
Von Helmut Hartung, Chefredakteur medienpolitik.net
Es gibt Vorgänge und Ereignisse, bei denen es ratsam ist, ein wenig länger darüber nachzudenken und das Geschehene erst einmal sacken zu lassen. Der Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 12. Dezember zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, ist eine solche Begebenheit. Er ist ein Beispiel dafür, dass eine gutgemeinte Idee Schaden nimmt, wenn Wunschdenken auf Wirklichkeit trifft.
Die Länder hatten sich nach Beitragsmissbrauch in der ARD, Dickfälligkeit, Ignoranz und nicht eingehaltener Zusagen der Anstalten bei notwendigen Reformen, auf der Klausurtagung in im idyllischen Weinort Deidesheim, im Februar 2022 viel vorgenommen: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sollte so umgebaut werden, dass Kosten gespart und der Beitrag künftig mindestens stabil bleibt, dass das Programm mehr den Erwartungen der Zuschauer entspricht und durch eine Verstärkung der digitalen Angebote mehr junge Zuschauer erreicht werden. ARD und ZDF sollten enger zusammenarbeiten, die Gremien endlich kritisch hinterfragen und kontrollieren und es sollte betriebswirtschaftliche Ordnung einziehen. Außerdem wollten die Länder die Betragsfestsetzung so verändern, dass man endlich zu einem gewissen Automatismus kommt.
Die ersten Vorschläge aus den Rundfunkreferaten der Staatskanzleien waren vielversprechend. Es schien so, als gäbe es keine Tabus – bis auf eine mögliche Zusammenlegung von Rundfunkanstalten. Das galt auch weiterhin als Sakrileg. Auch der achtköpfige Zukunftsrat, der seine Aufgabe sehr ernst nahm, legte am 18. Januar 2024 kluge Ideen für Veränderungen vor. Im Vortext seines Berichtes, der auf zahlreichen Gesprächen und Diskussionen beruhte, heißt es: „Mit einer vorwiegend bewahrenden Weiterführung ist es allerdings nicht getan. Für alle Medien haben sich die Rahmenbedingungen so stark verändert, dass es auch einer umfassenden Reform der Öffentlich-Rechtlichen bedarf. Das betrifft ihre Strukturen und ihre Organisation, zudem muss sich ihre Kultur weiter wandeln. Um auch noch in den 2030er Jahren von der Bevölkerung akzeptiert und genutzt zu werden, braucht es darüber hinaus Antworten auf die digitalen Herausforderungen. Erforderlich sind nicht bloß Veränderungen im System, sondern Umbauten des Systems.“ Einige dieser Forderungen fanden auch Eingang in die Papiere der Rundfunkkommission. Bei der zweiten Klausurtagung im Januar dieses Jahres war bereits bekannt, dass die KEF vorschlug, den Rundfunkbeitrag ab 2025 um 58 Cent zu erhöhen. Dieser Vorschlag hätte von den Ländern per Rundfunkfinanzierungstaatsvertrag umgesetzt werden müssen, so dass die Erhöhung ab Januar 2025 erfolgen könnte.
Doch die Länder hofften weiter den Anstieg noch abwenden zu können. Der Reformstaatsvertrag sollte beschleunigt, bis Ende des Jahres beschlossen werden, die KEF wurde mit einem Sondergutachten betraut, dass die Einsparungen ab 2025 ermitteln sollte. Zudem wurden die Anstalten aufgefordert, von sich aus, freiwillig, die Reformen schneller voranzutreiben. Auch würden sie mit den Rücklagen von einer Milliarde Euro über ausreichend Spielraum verfügen, dass es einer Erhöhung nicht bedürfe.
Von Sitzung zu Sitzung der Rundfunkkommission schmolzen die Staatskanzleien das ambitionierte Reformprogramm ab. Aus einem Führungsgremium der ARD, einem wirklichen Generalsekretariat, wurde eine Federführung innerhalb der ARD, eine Deckelung des Sportrechtetats entwickelte sich zu einer Ausweitung und die digitalen Angebote wurden nicht begrenzt. Auf den über 130 Seiten der Entwürfe des Medienstaatsvertrages und der Staatsverträge für ARD, ZDF und Deutschlandradio finden sich noch immer viele Einschnitte in die schwerfälligen Strukturen und die mangelnden Kooperationen, mit denen vor drei Jahren nicht zu rechnen war. Dazu zählen die Pflicht zur Zusammenarbeit und der Abbau von Mehrfachstrukturen. Aber Einsparungen im ersten Zugriff sind nicht möglich. Mehr symbolisch ist die Umwandlung von linearen in nichtlineare Angebote und die Reduzierung der Hörfunkwellen. Dass sich die Strukturdebatte dann darauf reduzierte, ob 3sat erhalten bleibe und wie sich Arte entwickele, konnte den Anstalten recht sein. Lenkte diese Scheindebatte doch vom Veränderungsdruck ab, der auf ARD und ZDF zukommt. Zudem konnte so das gesamte Reformpaket diskreditiert werden.
"Von Sitzung zu Sitzung der Rundfunkkommission schmolzen die Staatskanzleien das ambitionierte Reformprogramm ab.“
In ihrem Gutachten vom Oktober stellte die KEF dann fest: „Der Sonderbericht ersetzt oder modifiziert in keiner Weise die Feststellungen des 24. Berichts der Kommission. Als Sonderbericht nach § 3 Abs. 9 Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag (RFinStV) wurde er in einem selbständigen Verfahren erstellt und darf das noch nicht abgeschlossene regelhafte Bedarfsfestsetzungsverfahren nicht stören oder beeinflussen. Der einer Empfehlung der Kommission zur Beitragsanpassung zugrundeliegende festgestellte Finanzbedarf kann nicht durch die Ergebnisse eines Sonderberichts, sondern nur im Wege eines weiteren regelhaften Feststellungsverfahrens verändert werden.“ Auch die Verwendung der Sonderrücklage von 1,1 Mrd. Euro erschließe für die Rundfunkanstalten keine zusätzlichen Mittel, da sie bereits bei der Bedarfsberechnung berücksichtigt worden sei. Entweder wurden, so die KEF, einige Effekte bereits bei der Anmeldung für 2025 bis 2018 eingerechnet oder sie würden sich frühestens bei der Bedarfsanmeldung für die Jahre 2029 bis 2032 auswirken. Damit gab es objektiv keine Voraussetzung, den KEF-Vorschlag von Plus 58 Cent nicht umzusetzen. Dennoch hielten die Länder an ihrer Hoffnung fest, durch eine Änderung des Finanzierungsstaatsvertrages eine Beitragserhöhung abwenden zu können.
Etwas Sand in das medienpolitische Getriebe streute dann noch der Hamburger Senator Carsten Brosda, der ein Junktim zwischen Medienstaatsvertragsentwurf und novelliertem Finanzierungstaatsvertrag sah: ohne das eine gäbe es auch das andere nicht, meinte er. Dennoch beschlossen die Ministerpräsidenten am 25. Oktober vier Säulen der Reform und verschoben die fünfte Säule auf den Dezember. Noch fehlte ein geeinter Finanzierungsstaatsvertrag. Als sich die Rundfunkkommission vier Wochen später erneut über die Vorschläge beugen wollte, kündigten die Intendanten von ARD und ZDF, die Länder damit düpierend, eine weitere Klage beim Bundesverfassungsgericht an. Nach einer fünfstündigen Sitzung konnten die für Medienpolitik in den Staatskanzleien Verantwortlichen am Abend vor der Ministerpräsidentenkonferenz im Dezember, noch das letzte Mal hoffen, einen Anstieg des Rundfunkbeitrages abzuwenden. Die Regierungschefinnen und -chefs stimmten ihrem Vorschlag, allerdings unter Vorbehalt, zu. Endgültig wolle man diesem Staatsvertrag erst nach einer weiteren Runde mit den Anstalten im Frühjahr 2025 unterschreiben. Bayern und Sachsen-Anhalt kündigten ihr Plazet sogar erst für den Fall an, dass ARD und ZDF die Klage zurückzögen. Doch diesen Gefallen taten ihnen die Sender nicht. Auch mit der Zusage, die Sonderrücklage bereits in zwei Jahren aufbrauchen zu können und die nächste Empfehlung der KEF, die bereits 2026 erfolge, unbedingt umzusetzen, ließen sich Kai Gniffke und Norbert Himmler nicht ködern.
Was bleibt, sind zerstörte Träume, der Entwurf eines Finanzierungsstaatsvertrages, dem der mühsame Kompromiss anzusehen ist und zwei öffentlich-rechtliche Anstalten, die sich ihre Legimitation erneut in Karlsruhe bestätigen lassen wollen. Spätestens seit dem Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht 2021 war klar, dass vor allem durch eine Änderung des Auftrages und damit einer Senkung der Kosten, eine Beitragssteigerung verhindert werden kann. Für die Rundfunkkommission ist es ein Rekord, innerhalb von zwei Jahren einen Reformstaatsvertrag zu erarbeiten, es ist aber ein Armutszeugnis, dass viel zu spät erkannt worden ist, dass er längst überfällig ist. Es bleibt eine gute Idee, die Beitragsfestsetzung zu vereinfachen und aus dem politischen Tagesgeschäft rauszuhalten, aber ein solcher Staatsvertrag taugt nicht als Druckmittel, um die Anstalten dazu zu bewegen freiwillig zu verzichten. Weder auf ihr Geld noch auf ihr Recht.