Doppel ist nicht immer besser

25. Februar 2025
Helmut Hartung, Chefredakteur medienpolitik.net
Helmut Hartung, Chefredakteur medienpolitik.net
Müssen ARD und ZDF zeit- und nahezu inhaltsgleich von der Bundestagswahl berichten?

Von Helmut Hartung, Chefredakteur www.medienpolitik.net

ARD und ZDF haben am Wahlabend zwischen 17.00 Uhr und 20.00 Uhr etwa 11 Millionen Menschen erreicht. Der Marktanteil lag für beide Anstalten zusammengerechnet bei über 40 Prozent. Also nahezu jeder zweite Zuschauer hat am Sonntag in dieser Zeit die Berichterstattung über die Bundestagswahl in einem der beiden Programme gesehen. Spitzenreiter des Wahlabendprogramms war mit Abstand die 20-Uhr-Ausgabe der „Tagesschau“ mit einer Gesamtreichweite von 15,26 Millionen Zuschauenden (Das Erste und die Dritten) und starken Marktanteilen von 50,3 Prozent und 49,1 Prozent (14- bis 49-Jährige). Das sind beachtliche Zahlen, die über den Werten von 2021 liegen. Doch warum müssen beide öffentlich-rechtliche Anstalten parallel, mit eigenen Wahlstudios, Hochrechnungen, Hunderten von Mitarbeitern, an diesem Abend im Berliner Reichstag präsent sein? Diese Zuschauer würden sie sicher auch mit weniger Aufwand erreichen.

Nicht nur beide öffentlich-rechtlichen Sender haben über die Neuwahl des Deutschen Bundestages ausführlich berichtet, sondern auch RTL, ntv sowie ProSieben und Sat1. RTL präsentierte, wie in den Jahren zuvor, eine eigene Hochrechnung, durch das Forsa-Institut.

Seit über 50 Jahren ist es Usus, dass ARD und ZDF über Bundestags-, Landtags- und Europawahlen mit eigenen Teams und eigenen demoskopischen Instituten informieren. Mal waren die einen bei der Prognose und Hochrechnung ein wenig besser, mal die anderen. Vor allem in den vergangenen Jahren lagen zwischen den letzten Hochrechnungen von Infratest Dimap (ARD) sowie der Forschungsgruppe Wahlen (ZDF) und dem vorläufigen Endergebnis nur wenige Stunden. Eine Zeitspanne, die nicht für die Gespräche über eine Regierungsbildung entscheidend war. Am Montag, um 04:10 Uhr hatte der Bundeswahlleiter das vorläufige Ergebnis der Wahl zum 21. Deutschen Bundestag am 23. Februar 2025 bekannt gegeben. Das heißt, zwischen den Prognosen und den valideren Zahlen des Bundeswahlleiters lagen genau zehn Stunden. Sicher haben die Differenzen vor allem bei den Ergebnissen der FDP und des BSW, die Stimmung und Hoffnung in den Parteizentralen und auf Wahlpartys beeinflusst und es auch für den Zuschauer spannend gemacht, aber Einfluss auf die reale Zusammensetzung des Deutschen Bundestages hatten diese zehn Stunden nicht.

Die ARD hatte bei ihrer ersten Prognose um 18.00 FDP und BSW nicht mehr im Bundestag gesehen, beim ZDF erreichten beide Parteien fünf Prozent und waren damit vertreten. Das vorläufige Endergebnis bestätigte die Prognose des Ersten, aber was war dadurch entschieden? Zudem wurden dieselben Politiker durch die verschiedenen Studios gereicht und sagten dort die identischen Botschaften auf.

Dieses überflüssige Doppelangebot kostet Geld und Ressourcen. Die genauen Kosten für die Produktion und Ausstrahlung des Wahlabends bei ARD und ZDF sind nicht öffentlich zugänglich. Beide Anstalten investiert jedoch erheblich in die Berichterstattung über Wahlen, einschließlich der Produktion von Sondersendungen, Live-Berichterstattung und Analysen. Diese Ausgaben umfassen unter anderem die Gehälter der Moderatoren, die technische Ausstattung, die Studiomiete und die Honorare für Experten und Gäste. Natürlich muss bei der ARD berücksichtigt werden, dass auch der Hörfunk informiert und von Ergebnissen der Wahlforscher zehrt. Doch dafür bedarf es keiner parallelen Berichterstattung. Der Fünf-Jahres-Vertrag zwischen der ARD und Infratest-Dimap kostet nach internen Informationen mehrere Millionen Euro. Dazu gehören zudem Umfragen vor den Wahlen oder zu wichtigen politischen Ereignissen. Auch die ZDF-eigene Forschungsgruppe Wahlen, die in Mannheim sitzt, will finanziert sein. Die Telefonfeld GmbH, die alle telefonischen Befragungen durchführt, ist mit modernen computergestützten Arbeitsplätzen ausgestattet.

„Die parallele Berichterstattung über die Bundestagswahl ist ein Beweis, dass beide Anstalten noch über ausreichende finanzielle Mittel verfügen.“

Dass die ARD-Anstalten über die Landtagswahlen im eigenen Bundesland ausführlich auch mit eigenen Prognosen und Hochrechnungen informieren, ist selbstverständlich. Aber warum auch das ZDF? Nach Angaben der Forschungsgruppe Wahlen wurden für die Bundestagswahl 1.520 zufällig ausgewählten Wahlberechtigte in Deutschland in der Woche vor der Wahl (telefonisch und online) sowie am Wahltag 49.469 Wähler befragt. Für die Landtagswahlen im September vergangenen Jahres waren es am Wahltag in Brandenburg 16.864 Wähler, in Sachsen 18.144 und in Thüringen 16.416. Vergleichbar ist die Anzahl der Befragten bei Infratest Dimap für die ARD.

Der Entwurf des Reformstaatsvertrages legt im § 30e - Grundsatz der Zusammenarbeit - fest: „Bei der Berichterstattung über Ereignisse mit überregionaler Bedeutung arbeiten die in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten, das ZDF und das Deutschlandradio arbeitsteilig zusammen.“ Dazu heißt es in der Begründung: „ARD, ZDF und Deutschlandradio werden zur Zusammenarbeit verpflichtet. (…) Ausnahmen soll es nur dann geben, wenn die Auftragserfüllung nachweislich gefährdet wird oder keine Kosteneffizienz zu erwarten ist. Satz 1 enthält über den Grundsatz der Zusammenarbeit hinaus beispielhaft verschiedene Bereiche die aus Sicht des Gesetzgebers besonders für eine Zusammenarbeit in Betracht kommen (z.B. Studios im In- und Ausland, personelle Kapazitäten etc.). Für die Berichterstattung über Ereignisse mit überregionaler Bedeutung wird ein allgemeiner Grundsatz der ‚Arbeitsteiligkeit‘ eingeführt.“

Das bedeutet, dass sich auch bei der sehr kostenintensiven Wahlberichterstattung etwas ändern muss. Warum informiert das ZDF nicht von Bundestags- und Europawahlen mit eigenen demoskopischen Ergebnissen und die ARD übernimmt diese Berichterstattung und die ARD-Anstalten gestalten den Wahlabend bei Abstimmungen in ihren Bundesländern und das ZDF greift auf diese Zahlen und Informationen zurück. Beide Anstalten werden nach dem Wahlsonntag bei solchen Forderungen sicher auf die Differenzen in den Prognosen und Hochrechnungen bei FDP und BSW sowie „den publizistischen Wettbewerb“ zwischen den beitragsfinanzierten Sendern verweisen. Doch ist dieser „Wettbewerb“ überhaupt noch vorhanden? Oder entspringt er nur noch dem Wunsch einiger Politiker?

Die parallele Berichterstattung über die Bundestagswahl ist ein Beweis, dass beide Anstalten noch über ausreichende finanzielle Mittel verfügen. Doch ARD und ZDF stehen spätestens ab dem Herbst, wenn der novellierte Medienstaatsvertrag in Kraft ist, unter dem Zwang, deutliche Einsparungen vorzunehmen, die die KEF und die Landesregierungen ab 2029 erwarten. Eine sinnvolle Zusammenarbeit und Arbeitsteilungen bei den Wahlen könnte die Kosten substantiell reduzieren. Voraussichtlich 2029 findet die nächste Bundestagswahl statt.

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