
Fragen an Dr. Christian Bräuer, Vorstandsvorsitzender der AG Kino und Geschäftsführer der Yorck-Kino GmbH in Berlin und der Programmkino Ost GmbH in Dresden
Christian Bräuer, Vorstandsvorsitzender des Kinoverbandes AG Kino, bemängelt bei den Vorschlägen, die die Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth, Branchenvertretern kürzlich vorgestellt hatte, die unzureichende Berücksichtigung der Kinos bei der FFG-Novellierung sowie die weiterhin bestehende Fokussierung auf die Produktionsförderung. „Kein Förderkonzept für Elektromobilität würde daraus bestehen, mehr E-Autos zu produzieren, ohne die Infrastruktur zum Laden und die Vermarktung innerhalb der Bevölkerung mitzudenken.“ Dasselbe gelte auch beim Film. Ohne starke Vermarktung und ohne Infrastruktur in der Fläche blieben die Filme unsichtbar. Deshalb müssten etwa 15 Prozent der Fördermittel des Bundes einschließlich der Steueranreize für die Kinos reserviert werden. Es käme darauf an, mögliche Investitionsverpflichtungen mit einer hohen Quote für unabhängige Kinoproduktionen zu verbinden. Nur wenn das gelinge, könne dies einen großen Schub für die mittelständisch geprägte Filmwirtschaft bedeuten, sagt Bräuer. Ob es jedoch gelinge, zu einer kohärenten audiovisuellen Politik zu kommen, liege letztlich an vielen noch zu klärenden Details und insbesondere auch daran, wie die staatlichen Mittel allokiert werden.
medienpolitik.net: Herr Bräuer, Staatsministerin Claudia Roth hat jüngst konkrete Vorschläge für die Novellierung des FFG vorgestellt. Inwieweit entsprechen diese geplanten Veränderungen den Vorstellungen der AG Kino?
Bräuer: Seit langem setzen wir uns für eine ganzheitliche Filmförderung von der Ideenentwicklung bis zum Publikum ein. Dass diese nun angestrebt wird, ist ein gutes Signal. Ob es gelingt, zu einer kohärenten audiovisuellen Politik zu kommen, liegt letztlich an vielen noch zu klärenden Details und insbesondere auch daran, wie die staatlichen Mittel allokiert werden. Sehr positiv ist aus unserer Sicht zu bewerten, dass die drei Schlüsselansätze für eine konsistente Kinoförderung enthalten sind: Erstens eine anreizorientierte Programmförderung zur Gestaltung vielfältiger Arthouse-Kinoprogramme. Zweitens eine Investitionsförderung zum Erhalt, zur Modernisierung und zum Neubau von Kinos. Und drittens die Bewahrung der Medienchronologie mit einem mehrstufigen Auswertungssystem von Kinofilmen. Damit die Kinos ihren Erholungsprozess verstetigen können, ist ein ausreichendes Budget für beide Förderbereiche unerlässlich. Dazu zählt auch, dass die Modernisierungsförderung planbar und verlässlich greift und die im Zukunftsprogramm Kino antragsberechtigten Kinos mit den Länderförderungen kombiniert auf mindestens 66 Prozent Zuschuss-Anteil kommen. Neben der noch offenen Frage der finanziellen Ausstattung der Kinoförderung sorgt uns eine mögliche Entkoppelung der Produktionsförderung von verbindlichen Kinostarts. Entscheidend ist daher, dass das Kino und die kulturelle Vielfalt nicht unter dieser Änderung leiden.
medienpolitik.net: Die Arthouse-Verbände AG Kino – Gilde, AG Verleih sowie der Verband der Filmexporteure haben eine „ganzheitliche Filmförderung“ gefordert. Sehen Sie nach den jüngsten Vorschlägen das neue FFA auf den Weg dahin?
Bräuer: Der Publikumserfolg von Arthousefilmen ist kein Zufall, sondern das Ergebnis harter Arbeit von Verleih, Kinos und Weltvertrieb. Das wird in unserer produktionszentrierten Förderlandschaft oft übersehen. Obwohl immer mehr Filme starten, dominieren wenige Produktionen 80 % des Marktes. Dieser Trend hat sich nach der Pandemie verschärft. Unsere Erfahrungen zeigen, dass Events und eventisierte Filme funktionieren, doch die Mehrheit der Filme benötigt – auch durch die Logik der Aufmerksamkeitsökonomie – eben mehr Aufmerksamkeit. Dabei sind die Potenziale vielversprechend. Wir sehen, dass sich auch die junge Generation für filmische Vielfalt interessiert. Doch die ohnehin schon anspruchsvolle Arbeit, die ja erst den Autoren-, Dokumentar- oder Nachwuchsfilmen zur Sichtbarkeit verhilft und deren gesellschaftlichen Mehrwert erst schafft, ist immer komplexer und schwieriger geworden. Ohne Publikum wird die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Films nicht gelingen. Es braucht Strategien, die die nationale und internationale Präsenz von Filmen fördern und Unterstützung für diejenigen, die sie ermöglichen. Ansätze dafür sind bei Verleih und Kino mit der Programmförderung gelegt. Zur Stärkung des Exports wurde noch nichts gesagt. Am Ende zahlt dies auch auf das Fördersystem ein – denn für jeden Euro der in diese Bereiche geht, fließt ein Vielfaches zurück.
„Neben der noch offenen Frage der finanziellen Ausstattung der Kinoförderung sorgt uns eine mögliche Entkoppelung der Produktionsförderung von verbindlichen Kinostarts.“
medienpolitik.net: Der Schwerpunkt der Novellierung liegt weiter auf der Finanzierung der Produktion. Von einer „Umverteilung“ der Mittel, zugunsten der Kinos und des Vertriebs, wie von Ihnen gefordert, kann anscheinend keine Rede sein. Was bedeutet das für den Erfolg deutscher Filme?
Bräuer: Mit dem Zukunftsprogramm Kino und den Coronahilfen wurde in den vergangenen Jahren viel erreicht. Die Filmtheater befinden sich auf einem vielversprechenden Erholungspfad und sind unverändert der beliebteste Kulturort. Vor allem sind die Kinos unabhängig – sie sind Marktplatz freier Ideen und Diskursraum der modernen Gesellschaft. Davon profitieren lokale Nachbarschaft und nationale Filmindustrie gleichermaßen. Gerade für unabhängige Werke, die außerhalb der Studiouniversen entstehen, ist der Kinostart unverändert die größte Chance für Sichtbarkeit und Erfolg. Doch die Lage der Kinos ist nach der Pandemie weiter fragil. Denn, um bestehen und wettbewerbsfähig bleiben zu können, müssen sie massiv gleichzeitig in digitale Modernisierung, ökologische Nachhaltigkeit, Erhalt der Gebäude sowie Verbesserung des Kinoerlebnisses investieren. Gerade für Filmkunsttheater und Landkinos mit einem hohen gesellschaftlichen Engagement ist dies eine existenzielle Herausforderung. Sollten die Kinos unter die Räder der beabsichtigten Stärkung der Filmproduktion in Deutschland geraten, wäre das mehr als bedauerlich, zumal diese Schieflage in der Verteilung der Fördermittel schon lange besteht. Seit Jahrzehnten wächst die Anzahl der Kinostarts in einem Maß, das in keiner Relation zu den Ausspielkapazitäten der Kinos steht. Vor allem Arthousefilme verfügen dabei über bestenfalls übersichtliche Herausbringungsbudgets. Im Ergebnis bleiben viele Werke weitgehend ungesehen. Wir produzieren zu viele Flops mit Ansage, der deutsche Film verliert international an Wettbewerbsfähigkeit – und für Verleih, Kino und Weltvertrieb wird der Einsatz für diese Werke immer schwieriger.
Ohne eine Umsteuerung weg von der Produktionsfinanzierung als Mittelpunkt wird die Novellierung des FFG scheitern. Verlierer sind dann vor allem die Arthousefilme, die weltweit bei Festivals gesehen werden. Denn diese Filme brauchen jedes einzelne Kino und jeden einzelnen Gast, um weiter entstehen zu können. Ansonsten geht uns eine ganze Kunstform verloren. Kein Förderkonzept für Elektromobilität würde einfach daraus bestehen, mehr E-Autos zu produzieren, ohne die Infrastruktur zum Laden und die Vermarktung innerhalb der Bevölkerung mitzudenken. Dasselbe gilt in der Kultur – ob bei den Bühnen oder im Film. Ohne starke Vermarktung, ohne engagierte Kinos, ohne Infrastruktur in der Fläche bleiben die Filme unsichtbar. Damit dies nicht der Fall ist, sollten etwa 15 % der Fördermittel des Bundes einschließlich der Steueranreize für die Kinos reserviert werden – gemessen an den Werten 2022 wären dies etwa 50 bis 60 Mio. EUR.
„Sollten die Kinos unter die Räder der beabsichtigten Stärkung der Filmproduktion in Deutschland geraten, wäre das mehr als bedauerlich, zumal diese Schieflage in der Verteilung der Fördermittel schon lange besteht.“
medienpolitik.net: Es sind sowohl Investitionsverpflichtungen als auch ein Steueranreizmodell im Gespräch. Das heißt, für die Produktion von Kinofilmen wird anscheinend mehr Geld zur Verfügung stehen. Bedeutet das die von Ihnen geforderte Wende zu weniger und dafür finanziell besser ausgestatteten Kinofilmen, die ein größeres Publikum erreichen?
Bräuer: Es herrscht international weitgehend Einigkeit darüber, dass die Filmförderung auch in Zukunft Kinofilmen den Vorrang geben sollte und zugleich besser ausgestattete und damit wettbewerbsfähigere Filme entstehen sollen. Der Ansatz ‚Klasse statt Masse‘ auch mit gut austarierten Erst- und Mindestförderquoten ist daher richtig. Ob die starke Hinwendung zur mehr Automatismen sich positiv auf die Qualität auswirkt, wird sich zeigen – gerade unsere nördlichen Nachbarn haben bewiesen, was mit einer klugen selektiven Förderung möglich ist. Ebenso wird sich zeigen müssen, wie sehr sich der Subventionswettlauf um Blockbuster-Produktionen, den wir derzeit beobachten, als nachhaltig erweist, wird – zumal wenn der Wettbewerb in diesem Feld auf international agierende Konzerne gerichtet ist. Daher wird es darauf ankommen, die angekündigte Investitionsverpflichtung mit einer hinreichend hohen Quote für unabhängige Kinoproduktionen zu verbinden. Gelingt dies, könnte dies tatsächlich einen großen Schub für die hiesige mittelständisch geprägte Filmwirtschaft bedeuten. Eine weitsichtige Regulierung ist der Schlüssel – ob bei den Urheberrechten, beim Rechterückbehalt für Produzenten oder bei der Medienchronologie. Dies gilt besonders auch im Hinblick auf die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz, die bislang in der Reformdebatte leider noch nicht beleuchtet werden. Denn mit ihr wird sich eine wirtschaftliche Macht entfalten, die nur schwer zu kontrollieren sein wird.
Ob Deutschland und Europa eine kohärente Strategie entwickeln, die Vielfalt ihrer unabhängigen Film- und Kinowirtschaft im Zeitalter von Monopolisierung und KI zu schützen, wird entscheidend für deren Fortbestand sein. Wir haben es in der Hand, wie sich die Folgen der Corona-Krise langfristig auswirken werden. Leitsatz der Novelle sollte daher sein: Wir dürfen kein einziges Kino verlieren!