Die Förderreform ist bisher ein Torso

14. Februar 2025
Dr. Christian Bräuer, Vorstandsvorsitzender der AG Kino, Geschäftsführer der Yorck-Kino GmbH in Berlin und der Programmkino Ost GmbH in Dresden
Dr. Christian Bräuer, Vorstandsvorsitzender der AG Kino, Geschäftsführer der Yorck-Kino GmbH in Berlin und der Programmkino Ost GmbH in Dresden
Die Kinoreferenzförderung wurde ebenso gestrichen wie das Zukunftsprogramm Kino. Geplante Investitionen können nicht durchgeführt werden.

Interview mit Dr. Christian Bräuer, Vorsitzender des deutschen Filmkunsttheaterverbandes AG Kino – Gilde und Präsident des internationalen Filmkunsttheaterverbandes CICAE (Confédération Internationale des Cinémas d'Art et d'Essai).

Während die Produzenten, trotz fehlenden Haushalts für 2025, eine höhere Bundesförderung bei Filmprojekten erreichen konnten, gehen Kinos und Verleiher mit Sorgen in dieses Jahr. „Das neue Filmförderungsgesetz (FFG) ist für die Arthousekinos ein erheblicher Rückschritt“, sagt Christian Bräuer, Vorstandsvorsitzender der AG Kino. Im bisherigen FFG gab es die Kinoreferenzförderung, die für die kleineren Kinos von großer Bedeutung war. Diese Förderung sei gestrichen worden. Ebenso werde das Zukunftsprogramm Kino in diesem Jahr nicht weitergeführt, wie auch die kulturelle Kinoförderung. Damit würden die Kinos, ohne den beschlossenen Bundeshaushalt, weniger als bisher unterstützt. Für die Programmkinos seien die fehlenden Mittel tragisch. Ohne Bundeshaushalt sei der erste Teil der Förderreform ein Torso.

medienpolitik.net: Herr Bräuer, am 1. Januar ist ein neues Filmförderungsgesetz (FFG) in Kraft getreten. Welche Vorteile bringt es den Arthouse Kinos?

Bräuer: Das neue Filmförderungsgesetz, wie es seit 1. Januar in Kraft ist, ist für die Arthousekinos ein erheblicher Rückschritt. Im bisherigen FFG gab es die Kinoreferenzförderung, die für unsere Mitglieder von großer Bedeutung war. Diese Förderung ist gestrichen worden. Ebenso wird das Zukunftsprogramm Kino diesem Jahr nicht weitergeführt, wie auch die kulturelle Kinoförderung. Damit werden die Kinos, ohne den beschlossenen Bundeshaushalt, weniger als bisher unterstützt. Das neue FFG ist ein wichtiger erster Schritt für eine Neuaufstellung der Filmförderung, aber für die Programmkinos sind die fehlenden Mittel tragisch.

medienpolitik.net: Seit Jahren gibt es die Forderung der Kinobetreiber, den Anteil deutscher, publikumsattraktiver Filme zu erhöhen. Welchen Beitrag kann dazu das neue FFG leisten?

Bräuer: Ob der neue Ansatz, stärker auf eine automatische Förderung zu setzen, die Qualität deutscher Filme erhöht, muss sich zeigen. Entscheidend ist für uns das Zusammenwirken mit der kulturellen Filmförderung des Bundes, die allerdings ebenfalls am offenen Bundeshaushalt hängt. Vor allem ist das FFG bekanntlich nur eine von drei Säulen, die die Filmwirtschaft insgesamt stärken und bessere deutsche Filme stimulieren sollten. Die Branche muss leider die Bildung einer neuen Regierung abwarten und hoffen, dass diese die Filmreform klug zu Ende führt.

medienpolitik.net: Ihr Bild von den drei Säulen assoziiert die Vorstellung, dass die Neuausrichtung der Filmförderung bisher eher einer Ruine gleicht…

Bräuer: Natürlich stand auch die Frage im Raum, ob es richtig ist, dass FFG zu beschließen, wenn andere wichtige Gesetze nicht zustande kommen. Ich fand es vernünftig, diesen ersten Schritt zu gehen, in der Hoffnung, dass dann die weiteren Schritte hin zu einem ganzheitlichen Förderansatz schnell folgen. Denn ohne beschlossenen Bundeshaushalt ist es nur ein Torso. Es waren auch eine innovative Kinoförderung geplant sowie eine gut verzahnte Verleihförderung. Wenn diese nicht kommen, wird das viele Häuser vor existenzielle Herausforderungen stellen

medienpolitik.net: Die Zahl der Kinobesucher ist 2024, nach vorläufigen Zahlen, um etwa sieben Prozent zurückgegangen. Was heißt das, nach den schwierigen Corona-Jahren für die Arthouse Kinos?

Bräuer: Die Arthouse Kinos haben im vergangenen Jahr aber ein Plus von 3,1 Prozent erreicht und konnten sich von der Gesamtmarktentwicklung absetzen. Das ist ganz erstaunlich angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen. Wir haben gerade auch mehr junge Zuschauer erreicht. Die Kinos veranstalten mehr Events und Reihen, zeigen mehr Filme und arbeiten eng mit unterschiedlichen Publikumsgruppen. Das Interesse an der Kunstform Kino und dem Kino als Ort der Begegnung ist nach wie vor groß. Auf der anderen Seite ist die Erlösstruktur der Arthousekinos und Kinos im ländlichen Raum nicht ausreichend, um wichtige Investitionen zu realisieren. Genau deshalb wurde das Zukunftsprogramm Kino schon vor der Pandemie gestartet, um Modernisierungen, technische Erneuerungen und Werterhaltungen durchzuführen. Dadurch haben sich die kleineren Kinos auf einem Erholungspfad befunden, der aber jetzt jäh unterbrochen worden ist. Es ist wie ein Halt auf freier Strecke.

„Die geplanten Investitionen liegen auf Eis, weil die Eigenmittel dafür noch weniger Spielraum als vor der Pandemie bieten.“

medienpolitik.net: Noch ist aber nicht klar, wann die Fahrt weiter geht…

Bräuer:  Für viele Kinos ist die Situation katastrophal. Die geplanten Investitionen liegen auf Eis, weil die Eigenmittel dafür noch weniger Spielraum als vor der Pandemie bieten. Auch wir müssen Preissteigerungen von bis zu 50 Prozent verkraften. Doch diese Modernisierungen sind entscheidend, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Traditionell werden Arthouse- und Landkinos durch zwei wichtige Geldquellen in ihrer Arbeit unterstützt: Der Investitions- und der Programmförderung. Die Erfolge können wir in einer vielfältigen Kinolandschaft bestaunen. Vor über einem Jahrzehnt mit der Digitalisierungsförderung, in den letzten Jahren mit dem Zukunftsprogramm Kino wurde viel erreicht. Doch stehen wir bei der so wichtigen Infrastrukturmodernisierung noch immer erst am Anfang. Und die geplanten innovativen Kinoförderung, die gezielt den Einsatz von deutschen, europäischen und von künstlerisch-kreativen Filmen sowie die Einbeziehung des Publikums belohnen sollte, wäre für uns maßgeschneidert. Doch diese Perspektive für nachhaltiges Wirtschaften fehlt den kleineren Kinos gegenwärtig.

medienpolitik.net: Die FFA fördert weiterhin Kinoprojekte und auch die Länder fördern die Kinos. Warum reicht das nicht aus?

Bräuer: Die Aufstockung der Bundesfördermittel für Produzenten stärkt den Produktionsstandort Deutschland, führt aber nicht automatisch zu einer höheren Qualität. Doch selbst wenn das dazu führen würde, was wir nachdrücklich hoffen, werden weiterhin das Kino und der Verleih benötigt, damit die geförderten Filme überhaupt sichtbar werden. Niemand käme auf die Idee, ein Produkt herzustellen, ohne auch Marketing und die dafür erforderliche Infrastruktur im Blick zu haben. Von daher brauchen wir für den wirtschaftlichen wie gesellschaftlich-kulturellen Erfolg der Filmreform einen umfassenden Ansatz. In diesem Zusammenspiel ist die Förderung der Kinos durch die Bundesländer für uns eine bedeutende Säule, kann aber nicht ausgleichen, was jetzt an Bundesmitteln fehlt. Zudem sind die Ländermittel teilweise an die Bundesförderung geknüpft. Das Zukunftsprogramm Kino wurde zu 50 Prozent von den Ländern kofinanziert. Im vergangenen Jahr war das Budget für diesen Fördertopf in Höhe von 10 Millionen Euro für etwa 700 Kinos innerhalb von 20 Sekunden ausgeschöpft. Daran sieht man, wie groß der Investitionsbedarf der Kinos ist.

medienpolitik.net: Claudia Roth hat im Oktober 2024 bei der Verleihung der Kino- und Verleihprogrammpreise gesagt: „Kinos sind Räume des Sehens und Wahrnehmens, des Gesprächs und der Diskussion. Damit sind sie ein bedeutender Teil der kulturellen Infrastruktur. Den Kinobetreibern verdanken wir in Kleinstädten und ländlichen Regionen oft das letzte kulturelle An- und Aufgebot.“ Sind Ihre Klagen die übliche „Panikmache“ der Verbände oder ist die Infrastruktur der Arthouse Kinos als wichtige Kulturstätte doch gefährdet?

Bräuer: Wir Kinobetreiber sind von Natur aus Optimisten, sonst würden viele kleinere Kinos nicht mehr existieren. Wir dürfen nicht vergessen: Hinter jedem diese Häuser stehen hart arbeitende Menschen besteht, die sich mit hoher Leidenschaft und Kompetenz für kulturelle Vielfalt in ihrer Umgebung einsetzen, die auch immer wieder ihre Widerstandsfähigkeit bewiesen haben. Die Mitglieder der AG Kinos haben allein im vergangenen Jahr über 5.500 Filme gezeigt und damit einen wichtigen kulturellen Beitrag geleistet. Kinos sind keine Industrie in Hollywood oder Babelsberg, Kinos im ganzen Land, auch Arthousekinos gibt es in Großstädten wie im ländlichen Raum. Sie sind, wie es unsere amerikanischen Kollegen bezeichnen, die ‚Townhalls‘ der modernen Gesellschaft. Aktuelle amerikanische Studien zeigen, dass die Vereinsamung durch die digitale Entwicklung zunimmt und die Pandemie vor allem die junge Generation entwöhnt hat, am sozialen Leben teilzunehmen. Soziale Erlebnisse, so die Studien, tragen aber wesentlich zur Zufriedenheit. Zugleich wirkt die Zusammenkunft der zunehmenden gesellschaftlichen Spaltung entgegen, ermöglicht kollektive Erfahrungen und schult Empathie. Sie erfüllen zudem ein Bedürfnis nach Authentizität, dass im Zeitalter Künstlicher Intelligenz nur noch an Relevanz gewinnen wird. Sie werden zur vertrauenswürdigsten Quelle in der globalen Medienflut. Um solche Gemeinschaftserlebnisse zu schaffen, müssen die Kinos jedoch modern sein und ein attraktives Programm bieten. Das ist nur mit einer stabilen bundesweiten Förderung möglich, so wie auch Theater, Konzerthäuser, Museen und Ensemble finanziell unterstützt werden. Die Bedeutung von Kinos für unseren Kontinent ist nicht nur künstlerischer, sondern auch wirtschaftlicher und sozialer Natur. Kinos sind ein wichtiger Teil der Geschichte Deutschlands und es lohnt sich, sie zu feiern und für sie zu kämpfen. Denn unsere Branche steht vor einer Renaissance – der nächsten großen Ära des Kinos. Und es ist in vielerlei Hinsicht entscheidend, dass Deutschland und Europa hier eine aktive Rolle einnehmen!

 

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