Die Bedarfsanmeldung ist keine Wünsch-dir-was-Veranstaltung

24. März 2023
Helmut Hartung promedia Verlag Chefredakteur
Helmut Hartung promedia Verlag Chefredakteur
Rekordbudget von 10 Milliarden Euro für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk 2023

Von Helmut Hartung, Chefredakteur www.medienpolitik.net

Der Gesamtetat von ARD, ZDF und Deutschlandradio wird 2023 erstmals über 10 Milliarden Euro liegen. Dies ergeben Berechnungen des Instituts für Medienpolitik (IfM) aus den Haushaltsplänen der öffentlich-rechtlichen Sender für 2023. Davon entfallen, so das IfM, auf die neun ARD-Anstalten 7,250 Milliarden Euro, auf das ZDF 2,501 Milliarden und das Deutschlandradio 276 Millionen Euro. Die Einnahmen stammen aus dem Rundfunkbeitrag (zu rund 85 Prozent), aus Werbung und Sponsoring sowie aus sonstigen Erträgen. 1995 betrug das Gesamtbudget des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems noch 5,9 Milliarden Euro. Von 1995 bis 2023 haben sich die Gesamteinnahmen von ARD, ZDF und Deutschlandradio somit um rund 70 Prozent erhöht. Der inflationsbedingte Kaufkraftverlust betrug in diesem Zeitraum 38 Prozent. Die Mediengruppe RTL Deutschland verzeichnete – zum Vergleich – 2022 einen Umsatz von ca. 2,77 Milliarden Euro und die BBC musste im vergangenen Jahr mit 6,25 Milliarden Euro auskommen. Angesichts dieser Rekordeinnahmen warnte der Chef des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) Frank Überall die Intendanten der Anstalten bei der gegenwärtigen Bedarfsanmeldung vor „vorauseilendem Gehorsam“.

„Es darf keinen vorauseilenden Gehorsam der Intendanten gegenüber vermuteten politischen Stimmungen in den Ländern geben“, so Überall. Die hohen Preissteigerungen in allen Bereichen müssten durch einen höheren Rundfunkbeitrag abgedeckt werden, fordert der DJV-Bundesvorsitzende. Alles andere führe nach jahrelangen Sparrunden bei den Sendern zwangsläufig zu Programmeinschnitten und Personalabbau.

Anscheinend hat sich der galoppierende Vertrauensverlust des öffentlich-rechtlichen Rundfunks noch nicht bis zur Geschäftsführung der Journalistenvertretung rumgesprochen. Nach einer aktuellen Umfrage des Norddeutschen Rundfunks (NDR) in seinem Sendegebiet vom 28. Februar akzeptiert nur ein Drittel der Bevölkerung den gegenwärtigen Beitrag von 18,36 Euro. Alle anderen fordern entweder eine Senkung oder einen Verzicht auf den Beitrag. In anderen Regionen ist das Meinungsbild nicht anders. Es ist nicht die „politische Stimmung in den Ländern“, es ist die Unzufriedenheit mit einem immer größeren, teureren, intransparenten und verschwenderischen System, das Strukturreformen erzwingt. Dieser Druck der Öffentlichkeit und die abwartende und zögerliche Haltung der Anstalten hat die Rundfunkkommission der Länder veranlasst, innerhalb weniger Wochen den Entwurf des Vierten Medienänderungsstaatsvertrages mit strengeren Compliance- und Transparenzregeln vorzulegen. Auch die Beschlüsse von Deidesheim im Januar und die Einsetzung der Zukunftskommission im März basieren auf der Erkenntnis, dass sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk strukturell und inhaltlich wandeln muss, soll er 2030 noch von Relevanz für die politische Meinungsbildung sein. Selbst ARD-Intendanten äußern das jetzt – wenn auch etwas verklausuliert – öffentlich. Hier sei an die Hamburger Rede des WDR-Intendanten Tom Buhrow vom vergangenen November erinnert.

Wenn Überall lakonisch fordert, dass die hohen Preissteigerungen in allen Bereichen durch einen höheren Rundfunkbeitrag abgedeckt werden müssen, befindet er sich im Widerspruch sowohl mit dem Bundesverfassungsgericht als auch mit der KEF. Im April vergangenen Jahres sagte der KEF-Vorsitzende Prof. Dr. Martin Detzel gegenüber der FAZ: „Die Sender haben, so hat es das Bundesverfassungsgericht formuliert, Anspruch auf eine ‚funktionsgerechte Finanzierung‘. Diese Finanzierung umfasst sowohl den Bestand als auch den Entwicklungsbedarf. Allerdings bei Einhaltung der Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Das Bundesverfassungsgericht verlangt zugleich die Prüfung von Rationalisierungs- und Kooperationsmöglichkeiten sowie die Marktangemessenheit von Investitionen. Damit hat das Verfassungsgericht den Anspruch aber auch die Grenzen definiert. Das KEF-Verfahren ist also keine Wünsch-dir-was-Veranstaltung. Die KEF leitet die Ansprüche überwiegend ab, in dem diese mit rundfunkspezifischen Teuerungsraten und Indizes hochgerechnet werden. Das ist allerdings kein Erhöhungsautomatismus, sondern die Ausgangsdaten des Basisjahres werden darauf überprüft, ob Sonderbedingungen bestehen, die herausgerechnet werden müssen. Projekte, die dem Entwicklungsbedarf entsprechen, müssen zusätzlich detailliert erläutert und begründet werden. Um eine bessere Objektivierung zu erreichen, haben wir in den vergangenen Jahren verstärkt auch Benchmark-Analysen und externe Gutachten genutzt. Im 22. Bericht war es der Vergleich bei den Vergütungen. Aktuell beauftragen wir eine Studie zu den Immobilien der öffentlich-rechtlichen Sender.“

„Wenn Überall lakonisch fordert, dass die hohen Preissteigerungen durch einen höheren Rundfunkbeitrag abgedeckt werden müssen, befindet er sich im Widerspruch sowohl mit dem Bundesverfassungsgericht als auch mit der KEF.“

Der KEF-Vorsitzende verweist nicht ohne Grund auf die „Einhaltung der Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit.“ In ihren Berichten der vergangenen Jahre hat die KEF deutlich gemacht, dass eine bedarfsgerechte Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch mit Einsparungen möglich ist. Denn der vom Verfassungsgericht umrissene Auftrag beschreibt keine quantitativen Faktoren, er ist eine qualitative Beschreibung. Weder die Anzahl der TV- und Hörfunkprogramme, noch Sendestunden für Sport oder der Ausstoß an Podcasts, ist von den Karlsruher Richtern vorgeschrieben worden. Auch die Reformvorhaben der ARD seit 2017 sollen sich jetzt wirtschaftlich auszahlen. Martin Detzel hat in den vergangenen Wochen mehrfach darauf hingewiesen, dass es bis 2030 im öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine natürliche Personalfluktuation von ca. 20 Prozent der Mitarbeiter geben wird. Die Stellen müssen bei konsequentem Abbau von Doppelstrukturen und einer effektiveren Gestaltung der Arbeitsprozesse nicht zwingend neu besetzt werden. Hier besteht also ein großes Sparpotenzial. Mehrfach haben Intendanten in letzter Zeit darauf verwiesen, dass der notwendige Personalabbau ohne betriebsbedingte Kündigungen erfolgen soll. Der Schluss, dass eine Stabilität beim Rundfunkbeitrag zwangsläufig dazu führe, „dass die Arbeitsbelastung in den Redaktionen ansteige“ wie Frank Überall sagt, ist ein Trugschluss. Dass Strukturveränderungen, die mit einem Personalabbau verbunden sind, nicht dazu führen, dass eine Anstalt ihren verfassungsgemäßen Auftrag nicht mehr erfüllt, zeigt das Beispiel von Radio Bremen: 1999 hatte die Ministerpräsidentenkonferenz die Halbierung des ARD-internen Finanzausgleichs beschlossen. Der Sender musste mit einem Drittel weniger Geld auskommen, massiv Personal abbauen, Geschäftsbereiche von Produktion, Technik bis hin zu Verwaltungsaufgaben outsourcen und Programm reduzieren. Die Zahl der festen Mitarbeiter sank von 600 1999 auf 228 im Jahr 2021. Inzwischen wurde der Finanzausgleich wieder leicht erhöht.

Ein Lippenbekenntnis zur Notwendigkeit und Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks reicht nicht aus, wenn man nicht bereit ist zu akzeptieren, dass das auch mit Konsequenzen für die Inhalte, Arbeitsweise, Strukturen und damit die Zahl der Mitarbeiter verbunden ist. Mit der Losung „der einzige Ausweg ist ein höherer Rundfunkbeitrag“ ist weder der Gesellschaft noch dem öffentlich-rechtlichem Rundfunk gedient.

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