Der Bund hat nicht die Gesetzgebungskompetenz für das KWG. Die Gesundheit von Kindern ist ein gewichtiges Rechtsgut. Kommunikationsfreiheiten sind ebenfalls gewichtige Rechtsgüter. Den in solchen Fällen erforderlichen Ausgleich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erreicht der vorliegende Referentenentwurf nicht, heißt es in einer Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Privater Rundfunk (APR) zum Referentenentwurf eines Gesetzes zum Schutz von Kindern vor Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt (Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz – KWG-RefE) des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Der Entwurf schieß weit über das Ziel hinaus, wenn in der Praxis ein vollkommenes Werbeverbot für alles jenseits roher und unbehandelter Lebensmittel ausgesprochen wird. Wenn gleichzeitig ungesunde Lebensmittel unverändert dargeboten und auch an Kinder verkauft werden, erschöpft sich der Entwurf in reiner Symbolpolitik, die das Angebot von journalistischen Medieninhalten schmälert, stellt die APR fest Einer Diskussion, wie über § 6 Abs. 7 JMStV hinaus mit gezielt an Kinder gerichtete Werbung zukünftig umgegangen wird, verschließt sich die APR nicht.
1. Verbotswirkung des Vorschlages
Für Radio und lokales/regionales TV sieht der KWG-RefE vor, dass frisches oder gefrorenes Fleisch oder Fisch, Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte ohne Einschränkung beworben werden dürfen. Bei allen anderen – behandelten – Lebensmitteln gilt im Ergebnis das Werbeverbot. Beispielsweise „Speiseeis – Bewerbung nicht erlaubt“, wie es in der Anlage zu dem Gesetz heißt, auf das sich die Vermutungsregel zum Umfang der Verbote (§ 5 KWG-RefE) bezieht. Die Verbote gelten ausdrücklich „auch wenn die Werbung ihrer Art nach nicht besonderes dazu geeignet ist, Kinder zum Konsum zu veranlassen oder darin zu bestärken“ (§ 2 S. 1 KWG-RefE, Hervorhebung hier). Auch solche, sich nicht direkt an Kinder wendende Werbung ist in Radio und Fernsehen zwischen 6:00 Uhr und 23:00 Uhr verboten. In der Praxis ist das ein Totalverbot, denn nachts zwischen 23.00 Uhr bis um 6:00 Uhr in der Früh wird ohnehin nicht für Lebensmittel geworben. Die Zeitgrenzen des KWG sind aus dem Verbot der Pornographie in Medien nach § 5 Abs. 4 JMStV bekannt.
2. Ziel des Referentenentwurfs
Das Ziel des KWG-RefE wird in dessen § 1 beschrieben: Die Exposition von Kindern als besonders verletzliche Verbrauchergruppe gegenüber der Werbung von Lebensmitteln mit einem hohen Zucker-, Fett- oder Salzgehalt zu verringern und sie beim Erlernen eines gesundheitsförderlichen Ernährungsverhaltens zu unterstützen und so einen Betrag zu ihrem Schutz vor ernährungsbedingten Krankheiten zu leisten.Es werden also zwei Ziele verfolgt: zum einen die Gesundheitsförderung, zum anderen die Erziehung („erlernen“).
3. Eingriff in unter anderem die Rundfunkfreiheit
Um das vorstehend zitierte Ziel zu erreichen, greift der KWG-RefE in die Tätigkeit der Medien ein. Seine Verbote richten sich an jede natürliche oder juristische Person, die Werbung oder Sponsoring im Sinne dieses Gesetzes betreibt (§ 2 KWG-RefE). Nach der Begründung sollen nicht nur die Hersteller von Lebensmitteln erfasst werden, sondern Dritte, die bei der Werbung mitwirken bis hin zu Agenturen oder Influencern. Ausdrücklich sind in § 4 KWG-RefE unter anderem die Werbeträger Hörfunk, audiovisuelle Mediendienste und Dienste der Informationsgesellschaft genannt. Diese können sich auf die Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Werbung und die Möglichkeit der Finanzierung der inhaltlichen Angebote, die in Radio und Fernsehen sowie auf ihren Online-Angeboten dargeboten werden, sind von der Rundfunkfreiheit umfasst. Tatsächlich ist der mit dem Lebensmittelhandel erzielte Umsatz des privaten Radios so erheblich, dass eine Reduzierung der Programmleistung als Folge der Werbeverbote unvermeidlich wäre. Die Verbote beschränken Kommunikationsinhalte.
Werbeverbote beschneiden die in der Praxis einzige zulässige (§ 69 MStV) Finanzierungsform, die das landesgesetzliche Medienrecht den privaten Rundfunkanbietern für die Finanzierung ihrer öffentlichen Aufgabe zur Verfügung stellt. Der KWG-RefE beschränkt die Rundfunkfreiheit.
4. Konflikt zweier gewichtiger Rechtsgüter
Der Schutz von Kindern auf der einen Seite und das Recht der Medien auf der anderen Seite stehen vorliegend in Konflikt miteinander. Das ist kein grundsätzlich unbekannter Ausgangspunkt. Vielmehr handelt es sich die Problemlage des Jugendmedienschutzes, der als Jugendmedienstaatsvertrag (JMStV) zum Medienrecht der Länder gehört. Wie stets, wenn zwei gewichtige Rechtsgüter miteinander in Konflikt stehen, ist ein angemessener Ausgleich zu suchen. Das Recht, in das eingegriffen wird, darf nur so weit zurückgedrängt werden, wie es notwendig ist, um den berechtigter Weise formulierten Schutz des anderen Rechtsgutes zu bewerkstelligen. Ein Übermaß des Eingriffs ist auszuschließen.
Die in Konflikt stehenden Rechtsgüter sind vom Gesetzgeber zu beschreiben. In Bezug auf das Ziel des Schutzes von Kindern geschieht das umfänglich im KWG-RefE. In Bezug auf die Position der Medien findet sich nichts im Entwurf. Weder zu den kommunikativen Fragen noch zu den ökonomischen Auswirkungen finden sich Angaben. Die Frage, in welchem Umfang Werbemittel fehlen und ob das dazu führen wird, dass die Finanzierung von Angeboten nicht mehr möglich sein wird, wird erst gar nicht gestellt. Der KWG-RefE verfehlt das Gebot des Ausgleiches zwischen zwei wichtigen und im Konflikt miteinander stehenden Rechtsgütern vollständig. Er steht unter dem verschärften Motto: Der Zweck heiligt jegliches Mittel.
5. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Der zuvor angemahnte Ausgleich des Konfliktes zweier gewichtiger Rechtsgüter erfolgt nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit. Das ist ständige Rechtsprechung, zuletzt beschrieben in einer steuerrechtlichen Entscheidung des BVerfG (Beschluss vom 6. Dezember 2022 – 2 BvL 29/14, Rz. 130). Zunächst muss um ein legitimes Ziel verfolgt werden. Der Eingriff in die Kommunikationsfreiheiten wird mit der Gesundheit von Kindern und mit der Erziehung von Kindern begründet. Das letztere – der Eingriff in die Medien zum Zweck der Erziehung von Bevölkerungsgruppen – ist indes kein legitimes Ziel. Dem Staat ist es nach der Konzeption der Staatsfreiheit verwehrt, in Medieninhalte einzugreifen, um erzieherisch zu wirken, also um Vorlieben und Meinungen zu steuern. Dies gilt jedenfalls so lange, wie die Medien ohne das Verbot nicht zu rechtswidrigen Verhaltensweisen auffordern würden, sondern es im Rahmen des zulässigen Handelns darum geht, zu einer Verhaltensweise zu erziehen, die eine Mehrheit im Staat gerade als besser oder vernünftiger empfindet. Das ist nicht Aufgabe der Medien. Vorliegend geht es nicht um Werbung für verbotene (Drogen) oder zumindest im Handel eingeschränkte (Alkohol, Tabak) Substanzen oder um verbotene Inhalte (Pornographie). Damit scheidet eines der vom Gesetz genannten Ziele als nicht legitim aus.
Für das noch in Frage stehende Ziel der Gesundheit ist die Geeignetheit eines derart strikten Verbotes selbst von Werbung, die sich gar nicht ausdrücklich an Kinder richtet, zu bezweifeln. Die Annahme, dass eine derartige „Exposition“ von Kindern unmittelbar zum schädigenden Handeln und zu Gesundheitsschäden führt, ist durch nichts belegt. Die Werbewirkungsforschung ist deutlich komplexer als das Modell, das dem KWG-RefE vorschwebt. Aussagen zur Geeignetheit finden sich in der Gesetzesbegründung nicht, sie nennt keine Evidenz, erst recht keine Empirie, die die gesetzlichen Verbote als geeignet erscheinen lassen.
Keinesfalls sind Werbeverbote erforderlich, um das noch zu verbleibende Ziel der Gesundheit von Kindern zu erreichen. Gesundheitsgefährdend ist nicht die Werbung, sondern der Verzehr von Lebensmitteln. Wollte man tatsächlich über eine Symbolpolitik hinaus Verbesserungen erreichen, stünden andere Möglichkeiten zur Verfügung. Zum einen könnte man die Abgabe derartiger Lebensmittel an Kinder verbieten – so soll etwa beim Speiseeis die Werbung (auch in der nicht spezifisch an Kinder ausgerichteten Form) verboten sein, das Eis selbst aber in auch in großer Portion an Kinder abgegeben werden dürfen. Dem Gesundheitsschutz würde das Verbot des Verkaufes solcher Lebensmittel an Kinder helfen. Es wird also eine nicht erforderliche Maßnahme ergriffen und die erforderliche unterlassen – die Wertung des Referentenentwurfes zugrunde gelegt. Wenn man – ähnlich wie bei pornographischen Inhalten und dem damit verbundenen Kinder- und Jugendschutz – vorgehen wollte, müssten kinderschädigende Verhaltensweisen auch in der Familie unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs sanktioniert werden, wenn man das Rechtsgut als so schwerwiegend ansieht, dass staatliche Maßnahmen zu ergreifen sind. Oder man lässt den Konsum der beanstandeten Substanzen in der Familie zu, versucht aber etwa in Schulen durch geeignete Angebote die Exposition mit schädlichen Lebensmitteln zu verringern. Was das nicht legitime Ziel des Erlernens von gesunder Ernährung angeht, wären im übrigen schulische Angebote sinnvoll, das vollkommene Verbot von Werbeaussagen indes ebenso wirkungslos.
Bei der Diskussion einer erforderlichen Regelung der Werbung könnte man erwägen, sich ausschließlich der an Kinder gerichteten Werbung zuzuwenden. Das ginge über § 6 Abs. 7 JMStV hinaus, der Werbung für Lebensmittel im Umfeld von Kindersendungen regelt. Oder man könnte Hinweise in bestimmten Fällen wie bei Glücksspielen (§ 5 GlüStV) erörtern. Der Gesetzentwurf missachtet also sämtliche Kriterien einer Verhältnismäßigkeitsprüfung. Die gebotene Grundrechtsabwägung, darunter der Gleichheitssatz der eingeschränkten Werbung und Werbeträger im Vergleich etwa zum offenen Internet, würde sich erst anschließen. Dabei liegt auf der Hand, dass die Anbieter von Lebensmitteln Ausweichstrategien entwickeln werden, indem sie auf nicht erfasste Online-Werbeträger wechseln, für die nach dem Herkunftslandprinzip Regeln gelten, die entsprechende werbliche Aussagen im jeweiligen nationalen Recht erlauben. Aus unionsrechtlicher Perspektive ist damit zugleich die mangelhafte Kohärenz des Vorschlags zu beklagen. Der Gesetzentwurf verfehlt die Anforderungen an das gesetzgeberische Handwerk völlig. Er ist nicht akzeptabel.
6. Gesetzgebungskompetenz
Rundfunk liegt in der Gesetzgebungskompetenz der Länder. Sie erfüllen diese durch Landesmediengesetze und den Medienstaatsvertrag. Hier sind für audiovisuelle Angebote europarechtliche Vorgaben umgesetzt. Parallel gibt es für den Kinder- und Jugendschutz den Jugendmedienschutzstaatsvertrag. Jugendschutz in der Werbung ist derzeit in § 6 JMStV geregelt, darunter ausdrücklich die Werbung für Lebensmittel im Umfeld von Kindersendungen in § 6 Abs. 7 MStV. Für eine Gesetzgebung des Bundes für mediale Sachverhalte fehlt es an der Kompetenz.
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