Das Ansehen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks könnte schlechter kaum sein: Nicht einmal ein Drittel der Bevölkerung in der Bundesrepublik sprach sich Ende vergangenen Jahres in einer repräsentativen Umfrage für dessen Fortbestand in der derzeitigen Form aus. Ein Drittel forderte die Zusammenlegung von ARD und ZDF, ein weiteres Drittel sogar die komplette Abschaffung. Die Broschüre „Zwischen Anspruch und Auftrag" der Rosa-Luxemburg-Stiftung möchte Licht in das Dickicht aus Vorurteilen und Mythen rund um die öffentlich-rechtlichen Medien bringen. Die Autoren Mandy Tröger, Heiko Hilker und Jörg Langer wollen mit Fakten und Argumenten zur Arbeits- und Wirkungsweise von ARD, ZDF & Co. informieren. So ergab eine Befragung unter Journalisten der öffentlich-rechtlichen Sender, dass die meisten Befragten (36,1 %) keiner Partei nahestünden. Teilt man die Parteiaffinitäten allerdings in links/grün (SPD, Die Linke, Grüne) einerseits und Mitte/rechts (CDU, CSU, FDP) andererseits ein, werde deutlich, dass sich die größte Gruppe der befragten Journalisten (47 Prozent) dem links-grünen Spektrum zuordnete. Die Studie regt an, eine unabhängige Qualitätsprüfung öffentlich-rechtlicher Angebote durchzuführen, wie sie in den Nachbarländern Schweiz und Österreich bereits existiert. Hier ein Auszug aus der Studie.
„Kern- und Pflichtaufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
Es ist zudem nicht die Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Sender, alle möglichen Verbreitungswege mit ihren Inhalten zu füllen. Ihre Aufgabe ist es, dem jeweiligen Medium entsprechende Angebote zu unterbreiten, die Beiträge zur öffentlichen und individuellen Meinungs- und Willensbildung liefern. Das Medium Radio bietet andere Möglichkeiten als das Fernsehen. Wer das Internet medial nutzen will, hat die Möglichkeit, hier nicht nur Radio- und Fernsehinhalte zum Abruf anzubieten. Der Mehrwert des Angebots besteht in einer «vertiefenden Vernetzung» der Inhalte. Zudem kann man einfacher mit den Nutzern in einen Dialog treten. Dialog und Austausch kann man auch in den sozialen Netzwerken befördern, genauso wie man die Chance hat, auf die Vielfalt in all seinen anderen Angeboten hinzuweisen. Es geht also nicht darum, das eine Pferd weniger, das andere Pferd mehr zu reiten. Es geht darum, die verschiedenen Medien so zu nutzen, dass der Auftrag der Sender bestmöglich erfüllt wird. Was aber ist mit den wachsenden Ansprüchen der Medienkonsumenten? Es klingt erst einmal logisch: Wenn man den Rundfunkbeitrag bezahlt, hat man auch einen Anspruch darauf, dass die öffentlich-rechtlichen Sender einem etwas bieten. Doch was bedeutet das dann konkret? Kann man dann auch noch fordern, dass es zu einer bestimmten Sendezeit kommt, möglichst zwischen 19 und 23 Uhr oder an einem bestimmten Tag? Wenn man das weiterdenkt, wird klar, dass die Sender da schnell an ihre Grenzen stoßen werden. Der Vielzahl der Interessen kann man nicht mit 18 Fernsehsendern und 74 Radiowellen gerecht werden. Allerdings gibt es ja noch die Angebote in den Mediatheken und sozialen Netzwerken. Doch ist es zuallererst die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, den Wünschen der Bevölkerung nachzukommen?
Was wäre etwa die Folge, wenn alle nur Schlager und Fußball wollten? Der Rundfunk in Deutschland, so das Bundesverfassungsgericht, hat «keine Freiheit an sich», sondern eine «dienende Freiheit». Er soll der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung und damit der Demokratie «dienen». Demokratie ist ohne gesellschaftliche Kommunikation nicht möglich, Meinungs- und Willensbildung bedürfen des kommunikativen Austauschs. Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder darauf verwiesen, dass es eine zentrale Aufgabe der Medienpolitik sowie der sich daraus ergebenden Gesetzgebung ist, die Entstehung einer vorherrschenden Meinungsmacht zu verhindern.
Wer das Informations- und Kommunikationsverhalten der Menschen untersucht, wird sehr schnell feststellen, dass dieses auch durch lokale und regionale Interessen bestimmt wird. Man kann somit Kommunikationsräume finden, die den unterschiedlichen politischen Ebenen entsprechen: Stadtteile, Kommunen, Landkreise, Bundesländer, Deutschland und Europa. Es bedarf also auf den jeweiligen Demokratieebenen eines Medienangebots, das «sicherstellt, dass die Vielfalt der bestehen[1]den Meinungen [...] in möglichster Breite und Vollständigkeit Ausdruck» findet, wie es das Bundesverfassungsgericht 2007 gefordert hat. Es muss gewährleisten, «dass die in einer Gesellschaft verfügbaren Informationen, Erfahrungen, Werthaltungen und Verhaltensmuster abgebildet werden». Die Medien müssen der Aufgabe und Funktion in der repräsentativen Demokratie gerecht werden und «als ständiges Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern in Parlament und Regierung» fungieren. Im sogenannten Spiegel-Urteil des Bundesverfassungsgerichts heißt es dazu: «Sie [die repräsentative Demokratie] fasst die in der Gesellschaft und in ihren Gruppen unaufhörlich sich neu bildenden Meinungen und Forderungen kritisch zusammen, stellt sie zur Erörterung und trägt sie an die politisch handelnden Staatsorgane heran, die auf diese Weise ihre Entscheidungen auch in Einzelfragen der Tagespolitik ständig am Maßstab der im Volk tatsächlich vertretenen Auffassungen messen können.»
„Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Vielfalt im medienrechtlichen Sinne nicht nur und auch nicht in erster Linie ein quantitativer Aspekt ist."
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Vielfalt im medienrechtlichen Sinne nicht nur und auch nicht in erster Linie ein quantitativer Aspekt ist. Aus einer Medienvielzahl ergibt sich nicht automatisch eine Medienvielfalt. Die Tatsache, dass es eine Vielzahl an Angeboten gibt, reicht nicht aus, von Vielfalt zu sprechen. Zwar erweitert eine Vielzahl neuer Anbieter das Angebot und bietet Alternativen, doch selbst wenn es eine Vielzahl von Anbietern mit großer Massenrelevanz gibt, ist Medienvielfalt noch lange nicht garantiert. Doch gerade mediale Vielfalt ist eine zentrale Voraussetzung für eine lebendige Demokratie. Denn nur sie versetzt die mündigen Bürger in die Lage, sich umfassend zu informieren, um in der Folge kompetente Entscheidungen treffen zu können. So weist Paul Leo Giani auf Folgendes hin: «Deshalb ist dem Postulat der Vielfaltssicherung nur dann Rechnung getragen, wenn die Tiefe und Qualität der Informationen und Hintergründe von Meinungsverschiedenheiten in einer Weise aufgearbeitet werden, die ihrer Komplexität gerecht wird. Je schwieriger, komplexer also eine Frage ist, umso notwendiger ist die inhaltliche Aufbereitung – und zwar – in der Vielfalt der in der Gesellschaft bestehenden Wertungen, Erfahrungen etc.»
Die Forderung nach einem «Sender für alle» suggeriert, dass die Sender auch jedem und jeder etwas bieten müssen – weil man den Rundfunkbeitrag bezahlt. Allerdings ist der Rundfunkbeitrag keine Gegenleistung dafür, dass man das Programm empfängt. Mit dem Beitrag finanziert man ein Mediensystem, das man nutzen kann, aber nicht nutzen muss. Die Aufgabe dieses Mediensystems ist es, die unabhängige öffentliche und individuelle Meinungs- und Willensbildung zu ermöglichen. «Die Belastung des Empfängers der Rundfunkangebote rechtfertigt sich aus dem individualnützigen Vorteil, jederzeit das Hörfunkprogramm und das Fernsehprogramm des öffentlich-rechtlichen Rundfunks empfangen zu können, damit über eine stetige, individuell erschließbare Quelle der Information, der Unterhaltung, der kulturellen Anregung zu verfügen. [...] Entgolten wird also ein Leistungsangebot. [...] Tatbestandsvoraussetzung ist das Programmangebot, nicht die tatsächliche Programmnutzung. [...] Wie die Kurtaxe auf den Kurgast, nicht die Zahl der von ihm am Kurort genutzten Sportgeräte ausgerichtet ist, der Erschließungsbeitrag den Anlieger, nicht dessen Kraftfahrzeuge belastet, so muss auch die Rundfunkabgabe einen Tatbestand des Nutzers, nicht des Empfangsgerätes bilden. [...] Eine Finanzierung der allgemein zugänglichen Quelle belastet grundsätzlich jedermann im Einwirkungsbereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, weil er den Vorteil hat, nach individuellem Belieben auf diese Quelle seiner Information, Meinungsbildung, Unterhaltung und kulturellen Anregung zurückzugreifen. Diese Bemessungsgrundlage betont die Unabhängigkeit der Rundfunkfinanzierung von der tatsächlichen Nutzung der einzelnen Sendungen (Quote), begründet die Beitragslast mit dem strukturellen Vorteil, den jedermann aus dem Wirken der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zieht.» Es geht also nicht um die individuelle Nutzung der Programmangebote. Entscheidend ist vielmehr, ob die Sender mit ihren Angeboten dem gesellschaftlichen Auftrag gerecht werden, ob sie relevante Beiträge zur Meinungs- und Willensbildung leisten, ob sie zu einer lebendigen Demokratie beitragen.
„Entscheidend ist, ob die Sender mit ihren Angeboten dem gesellschaftlichen Auftrag gerecht werden, ob sie relevante Beiträge zur Meinungs- und Willensbildung leisten, ob sie zu einer lebendigen Demokratie beitragen."
Akzeptanz ist auch eine Frage journalistischer Qualität. Doch wie misst man diese? Es gibt Redakteure, die der Meinung sind, Qualität lasse sich nicht messen. Jeder und jede habe unterschiedliche Kriterien. Qualität sei somit vor allem eine Frage des persönlichen Geschmacks sowie der jeweils individuellen Vorstellungen von und Erwartungen an Journalismus. ARD, ZDF und Deutschlandradio sind gemäß §31 Absatz 2 des Medienstaatsvertrags dazu verpflichtet, im zweijährigen Rhythmus einen Bericht über die Erfüllung ihres jeweiligen Auftrags, über die Qualität und Quantität der bestehenden Angebote sowie die Schwerpunkte der jeweils geplanten Angebote zu veröffentlichen. So heißt es in der aktuellen Selbstverpflichtungserklärung der ARD: «Die Selbstverpflichtungserklärung wird uns bei der Modernisierung unserer Programmangebote leiten. Dabei streben wir nach exzellenter Qualität bei unseren Inhalten in allen Programmbereichen sowie beim Nutzungserlebnis unserer digitalen Produkte. Vielfalt, Verlässlichkeit, Unabhängigkeit, Glaubwürdigkeit und Nachhaltigkeit sind Werte, für die wir einstehen werden. Die tiefe Verwurzelung in allen Regionen Deutschlands ist für uns Verpflichtung und Anspruch zugleich.» Und weiter: «Die Selbstverpflichtungserklärung ist ein Dokument mit dem Anspruch auf Relevanz für die Programmgestalter, zudem sollen die quantitativen und qualitativen Ziele messbar und nachprüfbar sein.» Zudem formuliert man folgenden Anspruch: «Die Marke ARD soll künftig nicht nur für exzellentes TV und Radio stehen, sondern auch für digitale Exzellenz in Audio und Video. Auch unser Qualitätsmanagement entwickeln wir in diese Richtung weiter. » Das erste der sieben Kernziele des ZDF ist, «Qualitätsinhalte für alle, auf allen Plattformen» zu bieten. Die Anstalt will eine «hohe Reichweite, Relevanz und Reputation des Portfolios erhalten sowie non-lineare Ausspielwege stärken, um die gesamte Gesellschaft zu erreichen». Qualität wird unter anderem mit Reputation, Themenvielfalt sowie hoher Bild- und Tonqualität auf allen Ausspielwegen in Verbindung gebracht. Eine qualitative Messung nach wissenschaftlichen Standards wird der Öffentlichkeit nicht präsentiert. Weder bei der ARD noch beim ZDF gibt es bisher entsprechende Qualitätsberichte. Eine unabhängige Qualitätsprüfung öffentlich-rechtlicher Angebote ist bislang in Deutschland nicht vorgesehen, im Gegensatz zu unseren Nachbarstaaten Schweiz und Österreich. So nimmt der ORF mit seinem Public-Value-Bericht regelmäßig eine Leistungs- und Nutzenbilanz seiner Angebote vor. «Fünf Qualitätsdimensionen und 18 Leistungskategorien dokumentieren den individuellen und gesellschaftlichen Nutzen des ORF. Dazu gehören Bildungs- und Kulturauftrag, Information durch vertrauenswürdige Nachrichten, werbefreie und anspruchsvolle Unterhaltung, Vielfalt in Kultur- und Sportprogrammen und die Vermittlung von Erkenntnissen aus Wissenschaft und Religion.» Medienqualität werde im ORF «nicht nur behauptet, sondern auch produziert und wirksam überprüft [...]. Programmrichtlinien und Qualitätsprofile definieren klare Leistungskriterien, ein Verhaltenskodex schließt Unvereinbarkeiten aus, ein Redakteursstatut sichert Rechte und Pflichten der ORF Journalisten. [...] Public Value ist ein konkreter Wert. Eine überprüfbare Leistung.» Noch einen Schritt weiter geht man in der Schweiz. Seit 2010 legt das Schweizer Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft jährlich einen Bericht zur Qualität der Medien in der Schweiz vor. So wird die Entwicklung des Mediensystems und des Nutzungsverhaltens systematisch und auf empirischer Basis dokumentiert. «Analysiert werden dabei alle Mediengattungen – Presse, Radio, Fernsehen, Online, Social Media, die mehr und mehr ineinandergreifen. Das ermöglicht eine Diskussion über die Medienqualität und schärft das Qualitätsbewusstsein für Journalismus beim Publikum und den Medienschaffenden.» Das Jahrbuch liefert Kennzahlen zur Nutzung und Qualität von rund 70 Schweizer Informationsmedien aus allen Sprachregionen der Schweiz. Dabei wird zum Beispiel die Qualität der Berichterstattung mittels einer Inhaltsanalyse überprüft. Dazu nutzt man «vier Dimensionen: die Relevanz, die Vielfalt, die Einordnungsleistung und die Professionalität. Sie alle tragen zur Gesamtqualität eines Informationsangebots bei. Diese Dimensionen lassen sich aus den Leistungsfunktionen öffentlicher Kommunikation ableiten (Forumsfunktion, Kontrollfunktion, Integrationsfunktion) und sind ebenso für die Leitbilder und Verhaltenskodizes der journalistischen Praxis maßgeblich.» Mittlerweile gibt es auch ein erstes Projekt zur «Qualität von Nachrichtenmedien im Dreiländervergleich». Es werden die Qualität reichweitenstarker Medien und ihr Beitrag zur öffentlichen Diskussion in Deutschland, der Schweiz und Österreich untersucht. Eine qualifizierte Beteiligung an demokratischen Prozessen, wie zum Beispiel Wahlen und Volksbegehren, setzt kommunikative, auch mediale Teilhabe- und Teilnahmemöglichkeiten voraus. Medienvielfalt und -qualität bestimmen die Qualität einer Demokratie mit. Die Qualität der Medien hat Auswirkungen auf die Qualität der Demokratie. Vor diesem Hintergrund muss die Qualität des Medienangebots, insbesondere auch des beitragsfinanzierten, gemessen werden. Erst dann ist eine qualifizierte Qualitäts- und Auftragsdebatte möglich."
Die Publikation kann unter https:/ www.rosalux.de/publikation/id/49954 kostenfrei bestellt bzw. als pdf heruntergeladen werden.