KEF 2020 ihren Bedarf ermittelte, war von einer zehnprozentigen Inflationsrate noch keine Rede. Also zusätzliche Einsparungen?
Gerner: Sparen ist bei uns Alltagsgeschäft. Wir wägen ständig ab, was wir uns leisten können und was nicht, welches Risiko wir eingehen können und welches nicht. Leider können Einsparungen auch das Programm treffen, wie der „Tatort“ zeigt. Neben dem Regelangebot wollen wir immer wieder auch innovative Formate umsetzen, beispielsweise für die Mediathek.
medienpolitik.net: „Radio Bremen galt schon früh als eine der programmlichen Innovationsschmieden in der ARD“, heißt es auf Ihrer Online-Seite. Wie innovativ ist Radio Bremen heute und wie bleibt man es?
Gerner: Radio Bremen hatte von Anfang an einen innovativen „Wumms“, wie unser gleichnamiges Format. Innovationsfähigkeit ist uns personell und strukturell wichtig und Grundlage unserer Unternehmenskultur, die Innovationen fördert aber auch nicht an Projekten festhält, die nicht funktionieren. Innovationen sind bei uns eine Querschnittsaufgabe, die in allen Bereichen stattfindet und für die sich auch die Nicht-Programmbereiche engagieren. Wir trauen unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern viel zu und fördern Talente mit Eigenverantwortung und neuen Projekten. Es existiert mit der Digitalen Garage eine eigene Abteilung, die diesen Prozess unterstützt und mit eigenen Projekten vorantreibt. Gute Ideen und deren schnelle Umsetzung ist ein Beitrag Radio Bremens für die ARD. Dafür werden wir geschätzt. Dazu zählen der erste „Tatort“-Ableger für die ARD-Mediathek, die „Rabiat“-Dokumentationen oder „Wumms“ mit 950.000 Abonnenten auf YouTube und 582.000 Followern auf TikTok. Zu den Innovationen, die inzwischen Dauerläufer sind, gehört auch „3nach9“ oder „buten un binnen“. Wir experimentieren immer wieder, aktuell mit dem Informationsformat „What the Fact“. Außerdem bringen wir jetzt das Y-Kollektiv, das auf YouTube mit 1,1 Millionen Abos erfolgreich ist, als junges Doku-Format in die ARD-Mediathek ein. Wir tragen schon jetzt ganz konkret zum Erfolg der ARD in einer digitalen Welt bei. Zur Wahrheit gehört aber auch: Kaum eines unserer Angebote entsteht ohne ARD-Kooperation. Es ist immer eine gemeinschaftliche Anstrengung und im besten Fall der Erfolg von Vielen.
medienpolitik.net: Die ARD will in den nächsten Jahren Kompetenz-Center und Shared-Service-Center schaffen. Wo sehen Sie da den Platz von Radio Bremen?
Gerner: Radio Bremen hat die geteilte Patenschaft für die Arbeitsgruppe Hörspiel übernommen, einem der vier bisher geplanten Kompetenzzentren. Bis Juni sollen die ersten Ergebnisse für die konkrete Umsetzung vorliegen. Bei den Shared-Service-Centern verfügen wir über jahrelange gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit dem NDR. Wir unterstützen den aktuellen Reformprozess und sind aktuell an weiteren Shared-Service-Projekten beteiligt. So entsteht in Leipzig gerade die neue Sendeabwicklung von MDR, NDR und Radio Bremen. Bei der wichtigsten Verwaltungsreform, der SAP-Einführung, sind wir in der zweiten Welle ab 2024 dabei. Radio Bremen ist gemeinschaftlich orientiert und verfügt über viele Kompetenzen, die bei der Transformation der ARD von Nutzen für das Publikum sein werden.