
Von Helmut Hartung, Chefredakteur medienpolitik.net
In der vergangenen Woche hat die ProSiebenSat.1-Plattform Joyn die Mediatheken von ARD und ZDF wieder entfernt. Zu Recht. Der neue Medienstaatsvertrag sieht die Möglichkeit vor, dass Inhalte öffentlich-rechtlicher Anstalten in Streamingangeboten privater Rundfunkveranstalter eingebettet werden können. Wie Äußerungen von Medienpolitikern der Länder zeigen, wünscht man es sich durchaus, aber es sei keine Pflicht. Das gehe aber nur, wenn sie sich auf gemeinsame Modalitäten verständigten, sagte unter anderem der Hamburger Kultur- und Mediensenator Dr. Carsten Brosda. Es wäre begrüßenswert, wenn die öffentlich-rechtlichen Sender mit der gleichen Konsequenz auch ihre Inhalte vor anderen, nicht genehmigten Nutzungen, schützen würden: Zum Beispiel zum Training von Künstlicher-Intelligenz-Programmen.
Die beitragsfinanzierten Anstalten sind in der Kreativwirtschaft so ziemlich die Letzten, die es fördern und verteidigen, wenn ihre Angebote ohne Genehmigung auf Streamingplattformen der KI-Giganten eingebettet und sogar verändert werden.
Im November hatte die GEMA als erste Verwertungsgesellschaft weltweit eine Klage wegen unlizenzierter Nutzung von geschützten Musikwerken gegen einen Anbieter von Systemen generativer Künstlicher Intelligenz (KI) erhoben. Konkret geht es um das US-amerikanische Unternehmen OpenAI, den Betreiber autogenerativer Chatbot-Systeme. Die GEMA wirft, nach eigenen Angaben, OpenAI vor, geschützte Songtexte von deutschen Urheberinnen und Urhebern wiederzugeben, ohne dafür Lizenzen erworben beziehungsweise die Urheberinnen und Urheber der genutzten Werke vergütet zu haben. OpenAI hat sich zum weltweit führenden Anbieter im Bereich generativer KI entwickelt und erwirtschaftet mittlerweile Umsätze in Höhe von mehr als zwei Milliarden Dollar jährlich.
Im Januar verklagte die GEMA gegen Suno Inc., eine amerikanische Anbieterin von KI-generierten Audioinhalten. Sie wirft dem Unternehmen vor, geschützte Aufnahmen weltbekannter Songs aus dem Repertoire der GEMA in dem Tool verarbeitet zu haben, ohne dafür eine Vergütung zu zahlen. Das KI-Tool erzeugte in zahlreichen Fällen Audioinhalte, die den Originalsongs wie „Forever Young“, „Atemlos“, „Daddy Cool“, „Mambo No. 5“ oder „Cheri Lady“ zum Verwechseln ähnlich sind.
Nach Auffassung von Dr. Tobias Holzmüller, CEO der GEMA, ist die menschliche Kreativität die Grundlage jeder generativen KI. „Doch in diesem Markt fehlt es bisher an elementaren Prinzipien wie Transparenz, Fairness und Respekt. KI-Anbieter wie Suno Inc. nutzen die Werke unserer Mitglieder ohne deren Zustimmung und profitieren finanziell davon. Gleichzeitig konkurriert der so generierte Output mit den von Menschen geschaffenen Werken und entzieht ihnen die wirtschaftliche Grundlage. Die GEMA strebt partnerschaftliche Lösungen mit den KI-Unternehmen an. Aber das funktioniert nicht ohne Einhaltung der erforderlichen Grundregeln eines fairen Miteinanders und vor allem funktioniert es nicht ohne den Erwerb von Lizenzen“, so Holzmüller. Auch andere Verwertungsgesellschaften prüfen gegenwärtig juristische Schritte wegen der nicht genehmigten Nutzung urheberrechtlich geschützter Inhalte.
Auch bei KI-generierten Werken gelten die europäischen Regelungen zum Urheberrecht, das geht aus einer Erklärung des Bundesministeriums der Justiz vom März vergangenen Jahres hervor. Das gelte auch für die Erhebung und die Nutzung von sogenannten Trainingsdaten im Rahmen des Lernens der KI. Wörtlich heißt es: „KI-Diensteanbieter und Nutzer solcher Dienste müssen sich also bei der Nutzung fremder Inhalte an die geltenden Gesetze halten. Beim Training von KI-Anwendungen stelle sich die Frage, ob die Vervielfältigung der geschützten Inhalte für das maschinelle Lernen erlaubt sei oder nicht. Rechtsinhaber, die eine Nutzung ihrer im Internet veröffentlichten Texte als Trainingsdaten für softwarebasierte Textgeneratoren verhindern wollen, könnten einen entsprechenden Vorbehalt im Rahmen der eigenen Internetpräsenz erklären. Hat der Rechtsinhaber ein sogenanntes ‚Opt-out‘ erklärt, dürfe sein Inhalt nicht für das Training der KI-Software genutzt werden.“ Die Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Wiedergabe geschützter Inhalte, z.B. also die Veröffentlichung im Internet, ohne die Zustimmung des Rechtsinhabers, sei grundsätzlich nicht zulässig. Auch die Bearbeitung und Umgestaltung eines Werkes dürften nur mit Zustimmung des Urhebers veröffentlicht oder verwertet werden, sofern kein hinreichender Abstand zum benutzten Werk gewahrt werde. „Sind die benutzten Werke im KI-generierten Inhalt allerdings nicht mehr erkennbar, kann dieser frei verwendet werden. Gegen eine unrechtmäßige Verwendung können die Rechtsinhaber Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche geltend machen. So können z.B. Presseverleger aufgrund ihres Leistungsschutzrechts gegen eine unrechtmäßige Verwendung ihrer Presseveröffentlichung im Ganzen oder in Teilen vorgehen“, so das Bundesjustizministerium.
„Ob die Stärkung von Online-Medien, die die demokratische Gesellschaft unterminieren, klassische Medien schwächen und immer größeren Einfluss auf die Meinungsbildung nehmen, zum ‚Auftrag‘ gehört, ist mehr als zweifelhaft.“
Ein solcher „Nutzungsvorbehalt“ existiert jedoch bei Inhalten der ARD nicht. Im Gegenteil: Mit Ausnahme der Deutschen Welle haben alle Intendanten keinen Widerspruch gegen das sogenannte Text- und Data Mining eingelegt. Gegenüber dem VDJ-Organ „Journalist“ verteidigte der frühere ARD-Vorsitzende Kai Gniffke die Position des beitragsfinanzierten Senderverbundes: „Mit Blick auf den Auftrag und die Finanzierung durch die Allgemeinheit ist es aus Sicht der ARD gerade im Zeitalter von Fake News und Hate Speech wichtig, dass auch die öffentlich-rechtlichen Inhalte zu den Trainingsdaten gehören“. Ob die Stärkung von Online-Medien, die die demokratische Gesellschaft unterminieren, klassische Medien schwächen und immer größeren Einfluss auf die Meinungsbildung nehmen, zum „Auftrag“ gehört, ist mehr als zweifelhaft. Im Paragraph 26, Absatz 2 des Medienstaatsvertrages heißt es: „Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind bei der Erfüllung ihres Auftrags der verfassungsmäßigen Ordnung und in besonderem Maße der Einhaltung journalistischer Standards, insbesondere zur Gewährleistung einer unabhängigen, sachlichen, wahrheitsgemäßen und umfassenden Information und Berichterstattung wie auch zur Achtung von Persönlichkeitsrechten verpflichtet.“ Mit ihrer Förderung zweifelhafter KI-gestützter Informationen, verstoßen diese Sender gegen ihren Auftrag. Wie man hört, ist die Position von Gniffke durchaus innerhalb der ARD umstritten. Einige Intendanten treten inzwischen für einen Nutzungsvorbehalt ein.
Doch nicht nur das „Verfüttern öffentlich-rechtliche Inhalte an KI“, wie es die F.A.Z. in einem Kommentar im Januar nannte, schwächt die demokratischen Medien, sondern auch die ungezügelte Einstellung von Inhalten auf zahlreichen Drittplattformen. Hier schafft leider auch der Reformstaatsvertrag keine Abhilfe. Mit Besorgnis und Verwunderung verfolgen die beiden Verbände der Verlagshäuser die von der Politik forcierte Kooperation und Zusammenarbeit von beitragsfinanzierten Anstalten mit marktwirtschaftlich agierenden Plattformen und die Duldung der freien Nutzung ihres Contens, um KI-basierte Angebote zu fördern. So sagt eine Sprecherin des Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV), dass die Mitglieder des Verbands regelmäßig zu Kooperationen mit den öffentlich-rechtlichen Sendern im Gespräch sein und diese auch regional funktionierten. Mit Sorge sehen sie aber, dass die öffentlich-rechtlichen Sender ihre Inhalte an digitale Gatekeeper und KI-Anbieter verschenken und so mit den Rundfunkbeiträgen Unternehmen wie YouTube, TikTok, OpenAI, Perplexity gestärkt werden. Die Bedeutung digitaler Werbeumsätze sei für die Verlage erheblich. 2023 waren18 Prozent der Erlöse der Zeitungen Digitalerlöse, davon gut zwei Drittel aus der Vermarktung und ein Drittel aus dem Verkauf. Seit 2021 erzielen die Zeitungen jährlich mehr als eine Milliarde Euro Digitalumsätze. Auch der Medienverband freie Presse (MVFP) teilt diese Analyse, dass sich durch öffentlich-rechtlichen Content auf Streamingplattformen „ein weiterer problematischer Wettbewerbseingriff gegen privatfinanzierte deutsche Medienhäuser“ ergäbe.