Große Skepsis gegenüber KI im Journalismus

23. Oktober 2024
Schweizer Jahrbuch „Qualität der Medien“ befasst sich unter anderem mit Künstlicher Intelligenz im Journalismus

Die Bevölkerung der Schweiz steht dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) im Journalismus nach wie vor skeptisch gegenübersteht – und dies in einer Zeit, in der Schweizer Medienhäuser KI mittlerweile in vielen Bereichen einsetzen. Fast drei Viertel der Schweizerinnen und Schweizer schätzen die Risiken von KI im Journalismus als hoch ein, höher als in anderen gesellschaftlichen Bereichen wie Politik oder Militär, wie das Jahrbuch Qualität der Medien 2024 des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich zeigt. Dabei gilt: Je mehr KI direkt in den journalistischen Output eingreift, etwa in die Text- oder Bildproduktion, desto grösser ist die Skepsis. Der Einsatz von KI für Übersetzungen, Datenanalysen oder Recherchen wird hingegen mehrheitlich befürwortet. Viele Befragte erwarten von den Medien Transparenz beim Einsatz von KI und wünschen sich eine detaillierte Offenlegung für sämtliche Beiträge und Arbeitsschritte, bei denen KI eingesetzt wurde. Nur eine Minderheit der Befragten (21%) findet, dass die Schweizer Medien verantwortungsvoll mit KI umgehen. Die Studie über „Künstliche Intelligenz im Journalismus“ wurde von Daniel Vogler, Silke Fürst, Mark Eisenegger, Quirin Ryffel, Linards Udris, Mike S. Schäfer erarbeitet

Einleitung

Künstliche Intelligenz (KI) entwickelt sich rasant weiter und prägt immer mehr Bereiche im Journalismus, auch in der Schweiz. Es sind bereits erste Richtlinien und Handlungsempfehlungen erschienen, wie der Journalismus mit KI umgehen und dies gegenüber dem Publikum offenlegen soll. Die vorliegende Studie setzt hier an und untersucht mit einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung, welche Erwartungen das Publikum beim Einsatz von KI im Journalismus hat. Wir schliessen dabei einerseits an Fragen zur Akzeptanz KI-generierter Textproduktion im Journalismus an, die wir in einer früheren Umfrage im Sommer 2023 gestellt hatten. Andererseits öffnen wir das Feld und untersuchen diverse Bereiche, in denen KI im Journalismus eingesetzt wird. Mit diesem doppelten Zugriff hat sich gezeigt: Die Akzeptanz für KI-generierte oder KI-unterstützte Textbeiträge ist nach wie vor relativ tief und hat sich im Vergleich zu 2023 kaum verändert. Nur 23,8 % der Befragten würden Texte lesen, die vollständig von KI erstellt wurden. 53,6 % der Schweizer:innen würden Medienbeiträge lesen, die Journalist:innen mit Unterstützung von KI verfasst haben. Die Zahlungsbereitschaft für KI-generierte oder KI-unterstützte Beiträge liegt nach wie vor deutlich unter der Zahlungsbereitschaft für Nachrichten, die ausschliesslich von Journalist:innen geschrieben wurden. Insgesamt ist die Schweizer Bevölkerung gegenüber dem Einsatz von KI im Journalismus weiterhin skeptisch eingestellt. Entsprechend erwarten die meisten Befragten von den Medienhäusern, dass der Einsatz von KI transparent deklariert wird. Diese Forderung nach Transparenz zielt nicht bloss darauf, ob KI einen Text (mit-)geschrieben hat, sondern grundsätzlich auf alle Bereiche, in denen KI zur Anwendung kommt. Dabei sehen viele Menschen auch die Chancen, die KI für verschiedene Einsatzbereiche bietet. Eine Mehrheit der Befragten erachtet es als sinnvoll, KI für Übersetzungen, das Aufdecken von Falschinformationen auf Social Media, das Auswerten von Daten oder für das Recherchieren von Informationen einzusetzen. Gleichzeitig ist für neun von zehn Schweizer:innen klar, dass Journalist:innen stets die Informationen prüfen sollten, die von KI generiert wurden, und dass Schweizer Medien stets die Verantwortung für den Einsatz von KI tragen sollten. Diese klaren Erwartungen an Transparenz und Verantwortung sehen die Befragten aktuell aber von den Medien kaum erfüllt. Nur 21,2 % meinen, dass die von ihnen am stärksten genutzten Medien verantwortungsvoll mit KI umgehen, und nur 12,1 % sagen, dass diese Medien darüber berichten, wie sie KI konkret einsetzen und an welchen Richtlinien sie sich dabei orientieren. Insgesamt legen die Daten nahe, dass Schweizer Medien mittelfristig mit einer kritischen Perspektive des Publikums auf KI und auch zunehmenden Anforderungen an eine reflexive Berichterstattung und einen verantwortungsvollen Umgang mit KI rechnen müssen

Fazit

Die vorliegende Studie schliesst an unsere Untersuchung aus dem Vorjahr an (Vogler et al., 2023) und differenziert das Bild zur Wahrnehmung und Akzeptanz von KI im Journalismus durch die Schweizer Bevölkerung weiter. Zudem fokussieren wir nicht mehr ausschliesslich auf die journalistische Textproduktion, sondern betrachten die gesamte journalistische Wertschöpfungskette. Unsere Studie zeigt, dass Schweizer:innen KI im Journalismus sehr kritisch gegenüberstehen. Zudem bestehen weiterhin grosse Unsicherheiten. Eine wachsende Mehrheit der Bevölkerung hat zwar schon davon gehört, dass KI zur Erstellung journalistischer Textinhalte eingesetzt wird.

Dennoch gibt nur knapp die Hälfte der Befragten an, bewusst bereits KI-generierte Texte gelesen zu haben. Dies zeigt, dass viele Menschen unsicher sind, ob sie den Einsatz von KI in der Textproduktion tatsächlich erkennen können. Darüber hinaus ist der Journalismus der gesellschaftliche Bereich, in dem die Befragten die grössten Risiken durch KI sehen. Folglich werden überwiegend negative Auswirkungen auf die Qualität der Berichterstattung erwartet. Die meisten Befragten gehen davon aus, dass KI zu einer Zunahme von Falschinformationen in den Medien führt. Nutzer:innen machen Risiken von KI insbesondere an der Output-Ebene fest. Je stärker sich KI potenziell auf die Inhalte auswirkt, desto negativer beurteilen die Befragten deren Einsatz. Der Einsatz von (generativer) KI für das Erstellen von Beiträgen scheint somit aus Publikumsperspektive ein besonders sensitiver Bereich des Journalismus zu sein. Unsere Befragung zeigt aber, dass es auch Einsatzbereiche mit relativ hoher Publikumsakzeptanz gibt: insbesondere für Textübersetzungen, für die Bekämpfung von Desinformation auf Social Media sowie für Recherchen und Datenauswertungen. Zudem stufen die Befragten die Risiken von KI für die Themen- und Meinungsvielfalt als eher gering ein. Die insgesamt verbreitete Skepsis ist vermutlich ein Grund, warum die meisten Befragten von Medienhäusern erwarten, dass der Einsatz von KI deklariert wird. Gerade weil das Publikum KI kritisch gegenübersteht, sollten Schweizer Medien das Thema Transparenz ernst nehmen. Unsere Analyse zeigt, dass eine Minimallösung mit einmaliger Deklaration (z. B. im Impressum) aus Publikumssicht nicht ausreichend ist. Die Erwartung des Schweizer Publikums, den Einsatz von KI für unterschiedliche Arbeiten im Journalismus vollständig offenzulegen, ist vermutlich im Redaktionsalltag schwierig umzusetzen. Eine allzu kleinteilige und umfassende Praxis würde wahrscheinlich trotz hoher Zustimmung zu transparenter Deklaration vom Publikum auch als störend empfunden. Zudem sollte reflektiert werden, welche Effekte die Gewährleistung von Transparenz haben kann. Beispielsweise konstatieren Blassnig et al. (2024), dass das Wissen um den Einsatz von algorithmischen Empfehlungssystemen (News Recommender Systems) sich beim Publikum negativ auf das Vertrauen in Medienangebote auswirken kann. Weitere Forschung ist deshalb notwendig, wie Transparenz im Bereich von KI konkret hergestellt werden soll, um die Erwartungen und Bedürfnisse der Nutzer:innen zu erfüllen. Eine klare Mehrheit des Publikums erwartet von Schweizer Medien, dass sie stets die volle Verantwortung für Inhalte übernehmen, die mit Unterstützung von KI erstellt wurden. Die Nutzer:innen sind offensichtlich der Meinung, dass die Verantwortung nicht bei ihnen selbst oder den KI-Anbietern, sondern bei den Medienunternehmen und Journalist:in nen liegen sollte. Wenn Nachrichtenmedien und Medienschaffende ihren Nutzer:innen deutlich kommunizieren, dass und wie sie diese Verantwortung wahrnehmen, bietet dies die Chance, die Publikumsakzeptanz von KI zu fördern und das Vertrauen in Nachrichtenmedien zu sichern (Schützeneder et al., 2024; vgl. Kapitel VII. Einstellungen gegenüber Medien). Die aktuelle Ausrichtung der Unternehmens- und Branchenrichtlinien (z. B. Schweizer Presserat, 2024) auf den Aspekt der Verantwortung für KI-Inhalte erscheint daher richtig. Diese Richtlinien müssen aber auch konsequent umgesetzt werden. Das zeigen auch aktuelle Diskussionen zur teilweise mangelnden Überprüfung von KI-generierten Inhalten im Journalismus (Schwendener, 2024). Häufen sich inhaltliche Fehler aufgrund von KI und zeigen Medien eine unzureichende Fehlerkultur, kann dies zu einem zunehmenden Misstrauen gegenüber KI im Journalismus und zu einem Vertrauensverlust in Medien allgemein führen. Die Erwartungen des Publikums an den transparenten und verantwortungsvollen Einsatz von KI stehen in Kontrast zum wahrgenommenen Verhalten Schweizer Medien. Derzeit bescheinigt nur eine Minderheit der Befragten (rund 21 %) den Schweizer Medien einen verantwortungsvollen Umgang mit KI. Im Vergleich zu einer internationalen Studie (Fletcher & Nielsen, 2024) schneidet die Schweiz damit schlechter ab als Argentinien und die USA (beide 30 %) und ähnlich wie Japan (23 %), Dänemark (21 %) und Frankreich (18 %). Nur im Vereinigten Königreich sind die Zustimmungswerte deutlich tiefer (12 %). Zu beachten ist jedoch, dass Fletcher und Nielsen (2024) nach dem verantwortungsvollen Umgang mit KI von Nachrichtenmedien im Allgemeinen gefragt haben. Im Unterschied dazu bezogen sich unsere Fragen hierzu spezifisch auf die Medien, die die Befragten jeweils am häufigsten nutzen. Dass es sich dabei um die Nachrichtenmedien handelt, denen man in der Regel eher vertraut, macht den Befund für die Schweiz umso bedeutsamer. Hier müssen die Schweizer Medien ansetzen. Zukünftig sind noch mehr Transparenz im Umgang mit KI im Journalismus, eine stärkere Orientierung an Richtlinien sowie eine selbstreflexive Berichterstattung über den Umgang des Journalismus mit KI von nöten.

Die grosse Skepsis gegenüber generativer KI im Journalismus dürfte auch wesentlich dafür sein, dass die Zahlungsbereitschaft für KI-generierte Inhalte mit rund 6 % ausgesprochen tief ausfällt und im Jahresvergleich weiter rückläufig ist. Auch in anderen Ländern ist die Zahlungsbereitschaft mit durchschnittlich 8 % als niedrig anzusehen (Fletcher & Nielsen, 2024, hier bezogen auf Nachrichten, die überwiegend mit KI generiert wurden). Mit Blick auf die Finanzierung zeigt unsere Studie auch einen positiven Befund: Rund 45,1 % der Befragten sind der Meinung, dass Medienanbieter entschädigt werden sollten, wenn ihre Inhalte für KI-Tools verwendet werden. Lediglich 27,5 % sind (eher) dagegen. Weite Teile der Bevölkerung akzeptieren Massnahmen zur Vergütung der Medienschaffenden und Medienhäuser, beispielsweise die Durchsetzung von Urheberrechtsfragen. Die Monetarisierung von Archiven als Datenquelle für KI-Tools stellt eine Chance von KI für den Journalismus dar (Vogler et al., 2024).

Limitationen

Mit unserer Studie konnten wir nach 2023 zum zweiten Mal empirische Daten zur Wahrnehmung von KI im Journalismus erheben und vergleichen. In diesem Jahr analysierten wir zudem den Aspekt der Transparenz eingehender. Dennoch weist unsere Studie einige Limitationen auf. Wir fragten die Schweizer Bevölkerung, wie sinnvoll sie den Einsatz von KI in verschiedenen Bereichen des Journalismus erachtet. Das Wissen und die Vorstellungen über diese redaktionellen Prozesse dürften stark variieren und könnten von aktuellen öffentlichen Debatten beeinflusst sein, wie etwa der Berichterstattung über Falschinformationen, die durch den Einsatz von KI entstanden sind (Schwendener, 2024; Widmer, 2024). Unsere Studie erfasst nur begrenzt das Vorwissen der Befragten zu KI im Journalismus und liefert vor allem Einsichten zu Einschätzungen, Einstellungen und Erwartungen der Bevölkerung gegen über KI im Journalismus. Zukünftig wären ins besondere qualitative Studien mit Nutzer:innen lohnenswert, um die Zusammenhänge zwischen Einstellungen, Erwartungen, Wissen und öffentlichen Diskursen zu KI im Journalismus vertiefend untersuchen zu können.

Auch stellt sich unweigerlich die Frage, wohin die Reise in den nächsten Jahren gehen wird. Wird sich das Publikum an KI im Journalismus gewöhnen und seine Skepsis grösstenteils ablegen? Oder wird es bei seiner kritischen Haltung gegenüber KI bleiben? Unsere Studie ermöglicht einen Jahresvergleich für einige zentrale Indikatoren im sensitiven Bereich der Textproduktion. Die aktuellen Ergebnisse bestätigen den grundlegenden Befund, dass die Akzeptanz für Inhalte, die mit Unterstützung von KI erstellt wurden, deutlich höher ist als für vollständig KI-generierte Inhalte. Vor diesem Hintergrund erscheint die Strategie der meisten Schweizer Medien, generative KI überwiegend unterstützend einzusetzen, sinnvoll. Nicht zuletzt auch, weil die Zahlungsbereitschaft für diese Art von Beiträgen deutlich höher ist als für KI-generierte Inhalte. Allerdings signalisieren die Daten im Jahresvergleich eher eine wachsende als eine abnehmende Skepsis – und zwar hinsichtlich der Nutzungsabsichten, der Zahlungsbereitschaft und der Erwartungen an die Deklaration von Inhalten. Dies steht im Einklang mit den Befunden einer neueren Studie, die feststellt, dass die Schweizer Bevölkerung insgesamt zunehmend kritisch gegenüber KI eingestellt ist (Christen, 2024). Mittelfristig müssen Schweizer Medien daher wohl mit einer kritischen Perspektive des Publikums auf KI rechnen und entsprechend steigende Anforderungen an eine reflexive Berichterstattung und einen verantwortungsvollen Umgang mit KI erfüllen.

Der Text wurde dem Jahrbuch „Qualität der Medien“ entnommen und entspricht der dort verwendeten Schreibweise.

https://www.foeg.uzh.ch/de/jahrbuch-qdm/gesamtausgabe.html

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