Monopolistische Plattformen auf dem Vormarsch

13. Dezember 2024
Studie: Wie digitale Monopole den Journalismus zerstören und die Demokratie bedrohen

Digitale Plattformen haben unsere Gesellschaft verändert: Sie prägen nicht nur, wie wir Informationen konsumieren, sondern auch, wie wir öffentliche Debatten führen. Der Erfolg des Netzes und von Social Media basiert auch auf dem Versprechen, die (mediale) Öffentlichkeit freier und partizipativer zu machen. Doch welche Konsequenzen hat die Machtkonzentration in den Händen einiger weniger Tech-Konzerne für den Journalismus und die Demokratie? Was passiert, wenn diese digitalen Medien zu Instrumenten der Polarisierung und gesellschaftlichen Spaltung werden? Im neuen FES impuls „The Hunger Games – Wie digitale Monopole den Journalismus zerstören und die Demokratie bedrohen“ beleuchtet Martin Andree, wie der Vormarsch monopolistischer Plattformen das traditionelle Mediensystem ausgehöhlt hat und welche Herausforderungen dadurch für die Meinungsvielfalt und demokratische Teilhabe entstehen.

Aus der Studie

Weil unsere Definitionen fehlerhaft und irreführend sind, haben wir die Regulierung der digitalen Medien für unsere Gesellschaft auf Sand gebaut. Wichtig ist, dass wir die weitreichenden Implikationen verstehen. Die Plattformen schädigen weiterhin ungestört unsere Demokratien, weil wir es ihnen erlauben. Durch unsere eigene Fehlregulierung bringen wir die digitalen Quasimonopole überhaupt erst hervor. Ferner steigern wir so massiv den Wert der Netzwerke (bzw. Plattformen), degradieren regulatorisch den Wert von Content und lassen die Redaktionen sterben.

Dabei wären alternative Regelungen denkbar: Wer etwa meint, Plattformen seien Intermediäre, sollte dann auch nicht gestatten, dass Plattformen überhaupt Inhalte monetarisieren (dies ist sowieso ein logischer Selbstwiderspruch – denn wie sollte jemand, der gar kein Inhalteanbieter ist, ausgerechnet Inhalte monetarisieren?). Des Weiteren könnten wir die Netzwerke einfach öffnen, indem wir die Links befreien, die Nutzer auf Angebote außerhalb der Plattform weiterleiten („Outlinks“). Nutzer dürften nicht mehr aktiv daran gehindert werden, die Plattform zu verlassen, etwa durch komplizierte Umwege (wie „Link in Bio“ bei Instagram). Plattformen dürften auch nicht wie bisher Inhalte mit Outlinks in Bezug auf Sichtbarkeit herunterdimmen. Wir würden die Plattformen dazu zwingen, den Urhebern vollständige Freiheit bei der Setzung solcher Outlinks zu lassen. Analog könnten wir offene Standards und volle Interoperabilität für sehr große Plattformen durchsetzen. Dadurch könnten wir Wege finden, wie Nutzer Inhalte, aber auch Follower über Plattformgrenzen hinweg „mitnehmen“ oder weitergeben. Die Netzwerke würden relativ gesehen austauschbarer, umgekehrt hätten wertvolle Inhalte bessere Chancen in Bezug auf Sichtbarkeit und Monetarisierung.

Dass offene Standards Vielfalt und Wettbewerb herstellen, können auch unsere Messungen zeigen. Während fast alle digitalen Märkte von Quasimonopolen oder Oligopolen besetzt sind, ist beispielsweise der Markt für E-Mails bis heute durch Vielfalt geprägt – weil offene Standards eingesetzt werden, sodass Inhalte problemlos zwischen unterschiedlichen Anbietern ausgetauscht werden können. So kann auf diesem Markt das Angebot von Alphabet (Gmail) trotz der extremen wirtschaftlichen Übermacht sowie plattformübergreifender Netzwerkeffekte hier keine marktbeherrschende Stellung aufbauen, bis heute existieren alternative lokale Anbieter (wie z.B. web.de oder GMX). Ferner würden wir auch bei digitalen Medien die im Medienrecht bewährte wirtschaftliche Trennung von Übertragungsweg und Inhalt umsetzen und so die Wirkungsmacht von Monopolstellungen drosseln. Diese wirtschaftliche Trennung würde bedeuten, dass eine Plattform wie YouTube in zwei Gesellschaften aufgeteilt würde – YouTube-Plattform-Services und YouTube-Content-Services. Es wäre nun leicht möglich, auch für demokratierelevante digitale Mediengattungen (wie etwa Suchmaschinen, GratisVideo-on-Demand, Social Media) Marktanteilsobergrenzen festzuschreiben, die entsprechend der analogen Regeln (nach Medienstaatsvertrag) 30 Prozent nicht überschreiten dürften.

Im Falle von YouTube wäre ein Marktanteil von 78 Prozent ebenso inakzeptabel wie derselbe Marktanteil für RTL in der Mediengattung Fernsehen. YouTube müsste also beispielsweise Drittanbieter auf der Plattform zulassen, bis Anbietervielfalt gewährleistet ist. Influencer könnten sich dann beispielsweise den wirtschaftlich attraktivsten Vermarkter für die Inhalte suchen und wären nicht mehr an YouTube gebunden. Für andere demokratierelevante Mediengattungen wie Suchmaschinen könnte man gut bewährte Syndizierungsmodelle nutzen, um auch hier Anbietervielfalt herzustellen: Marktbeherrschende Plattformen stellen ihre Daten zur Verfügung, auf deren Grundlage dann alternative Angebote geschaffen werden.

Zuletzt sollten wir den Plattformen verbieten, spezifische strafbare Inhalte zu monetarisieren (in der Regel durch Werbung), ohne dafür die volle Haftung zu übernehmen. Im Netz muss fortan der Grundsatz gelten: Wer wirtschaftliche Verantwortung für konkrete Inhalte übernimmt (durch Monetarisierung), der muss auch die volle inhaltliche Verantwortung übernehmen. Eine solche Regelung löst das aktuelle Problem, dass Plattformen unter dem Vorwand der Meinungsfreiheit nach wie vor ungestört strafbare Inhalte zu Geld machen. Zugleich ist durch diese Regelung die Meinungsfreiheit nicht betroffen, denn nicht die Übertragung, nur die Monetarisierung strafbarer Inhalte ist unterbunden.

Wir können davon ausgehen, dass die Einführung solcher oder ähnlicher Regeln schnell eine zivilisierende und balancierende Wirkung auf die digitalen Diskurse entfalten würde. Zunächst einmal würde sich der Traffic insgesamt verschieben. Es würde weniger Aufmerksamkeit in den Plattformen, mehr dagegen auf unabhängigen Domains gebündelt – aber genau dort zieht sowieso die Verbreiterhaftung. Wir erkennen die positiven Effekte sofort, wenn wir diese zukünftige, bessere digitale Welt mit dem schlimmen Status quo vergleichen. Denn unsere aktuelle digitale Fehlregulierung incentiviert vor allem Monopolbildung, die drastische Entwertung von Content, die rücksichtslose und verantwortungslose Ausbeutung polarisierender oder gar strafbarer Inhalte sowie den Verlust der digitalen Souveränität durch die Nutzer. Die hier vorgeschlagenen Maßnahmen incentivieren Anbietervielfalt, reduzieren den Wert der Plattformen, erhöhen dagegen den Wert von Content und die Übernahme von Verantwortung, sie geben den unabhängigen Domains außerhalb der Plattformen eine Chance, und sie geben den Nutzer ihre digitale Souveränität zurück.

In der Medienwirtschaft herrscht aufgrund der abschmelzenden Umsätze und der wegbrechenden analogen Geschäftsmodelle vielerorts Unruhe und sogar Panik. Es ist verständlich, dass man allerorten fieberhaft nach Auswegen aus der Misere sucht. Aktuell planen ARD und ZDF bekanntlich die gemeinsame Lancierung einer neuen Streaming-Plattform. Die Verlage versuchen mit allen erdenklichen Mitteln, ihre Digital-Abos zu steigern. Faktenchecker sollen die ungehemmte Ausbreitung von Fake News stoppen. Initiativen auf dem Feld der Medienkompetenz sollen vor allem Jugendliche und Heranwachsende vor Schäden bewahren. Verschiedene Initiativen erarbeiten neue Visionen für einen zukünftigen digitalen Journalismus mit Ideen um Coopetition (also strategische Kooperationen von Wettbewerbern), die Entwicklung eines Spotify für Journalismus, einer Verlagsplattform bzw. eines digitalen Pressegrosso sowie neuer Formate wie etwa Deep Journalism à la Politico sowie von Professional Briefings. Andere Ideen verfolgen die Erschließung neuer Erlösmodelle, zumeist durch die Entwicklung von journalistischen Inhalten mit starken Affinitäten zu kommerziellen Kategorien (z.B. Nahrungsmittel oder Rezepte, Reisen o. ä.) und der direkten Anbindung von Transaktionen, etwa durch Webshops. Immer wieder neue, oft gemeinnützige alternative Plattformen werden entwickelt und oft auch staatlich subventioniert. Alle diesen Maßnahmen ist gemeinsam, dass sie zwar in die richtige Richtung weisen, allerdings die Probleme der substanziellen digitalen Fehlregulierung nicht zu überwinden vermögen. Die neuen Nischenpositionierungen (Deep Journalism u. ä.) besitzen viel zu wenig Gewicht, um eine echte Umschichtung zu bewirken. Fast alle Ideen kranken daran, dass sie unter den Bedingungen der digitalen Monopolbildung chancenlos sind – völlig unabhängig, ob es sich um öffentlich-rechtliche Plattformen, Faktenchecker, alternative Suchmaschinen oder Websites zur Förderung von Medienkompetenz handelt. Sie alle werden unter der falschen Annahme konzipiert, dass fairer Wettbewerb herrscht und offene, freie Märkte existieren. Dies ist jedoch unter den beschriebenen Bedingungen der digitalen Monopolbildung nicht der Fall. Metaphorisch gesprochen kontrollieren die Tech-Konzerne das digitale Schienennetz. Alle angeführten Ideen und Szenarien kranken gleichermaßen daran, dass sie keinen echten Zugang zu den digitalen Gleisen besitzen. Wer nicht auf das Schienennetz der Plattformen gelangt, befindet sich in der oben ausführlich dargestellten Brache, die weitgehend frei ist von Traffic. Wenn aktuell öffentlich-rechtliche Rundfunkanbieter gebührenfinanzierte Inhalte für Plattformen wie YouTube oder TikTok produzieren, tun sie unter den Zwängen der digitalen Monopolbildung das einzig Richtige: Sie liefern ihre Inhalte gezwungenermaßen dort aus, wo der Traffic ist. Dass dies demokratiepolitisch zugleich grundfalsch ist, liegt auf der Hand. Denn die Verbreitung dieser öffentlich-rechtlichen Inhalte wird durch die Digitalkonzerne kontrolliert. Was wiederum bedeutet: Unter den Bedingungen der digitalen Plattformen sind die öffentlich-rechtlichen Inhalte nicht mehr frei und unabhängig. Sie unterliegen vollständig den Zwängen, Distributionslogiken und Bedingungen der Plattformen.

Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass auch vermeintliche insuläre „Ausnahmen“ einzelner erfolgreicher redaktioneller Anbieter keinerlei positive Perspektiven oder strategische Auswege darstellen. Wir erleben seit Jahrzehnten in der westlichen Welt konsistent den Zusammenbruch der redaktionellen Medien, allerdings können sich typischerweise einzelne führende, als Autoritäten wahrgenommene überregionale Nachrichtenmedien dem Trend entgegenstemmen (z. B. New York Times) – was daran liegt, dass eine sehr kleine gesellschaftliche Informationselite in der Regel eine führende Medienmarke abonniert (Nelson/Ryan 2018: 623f.). Es ist ein besonders trauriger Nebeneffekt der medienökonomischen Marktgesetze, dass sich diese erfolgreichen Einzelfälle dann gerne innerhalb der Branche als positive Benchmarks inszenieren, also auf Konferenzen und anderen Foren sinngemäß suggerieren, wer Probleme hat, sei selbst schuld, man müsse im Journalismus einfach nur digital innovativ und disruptiv sein, dann würden sich die Probleme schnell in Luft auflösen. Noch bedenklicher ist, dass es dieselben führenden Medienmarken sind, die typischerweise massiv von den Tech-Riesen finanziell gefördert werden, einerseits durch spezifische Erlösmodelle (z.B. Google News Showcase), andererseits durch vielfältige „Förder“-Programme, zuletzt durch großzügige Werbeinvestments. Insider sprachen in der Vergangenheit bereits von „Schweigegeld“. Schon häufig wurde Big-Tech-Unternehmen nachgewiesen, solche Abhängigkeiten auszunutzen, um betroffene Institutionen zu erpressen oder missliebige, kritische Berichterstattung zu unterdrücken. Ein solcher Fall wurde auch für eine deutsche Redaktion nachgewiesen (Andree 2023: 227–240, vor allem 239). Den Digitalkonzernen ist es durch Ausnutzung dieser Mechanik gelungen, die redaktionellen Medien in einzelne Felder und Areale zu spalten, die miteinander verfeindet sind und die in Einzelfällen sogar vor Gericht gegeneinander streiten, anstatt gemeinsam die Bedrohung zu erkennen.

Prof. Dr. Martin Andree ist Professor für Medienwissenschaft mit Schwerpunkt digitale Medien an der Universität Köln.

https://library.fes.de/pdf-files/a-p-b/21714.pdf

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