Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) ist mit dem Rechtsgutachten zur Einführung einer Investitionsverpflichtung in Deutschland einen weiteren entscheidenden Schritt hin zur Reform der Filmförderung gegangen. Mit dem Gutachten von Professor Dr. Matthias Cornils setzt die Ampelkoalition auch den zweiten Prüfauftrag aus dem Koalitionsvertrag um. Zusammen mit dem Gutachten zur Ausgestaltung eines steuerlichen Anreizmodells liegt damit eine fundierte rechtliche Bewertung der beiden zentralen Instrumente einer effizienteren und zukunftsfähigen Filmförderung vor. Auf der Grundlage des Rechtsgutachtens von Prof. Cornils könnte die BKM die angekündigte Reform der Filmförderung mit einer neu eingeführten Investitionsverpflichtung ohne Einschränkung vornehmen. Die wissenschaftliche Analyse macht deutlich, dass die Gesetzgebungskompetenz mit Blick auf die Einführung einer Investitionsverpflichtung beim Bund liegt. Bisherigen Aussagen, eine Zuständigkeit der Länder sei gegeben, tritt der Gutachter entgegengetreten: „Der Bundesgesetzgeber kann sich für den Erlass einer – mehr oder weniger qualifizierten – Verpflichtung von VoD-Dienstanbietern, Investitionen in europäische und insbesondere deutschsprachige Werke oder in Werke, die in Deutschland hergestellt werden, vorzunehmen, auf die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das Recht der Wirtschaft, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG, stützen.“ Auszüge aus der Zusammenfassung:
Aus der Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
- Der Bundesgesetzgeber kann sich für den Erlass einer – mehr oder weniger qualifizierten – Verpflichtung von VoD-Dienstanbietern, Investitionen in europäische und insbesondere deutschsprachige Werke oder in Werke, die in Deutschland hergestellt werden, vorzunehmen, auf die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das Recht der Wirtschaft, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG, stützen. Diese Zuständigkeit erfasst – wie schon für das FFG gerichtlich anerkannt – auch die etwaige Einbeziehung von Fernsehveranstaltern (auch öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten) in die Bundesregelung. Wird die Regelung in gesetzestechnisch enger Verbindung mit einer Vorschrift verknüpft, die Verträge über Nutzungsrechte an Filmwerken, in die zur Erfüllung der Investitionspflichten investiert wird, einschränkenden Bedingungen unterwirft (etwa einer zeitlichen Begrenzung eines ausschließ lichen Nutzungsrechts des Anbieters), spricht viel dafür, dass auch diese Regelungen kompetenzrechtlich wie die Gesamtregelung der Materie Recht der Wirtschaft zuzuordnen sind. Jedenfalls aber kann der Bund auch für diese Regelung die Gesetzgebungskompetenz beanspruchen. Bedenken hinsichtlich der Kompetenzausübungsvoraussetzungen gemäß Art. 72 Abs. 2 GG bestehen nicht.
- Für das Regelungsthema der Bundesfilmförderung müssen die kompetenzrechtlichen Grundfragen nach den Entscheidungen des BVerwG und des BVerfG zum FFG als entschieden betrachtet werden. Regelungen, die wirtschaftliche und kulturelle Förderzwecke verknüpfen und die Fördermaßnahmen entsprechend ausrichten, haben insgesamt wirtschaftsrechtlichen Charakter, jedenfalls, wenn nach der Gestaltung des Gesetzes die kulturbezogenen Voraussetzungen als Teil des wirtschaftlichen Förderkonzepts angelegt sind. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Filmwirtschaftsförderung, finanziert aus Mitteln einer Sonderabgabe, schließt auch die Heranziehung der – öffentlich-rechtlich verfassten und privatwirtschaftlichen – Fernsehveranstalter ein.
- Hinsichtlich von Förder-Gesetzen, die dem Regelungskonzept des FFG in seinen für die Kompetenzfrage maßgeblichen Zügen strukturell vergleichbar sind, kann mit großer Plausibilität angenommen werden, dass auch sie auf den Kompetenztitel gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG gestützt werden können. Erst recht muss dies gelten, wenn das zu prüfende Gesetz nach Regelungsinhalt und Wirkungen sogar nur in geringerem Maß eine kulturpolitische Stoßrichtung aufweist. In diesem Sinn spricht alles dafür, dass auch eine direkte Investitionsverpflichtung von VoD-Diensten durch Bundesgesetz kompetenzrechtlich im Schwerpunkt wirtschaftsrechtlichen Charakter hat und daher verfassungsrechtlich, was die Kompetenzmaterie angeht, zulässig ist.
- Die Regelung des Fördermechanismus im FFG und diejenige einer direkten Investitionsverpflichtung mit den hier zu Grunde zu legenden Inhalten weisen selbstredend Unterschiede auf, sind aber unter dem Gesichtspunkt der kompetenzrechtlichen Zuordnung entweder zu der dem Bund offenstehenden Materie Recht der Wirtschaft oder zur Kulturhoheit der Länder vergleichbar. Die Unterschiede stützen zudem sogar eher eine Zuordnung zum Kompetenzbereich „Recht der Wirtschaft“.
- In der Funktion und im „übergeordneten Zweck“ stimmen die Investitionsverpflichtung und die Regelungen über die abgabenfinanzierte Förderung überein: Die Investitionsverpflichtung ist ein zwar nicht vollständig, aber in wesentlichen Hinsichten (funktionaler Überschneidungsbereich) funktional austauschbares, nur einfacher strukturiertes, weil direkt wirkendes Förderinstrument. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise sind sowohl die Belastungen der Dienstanbieter kraft der Verpflichtungen als auch die Begünstigungswirkungen für die Produktionswirtschaft strukturell gleichartig: In Höhe eines bestimmten Umsatz-Prozentanteils sind die Unternehmen nicht mehr völlig frei, ob und in welche Produktionen sie investieren wollen. Diese Belastungen einerseits aus der Abgabe, andererseits aus der Investitionsverpflichtung sind finanziell kommensurabel, wie die rechtspolitisch erwogene Anrechnungsoption deutlich macht.
- Die FFG-Förderung (vor allem) aus den Erträgen der Filmabgabe hat mit ihrer ausdifferenzierten Ausgestaltung ein eigenes, von der Investitionsverpflichtung verschiedenes Profil. Sie stimmt mit dem Instrument der Investitionsverpflichtung darin überein, dass sie die Abgabenpflichtigen wirtschaftlich belastet, indem sie ihnen einen finanziellen Beitrag in Höhe eines definierten Umsatzanteils abverlangt, desgleichen auch in der generellen wirtschaftspolitischen Zielsetzung, „der deutschen Filmwirtschaft als Ganzer nachhaltigen Erfolg zu sichern“. Unterschiede bestehen hingegen in den Details der Regelungen und in der spezifischen Ausrichtung der Förderinstrumente. Kompetenzrechtlich führen diese Unterschiede jedoch nicht dazu, die Bundesgesetzgebungszuständigkeit auch für die Regelung einer Investitionsverpflichtung in Zweifel ziehen zu können, im Gegenteil: Nach Regelungsgehalt und Regelungszweck ist der Wirtschaftsförderungs-Charakter der direkten Investitionsverpflichtung sogar eindeutiger als bei der erst über den Verwendungszweck als wirtschaftsrechtlich zu qualifizierenden Abgabenverpflichtung:
- Die Rechtsprechung zur Filmförderung hat klargestellt, dass die juristische Annahme eines wirtschaftspolitischen Förderschwerpunkts und damit einer Bundeskompetenz auch bei sehr gewichtigen kulturpolitischen Simultaneffekten möglich ist, wenn die Fassung des Gesetzes tragfähige Hinweise auf einen Regelungszweck der Wirtschaftsförderung gibt und das Ineinandergreifen der Effekte kulturellen Mehrwerts und wirtschaftlicher Erfolge aufgrund einer Förderung überzeugend begründet werden kann.
- Unter dem Aspekt der Betrachtung nach dem Schwerpunkt der verfolgten Zwecke (Wirtschaftsförderungszweck versus Förderung des Films als Kulturgut) ist eine schlichte, nicht weiter durch gesetzliche Anforderungen qualifizierte Investitionsverpflichtung noch eindeutiger als wirtschaftsrechtliche Regelung zu qualifizieren als der Fördermechanismus nach dem FFG (argumentum a maiore ad minus).
- Auch eine gesetzliche Vorgabe von Investitions-Subquoten und weiteren Anforderungen mit dem derzeit rechtspolitisch erörterten Inhalt könnte nicht zu einer anderen kompetenzrechtlichen Beurteilung führen. Dies gilt nach den kompetenzrechtlichen Annahmen des BVerfG zur Filmförderung nach dem FFG sogar dann, wenn diese Vorgaben der Investitionslenkung eine auch kulturpolitische Schutzrichtung geben sollten, zumal diese – mangels (für die deutsche Regelung offenbar nicht diskutierter) inhaltsbezogener Qualitätskriterien – noch deutlich weniger ausgeprägt sein dürfte als im Förderregime des FFG.
- Sollte der Gesetzgeber die Investitionsverpflichtung auch mit Vorgaben hinsichtlich obligatorischer Genres von Filmen oder Serien verknüpfen, hätte diese Vorgabe allerdings einen deutlich stärker inhaltsbezogenen, unmittelbar eine generische Vielfalt der Produktionen, in die investiert wird, vorschreibenden Charakter. Auch eine solche Vorgabe müsste nach den Grundsätzen der Rechtsprechung zum FFG (kompetenzrechtliche Unerheblichkeit des kulturpolitischen Nebenzwecks) wohl noch nicht dazu führen, die Gesamtregelung nicht mehr der Materie Recht der Wirtschaft zuordnen zu können, solange sie insgesamt durch den Primärzweck der Förderung der Filmwirtschaft geprägt wird. Aber der Gesetzgeber ginge doch jedenfalls ein geringeres verfassungsrechtliches Risiko hinsichtlich seines Gesetzgebungsvorhabens ein, wenn er von solchen inhaltsbezogenen Vorgaben für eine Investitionsverpflichtung Abstand nähme.
- Eine genauere Analyse der medienrechtlichen Quotenregelungen hinsichtlich europäischer Werke und ihres unionsrechtlichen Hintergrundes ergibt in der Zusammenschau mit der wirtschaftsrechtlichen Investitionsverpflichtung ein insgesamt kohärentes Bild der kompetenzrechtlichen Zuordnung: Die Programmquote (Hauptteilsregelung) des § 15 Abs. 2 MStV, beruhend auf Art. 16 Abs. 1 AVMD-RL, sowie die Katalogquote (30 %) des § 77 MStV, gestützt auf Art. 13 Abs. 1 AVMD-RL, lassen sich in der Gestalt des Medienstaatsvertrags plausibel der Landes Kompetenzmaterie Medienrecht zuordnen, desgleichen die Fernsehveranstalter Produktionsquote des § 15 Abs. 3 MStV in ihrem ebenfalls auf einen Programmanteil (nicht eine Finanzmittelbindung) gerichteten Regelungsgehalt. Die in Art. 13 Abs. 2 AVMD-RL thematisierten Förderinstrumente, die auf die Inanspruchnahme finanzieller Ressourcen der Mediendiensteanbieter zielen – sowie möglicherweise, hier aber mangels Umsetzung im deutschen Recht nicht weiter zu diskutieren, auch eine Produktionsquote gem. Art. 17 Satz 1 2. Alternative AVMD-RL – haben hingegen einen im Schwerpunkt auf die wirtschaftliche Produktionsförderung gerichteten Gehalt und Zweck. In der Variante der Filmabgabe ist eines dieser Instrumente bereits seit langem bundesrechtlich normiert worden. Auch die Systematik der Vorgaben in der Richtlinie spricht mithin dafür, dass dies auch in der Variante einer bundesgesetzlich geregelten Pflicht zur „Direktinvestition“ (§ 13 Abs. 2 AVMD-RL) kompetenzrechtlich zulässig wäre.
- Die in der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung gebräuchliche kompetenzrechtliche Figur der Zuordnung kraft „Verzahnung“ hat – auch im Verhältnis zur ungeschriebenen (oder „stillschweigend mitgeschriebenen“) Kompetenz kraft Sachzusammenhangs – eine eigene Kontur und Funktion. Sie stellt nicht aus der Perspektive einer auf eine gegebene Stammkompetenz gestützten Hauptregelung auf die Unabdingbarkeit der Mitregelung des eigentlich eindeutig kompetenzfremden Gegenstandes ab – darauf kommt es für die „Verzahnung“ nicht an –, vielmehr aus der Perspektive der zu beurteilenden Teilregelung auf deren regelungssystematische Unselbständigkeit und Nachrangigkeit, welche eine isolierte kompetenzrechtliche Zuordnung wenig sinnvoll erscheinen lässt. Die kraft kompetenzerweiternden Sachzusammenhangs in die Regelungskompetenz des an sich für sie unzuständigen Gesetzgebers einbezogene Regelung könnte sehr wohl auch von dem anderen, an sich zuständigen Gesetzgeber getroffen werden, diese Zuordnung unterliefe aber inhaltlich die Stammkompetenz des ersteren, der davon nicht sinnvoll Gebrauch machen könnte. Die kraft Verzahnung einheitlich mit den sonstigen Regelungen des Kontextes einer Kompetenzmaterie zugeordnete Teilregelung ist hingegen nicht notwendig erforderlich für die Gesamtregelung, könnte als solche aber nicht sinnvoll isoliert oder in anderem Kontext erlassen werden.
- Eine Regelung über eine Investitionspflicht von VoD-Dienstanbietern steht nicht in einer sachlichen oder gesetzessystematischen Abhängigkeit von den bundesrechtlichen Regelungen über die Auferlegung der Filmabgabe im FFG einerseits, der landes-medienrechtlichen Katalogpflicht in § 77 MStV andererseits, die es rechtfertigen würde, eine Kompetenzzuordnung der Regelung entweder zur Bundeszuständigkeit oder zur Landeszuständigkeit nach den Grundsätzen der „Verzahnung“ oder des kompetenzerweiternden Sachzusammenhangs vorzunehmen. Es bleibt vielmehr dabei, dass die Investitionsverpflichtung – als solche sowie mit etwaigen spezifizierenden Vorgaben wie Subquoten – einen eigenständigen Regelungsinhalt hat, der dementsprechend kompetenzrechtlich auch eigenständig und spezifisch bezogen auf diese Regelung zu beurteilen ist. Aus dem Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs ergibt sich mithin keine abweichende Beurteilung der Gesetzgebungskompetenz oder andere Begründung der oben schon bejahten Bundeszuständigkeit aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG.
- Auch für eine Investitionsverpflichtung – so wie für die Filmförderung nach dem FFG aus Mitteln der Filmabgabe –, die zur Herstellung von grundrechtlich gebotener Belastungsgleichheit im Grundsatz alle aus gleichartigen Gründen finanzierungsverantwortlichen Unternehmen heranziehen muss, ist der Bund an einer Einbeziehung auch der Fernsehveranstalter in den Kreis der Normadressaten nicht aus Kompetenzgründen gehindert.
- Gesetzliche Vorgaben für die Gestaltung von Filmlizenzverträgen (namentlich zwischen einem auftraggebenden Sendeunternehmen oder VoD-Dienstanbieter und einem Filmhersteller) gehören grundsätzlich zur Kompetenzmaterie Urheberrecht und fallen in die ausschließliche Zuständigkeit des Bundes.
- Für die Regelung der Investitionsverpflichtung bleibt die Zuordnung zur Bundeszuständigkeit für das Recht der Wirtschaft (Art. 74 Abs.1 Nr. 11 GG) auch dann bestehen, wenn diese Regelung mit einer Vorschrift verknüpft wird, die zwingende Vorgaben zum vertraglichen Rechteerwerb der Dienstanbieter errichtet. Die in den Regelungszusammenhang einer solchen Investitionsverpflichtung integrierte und darauf in ihrer Reichweite beschränkte Nutzungsrechte-Regelung selbst kann zudem unter dem Gesichtspunkt der „engen Verzahnung“ als unselbständige Teilregelung gut vertretbar kompetenzrechtlich ebenfalls dem Recht der Wirtschaft – und nicht dem Urheberrecht – zugeordnet werden. Nimmt die Nutzungsrechte-Regelung allerdings einen selbständigen Charakter an, erfasst sie insbesondere auch Verträge außerhalb der Investitionspflichttatbestände und weist sie daher einen eigenständigen, von der Investitionsverpflichtung nicht abhängigen Regelungsgehalt auf, schlägt ihre sachliche Zugehörigkeit zum Urheberrecht durch und begründet dies die reguläre Zuordnung zur Kompetenzmaterie Urheberrecht, Art. 73 Abs. 1 Nr. 9 GG.
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