Interview mit Prof. Dr. Frank Lobigs, Professur für Journalistik mit dem Schwerpunkt „Ökonomische Grundlagen des Journalismus" an der TU Dortmund
Die Länder wollen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk stärker reformieren, als es die bisherigen Medienstaatsverträge vorsehen. Auf der Klausurtagung am 19. und 20. Januar haben sie dafür eine Strategie beschlossen, die im Kern eine gemeinsame Plattform vorsieht, auf der alle Angebote der Anstalten gebündelt zu finden sein sollen. Für die Unterstützung der konkreten Festlegungen in künftigen Staatsverträgen, soll einmalig ein beratender Zukunftsrat eingesetzt werden, der bis zum Herbst Vorschläge vorlegt. Nach Auffassung des Dortmunder Medienökonoms, Prof. Dr. Frank Lobigs stehen die Länder bei der Reform „Institutionen- und spieltheoretisch betrachtet" vor erheblichen Erkenntnis- und Verhandlungsdilemmata, die sie ohne Hilfestellungen nicht lösen können. Deshalb benötigten die Länder und die Anstalten einen kompetenten und unabhängig besetzten Expertenrat, der konsequent die Gesamtperspektive einnehmen und der somit faire und effiziente Gesamtvorschläge entlang der klaren Reformaufgaben ausarbeiten könnte. Der Zukunftsrat sollte dabei so zusammengesetzt und ausgestattet sein, dass er diese anspruchsvollen Aufgaben neutral sachorientiert und auch in hinreichender Konkretheit und Schnelligkeit bearbeiten kann.
medienpolitik.net: Herr Lobigs, ist ein „Zukunftsrat" für die Festlegung der richtigen Reformstrategie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk notwendig?
Lobigs: Die Rundfunkkommission der Länder hat den elf Rundfunkanstalten in Deutschland und ihren Gremien nach der Klausurtagung deutliche Reformansagen gemacht: Sie sollen gemeinsam die notwendigen gesellschaftlichen Leistungsziele des gesamten öffentlich-rechtlichen Systems grundsätzlich und attraktiv für die digitale Welt neu begründen und legitimieren. Zugleich sollen sie die Ressourcen-Effizienz ihrer Leistungen mittels Durchsetzung anstaltsübergreifender ökonomischer Synergieprogramme in Verwaltung und auch im Programm gemeinsam optimieren, womit nolens volens harte Schnitte verbunden wären. Institutionen- und spieltheoretisch betrachtet, stehen die Adressaten dieser Erwartungen hiermit allerdings vor erheblichen Erkenntnis- und Verhandlungsdilemmata, die sie ohne Hilfestellungen nicht lösen können: Sie müssten einen optimalen Gesamtreformplan konzipieren und aushandeln, der teils sehr schmerzliche Anpassungsleistungen fair und gemeinschaftlich Effizienz-optimiert auf sie selbst verteilt. Wir wissen aus der politischen Institutionen-Forschung, dass derartig strukturierte Kollektivprobleme ohne unabhängige Unterstützung und Begleitung kaum gelöst werden können: Die Länder und die Anstalten brauchen darum einen kompetenten und unabhängig besetzten Expertenrat, der konsequent die Gesamtperspektive einnehmen und der somit faire und effiziente Gesamtvorschläge entlang der klaren Reformaufgaben ausarbeiten könnte. Der Zukunftsrat sollte dabei so zusammengesetzt und ausgestattet sein, dass er diese anspruchsvollen Aufgaben neutral sachorientiert und auch in hinreichender Konkretheit und Schnelligkeit bearbeiten kann. Er sollte ein gleichwohl ein kleiner und nüchterner Sachverständigenrat sein, dessen Vorschläge durch eine klare Fairness-, Leistungs-, Kooperations- und Attraktivitätsorientierung letztlich als insgesamt vernünftig und fundiert überzeugen müssen. Nur in diesem Fall bestünde endlich eine gute Chance, die schon seit langem lähmende institutionelle Reformblockade zügig und gründlich zu überwinden, sodass es in der Medienpolitik zu einem grundsätzlichem „New Deal" für alle relevanten Akteure und Stakeholder kommen kann.
„Die Rundfunkkommission der Länder hat den elf Rundfunkanstalten in Deutschland und ihren Gremien nach der Klausurtagung deutliche Reformansagen gemacht"
medienpolitik.net: Was müsste der Kern der Strukturreform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sein?
Lobigs: Im Sinne einer kooperationsorientierten Weiterentwicklung der Medienordnungspolitik, sollten die Strukturreform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an dem Ziel ausgerichtet sein, die publizistische Resilienz und Leistungsfähigkeit des gesamten Medien-Ökosystems demokratisch funktional und kooperativ zu optimieren. Als zentraler Netzwerkakteur muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch Verantwortung für das publizistische Gesamtsystem Deutschlands übernehmen. Dies heißt, dass die Komplementär- und Coopetition-Beziehungen zwischen den öffentlich-rechtlichen und den privaten publizistischen Medien strukturell neu zu analysieren und zu gestalten sind. Aufgrund der schier erdrückenden Dominanz der internationalen Plattform- und Streaming-Giganten im neuen digitalen Medienmarkt erwachsen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk perspektivisch mehr Aufgaben in den Bereichen der regionalen demokratierelevanten Informiertheit für alle und in der attraktiven, aber völlig neuartigen Ansprache der jüngeren Alterskohorten mit gesellschaftlich relevanten informierenden Inhalten in der digitalen Welt. Gleichzeitig sollten die öffentlich-rechtlichen Medien zum „market strengthener" für die publizistisch relevanten privaten Medien werden – auch hier sind viele Coopetition-Synergien und Kooperationsmöglichkeiten bei fortbestehenden publizistischen Wettbewerb ungenutzt. Zuletzt können die hier notwendigen Investitionen nicht durch beliebige Beitragserhöhungen finanziert werden. Wie auch bei den privaten Medien, muss auch das System der elf Rundfunkanstalten über den teils sicher schmerzlichen Abbau von Mehrfachstrukturen und über die Schaffung von Programm- und Verwaltungs-Synergien Ressourcen für die notwendige Neuarchitektur frei machen. Der Beschluss der Rundfunkkommission benutzt hier eine neue, tabulosere Sprache. Durch all diese strukturellen Maßnahmen soll eine breite Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Bevölkerung, Politik und in der Branche wiedergewonnen werden. Wie der KEF-Vorsitzende Martin Detzel erläutert hat, ist die Chance, diesen Umbau in den nächsten Jahren sozial verträglich gestalten zu können, außergewöhnlich gut, da im gesamten System ein gewisser Generationenwechsel ansteht. Diese – letzte – Chance für einen „New Deal" für den öffentlich -rechtlichen Rundfunk müsste eigentlich beherzt ergriffen werden.