Medien müssen weiterhin als Bindeglied zwischen Politik und Bevölkerung eine vertrauenswürdige Rolle einnehmen. Gerade der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht hier im Vordergrund. Das journalistische Berufsfeld aber ist homogen besetzt – wie macht sich das im Endprodukt und in der Wahrnehmung durch das Publikum bemerkbar? Prof. Dr. Christian Hoffmann, Universität Leipzig, erläutert in einer wissenschaftlichen Analyse, die er für die Konrad-Adenauer-Stiftung erstellt hat, wie die politische Ausrichtung des journalistischen Berufsstandes und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Medien zusammenhängen. Er beschäftigt sich mit den Ursachen und Auswirkungen einer einseitigen Medienberichterstattung (sogenannter „Media Bias") und betrachtet, welche Herausforderungen sich in dieser Hinsicht für den Journalismus in der Zukunft ergeben.
Media Bias: Das journalistische Berufsfeld ist homogen besetzt, wie macht sich das im Endprodukt und in der Wahrnehmung durch das Publikum bemerkbar? Ein erheblicher Teil des politischen Spektrums in der Bevölkerung aber sieht sich im professionellen Journalismus nicht mehr vertreten; dies kann das Publikum zu sogenannten „alternativen Medien" und polarisierenden Influencern in den sozialen Medien führen. Journalistische Redaktionen brauchen mehr Meinungsvielfalt, nicht nur in Bezug auf Geschlecht und Herkunft, sondern auch auf unterschiedliche (politische) Weltanschauungen. In der Journalismusforschung und -ausbildung wird jedoch zunehmend darüber gestritten, ob die klassische journalistische Norm noch zeitgemäß ist und ob nicht der so genannte „Gesinnungsjournalismus" die Zukunft der Berichterstattung sein könnte. Eine Schwächung der Berufsnorm der „Ausgewogenheit" gegenüber aktivistischer Berichterstattung wird auch dadurch verstärkt, dass der Berufsstand selbst politisch recht homogen ist. Diese Kombination kann zu einem zunehmenden Vertrauensverlust in die Medien und zu einer zusätzlichen Polarisierung der Öffentlichkeit führen. (Aus der Inhaltsbeschreibung der Konrad-Adenauer-Stiftung)
Hier ein Auszug aus der Studie:
Die Bedeutung der Perspektivenvielfalt
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Berufsfeld Journalismus im Vergleich zur Gesamtbevölkerung etwas nach links verschoben ist, und dass – wenngleich die Studienlage zum politischen Bias in der Berichterstattung ambivalent ist – auch das Medienvertrauen des Publikums und die Zufriedenheit mit dem Journalismus politisch asymmetrisch ausfallen. Ist vor diesem Hintergrund die Befundlage zum Media Bias problematisch oder besorgniserregend? Eine Antwort auf diese Frage setzt einen normativen Maßstab voraus. So sind private Medien nicht zur politischen Ausgewogenheit verpflichtet. Eine politisch klare Verortung kann sogar ein medienökonomisches Erfolgsmodell sein – dies galt einst für die frühesten Formen der konfessionellen und Parteipresse und gilt heute ebenso für digitale Abo-Modelle hinter der Paywall. Anders ist es beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der durch seinen Auftrag verpflichtet ist, die Grundversorgung mit ausgewogener Berichterstattung sowie mit Bildung, Kultur und Unterhaltung aller gebührenzahlender Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten.
Eher als auf der Ebene der Medienorganisationen lässt sich auf der Makroebene ein Argument entwickeln, wonach es für ein Medien- und politisches System problematisch sein kann, wenn ein erheblicher Teil des politischen Spektrums sich im professionellen Journalismus nicht repräsentiert sieht. Das Florieren häufig rechts zu verortender „alternativer Medien" im Netz, die allzu oft von fraglicher Qualität sind, die daraus resultierende Verbreitung politisch einschlägiger Desinformation und schließlich eine ebenso affektive wie abwandern. epistemologische Polarisierung der Öffentlichkeit stellen Herausforderungen demokratischer Gesellschaften dar – die nicht unabhängig vom massenmedialen Angebot verstanden werden können.
„Fühlt sich das Publikum im professionellen Journalismus nicht mehr repräsentiert, kann es vermehrt zu ‚alternativen Medien' abwandern."
Affektive Polarisierung, also zunehmend negative Einstellungen gegenüber dem „anderen" politischen Lager, nagen an der diskursiven Offenheit – links wie rechts. Wer das Gegenüber für eine Gefahr der öffentlichen Ordnung hält, will nicht zuhören, sondern bekämpfen. Vor diesem Hintergrund ist bedenklich, wenn sich in der Journalismusforschung, -ausbildung und -praxis die Wahrnehmung verbreitet, Objektivität (traditionell eine umstrittene Norm) und auch politische Ausgewogenheit seien überholte Maßstäbe journalistischer Qualität. In den USA wird heute verächtlich über „Bothsidesism" und „False Balance" gesprochen – „Moral Clarity", dem deutschen „Haltungsjournalismus" vergleichbar, ist das Gebot der Stunde. Die Gefahren einer solchen Schwächung professioneller Normen – und mit ihr eine Entfesselung weltanschaulicher Begeisterung – in einem politisch homogenen Berufsfeld sollten offenkundig sein. Ein weiterer Verlust an Rückhalt, eine weitere Polarisierung des öffentlichen Diskurses wären zu erwarten.
Stärkung verdient vor diesem Hintergrund eine journalistische Norm, die weniger streitbar ist als Objektivität oder auch Ausgewogenheit: die Perspektivenvielfalt. Die Zeit richtete jüngst das Ressort „Streit" ein, um genau dies zu ermöglichen: bewusst und gezielt widerstreitende Perspektiven einander gegenüberzustellen. Perspektivenvielfalt im journalistischen Produkt lässt sich punktuell tatsächlich relativ einfach herstellen – durch Interviews, Gastbeiträge oder Kolumnen. Deutlich anspruchsvoller und bedeutsamer ist dagegen, Perspektivenvielfalt in den Redaktionen mit Leben zu füllen. Ermutigend wirken hier aktuelle Initiativen, die sich für eine angemessene Repräsentation von Frauen oder Personen mit Migrationshintergrund in Redaktionen einsetzen. Dies allein garantiert jedoch keine politische Perspektivenvielfalt. Menschen unterschiedlicher Geschlechter, Hautfarben und sexueller Identitäten können ein und demselben Milieu entstammen und identische Weltanschauungen aufweisen.
Wie beschrieben, ist die politische Komposition des Berufsfelds als soziologisches Phänomen zu begreifen, auf das zahlreiche Einflussfaktoren einwirken. Redaktionen haben Schwierigkeiten, konservative oder klassisch-liberal orientierte Journalistinnen und Journalisten einzustellen, weil von diesen wenige auf dem Arbeitsmarkt verfügbar sind. Sie richten ihren Blick daher auf Journalistenschulen und Universitäten. Doch diese rekrutieren meist nicht gezielt Bewerberinnen und Bewerber, sie sind ihrerseits der Selbstselektion der am Berufsfeld Interessierten ausgesetzt. Perspektivenvielfalt in Redaktionen ist somit ein anspruchsvolles Projekt, das bisher noch wenig verstanden wird. Auch hier tut sich somit eine Forschungslücke auf – in dem an Forschungslücken reichen Feld der Media-Bias- Forschung.
Über den Autor
Prof. Dr. Christian Pieter Hoffmann ist Professor für Kommunikationsmanagement am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft sowie für politische Kommunikation am Institut für Politikwissenschaft der Universität Leipzig. Hoffmann ist akademischer Leiter des Center for Research in Financial Communication und Co-Direktor des Center for Digital Participation. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der strategischen Kommunikation und der politischen Kommunikation – mit besonderer Berücksichtigung der Herausforderungen und Chancen neuer Medien.
https://www.kas.de/de/einzeltitel/-/content/einseitigkeit-oder-perspektivenvielfalt-im-journalismus