„Es geht um sehr grundsätzliche Fragestellungen"

21. Februar 2025
Eva-Maria Sommer, Direktorin der Medienanstalt Hamburg-Schleswig-Holstein
Eva-Maria Sommer, Direktorin der Medienanstalt Hamburg-Schleswig-Holstein
Medienintermediäre weigern sich, die Transparenzrichtlinie des Medienstaatsvertrages umzusetzen

Interview mit Eva-Maria Sommer, Direktorin der Medienanstalt Hamburg / Schleswig-Holstein

Einige Medienintermediär behauptet, dass der 2020 beschlossene Medienstaatsvertrag nicht europarechtskonform sei und deshalb die dort vorgesehene Transparenzrichtlinie nicht angewendet werden müsse. In einem Gespräch beklagte Eva-Maria Sommer, Direktorin der Medienanstalt Hamburg / Schleswig-Holstein, dass es bei manchen Diensten die vom Medienstaatsvertrag geforderten Angaben überhaupt nicht gäbe, andere seien unvollständig. Seit Inkrafttreten des neuen Medienstaatsvertrags fallen auch Medienplattformen, Benutzeroberflächen und Medienintermediäre in den Aufsichtsbereich ihrer Behörde. Bei Verstößen könnten die Dienste zur Nachbesserung aufgefordert werden. Auch die Verhängung von Bußgeldern sei möglich. In der Praxis sehe es jedoch so aus, dass derzeit alle Beanstandungen auf eine Entscheidung durch die Gerichte warteten. Dabei gehe es um sehr grundsätzliche Fragestellungen, insbesondere, ob die Vorgaben des Medienstaatsvertrags europarechtlich zulässig seien.

medienpolitik.net: Frau Sommer, der Medienstaatsvertrag, der seit 2020 in Kraft ist, sieht im § 85 und im § 93 vor, dass Plattformen und Intermediäre Transparenzvorgaben einhalten müssen. Dies umfassen u.a. Kriterien, nach denen Inhalte sortiert, angeordnet und präsentiert werden. Inwieweit wird diese Vorschrift von den Plattformen und Intermediären eingehalten?

Sommer: Das lässt sich pauschal nicht beantworten, da es grundsätzlich im Ermessen der Plattformen und Intermediäre liegt, wie sie diesen Vorgaben nachkommen. Das ist auch richtig so, da ihre Produkte sehr unterschiedlich und ebenso vielfältig sind, genauso wie ihre Möglichkeiten Nutzende aufzuklären. Dennoch gilt, dass Vorgaben leicht auffindbar und verständlich sein müssen. Das gelingt einigen mehr, anderen weniger gut – und leider finden sich bei manchen Diensten die vom Medienstaatsvertrag geforderten Angaben überhaupt nicht.

medienpolitik.net: Wie können Sie die Einhaltung durchsetzen?

Sommer: In der Theorie stehen der MA HSH zur Durchsetzung der Transparenzvorgaben verschiedene Maßnahmen zur Verfügung. Insbesondere können wir im Falle eines Verstoßes diesen feststellen, beanstanden und zur Nachbesserung auffordern; auch die Verhängung von empfindlichen Bußgeldern ist möglich. In der Praxis sieht es leider so aus, dass derzeit alle von uns ausgesprochenen Beanstandungen auf eine Entscheidung durch die Gerichte warten. Dabei geht es um sehr grundsätzliche Fragestellungen, insbesondere, ob die Vorgaben des Medienstaatsvertrags europarechtlich zulässig sind. Bis das nicht geklärt ist, lässt sich kaum eine das Recht effektiv durchsetzende Beanstandungspraxis etablieren. Aufgrund zweier Eilverfahren sind wir jedoch zuversichtlich, dass sich hier bald etwas bewegt.

medienpolitik.net: Was bezweckte der Gesetzgeber damit, dass erstmals in einem Medienstaatsvertrag in Deutschland Plattformen und Intermediäre zur „Transparenz“ gezwungen werden?

Sommer: Es soll eine informierte Nutzung ermöglicht werden. Und dafür muss der Nutzende auch bei einem rein passiven Medienkonsum wissen, warum ihm oder ihr was angezeigt wird. Es geht also beispielsweise um Fragestellungen, ob unterschiedliche Inhalte und Perspektiven von demselben oder mehreren Anbietern stammen. Ob jemand Aufmerksamkeit über Reichweite kauft, oder ob ein Dienst gegen technische Manipulationen wie Fake Accounts vorgeht. Zudem müssen Nutzende wissen, welche Möglichkeiten sie selbst haben, um ihren eigenen Feed in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Mindestens genauso wichtig wie für Passivnutzer sind die Transparenzangaben für diejenigen, die aktiv Inhalte teilen. Wonach entscheidet sich, ob ein Post in 3, 3.000 oder 3 Mio. Feeds unter den ersten 20 Inhalten angezeigt wird? Das wird bislang ebenfalls kaum deutlich – und wir müssen uns klar darüber sein, dass Plattformen uns nach Belieben beeinflussen, Meinungen verstärken oder unterdrücken können. Von der Vorstellung, dass jede:r über soziale Medien eine (gleichberechtigte) Stimme bekommt, müssen wir uns zunehmend verabschieden.

„Für die Sicherung der Meinungs- und Medienvielfalt hat der europäische Gesetzgeber schlicht keine Kompetenz, auch wenn er sich das scheinbar sehr wünscht.“

medienpolitik.net: Doch Meta will sich, mit Verweis auf den DSA, der 2022 in Kraft getreten ist, nicht mehr an das Transparenzgebot des Medienstaatsvertrages halten. Hat Meta Recht? Steht nicht europäisches Recht über nationalem?

Sommer: Generell genießt das EU-Recht Vorrang gegenüber nationalem Recht. Allerdings gilt dies nur, soweit beide Gesetze den gleichen Regelungszweck verfolgen. Und das ist aus unserer Sicht nicht der Fall. Denn das Gesetz über digitale Dienste (DSA) dient primär dem Schutz vor illegalen Inhalten, während der Schutzzweck der Transparenzvorgaben im Medienstaatsvertrag (MStV) ermöglichen soll, Diskriminierung zu verhindern und Vielfalt zu sichern. Und für die Sicherung der Meinungs- und Medienvielfalt hat der europäische Gesetzgeber schlicht keine Kompetenz, auch wenn er sich das scheinbar sehr wünscht.

medienpolitik.net: Am 17.12.2024 hatte das Verwaltungsgericht Berlin beschlossen, dass Spotify einstweilen nicht die Transparenzvorgaben nach § 93 des Medienstaatsvertrags umsetzen muss. Steht damit grundsätzlich infrage, ob und inwieweit Regelungen der deutschen Medienregulierung auf Plattformen und Intermediäre überhaupt anwendbar sind?

Sommer: Das VG Berlin hat in dem konkreten Einzelfall diese Frage offengelassen und vorläufig im Eilverfahren lediglich eine Abwägung zwischen dem Vollziehungsinteresse der mabb und dem Aussetzungsinteresse von Spotify vorgenommen. Das VG hat angekündigt, die Vereinbarkeit der konkret betroffenen Intermediärsregulierung mit bestehendem Europarecht dem EuGH vorlegen zu wollen. Einer Anwendung der Regelungen des MStV steht dies zunächst jedoch nicht entgegen. Sowohl der Ausgang eines künftigen Verfahrens vor dem EuGH sowie die Entscheidung in der Hauptsache vor dem VG Berlin sind noch offen.

medienpolitik.net: Das VG Berlin will den Fall „Spotify“ dem EUGH vorlegen? Wird dieser zugunsten der deutschen Regelung entscheiden?

Sommer: Diese Entscheidung muss das Gericht treffen. Wichtig ist für uns, dass überhaupt Klarheit in den seit Jahren diskutierten Fragen entsteht. Unabhängig vom Ausgang der Verfahren erachten wir jedoch den Bedarf, die Algorithmen sozialer Medien zu erläutern, Transparenz herzustellen und ein vielfältiges Angebot an Inhalten und Meinungen abzubilden, als größer denn je .

medienpolitik.net: Was erwarten Sie in dieser Situation von der deutschen Medienpolitik?

Sommer: Sie muss sicherstellen, dass die für unsere Gesellschaft und demokratische Struktur geschaffene Medienvielfalt nicht durch den Einfluss global agierender digitaler Dienste konterkariert wird. Die Länder müssen weiterhin konsequent Verantwortung von denjenigen einfordern, die Macht über unsere Meinungsbildungsprozesse haben. Zudem dürfen diese zentralen medien- und demokratiepolitischen Fragestellungen nicht nur in Fachkreisen diskutiert, sondern sollten in der Mitte unserer Gesellschaft und den Parlamenten mit deutlich mehr Aufmerksamkeit und Entschlossenheit verhandelt werden.

 

 

 

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