Große Sprünge statt kleiner Schrittchen

18. Januar 2024
Helmut Hartung promedia Verlag Chefredakteur
Helmut Hartung promedia Verlag Chefredakteur
Zukunftsrat schlägt tiefgreifende Strukturreformen vor, die aber erst in Jahren greifen könnten

Von Helmut Hartung, Chefredakteur medienpolitik.net

Der Zukunftsrat hat sich an das gehalten, was der Name verspricht: Ideen für die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu entwickeln. Oder wie es ein Mitglied des Zukunftsrates, der Publizist Roger de Weck formulierte, geht es um die Gestaltung des öffentlich-rechtlichen Systems in zehn oder zwanzig Jahren. Nicht aber um Ad-hoc-Ideen für die Beitragsperiode ab 2025. Die Ratschläge knüpfen an Überlegungen aus den Ländern und der Rundfunkkommission an, führen diese aber konsequenter weiter. „Ohne große Sprünge wird es nicht gelingen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu erhalten“, so formulierte es die Sprecherin des Zukunftsrates und ehemalige Gruner+Jahr-Managerin Julia Jäckel in der heutigen Pressekonferenz zur Übergabe der Vorschläge. Julia Jäckel hat recht, dass angesichts des Akzeptanzverlustes und der Kritik am Programm Reformschrittchen nicht mehr ausreichen. Doch die Reformvorhaben kommen mindestens zehn Jahre zu spät. Und es hängt vom Tempo und der Entschlossenheit der Länder ab, diese auch umzusetzen, wenn gesichert werden soll, dass ARD, ZDF und Deutschlandradio auch in zehn oder zwanzig Jahren noch eine gesellschaftliche Relevanz haben sollen.

„Grundlegende Reformen der Öffentlich-Rechtlichen sind nie erfolgt, weil die über 75 Jahre gewachsenen Strukturen verfassungsrechtlich zementiert erscheinen und nur mit erheblichem Aufwand zu verändern sind. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist föderal organisiert. Das trägt einerseits dazu bei, Machtmissbrauch zu verhindern; andererseits müssen die 16 Länder jedoch für jeden Umbau Einstimmigkeit erzielen. Zwar benötigt jede Transformation Zeit. Diese haben die Öffentlich-Rechtlichen in der sich rasch wandelnden Medienwelt aber nicht. Gerade junges Publikum hat sich abgewandt. Die vorgeschlagenen Reformen sollten daher rasch in Angriff genommen und zügig umgesetzt werden. Das erfordert einen Kraftakt der Länder wie auch der Anstalten. Innovativ gestaltet kann dieser schon für sich genommen zur Steigerung der Akzeptanz beitragen“, heißt es in der Einleitung zu dem 37-seitigen Papier.

Der Kern des Zukunftskonzeptes ist ein radikaler Umbau der ARD von der Arbeitsgemeinschafft zu einem Unternehmen. Ohne diesen „revolutionären“ Schritt wäre alles andere Stückwerk. „Diese ARD-Anstalt ist Dachorganisation der Landesrundfunkanstalten. Ihre Leitung hat die alleinige Strategie-, Steuerungs-, Finanz- und Organisationskompetenz für die bundesweiten digitalen Plattformen und Angebote sowie die bundesweiten linearen Fernsehprogramme der ARD und für alle zentralen Aufgaben und Dienstleistungen, was den Abbau von Mehrfachstrukturen erleichtert. Sie organisiert die Arbeitsteilung mit und unter den Landesrundfunkanstalten“, heißt es dazu in dem Bericht des Zukunftsrates. Von dieser Veränderung hängt der Grad der Zusammenarbeit auch mit dem ZDF und dem Deutschlandradio ab, nur so ließen sich Synergieeffekte erreichen, die zu schlankeren Strukturen und Einsparungen führen, nur so könnte die regionale Verwurzelung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wirksam ausgebaut werden. Diese neue Organisations- und Führungsstruktur könnte auch die Digitalisierung schneller vorantreiben und dafür Rechnung tragen, dass weniger vom Gleichen produziert wird. Der finanzielle Anteil der ARD soll dann nicht mehr auf neun einzelne Anstalten auf Basis der Zahl der Beitragszahler verteilt, sondern dem ARD-Unternehmen zur Verfügung stehen und diese teilt das Geld je nach Programmbedarf auf. Technische Entwicklungen, Ausbau der Mediatheken und Zukunftsfragen sollen zentral geregelt werden.

Das neue Organisationsmodell erinnert an die Struktur des öffentlich-rechtlichen Schweizer Fernsehens und Hörfunks. Hier hat sicher der ehemalige Generaldirektor des SRG, Roger de Weck, seine Erfahrungen eingebracht. Das Schweizer „Modell“ fasst in einer Generaldirektion die vier verschiedensprachigen Sender zusammen sowie SWI swissinfo.ch, die öffentlich-rechtliche Nachrichten- und Informationsplattform, eine Unternehmenseinheit der SRG. Die Geschäftsleitung ist das oberste operative Führungsgremium des Medienhauses SRG. Sie besteht aus dem Generaldirektor, dem Direktor Entwicklung und Angebot, dem Direktor Operationen, dem Direktor Finanzen und den Direktoren der Unternehmenseinheiten von RSI, RTR, RTS, SRF und SWI swissinfo.ch. Nach diesem Modell könnten die bisherigen Anstalten der ARD selbständig bleiben und sich vor allem um die regionale Berichterstattung kümmern. Anstelle der Intendanten würde ein Direktor treten. Das Gemeinschaftsprogramm soll nach Vorstellung des Zukunftsrates von der Generaldirektion gesteuert und finanziert werden.

„Der Kern des Zukunftskonzeptes ist ein radikaler Umbau der ARD von der Arbeitsgemeinschaft zu einem Unternehmen. Ohne diesen „revolutionären“ Schritt wäre alles andere Stückwerk.“

Um die Digitalisierung schnell voranzutreiben und die notwendige technische Infrastruktur zu vernünftigen Kosten zu sichern, schlägt der Zukunftsrat eine „rechtlich verselbstständigte Gesellschaft für die Entwicklung und den Betrieb einer gemeinsamen technologischen Plattform vor, die alle Technologien für digitale Plattformen und Streaming vereinheitlicht und gemeinsam betreibt.“ Inhaltlich sollen die drei Partner der technischen Plattform autonom bleiben. Das erinnert an SWI swissinfo.ch. Die operative Leitung in den neun Länderanstalten soll eine kollegiale Geschäftsleitung übernehmen. Neben dem Vorsitz und der oder dem für die Erfüllung des Angebotsauftrags und des Publikumsdialogs Verantwortlichen umfasst sie mehrere relevante Ressorts, zum Beispiel Inhalte, Technologie, Produktion, Finanzen, Verwaltung. Mit dem Ressort Angebotsauftrag und Publikumsdialog wird der Demokratie- und Gemeinwohlorientierung ein herausgehobener Stellenwert eingeräumt. Von der neuen Struktur der ARD verspricht sich der Zukunftsrat große Effizienzgewinne. Eine effizientere Leitung und effektivere Arbeitsteilung samt Abbau von Mehrfachstrukturen könnte Mittel freisetzen, die in Inhalte und digital Zukunftsweisendes investiert werden können. Die ARD-Anstalt und die Landesrundfunkanstalten insgesamt würden insbesondere in den angebotsfernen Bereichen weniger Personal benötigen. Gerade hier können Strukturen erheblich verschlankt werden. Stärkung der eigenen Plattformen und Programme: Zudem käme eine klarere Zuordnung von Verantwortlichkeiten den Angeboten zugute. Die ARD-Anstalt und die Landesrundfunkanstalten können ihren demokratie- und gemeinwohlorientierten Auftrag wirksamer erfüllen und ihr Angebot innovativ weiterentwickeln. Zusätzlich sollen regelmäßige interne und externe Berichte die tatsächliche Auftragserfüllung sichern.

Mit dem Umbau der Organisationsstruktur bei der ARD ist für den Zukunftsrat auch eine Veränderung bei der Finanzierung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verbunden. Der Zukunftsrat empfiehlt eine Umstellung des gegenwärtigen Finanzierungsverfahrens der Öffentlich-Rechtlichen. Dabei soll die bisherige Ex-ante-Bewertung durch die KEF durch eine am Maßstab der Auftragserfüllung ausgerichtete Ex-post-Bewertung von einer modifizierten und ebenso unabhängigen KEF ersetzt werden. Bei der Höhe des Beitrags, geht der Zukunftsrat von einem Verfahren aus, das Auftragserfüllung und Indexierung kombiniert. Mit dem bisherigen Ex-ante- und KEF-Verfahren befolgen die Länder das verfassungsgerichtliche Gebot, Beauftragung und Finanzierung der Öffentlich-Rechtlichen zu trennen – und dies in einer Weise, die sowohl die Unabhängigkeit der Öffentlich-Rechtlichen als auch die der KEF berücksichtigt. Die damit angestrebte und über viele Jahre erfolgreiche Entpolitisierung bei der Ermittlung des Finanzbedarfs wird jedoch zunehmend unterlaufen. KEF-Empfehlungen werden nicht länger von allen Ländern berücksichtigt bzw. staatsvertraglich umgesetzt. Dieser Vorschlag ähnelt dem bereits bekannten automatisierten Indexmodell. Die weiterentwickelte KEF soll alle zwei Jahre anhand geeigneter Parameter bewerten, inwieweit die einzelne Anstalt ihren Angebotsauftrag erfüllt und dabei die ihr zur Verfügung gestellten Mittel effizient verwendet hat. Das Ergebnis soll sie den zuständigen Gremien, den Landtagen und der Öffentlichkeit im Einzelnen darlegen. Gelangt die neue KEF zu der Feststellung, dass der Angebotsauftrag vollumfänglich erfüllt wurde, werden die Mittel aus dem Beitragsaufkommen unverändert zugewiesen. Stellt sie dagegen fest, dass eine Anstalt ihren Auftrag nicht vollständig erfüllt hat, nimmt sie – im Einzelnen zu gewichtende – Abschläge von den Finanzzuweisungen vor.

Ein solches Vorgehen, bei dem die Anstalten über ein Budget verfügen, setzt aber einen präziseren Auftrag im Medienstaatsvertrag als bisher voraus. Denn er muss abrechenbar sein und mehr den gesellschaftlichen Anforderungen entsprechen. So empfiehlt der Zukunftsrat, den Angebotsauftrag der Öffentlich-Rechtlichen in zentralen Aspekten zu schärfen und fortzuentwickeln. Die Demokratie- und Gemeinwohlorientierung sollte deutlicher und nachdrücklicher formuliert sein – mit dem Ziel, die Öffentlich-Rechtlichen stärker auf ihren Beitrag zur demokratischen Selbstverständigung zu verpflichten und einen „common ground“ zu schaffen. Die Öffentlich-Rechtlichen müssten Angebote und Gelegenheiten bieten, die die Menschen zusammenbringen. Das sollte im Angebotsauftrag deutlicher verankert werden.

Die Schärfung des Auftrages könnten die Länder auf ihrer Klausurtagung Ende Januar in Bingen bereits vornehmen, aus der ARD als Arbeitsgemeinschaft ein einheitliches Unternehmen zu bilden, wird sicher viel länger dauern.

 

 

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